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Vollständige Version anzeigen : Dialog von Christen&Moslems in der Türkei



kritiker_34
18.09.2006, 12:49
"Der Franziskaner Eleuthère sagt, dass er mit seinen "modernen, aufgeklärten türkischen Freunden" überhaupt keine Probleme hat. Das Hauptproblem sei die Ignoranz der einfachen Leute - und die Politik. "Es sind die Politiker, die die Papst-Rede für ihre Zwecke missbrauchen. Wir Christen haben eigentlich keine Probleme mit den Muslimen."

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,437512,00.html

es gibt Ansätze zum Dialog, diese sollten unterstützt und gefördert werden.

George Rico
18.09.2006, 13:16
Dass die Türken, die in einer eher westlich orientierten Großstadt wie z.B. Antalya sozialisiert worden sind, eine höhere Bereitschaft zum Dialog aufweisen, ist unzweifelhaft. Dort sind archaische Traditionen wie die Zwangsheirat usw. zugunsten einer modernen Lebensweise in den Hintergrund gerückt. Dem gegenüber stehen die Türken, die aus extrem rückständigen Gegenden wie Anatolien stammen und sich noch sehr stark mit ihren geradezu mittelalterlich anmutenden Tradtionen verbunden fühlen. Sie behalten ihre Lebensweise auch in einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft bei, was dann zwangsläufig zu Konflikten und zur Bildung von Subkulturen führt. Genau dies erleben wir seit Jahrzehnten in Deutschland. Ich behaupte, dass wir weniger Probleme mit türkisch-stämmigen Migranten hätten, würden diese aus aufgeklärten und fortschrittlichen Gegenden der Türkei kommen. Aber gerade die einfachen Leute sind nunmal extrem leicht durch radikale Vordenker zu beeinflussen, was man ja momentan wieder an den weltweiten Protesten sieht. Einflussreiche Kräfte unter den Muslimen wollen diesen Konflikt der Religionen, die einfachen Muslime aus Anatolien, Pakistan oder dem Iran sind in ihrem Denken jedoch zu beschränkt, um die Chance zu erkennen, die der Papst ihnen gab: Sich zu einem günstigen Zeitpunkt von Gewalt im Namen der Religion zu distanzieren.

Blackout
18.09.2006, 18:02
So wie es nicht DEN Islam gibt und DIE Muslims und noch nicht einmal DIE Islamisten,
so muss man sich dennoch die Realität des Alltags vor Augen halten In fast allen islamischen Ländern werden Christen diskriminiert - auch in der Türkei.
(Erst wenn Kardinal Lehmann oder Bischof Huber zur Grundsteinlegung einer Kirche in die Türkei eingeladen wird, hat sich was geändert.....)
Die Diskriminierung in anderen islamischen Ländern ist jedoch viel fundamentaler und geht an die Substanz. Christen werden zunehmend mit DEM Westen oder DER USA gleichgesetzt. Muslime, die eine moderatere, im reinen Sinne, kritischere Einstellung haben und daraus auch keinen Hehl machen, müssen - je nach Land- um ihre materielle wie physische Existenz fürchten.
Die christlichen Großkirchen sind mittlerweile -und das war ein sehr langer Prozess - dialogfähig geworden, und zwar deshalb, weil sie von einem alleinigen Wahrheitsanspruch abgerückt sind. Soweit ich das erkennen kann, scheint diese Haltung für den herrschenden staatsreligiösen Islam noch undenkbar, ja unvorstellbar. Deshalb kann ein öffentlicher Dialog auch nicht stattfinden, weil die Voraussetzungen fehlen. Ein echter Dialog ist bestenfalls im engen akademischen kleinen Kreis möglich, und auch dann nur, wenn Muslime dazugehören, die bereit sind, den Islam auch unter historischen Aspekten anzusehen. Wie gefährlich letzteres sein kann hat das Beispiel
Mahmud Muhammad Taha gezeigt. Er wurde wegen Apostasie (also Abfall vom wahren Glauben) verurteilt und 1985 in Karthum hingerichtet.
Taha´s Verbrechen bestand darin, dass er als Theologe im Koran die in Mekka oder in Medina offenbarte Suren unterschied. Taha schreibt nur den in Mekka offenbarten Suren überzeitliche Bedeutung zu. Die Suren aus Medina hingegen hielt er für zeitbedingt, und nur für das 7. Jahrhundert gültig. Gerade diese Unterscheidung wäre aber für einen Dialog notwendig.----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Wenn echter Dialog noch nicht möglich ist, so sollte er unbedingt angestrebt werden-----------------------------------------------------------------------------------------------------------.-----

sparty2
18.09.2006, 19:09
Gerade diese Unterscheidung wäre aber für einen Dialog notwendig.
Genau diese Unterscheidung wird doch bereits gemacht...



(...)
Muslimische Reform-Theologen widersprechen dieser Haltung (die auch dem klassischen sunnitischen Dogma entspricht, Schiiten hingegen sehen den Koran als interpretationsbedürftig an). Sie sagen, man könne den Koran in zwei Kategorien von Aussagen teilen: Jene, die eher kosmologischer Natur sind, und jene, die in der Zeit entstanden, als Mohammed der Herrscher Medinas war. Solche Suren enthalten politische und juristische Sentenzen, die den Reformern zufolge heute so nicht mehr angewendet werden können.

Ein Land, in dem der sunnitische Islam dieser Richtlinie folgt, ist seit langem die Türkei. Ali Bardakoglu, Leiter der türkischen Religionsbehörde Diyanet, sagte der WELT, Suren wie die Neunte, Vers 5 dürften nur im "historischen Kontext gesehen werden. Jede Sure ist auf ein Ereignis hin offenbart worden, um eine bestimmte Idee zu verdeutlichen". Das sei im Fall dieser Sure das Prinzip der Selbstverteidigung, wenn Muslime angegriffen würden.
(...)

(Quelle (http://www.welt.de/data/2006/09/18/1040362.html?s=2))


(...)
Ismet Berkan, Chef der (türkischen) Tageszeitung "Radikal", schrieb am Montag: "Ich bin kein Experte, aber ich denke, dass die Frage, welche Haltung wir hinsichtlich der Vernunft-Offenbarung einnehmen, also der Frage, wie wir den Koran verstehen müssen, eines der wichtigsten Themen unserer Tage ist."
(...)

(Quelle (http://www.welt.de/data/2006/09/19/1041632.html))

sparty2

Freddy Krüger
18.09.2006, 20:52
"Der Franziskaner Eleuthère sagt, dass er mit seinen "modernen, aufgeklärten türkischen Freunden" überhaupt keine Probleme hat. Das Hauptproblem sei die Ignoranz der einfachen Leute - und die Politik. "Es sind die Politiker, die die Papst-Rede für ihre Zwecke missbrauchen. Wir Christen haben eigentlich keine Probleme mit den Muslimen."

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,437512,00.html

es gibt Ansätze zum Dialog, diese sollten unterstützt und gefördert werden.

Du meinst, die Priester, die ständig in der Türkei erstochen werden, sind kein Problem?

Blackout
18.09.2006, 23:11
An sparty2

Ja, es ist gut, dass du diese kleinen Pflänzchen erwähnst. Was Ismet Berkan betrifft, so ist er , wenn ich mich recht erinnern kann, Alevit. Es ist ein mutiger, aufrechter Mann, der aber aufgrund seiner Ansichten schon viele Angriffe bis hin zur Strafverfolgung und Anklage zu erleiden hatte.
Aleviten gelten im orthodoxen Islam mehr oder minder als Häretiker und hatten und haben in der Türkei einen sehr schweren Stand, was ihre Glaubenspraxis betrifft. Das hat sich ein klein wenig gebessert, auch das ist gut so. Sie sind eine Minderheit von immerhin ca. 20 %, die wie die Christen eindeutig diskriminiert werden.
Mit den Aleviten kann man einen Dialog führen, das ist kein Problem, weil sie eine völlig andere Einstellung haben, aber wie erwähnt, sie werden vom orthodoxen Islam isoliert.
Was Ali Bardakoglu betrifft, so bin ich mir nicht sicher auf welchem Niveau man mit ihm einen echten Dialog führen könnte, ein Gespräch über Religion und Werte sicher immer. Er weiß sich sehr geschickt auszudrücken, was die „Lehre“ betrifft. Was den historischen Kontext betrifft, so hätte ich gerne mal etwas mehr von ihm vernommen.

kritiker_34
18.09.2006, 23:26
Du meinst, die Priester, die ständig in der Türkei erstochen werden, sind kein Problem?

Ich sage nicht dass die Ermordung von Priestern oder Christen kein Problem darstellt. Im Gegenteil. Ich versuche aber über den Weg der Ratio zu gehen und deshalb FÜR DEN DIALOG der KULTUREN bin, statt blind einem Huntington zu folgen, welcher ein uraltes Konzept nur neu verpackt hat.

barumer
18.09.2006, 23:26
Wehret den Anfängen, sperrt BLACKOUT !!!

kritiker_34
18.09.2006, 23:32
Genau diese Unterscheidung wird doch bereits gemacht...


(Quelle (http://www.welt.de/data/2006/09/18/1040362.html?s=2))

(Quelle (http://www.welt.de/data/2006/09/19/1041632.html))

sparty2

Welche Unterscheidung wird gemacht? In deutschsprachigen Foren gibt es genügend Beispiele von TürkNationalisten, die im Koran die einzige und alleinige "Wahrheit" sehen. Wenn dies in deutsch- oder englischsprachigen Foren schon der Fall ist, wie muss es dann für Andersgläubige sein, die in islamischen Ländern leben.

Die Taliban in ihrer Terrorherrschaft in Afghanistan, haben ja sehr eindrucksvoll bewiesen, wie "friedfertig" der fanatisierte Islam tatsächlich ist.

kritiker_34
18.09.2006, 23:38
Dass die Türken, die in einer eher westlich orientierten Großstadt wie z.B. Antalya sozialisiert worden sind, eine höhere Bereitschaft zum Dialog aufweisen, ist unzweifelhaft. Dort sind archaische Traditionen wie die Zwangsheirat usw. zugunsten einer modernen Lebensweise in den Hintergrund gerückt. Dem gegenüber stehen die Türken, die aus extrem rückständigen Gegenden wie Anatolien stammen und sich noch sehr stark mit ihren geradezu mittelalterlich anmutenden Tradtionen verbunden fühlen. Sie behalten ihre Lebensweise auch in einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft bei, was dann zwangsläufig zu Konflikten und zur Bildung von Subkulturen führt. Genau dies erleben wir seit Jahrzehnten in Deutschland. Ich behaupte, dass wir weniger Probleme mit türkisch-stämmigen Migranten hätten, würden diese aus aufgeklärten und fortschrittlichen Gegenden der Türkei kommen. Aber gerade die einfachen Leute sind nunmal extrem leicht durch radikale Vordenker zu beeinflussen, was man ja momentan wieder an den weltweiten Protesten sieht. Einflussreiche Kräfte unter den Muslimen wollen diesen Konflikt der Religionen, die einfachen Muslime aus Anatolien, Pakistan oder dem Iran sind in ihrem Denken jedoch zu beschränkt, um die Chance zu erkennen, die der Papst ihnen gab: Sich zu einem günstigen Zeitpunkt von Gewalt im Namen der Religion zu distanzieren.

Der Papst hat ALLE RELIGIONEN ermahnt, sich vom Prinzip der Gewalt zur Durchsetzung religiöser Ziele zu verabschieden, oder diesen "gewaltbereiten Prinzipien" abzuschwören.

Die teils hysterische Reaktion von einigen Islamisten zeigt ja, dass er im Grunde genommen, genau das WESENTLICHSTE THEMA angesprochen hat was momentan AKTUELLER denn jeh ist.

Erinnert sei auch an den Nahen Osten.

Blackout
19.09.2006, 10:06
Wehret den Anfängen, sperrt BLACKOUT !!!
Lieber barumer,
ich weiß ja, wie dir das alles , was Glauben und Religion und das ganze Blackoutige betrifft anstinkt.. Du kannst nicht ahnen, wie es mir geht.
Aber wenn ich eines Tage morgens aufwache und lese, dass jemand, der Koranverse auf Klopapierrollen hat drucken lassen wollen (er wollte nur provozieren, und zwar mit Suren, die die Gewaltbereitschaft ausdrücken) von einem deutschen Gericht 1 Jahr Haft mit Bewährung bekommt, dann werde selbst ich hellhörig. Was in diesem Lande bis vor kurzem noch jedem scheißegal gewesen ist, wird plötzlich bestraft, das ist mir dann nicht mehr egal. Dann muss ich mich damit auseinandersetzen, und zwar so grundlegend, dass die „andere Seite“ merkt, dass ich sie ernst nehme, und das kann sie nur, wenn ich von Wissen nicht ganz ungetrübt bin.
. Obgleich ich nicht die geringste Lust auf diese Auseinandersetzungen habe, so will ich doch in einem Land leben, in dem jeder den letzten Scheiß auf Klopapier drucken darf.
Capito!
MfG
--------------------------------------------------------------------------------------------------

barumer
19.09.2006, 12:03
Capito!


@Blackout,
Capito ! Ist doch auch meine Meinung.
War doch ironisch gemeint (mit dem sperren) !

kritiker_34
19.09.2006, 12:17
Lieber barumer,
ich weiß ja, wie dir das alles , was Glauben und Religion und das ganze Blackoutige betrifft anstinkt.. Du kannst nicht ahnen, wie es mir geht.
Aber wenn ich eines Tage morgens aufwache und lese, dass jemand, der Koranverse auf Klopapierrollen hat drucken lassen wollen (er wollte nur provozieren, und zwar mit Suren, die die Gewaltbereitschaft ausdrücken) von einem deutschen Gericht 1 Jahr Haft mit Bewährung bekommt, dann werde selbst ich hellhörig. Was in diesem Lande bis vor kurzem noch jedem scheißegal gewesen ist, wird plötzlich bestraft, das ist mir dann nicht mehr egal. Dann muss ich mich damit auseinandersetzen, und zwar so grundlegend, dass die „andere Seite“ merkt, dass ich sie ernst nehme, und das kann sie nur, wenn ich von Wissen nicht ganz ungetrübt bin.
. Obgleich ich nicht die geringste Lust auf diese Auseinandersetzungen habe, so will ich doch in einem Land leben, in dem jeder den letzten Scheiß auf Klopapier drucken darf.
Capito!
MfG
--------------------------------------------------------------------------------------------------

Das Bedrucken von Klopapier sollte allerdings freigestellt werden. Schliesslich ist es ja jedem selber überlassen, wie oft man sein Geschäft verrichtet, und mit welchen Mitteln man seinen Allerwertesten reinigt.

Also ich scheiss auf Zensur.

leuchtender Phönix
19.09.2006, 19:41
An sparty2

Ja, es ist gut, dass du diese kleinen Pflänzchen erwähnst. Was Ismet Berkan betrifft, so ist er , wenn ich mich recht erinnern kann, Alevit. Es ist ein mutiger, aufrechter Mann, der aber aufgrund seiner Ansichten schon viele Angriffe bis hin zur Strafverfolgung und Anklage zu erleiden hatte.
Aleviten gelten im orthodoxen Islam mehr oder minder als Häretiker und hatten und haben in der Türkei einen sehr schweren Stand, was ihre Glaubenspraxis betrifft. Das hat sich ein klein wenig gebessert, auch das ist gut so. Sie sind eine Minderheit von immerhin ca. 20 %, die wie die Christen eindeutig diskriminiert werden.
Mit den Aleviten kann man einen Dialog führen, das ist kein Problem, weil sie eine völlig andere Einstellung haben, aber wie erwähnt, sie werden vom orthodoxen Islam isoliert.
Was Ali Bardakoglu betrifft, so bin ich mir nicht sicher auf welchem Niveau man mit ihm einen echten Dialog führen könnte, ein Gespräch über Religion und Werte sicher immer. Er weiß sich sehr geschickt auszudrücken, was die „Lehre“ betrifft. Was den historischen Kontext betrifft, so hätte ich gerne mal etwas mehr von ihm vernommen.

Mit den Aleviten kann man durchaus dialoge führen. Aber wie soll das mit den Moslems allgemein gehen? Mit den meisten anderen ist da nichts zu machen. Und außerdem sollte es in einem Dialog auch gefahrenfrei möglich sein kritische Punkte anzusprechen.