aloute
06.02.2004, 12:47
Der bürgerliche Staat
Die vorliegende Analyse unterscheidet sich erheblich von den Schriften, die seit einem Jahrzehnt als Beitrag zur "Staatsableitungsdebatte" erscheinen. Sie i s t nämlich die Staatsableitung, beendet also jene unselige Debatte für all diejenigen, die ein Interesse an der Erklärung des Staates haben, weil sie objektives Wissen brauchen über Grund, Zweck und Verlaufsformen der politischen Herrschaft im Kapitalismus. Der Unterschied zur Literatur ü b e r die Staatsableitung, insbesondere zur Literatur über die einschlägigen Projekte, ist nicht schwer festzustellen, weswegen eine kurze Zusammenfassung genügt, um den Lesern Enttäuschungen zu ersparen.
Vorenthalten werden ihnen zunächst einmal Erörterungen über die Schwierigkeiten, die einer Ableitung des Staates im Wege stehen. Die methodologischen Veranstaltungen, mit denen linke Intellektuelle der Durchführung einer Staatstheorie ausweichen, fehlen gänzlich. Es wird also nicht im Jargon bürgerlicher Wissenschaftstheorie die Frage zum dreitausendsten Male gestellt, ob und wie eine Staatstheorie möglich sei; es werden auch keine Probleme problematisiert" welche von irgendwelchen Kategorien, Dimensionen, Ebenen der Theorie herstammen sollen und ihr Verhältnis zur "Empirie" und Geschichte zu hinterfragen gebieten. All diese "Ansätze" und "Fragestellungen" erfinden ja mit allerlei komplizierten Bedingungen, die den Staatstheoretikern angeblich das Leben so schwer machen, nur die Unmöglichkeit, zu einem objektiven Urteil über den im Titel erwähnten Gegenstand zu gelangen. Inzwischen ist man auch unter Linken dahin übereingekommen, das eigene Desinteresse an objektiver Wissenschaft zu einer "Schwierigkeit" umzulügen, die man dann auch noch der Sache, die man bespricht und doch nicht erklären will, als Eigenschaft andichtet - bis hin zu der genialen Leistung, den Staat als "komplex" und als "Struktur" vorzuführen.
Des weiteren hat uns im Unterschied zu denen, die uns der Arroganz bezichtigen, auch die Tatsache wenig belastet, daß d e r Staat gar nicht existiert, s o n d e r n nur "historisch gewordene" und höchst unterschiedliche Staatswesen. Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei all den Staaten eben um Staaten, und deren gemeinsame Prinzipien erklärt eine Staatstheorie. Daß sich an Besonderheiten Allgemeines nicht finden lasse, halten wir für ein Gerücht, welches die albernste Form der öffentlichen Abdankung eines Theoretikers darstellt. Diejenigen, die den Unterschied zwischen englischem und deutschem Recht, zwischen italienischer und deutscher Sozialgesetzgebung bemühen, um sich den Begriff von Recht und Sozialstaat zu ersparen, werden mit diesem Begriff auch keine Besonderheiten richtig
analysieren, weil sie ihn, wie er aus den westdeutschen Verhältnissen erschlossen wird, leugnen. Eine andere Abteilung linker Staatstheoretiker wird das Fehlen ihrer Fragestellungen ebenfalls registrieren, weil wir in theoretischen Angelegenheiten sehr dogmatisch sind und so praktische Erwägungen wie die Suche nach "Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Handelns" für den Auftakt handfester Ideologien erachten. Wir sorgen uns auch nicht um "Struktur- und Funktionsprobleme", die diese Leute am Klassenstaat entdecken, um sich dann mit ihren Alternativen der vermeintlichen Nöte des herrlichen Gemeinwesens anzunehmen. Wenn sie schließlich auch noch von der "Dialektik von Reform und Revolution" anfangen, behaupten wir glatt, daß eine Veränderung des Staates mit Blick auf seine Funktionstüchtigkeit nichts Revolutionäres und auch nichts Dialektisches ist, deshalb keinem Proleten etwas bringt, genauso wie die Theorie, die diesem Interesse an dialektischen Reformen dient.
Die These, daß der Staat s c h e i t e r t , wird man im folgenden auch nicht in einer anderen Version hören können. Wir wissen nichts von den guten Werken, die ihm aufgegeben sind und die er - sei es wegen seiner Abhängigkeit von ein paar Monopolisten, sei es wegen einem Defizit an Steuergeldern nicht ausführen kann. Deswegen ist unsere Analyse aber nicht unvollständig.
2
Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei noch vermerkt, worum es unserer unmaßgeblichen Meinung nach bei einer A b l e i t u n g geht, was ja den methodisch interessierten Menschen so viel Kopfzerbrechen macht. Erstens ist eine Ableitung ganz dasselbe wie die Erklärung einer Sache, unterscheidet sich also nicht ihrem Inhalt nach von wissenschaftlicher Argumentation, wie sie sonst stattfindet, sooft einer nach Gründen sucht. Zweitens ist eine Ableitung eine Form der Darstellung, die dem Inhalt gefundener Erklärungen entsprechend die Gedanken ordnet. Nicht in der Reihenfolge ihres historischen Auftretens, auch nicht in der Art und Weise, wie man über die verschiedenen Momente einer Sache stolpert, werden sie behandelt, sondern gemäß ihrem Zusammenhang. Wenn die Untersuchung der Massenmedien z.B. den Grund dafür, daß es sie so gibt, wie sie sind, in der Verpflichtung der Bürger auf das Gewaltmonopol des Staates ermittelt hat, so kommt die Analyse der demokratisch bewerkstelligten Zustimmung zum Staat vor die Öffentlichkeit zu stehen. Die einzelnen Momente des erklärten Gegenstandes erscheinen als Grund füreinander, und jede Bestimmung des Staates nimmt die Stelle vor derjenigen anderen ein, welche sie n o t w e n d i g macht. Zum Verdacht idealistischer Konstruktion hat Marx das Nötige gesagt. In der Anwendung des Wissens über die Welt des Kapitals, in der Agitation derer, die diese Welt aus den Angeln heben sollen, sind dieselben Argumente fällig wie in der Ableitung nur nimmt die theoretische Auseinandersetzung mit dem Adressaten ihren Ausgang an dessen aktuellem Interesse: in unserem Fall an den Taten des Staates, mit denen er sich gerade herumschlägt, über die er ein falsches Bewußtsein hat und zu denen er sich praktisch so verhält, daß sein Schaden garantiert ist. Während in der Ableitung die Maßnahmen des Staates aus ihrem G r u n d heraus notwendig werden, wird in ihrer politischen Anwendung aus der aktuellen Kollision von Staat und Bürger deren Grund erschlossen. Dies zur Frage, inwiefern eine Ableitung eine theoretische Waffe darstellt und wer sie nicht brauchen kann.
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Die Bestimmungen des Staates sind in Paragraphen gegliedert, die den allgemeinen Zweck der analysierten Maßnahme darstellen. In Zusätzen wird jeweils auf die Verlaufsformen dieser Maßnahme eingegangen, der entsprechende Gegensatz zwischen Staat und Bürger am Material der Bundesrepublik verfolgt; ein Verweis auf die historische Durchsetzung, d.h. auf die bestimmte Art der Kämpfe, die den heutigen Staat hervorgebracht haben, findet schon deswegen statt, weil es in der Linken üblich ist, alles gut zu finden, weil es erkämpft werden mußte: Die zum jeweiligen Stoff gehörigen Ideologien bilden den Abschluß des Paragraphen. Während die faschistischen Konsequenzen der Demokratie mitbehandelt werden, kommen die Besonderheiten von Nationen, die sich dem Wirken kapitalistischer Staaten nach außen verdanken, dort vor, wo sie in einer Ableitung hingehören, in der Fortsetzung staatlicher Gewalt zum Imperialismus.
Der bürgerliche Staat
Zum Inhalt
§ 1
Freiheit & Gleichheit - Privateigentum - abstrakt freier Wille
Der bürgerliche Staat ist die politische Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft. Er unterwirft die Agenten der kapitalistischen Produktionsweise unter Absehung von allen natürlichen und gesellschaftlichen Unterschieden seiner Herrschaft und gewährt ihnen damit die Verfolgung ihrer gegensätzlichen Sonderinteressen: Gleichheit & Freiheit. Er verpflichtet sie, die ökonomische Konkurrenz unter Respektierung des Privateigentums abzuwickeln: jeder wird gezwungen, die ausschließende Verfügung über den Reichtum der Gesellschaft anzuerkennen und zum Prinzip seines ökonomischen Handelns zu machen. Weil die Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft in der Verfolgung ihres individuellen Nutzens die - Schädigung der anderen betreiben, sind sie auf eine Macht angewiesen, die getrennt vom ökonomischen Leben die Anerkennung von Eigentum und Person garantiert. Ihren negativen Bezug aufeinander ergänzen sie um ihre gemeinsame Unterwerfung unter eine Gewalt, die ihre Sonderinteressen beschränkt. N e b e n ihren ökonomischen Geschäften sind sie politische Bürger, sie wollen die staatliche Herrschaft, weil sie ihren Sonderinteressen nur nachgehen können, indem sie von ihnen auch abstrahieren. Der bürgerliche Staat ist also die Verselbständigung i h r e s abstrakt freien Willens.
a)
Die erste Bestimmung des Staates, sein abstrakter Begriff, enthält zwar d e n Grund und damit auch d e n Zweck dieser Instanz, aber eben noch getrennt von den konkreten Formen ihres Bezugs auf die Bürger. Gerade in diesem abstrakten Begriff wird deutlich, daß die Realisierung von Freiheit und Gleichheit eine ungemütliche Sache ist, weil sie sich erstens ökonomischen Gegensätzen v e r d a n k t und zweitens eine mittels Gewaltmonopol erzwungene A u f r e c h t e r h a l t u n g dieser Gegensätze zum Zweck hat. Auch ohne Betrachtung der Ökonomie, der Produktionsweise, welche der Staat mit seiner Gewalt am Laufen hält, steht fest, daß er Klassenstaat ist: durch die g l e i c h e Unterwerfung aller garantiert er den Fortbestand aller kleinen und großen Unterschiede - es ist also auch keine Frage, wie der N u t z e n aussieht, den die verschiedenen Agenten der kapitalistischen Produktionsweise von ihm haben. Die Freiheit, die ihnen durch die Gleichbehandlung
seitens des Staates gesichert wird, besteht in der freundlichen Gewährung des Rechts, sich entsprechend den ökonomischen Mitteln, die sie haben oder auch nicht, ihren Anteil am Reichtum zu sichern - und zwar unter Respektierung anderer, die dasselbe auf ihre Kosten, gegen sie tun. Um dieser Freiheit willen geht es ihnen um den Staat, ohne den sie sich ihrer Mittel gar nicht bedienen könnten: vom praktischen Standpunkt erscheint ihnen die Staatsgewalt als Bedingung der freien Konkurrenz, also w o l l e n sie anerkannte Staatsbürger sein, weil sie es wegen ihrer ökonomischen Interessen sein m ü s s e n . Die Gemeinschaftlichkeit, der politische Wille aller im Staat beruht auf einer erzwungenen Leistung des einzelnen Willens, der wegen des privaten Nutzens, auf den es ihm ankommt, auch noch als abstrakt-allgemeiner Wille auftritt: "Die Trennung der bürgerlichen Gesellschaft und des politischen Staates erscheint notwendig als eine Trennung des p o l i t i s c h e n Bürgers, des Staatsbürgers, von der bürgerlichen Gesellschaft, von seiner eignen wirklichen, empirischen Wirklichkeit, denn als Staatsidealist ist er ein g a n z a n d e r e s , von seiner Wirklichkeit v e r s c h i e d e n e s , unterschiedenes, entgegengesetztes W e s e n . " (MEW 1/281) Was diese Leistung für die besonderen Charaktere der kapitalistischen Produktionsweise bedeutet, inwiefern und für wen sich der Staat durch Gewalt als M i t t e l betätigt, ist kein Geheimnis - die Unterwerfung aller muß denen zum Vorteil gereichen, die ökonomisch im Vorteil s i n d . Die folgenden §§ werden also zeigen, was der Staat den verschiedenen Klassen abverlangt und genehmigt, wenn er die freie Konkurrenz zu seinem Anliegen macht.
b)
Wenn der Staat gewaltsam die Konkurrenz regelt, um sie stattfinden zu lassen, so erhält er eine Ökonomie, in der die Abhängigkeit der Individuen in der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums so organisiert ist, daß sie sich in der Verfolgung ihrer Interessen wechselseitig die Teilnahme am Reichtum b e s t r e i t e n . Weil die Befriedigung eines Sonderinteresses das andere negiert, erfolgt die Unterwerfung unter seine Gewalt, und diese Unterwerfung hat für jeden einzelnen n e g a t i v e , a u s s c h l i e ß e n d e Bedeutung. Damit sind freilich die Kollisionen. nicht verschwunden, sondern so eingerichtet, daß sich alle vom Staat die Freiheit des anderen als die Schranke der eigenen vorschreiben lassen. Die Tatsache, daß sich die ökonomischen Subjekte eines gesellschaftlichen Zusammenwirkens befleißigen, durch das sie einander von den zu ihrer Existenz notwendigen Mitteln ausschließen, also beständig im Kampf miteinander liegen, behandelt die Staatsgewalt so, daß sie die Ausschließung g e b i e t e t und den Angriff auf die Mittel und Existenz des anderen v e r b i e t e t . Jeder muß mit s e i n e n Mitteln in Abhängigkeit von den anderen, die die ihren einsetzen, zurechtkommen; und der Erhalt neu produzierter Güter hat sich unter Respektierung von Eigentum und Person abzuspielen. Das Privateigentum, die ausschließende Verfügung über den Reichtum der Gesellschaft, von dem andere in ihrer Existenz abhängig sind, also Gebrauch machen müssen, ist die Grundlage des individuellen Nutzens und damit auch Schadens. Ihm verdankt sich die moderne Form der Armut, die sich selbst als Mittel fremden Eigentums erhalten muß, dessen Wachstum selbstverständlich dem Staat am Herzen liegt.
Schließlich sei noch erwähnt, daß das Privateigentum keine Frage von Zahnbürstchen und Limonade ist, obwohl es im Bereich des individuellen Konsums seine Wirkung zeitigt. Die Abhängigkeit von dem, was anderen gehört, spielt sich auf dem Felde der Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Reichtums ab.
Mit der ausschließlichen Verfügung über die Produktionsmittel und damit über die Produkte erhält der Reichtum die Gewalt, anderen die Existenz zu bestreiten.
c)
So wenig der von gegensätzlichen Klassen praktizierte Staatsidealismus eine Idylle darstellt, so wenig harmonisch verlief der freiwillige Zusammenschluß zum Staat,
die "Staatsgründung", die noch in jeder Nation bei der Wiederkehr ihres Datums als Anlaß zum Feiern genommen wird. Bürgerliche Staaten sind Produkte erlesenen Terrors, was von ihren Liebhabern nicht nur im Falle der französischen Revolution und der beinharten Einrichtung der Bundesrepublik vergessen wird. Das gemeinsame Interesse an der Beseitigung vorbürgerlicher Formen der Staatsgewalt, das die gegensätzlichen Klassen zum Kampf brachte, entsprang ja schon einigermaßen unterschiedenen Anliegen: die einen sahen im alten Staat und den ihn betreibenden Ständen ein Hindernis für ihre Geschäfte, die anderen kämpften um ihre Existenz, die sie durch Arbeit sichern mußten. Die Erreichung des gemeinsamen Ziels fiel selbstverständlich nicht zur Zufriedenheit beider Klassen aus, da die vom demokratischen Gemeinwesen geschützte Möglichkeit, sich im Dienst an fremdem Eigentum zu erhalten, schnell eine bittere Notwendigkeit wurde. Daß die Proleten, die die bürgerliche Republik erkämpften, den alten Staat beseitigen mußten, wollten sie leben, heißt eben nicht, daß sie sich im neuen Staat i h r Mittel geschaffen haben.
d)
Die Unzufriedenheit mit der harten Welt des Eigentums ist ein Springquell der beständigsten Ideologien: aus allen unangenehmen K o n s e q u e n z e n von Freiheit & Gleichheit, die in den nächsten Seiten noch zur Sprache kommen, pflegen Linke einen Hinweis zu entnehmen auf die mangelhafte Realisierung dieser beiden Ziele der französischen Revolution. Sie bezweifeln die R e a l i t ä t der Gleichheit vor der Staatsgewalt mit den merklichen Unterschieden in der Gesellschaft, machen aus Gleichheit ein I d e a l , dessen praktische Verwirklichung sie dem Staat anempfehlen und in ihm durchsetzen wollen. So wenig ihnen auffällt, daß eine g e w a l t s a m aufrechterhaltene F r e i h e i t irgendeinen Haken haben muß, so wenig gibt ihre Phantasie für die Vorstellung eines Gemeinwesens her, in welchem die Unterschiede zwischen den Leuten beseitigt werden. Diese Phantasie ist im Gegensatz zu linken Staatsidealisten recht populär und macht sich in literarischen sowie cineastischen Utopien genüßlich breit. Sie kontert auch im Munde von Politikern jede Kritik am Staat, wenn die G l e i c h m a c h e r e i großmütig abgelehnt wird. In solcher Kritik von Ansprüchen an den Staat wird um die rechte Begeisterung für ihn geworben, wobei über den abgeschmackten Vergleich mit früher und drüben auch der idiotische "Widerspruch zwischen Freiheit und Gleichheit" entdeckt zu werden pflegt: mehr vom einen muß angeblich mit einem weniger vom anderen erkauft werden, so daß man alles sowieso nicht kriegen kann und es am besten ist, die Unzufriedenheit bleiben zu lassen und sich der Realisierung des dritten Grundwertes, der Brüderlichkeit (modern: Solidarität) zu befleißigen. Hier zeigt sich, daß auch die Unzufriedenheit mit der Unzufriedenheit anderer das falsche Denken über die abstrakteste Bestimmung des Staates gehörig ankurbelt. Das Interesse am Staat, die positive Stellung zu ihm beschwört das g e m e i n s a m e A n l i e g e n und versucht, die offenkundigen Nachteile seines Wirkens mit einer Staatsableitung eigener Prägung als n o t w e n d i g e s Ü b e l akzeptabel zu machen. Die D e d u k t i o n d e s S t a a t e s aus der Menschennatur gehört zum Standardrepertoire jedes aufgeklärten Studienrates und Professors, wobei einmal die Gegensätze der kapitalistischen Gesellschaft bemüht werden, und nicht die liebenswerten Unterschiede. Die Deduktion übersieht, damit sie geht, - den Z w a n g z u r K o n k u r r e n z , den der Staat s e t z t , samt sämtlichen ökonomischen Eigentümlichkeiten, um das schiere G e g e n e i n a n d e r zum Ausfluß der M e n s c h e n n a t u r zu erklären: homo homini lupus, ergo müssen ein paar Wölfe für den Frieden unter den restlichen Wölfen einstehen, und das ist dann die notwendige staatliche Ordnung. Im Werkeltagsleben kürzt sich die Zurückweisung von Kritik, die ja das staatliche Wirken am Interesse mißt, ihn für sich als Mittel zu gebrauchen, auf die Bemerkung zusammen, daß Ordnung eben sein muß: wo kämen wir denn hin, wenn alles jedem gehört!
Die Bereitschaft, es im eigenen Interesse mit anderen aufzunehmen und zugleich für die Schranken Partei zu ergreifen, die von der Ordnung anderen gesetzt sind, lebt also in einer Demokratie. Auch in ihrer faschistischen Abwandlung, die das Konkurrenzinteresse tadelt und dem einzelnen gebietet, sein Trachten ganz im Gemeinwesen aufgehen zu lassen, was echte Freiheit wäre.
Die öffentlichen Festredner von Gleichheit & Freiheit, die im jeweiligen Staat die dem M e n s c h e n angemessene Sorte Ordnung erkannt haben wollen, finden die detaillierte Ausgestaltung dieser Frechheit wohlpräpariert in der wissenschaftlichen Literatur vor: keine Geistes- und Gesellschaftswissenschaft will es sich nehmen lassen, eine Definition des Menschen zu liefern, wobei die geringfügigen Variationen des Themas "Der Mensch ist von Natur aus ein Vieh, aber er zeigt sich gewöhnlich auch zu Höherem fähig!" dem jeweiligen praktischen Fachinteresse entspringen, welches an der Ausgestaltung des "Höheren" beteiligt sein will. Den Staatsbürger mit seinen beiden Seiten, dem M a t e r i a l i s m u s der Konkurrenz und dem von Abhängigkeit diktierten Staats i d e a l i s m u s , machen sie sich allesamt zum Anliegen, verfabeln ihn zur anthropologischen Konstante, so daß die Zurichtung des Willens als eine einzige B e s t ä t i g u n g der Menschlichkeit erscheint: psychologisch, pädagogisch, politologisch, betriebswirtschaftlich und literaturtheoretisch-linguistisch. Als ob die Anwendung der Wissenschaften nicht darauf beruhen würde, daß die Individualität der Leistung, von sich zu abstrahieren, manches e n t g e g e n s t e l l t ! Zur Sache mit den vielen Einzelwesen, die einen Staatsvertrag eingehen, steht bei Marx alles Wichtige; ebenso über die Rolle Robinsons in der Geistesgeschichte ! Die Würde des Menschen verlangt eben den wissenschaftlichen Staatsdienern auch das Ihre ab, zumal sie ja auch Kriterien dafür geben müssen, was von dem, das nur Menschen mit Staat im Kopf zuwege bringen, unter die Rubrik " u n m e n s c h l i c h " fällt.
§ 2
Souveränität - Volk - Grundrechte - Repräsentation
Der Wille zur politischen Herrschaft findet seine Erfüllung in der Souveränität des Staates. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus und entspricht seinem politischen Willen, indem sie ihn als das Allgemeininteresse g e g e n die Privatsubjekte durchsetzt. In der Verfassung werden die Beziehungen der Bürger untereinander bestimmt, und zwar in Form von gültigen Prinzipien staatlicher Gewaltanwendung.
Die Grundrechte setzen das Bürgern und Staat Erlaubte fest, definieren also die Pflichten, für deren Erfüllung professionelle Repräsentanten des Volkswillens sorgen. Die bürgerliche Gesellschaft erhält ihre Gegensätze durch die Scheidung ihrer Mitglieder in grundberechtigte Menschen und zur Gewaltanwendung verpflichtete Volksdiener.
a)
Der souveräne Staat ist von den Bürgern getrennte, selbständige Instanz, die mit keinem besonderen Interesse identisch ist und gerade und nur deswegen von allen anerkannte Gewalt ist, weil er s e i n Interesse, das Allgemeinwohl, gegen die Privatsubjekte durchsetzt. Indem er seine Gewalt dafür einsetzt, daß die besonderen ökonomischen Mittel nur gemäß seinem Interesse an Person und Eigentum verwandt werden, macht er sich den Interessen dienstbar, die der Verfügung über produktives Eigentum entspringen. Ihrem Inhalt nach ist seine Souveränität eine sehr relative Sache. Das gegen die einzelne Person und ihr Eigentum rücksichtslose Staatshandeln gilt der Funktion d e s Eigentums: nur durch seine Souveränität ist dieser Zweck gewährleistet. Diese wird erhalten durch den Willen des Volkes: der gemeinsame Wille mit dem Inhalt "Staat" macht aus den Individuen einer Gesellschaft ein V o l k , wobei sich dieser Wille in der B e s t ä t i g u n g der staatlichen Entscheidungen äußert. 0 b Staat sein soll, ist nie Gegenstand einer freien Entscheidung, sondern durch Gewalt entschieden. Alle wollen Repräsentanten, ob sie diese wählen oder ob sie vom Staat selbst eingesetzt werden; und ,im Namen des Volkes" sollen sie souverän handeln.
Der Schutz vor gewaltsamen Übergriffen der Privatsubjekte gegeneinander ist als Maxime staatlicher Souveränität Akt s e i n e r Gewährung. In den Grundrechten wird die negative Beziehung der konkurrierenden Privaten u n t e r e i n a n d e r in der Form von Rechten und Pflichten g e g e n ü b e r der politischen Gewalt fixiert. Nur soweit sie Pflichten gegenüber dem Staat auf sich nehmen, gewährt ihnen der Staat das Recht, freie Privatperson zu sein. Der Staat ist also Mittel der Gesellschaft, die er seiner Souveränität unterwirft und mit den Grundrechten'zu einer Wahrnehmung ihrer Freiheit anhält, die positiv zum Staat steht. Die Grundrechte formulieren allgemein gültige Beschränkungen: in der Form der Zusicherung dessen, was er alles darf, erfährt der Bürger, was ihm alles verboten ist, bzw. wie der Staat mit ihm verfahren darf - so daß jedes Grundrecht seine Bedingungen gleich mitformuliert. Die Wahrnehmung von Grundrechten muß stets mit dem staatlichen Eingriff rechnen, und dies umso mehr, je näher ein Grundrecht auf das Verhältnis Staat - Bürger abzielt. Die Grundrechte verpflichten, was Hegel wußte und dann lieber die Umkehrung zur Feier des Staates bemühte. Die Gleichung Recht = Pflicht besagt, daß der Staat seine Macht dafür einsetzt, daß jede Beziehung der Bürger staatlichen Grundsätzen genügt. Die Grundrechte werden auch Menschenrechte (im Unterschied zu Tier- und Pflanzenrechten) genannt, nach der Vorstellung, daß sie der Natur des Menschen gemäß seien. Die "Natur", die verlangt, ihn zu einem Grundberechtigten zu machen, ist die Welt der Konkurrenz, in der das Eigentum nicht viel von der gegenseitigen Achtung der Menschen übrigläßt. Die p o s i t i v e Bestimmung des M e n s c h e n , die ihm von Staats wegen beigebracht wird, ist ihrem Inhalt nach eine n e g a t i v e . Die Staatsgewalt sorgt für Konkurrenz und Rücksicht!
c)
Wenn die Staatsdiener - vom höchsten Politiker bis zum kleinsten Beamten - ihre Geschäfte ausführen, repräsentieren sie n e b e n der Gesellschaft das allgemeine Interesse, das i n ihr nicht existiert. Sie wirken f ü r die Privatsubjekte, indem sie ge gen sie vorgehen. Dabei zeichnen sie sich durch die Rücksichtslosigkeit aus, die dem guten Gewissen, als Staatsgewalt den Willen des Volkes geltend zu machen, eigen ist. Die individuellen Wünsche der Volksangehörigen, in deren Namen sie handeln, erscheinen ihnen als unberechtigtes Hindernis, weil die Souveränität des Staates mit Ihrer Durchsetzung zusammenfällt. Die Leistung der Repräsentanten ist andererseits nicht immer selbstverständlich, da auch sie individuelle Interessen haben und ihr Amt da manche Verlockung bereithält. Die unvermeidlichen Kollisionen von staatlichem und Privatinteresse in der Person des Staatsagenten sind der Grund für die Sicherstellung dieser Typen gegen die Fährnisse der Konkurrenz, aber auch für die Benutzung der Amtsgewalt für das Privatinteresse: Karriere, erlaubte Vergünstigungen und Korruption.
Jene, denen das Staatsamt schon in Fleisch und Blut übergegangen ist, die es also wissen müssen, warum sich eine kritische Stellung zum Staat nicht mit einer ordentlichen Pflichterfüllung im Amt verträgt, haben Berufsverbote erfunden, die es übrigens nicht nur bei den häßlichen Deutschen gibt. Staatsdienst ist eben kein Beruf wie jeder andere, auch nicht als Lokführer.
d)
Im Kampf um die Durchsetzung des souveränen Staates ging es darum, die Verschmelzung der politischen Gewalt mit Kirche, Adel und Grundeigentum zu beseitigen und die g e s a m t e Gesellschaft seiner Gewalt zu unterwerfen. Seine Entscheidungen wurden von besonderen Interessen (auch von solchen außerhalb seines Herrschaftsbereiches) gelöst; nur s e i n e n Bürgern, aber auch a l l e n , sollte der Staat verpflichtet sein und umgekehrt, so daß der Kampf um die Anerkennung von Person und Eigentum in Form einer Befreiung des alten Staats von seinen Abhängigkeiten stattfand. Im Namen der Volkssouveränität forderten die von der Staatsmacht nicht anerkannten Teile der Gesellschaft ihre Beteiligung an der öffentlichen Gewalt. Alle staatlichen Entscheidungsorgane sollten mit den Grundrechten alle Beherrschten achten, was die alten Souveräne nicht taten. Sie wurden beseitigt, und die Menschenrechtserklärungen waren der Auftakt für die Ausübung einer politischen Gewalt, die von Volksvertretern bestellt wurde. Aus denen, die Interessen g e g e n den alten Staat durchsetzten, wurden Repräsentanten dieser Interessen; nun sprachen und handelten sie nicht mehr f ü r die Anliegen ihrer Leute, sondern b e s c h r ä n k t e n dieselben mit allen Mitteln staatlicher Kunst.
Vom Standpunkt der Kämpfenden erschien deshalb mancher bürgerlicher Revolutionär nach dem Sieg als Verräter!
e)
Für den praktischen Bürgerverstand bildet die Unausweichlichkeit der Unterwerfung unter die staatliche Souveränität den Ausgangspunkt für Erwartungen und Enttäuschungen. S i c h s e l b s t fühlt er laufend über die Maßen in die Pflicht genommen, b e i a n d e r e n sieht er dagegen nur Rechte und beschwert sich über die bedenkliche Schwäche der Repräsentanten, denen er sonst auch einmal den Vorwurf des Machtmißbrauchs macht. So findet er sich ab mit der Verpflichtung auf die Grundrechte, indem er ständig kritisch über das Ausmaß staatlicher Einschränkungsvollmachten gegenüber anderen streitet, die ihre Grundrechte wahrnehmen. Sein Interesse an Herrschaft wird da oft enttäuscht, so daß er sich zum Begutachter der Führungsqualitäten und der Vertrauenswürdigkeit seiner Repräsentanten entwickelt, die der Bürger über sein mangelhaftes Zurechtkommen in dessen Grund verwandelt. Der Anspruch auf gebührende R e p r ä s e n t a t i o n des Staates ist alles andere als Auflehnung, was sich an der peinlichen Lübke-Kritik von Intellektuellen darbot. Er wird ergänzt durch die Einstellung, daß die Benutzung der Macht für das private Ansehen des Repräsentanten legitim und verständlich ist, wenn es der Sache des Staates dient. Die Öffentlichkeit beruhigt sich über die brutalen Seiten der Herrschaftsausübung auch mit dem Gemeinspruch Politik sei ein schmutziges Geschäft, und die Sorgen über die Schädigung des Staatsansehens bei sogenannten Skandalen verschwinden schlagartig, wenn die betreffenden Figuren ausgetauscht sind (Watergate, Filbinger, Kohl).
Die Propagandisten einer funktionierenden Herrschaft, die politischen Wissenschaftler, betrachten das Verhältnis Staat - Bürger streng funktional. An der Volkssouveränität gefällt ihnen die Gewaltökonomie, die S t a b i l i t ä t einer politischen Macht, die sich auf Zustimmung gründet. In ihrer Ableitung der Repräsentanten aus Raum, Zahl und politischem Reifegrad preisen sie das Ideal eines Volkswillens, der im Repräsentanten staatlicher Gewalt u n d im Bürger als Verantwortung existiert. Politologen machen beim Lob der Grundrechte stets den Übergang von der herrlichen Möglichkeit, freier Bürger zu sein, zur Notwendigkeit, die Freiheit auch richtig zu gebrauchen. Jede Grundrechtserläuterung geht auf die Abwägung, wieweit die Ausnützung der Verfassung erlaubt sein soll - andererseits ist der etwas anders geartete Umgang auswärtiger Staaten mit ihren Bürgern damit zu erledigen, daß sie die Menschenrechte verletzen. Die "Menschenrechtswaffe" zieht vor allem gegenüber revisionistischen Staaten, weil sie deren Zurückdrängen, das knallharte imperialistische Vorwärts, so schön moralisch untermalt.
Die l i n k e n Fanatiker des wahren Volkswillens landen mit derselben Waffe enorm moralische Schläge in die umgekehrte Richtung. Das ganze Jahr über fordern sie für Arbeiter und Bauern mehr Rechte, weil sie ihnen das Vergnügen gönnen, voll und ganz mit der Staatsgewalt eins zu sein. Der Haken an der öffentlichen Macht liegt für sie nämlich darin, daß diese unter dem Druck von Monopolen eine echte Vertretung des Volkes nicht sein kann. In die richtigen Hände gelegt, können sie ihren gesellschaftlichen Verpflichtung wieder nachkommen.
Die f a s c h i s t i s c h e n Kritiker wollen ebenfalls das Verhältnis Volk - Staat enger gestaltet sehen: an die Stelle der souveränen Macht, die sich der Konkurrenz nützlich macht, soll ein Souverän treten, der die Konkurrenz als Staatsdienst organisiert. Im Bezug auf die Freiheit des Privatinteresses, das vom Staat reguliert und anerkannt wird, erblicken sie eine Schwäche des Staates. Grundrechte halten sie für Fesseln seiner Gewalt statt für ihr Mittel, und die demokratischen Staatsagenten für schlappe, im Gegensatz zum wahren Volksgeist verkommene Typen, weil sie den Willen der Bürger zum Staat nicht getrennt von seinen Gründen - den Ansprüchen der Konkurrenz - zum Motor der Politik machen: der Privatmensch soll im Bürger aufgehen!
§ 3
Gesetz - Rechtsstaat - Demokratie
Mit der Verfassung genügt der Staat dem Interesse seiner Bürger an den Verkehrsformen der Konkurrenz und verpflichtet sich, alles, was er tut, in Form von Gesetzen zu vollziehen, deren Inhalt den Grundrechten zur Durchsetzung verhilft. Indem die Repräsentanten des Volkes ihr Handeln mit den Grundrechten legitimieren und es korrigieren, sobald es der Verfassung widerspricht, ist der Staat Rechtsstaat. Als solcher ist er vom Einfluß des privaten Willens auf sein Handeln emanzipiert und läßt seine Gewaltausübung nur noch an der Verfassung messen. Die Demokratie ist insofern die adäquate Verlaufsform des Verhältnisses von Staat und Volk, als sie die Identität des Volkswillens mit der Staatsgewalt abstrakt verwirklicht, also trennt von der Zustimmung der Privatsubjekte zu bestimmten Gesetzen und ihrer Ausführung. Hier ist nicht Zustimmung gefragt, sondern Gehorsam; und für den Fall, daß der ausbleibt, steht nicht der Staat, sondern der Rechtsstaat zur Disposition.
a)
A d ä q u a t e Staatsform ist die Demokratie darin, daß die Staatsgewalt den Bürgern immer, aber auch nur dann Beschränkungen auferlegt, wenn der Gebrauch ihrer Freiheit eine Verletzung der Freiheit anderer zur Folge hat: der Staat a n e r k e n n t die Besonderheit aller Privatpersonen, die er dem Gesetz unterwirft. Er verleiht seinen Gesetzen allgemeine Gültigkeit, bezieht a l l e Handlungen auf sich und verlangt keinem Interesse besondere Leistungen ab - außer eben die, welche sich aus dessen ökonomischen Mitteln ergeben. (Man wird sehen, wie gründlich er das tut!) Im Unterschied zum absolutistischen Staat bevorzugt er keinen Stand, keine Klasse; jedermann kommt in den Genuß aller Rechte und niemand hat P r i v i legien. Nicht durch seine P a r t e i n a h m e , seinen unmittelbaren Einsatz für das Interesse bestimmter Teile der Gesellschaft, wird er Diener einer Klasse - das allen garantierte Gesetz und die Gerechtigkeit organisieren den Vorteil der Stärkeren und den bleibenden Nachteil der minder bemittelten Bürger: der demokratische Staat vertraut auf die Macht des Privateigentums, er e n t s p r i c h t den gesellschaftlichen Verhältnissen, wenn er sie kodifiziert.
b)
Die Macht, mit der die Organe des Staates sich von der Gesellschaft ausstatten lassen, nicht anders zu gebrauchen, als es den Zwecken der Bürger gemäß ist, betrachtet der Rechtsstaat als eine Pflicht. Er kommt ihr nach, indem er seine Kollisionen mit den Bürgern dem Kriterium der Grundrechte unterwirft. Großzügig begnügt er sich mit den Beschränkungen der Bürger, die in der Verfassung enthalten sind. Legitimes Hinausgehen über die Schranken findet andererseits immer dann statt, wenn die Existenz des Staates selbst gefährdet ist: wenn die Unbotmäßigkeit der rechtmäßig gedeckelten Teile seines Volkes zur Gefahr für seine Souveränität wird, gestattet der demokratische Staat sich selbst, auf die Verletzung der Grundpflichten mit der Sicherung des Gemeinwesens ohne wenn und aber zu reagieren:
einer drohenden Mißachtung seiner Vorschriften begegnet er mit dem Vorwurf des Mißbrauchs der Rechte, die dann auch durch ihren konsequenten Ausbau geschützt werden müssen: Notstandsgesetze als rechtmäßige Vorbereitung auf den Ernstfall, in dem ein Staat, Rechtsstaat zu sein, sich nicht mehr leisten will !
c)
Die Staatsform der Demokratie ist mit all ihren hochgepriesenen Verkehrsformen die Institutionalisierung der Gegensätze zwischen Staat und Bürger. Sooft sich - die Bürger der staatlichen Gewalt als ihres Mittels versichern, erweist sie sich als dieses Mittel dadurch, daß sie der Freiheit des einzelnen Grenzen zieht. Die Abstraktion, die die Privatsubjekte an sich vollziehen, tritt ihnen als Zwang gegenüber, dem sie gehorchen müssen. Weil sie diesen Zwang zur Durchsetzung ihres individuellen Interesses benötigen, aber auch nur wegen d i e s e s Interesses akzeptieren, sind sie aufrechte Demokraten nur dort, wo die Tätigkeit des Staates s i e nicht beeinträchtigt. Gegenüber den Nutznießern von Rechten, die für ihn Pflichten sind, ist keiner mehr demokratisch eingestellt - da hat jedermann bessere Alternativen des staatlichen Zuschlagens zur Hand. "Anständige" Bürger plädieren mitten in der schönsten Demokratie für "einfachere" Formen der politischen Gewalt, während ein Argument g e g e n Herrschaft ganz unüblich ist. Die Staatsmänner erfahren umgekehrt, daß ihr Dienst am allgemeinen Interesse kaum jemals auf das Wohlwollen der Bürger stößt, die Befolgung sämtlicher demokratischer Prozeduren also ihrem Fortkommen gar nicht unbedingt dienlich ist: mit zunehmender Amtsdauer werden sie der demokratischen Legitimation vor lhren Bürgern müde und tragen das Grundgesetz nicht immer unter dem Arm. Wo es sich gut macht, sagen sie aber auch, daß ihre Macht demokratisch zustandegekommen ist.
Der abstrakte Begriff der Demokratie ist also für die Erklärung des Faschismus von einigem Nutzen. Diese alternative Form bürgerlicher Herrschaft ist nicht nur als Wunsch der Politiker u n d Bürger in der Demokratie ständig präsent, sondern auch praktisch fällig, wenn sich Bürger und Staat i n ihrem Gegensatz dahingehend handelseinig werden, daß die ineffiziente Herrschaftsausübung schuld daran ist, wenn im ökonomischen Leben einiges nicht geht. Ein ordentlicher Gebrauch der politischen Gewalt, dem sich die Befürworter mit über das demokratische Maß hinausgehender Opferbereitschaft verschreiben damit Schluß gemacht wird mit Nörglern, politisch und ökonomisch nicht bedingungslos leistungswilligen Bürgern, stellt sich da alsbald ein, zumal der Antifaschismus als R e t t u n g s p r o g r a m m der Demokratie den politischen Kampfmitteln derer nichts entgegenzusetzen hat, die eine Rettung der Nation vor Schädlingen andersherum anstreben. Die Legende von der extra chauvinistischen Fraktion der Bourgeoisie, die ein Volk von Edeldemokraten ver- und dann nur noch führt, die dann aber auch wegen des Kräfteverhältnisses zu ihren Machenschaften befähigt gewesen sein soll, zeugt selbst von der nationalistischen Verbeugung vor einer echten Demokratie, die dem realen Willen zum Opfer für die Nation nichts entgegensetzt als eine fiktive Identität von Volk und Staat. Im übrigen widerspricht der Übergang zum Faschismus keineswegs der Aussage, daß die Demokratie die adäquate Staatsform des Kapitalismus ist. Als Institutionalisierung der G e g e n s ä t z e "funktioniert" sie eben nur, solange die auf den rechten Gebrauch des Privateigentums verpflichteten Bürger o r d e n t l i c h konkurrieren, d.h. mit den diversen Resultaten ihrer Konkurrenz auch demokratisch z u r e c h t k o m m e n w o l l e n - weshalb man auch zur Demokratie erzogen werden muß und manche Völker von Demokraten noch gar nicht für reif befunden werden für eine so anspruchsvolle Staatsform. Diese Leute wissen sehr gut Bescheid über die faschistischen Verhältnisse, die ihnen auswärts gelegen kommen, wo sie sie erzeugt haben und bewahren wollen: die Kunst der Selbstbeherrschung gehört zur demokratischen Herrschaft, ist die in ihr hochgehaltene Kardinaltugend; ihrer Pflege sind die auswärtigen Formen der Armut, läßt man den freien Willen erst einmal zum Zuge kommen, eine schlechte Grundlage.
d)
Die Kollisionen zwischen Staat und Bürger, die sich bei der Unterwerfung unter das Gesetz unvermeidlich einstellen, führen auf seiten der Bürger je nach ihrem in politische Alternativen übersetzten Interesse zu komplementären Formen der Zustimmung und Kritik. Man kann
l. sich am Leben der Demokratie beteiligen, indem man Handlungen des Staates mißbilligt und dies so tut, daß man ihre Legitimität bezweifelt. Dabei trifft man auf andere, die für dieselben Maßnahmen Stellung beziehen und ihre Iegitimität betonen. Zustimmung und Kritik wechseln je nach dem Charakter des Gesetzes, um das gestritten wird, die Seiten.
2. die Vervollkommnung der Demokratie zu seinem Anliegen machen. Entweder man erfindet eine generelle Krise der Legitimität und verlangt mehr Rücksicht auf bzw. Agitation um die Zustimmung der Bürger; oder man bedauert, daß sich der Staat seiner existenten Legitimität zu wenig sicher ist und in einem fort sein Handeln an der Billigung der Bürger orientiert. So gibt es für die einen Feinde der Demokratie, für die anderen Feinde des Staates. Letztere haben es nicht ganz so leicht, deshalb beteuern sie ständig ihren Willen zum Staat, wenn es sein muß, auf öffentlichen Tribunalen.
3. sich als Gegner des demokratischen Staates betätigen, indem man seine Legitimität l e u g n e t . Während der Revisionismus die eindeutige Verteilung von Schaden und Nutzen im Volk zum Anlaß nimmt, den ständigen Mißbrauch der Zustimmung zur souveränen Gesetzesmacherei anzuprangern, also einen Staat propagiert, der sich an den "Interessen der Massen relativiert, sind Anarchisten mit der Entdeckung der Gewalttätigkeit des Staates gegen die Individuen zufrieden. Im Namen des Volkes messen sie sich auf diesem Felde mit dem Staat und müssen erfahren, daß der Volkswille der Gewalt der öffentlichen Instanzen durch aus wohlgesonnen ist: sie werden, weil in ganz anderer Weise von den Massen getrennt als die Staatsagenten, zu Gehetzten und Opfern, GSG 9 zu Helden der
Demokratie. Den Faschisten ist die Legitimität des Staats eine einzige Beschränkung für die Erfüllung seiner Aufgaben. Mit der prinzipiellen Zustimmung verlangen sie vom Bürger die bedingungslose Unterordnung, den Verzicht bei jedem Interesse, das den Staat beschränkt: Politik als rücksichtslose Ausrichtung des Volkes am Staatszweck, Volksgemeinschaft. Terror im Namen des Staates.
e)
Die Entstehung von demokratischen Staaten beruht darauf, daß zwischen Klassen mit gegensätzlichen Interessen e i n e Gemeinsamkeit existiert hat: ein Staat war für beide nützlich, der die Rücksichtnahme auf die eigenen Notwendigkeiten bei anderen erzwingt. Die Einheit zwischen Bourgeoisie und Proletariat war eine n e g a t i v e - sie richtete sich gegen einen Staat, der sich zum Werkzeug einer unproduktiven Klasse machte; in Amerika direkt S c h a f f u n g einer Obrigkeit.
f)
Die Verherrlichung der Demokratie hat mit ihrer Erklärung nichts zu tun, und sie bedient sich gewöhnlich des Verweises auf Vorteile, die nicht allzuvielen Bürgern zuteil werden; bei der Überlegung, wie sie zu verteidigen ist, ist man ohnehin nicht zimperlich. Ein Lob der Demokratie kommt am ehesten noch über einen "Vergleich" mit zeitlich (alle Phasen der Erdgeschichte ! ) oder örtlich (Hinterindien ! ) entrückten Zuständen zustande - wobei jegliche Kritik durch den Hinweis auf Schlimmeres für verfehlt erklärt wird. Meint man es mit dem Vergleich der bürgerlichen Demokratie mit vorherigen Verhältnissen ernst, so wird man im Fortschritt - Anerkennung des (abstrakt) freien Willens, Abschaffung persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse etc. - auch den Zwang entdecken, dem insbesondere die große Hälfte der freien Bürger da unterworfen wird: daß alle Freiheiten nur soweit reichen, wie der Staat es zuläßt, also ihre Einschränkung institutionalisiert wurde, ja daß mit ihrer Brauchbarkeit ihre Berechtigung steht und fällt;. Hierher gehören die beliebten Interpretationen des demokratischen Auftrags, an denen neben Journalisten vor allem die Revisionisten inner- und außerakademisch rege teilnehmen; bei der Bewährung der einschlägigen Deutungskünste spielt das Hin und Her zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine gewaltige Rolle - zu viel oder zu wenig Demokratie wagen, erkämpfen, leben ...
§ 4
Recht - Schutz von Person & Eigentum - Moral
Die legitime Gewalt des Staates unterwirft die Bürger dem Gesetz. Der Staat verschafft dem Recht Geltung und zwingt sie dadurch zur wechselseitigen Anerkennung ihres freien Willens. Die Rechtspflege sorgt für den Schutz von Person und Eigentum sowie für die Souveränität des Staates. Sie e r h ä l t die Konkurrenz, indem sie die Freiheit der Privatsubjekte von der Übereinstimmung ihrer Handlungen mit dem Recht abhängig macht. Der Staat beurteilt alles, was die Bürger tun, danach, ob es dem Gesetz entspricht, und verleiht seinem Urteil Gültigkeit, indem er das verletzte Recht w i e d e r h e r s t e l l t . Durch die Macht des Staates ist den
Handlungen der Bürger das Gesetz immanent, so daß die Bürger dessen Gebote als sittlichen Maßstab anerkennen, den sie an sich selbst und an andere anlegen: Moral.
a)
Wenn der Staat den freien Bürger, seine Persönlichkeit und sein Eigentum s c h ü t z t , indem er ihn beschränkt, dann b e r u h t er n i c h t n u r auf den Kollisionen der Konkurrenz; die Erhaltung der Gesellschaft, in der die Vermehrung von Eigentum, die Erweiterung der Sphäre persönlicher Freiheit, andere von der Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum ausschließt, bildet auch den einzigen Zweck des bürgerlichen Staates. Indem er seine Gewalt dafür einsetzt, daß von keiner Seite Übergriffe auf die Person und das ihr gehörige Eigentum stattfinden, sorgt er für die Bewahrung der Unterschiede, die er im ökonomischen Leben vorfindet. und für eine Austragung der darin enthaltenen Gegensätze, deren Resultat von vornherein feststeht. Daß die g l e i c h e Behandlung der mit unterschiedlichen Mitteln ausgestatteten Kontrahenten die beste Gewähr dafür bietet, daß die U n g l e i c h h e i t fortbesteht und wächst, will den Fanatikern der Gleichheit nicht in den Kopf. In der Gleichheit sehen sie kein Gewaltverhältnis, sondern ein Ideal, an dem sie die gesellschaftlichen Unterschiede messen.
Die Praktizierung dieses Ideals, die sich der Staat angelegen sein läßt, ist im Gegensatz zu solchen Auffassungen kein Unrecht, sondern der Rechtszustand. Durch den Vergleich der Handlungen von Privatpersonen mit dem Inhalt des Gesetzes erreicht der Staat, daß die Freiheit des einzelnen am Eigentum des anderen aufhört.
So unterscheidet sich das Urteil im Recht wesentlich von dem in der Wissenschaft. Während das Urteil der Wissenschaft die Theorie über einen Gegenstand, seine Erklärung, darstellt, als Gedanken festhält, was er i s t , hat das juristische Urteil mit der Erklärung der Handlungen, die es betrifft, nichts gemein. Was Recht ist, beschäftigt den Juristen überhaupt nicht - er weiß, daß es das Recht g i b t in Form von Gesetzen, die sich nicht wissenschaftlichen Anstrengungen, sondern Gesetzgebungsakten der Staatsgewalt verdanken; und er hat nur ein Anliegen: die Handlungen der Staatsbürger daraufhin zu untersuchen, ob sie dem geltenden Gesetz ent- oder widersprechen, und durch seine theoretische Subsumtion von "Fällen" unter das Gesetz deren praktische Subsumtion vorzubereiten. Seine Urteile sind kein Wissen, sondern Vergleiche, Abstraktionen vom konkreten Inhalt der Handlungen durch ihre B e z i e h u n g aufs Recht, denen durch gewaltsames Vorgehen gegen die Individualität o b j e k t i v e G e l t u n g verschafft wird: Polizei und Justiz.
c)
Mit dem Schutz von Person und Eigentum sichert der Staat dem einzelnen eine Sphäre der Freiheit, die ihm bei der Verfolgung seiner besonderen Anliegen Grenzen
setzt. Die Betätigung des freien Willens ist abhängig vom freien Willen anderer; sie wird daher rechtlich geregelt, der Staat schreibt den Bürgern die Form vor, in der sie miteinander zu verkehren haben. Die Realisierung ihrer privaten Interessen ist ihr Recht, d.h. unter der Bedingung gestattet, daß sie dem Gesetz nicht widerspricht.
Der Staat setzt sein Gewaltmonopol dafür ein, daß die Kollisionen zwischen den Interessen in der Gesellschaft ohne Gewalt ausgetragen werden: die Unterwerfung aller Handlungen unter das Gesetz ist die Grundlage für die bürgerliche Definition der Gewalt als unrechtmäßiger Handlung, die manch staatstreuem Zeitgenossen die kapitalistische Gesellschaft als Idylle erscheinen läßt. Vor lauter Freude über das Gewaltmonopol des Staates vergißt der bourgeoise Verstand leicht, daß in der Geltung des Gesetzes die Abwicklung a l l e r Geschäfte die Unterwerfung unter die Staatsgewalt einschließt, das Interesse an Freiheit auch eines an Gewalt ist.
1. Im Zivilrecht bestimmt der Staat die Beziehungen der voneinander abhängigen Privatpersonen aufeinander. Er setzt Normen für die Handlungen fest, die aus der Betätigung der Freiheit der Person und der Nutzung des Eigentums erwachsen. Er bestimmt
- die Bedingungen, unter welchen jemand als Rechtssubjekt gilt und als solches Rechtsgeschäfte abschließen kann, d.h. wann und wieweit der Wille eines Menschen
von anderen respektiert werden muß, was also in der bürgerlichen Gesellschaft nicht zu den Selbstverständlich keiten zählt: Personenrecht;
- die Abwicklung von Rechtsgeschäften, ihre verschiedenen Arten, den Modus ihrer Durchführung sowie ihre Konsequenzen: weil die Privatsubjekte bei ihren Geschäften mit anderen nur ihren Nutzen im Auge haben, muß der Staat ihnen die Grundform rechtlichen Verkehrs, den Vertrag aufherrschen, und zwar durch penibelste Vorschriften bezüglich aller zum Vertrag gehörigen Momente. Das Gesetz definiert, was als Willensäußerung gilt, wann eine Willensäußerung gültig ist, was diese Gültigkeit impliziert (Schuldleistung) und w i e das Leistungsversprechen einzulösen ist - und weil jeder Kontrahent dem anderen nur Mittel für den eigenen Vorteil ist, muß der Staat auch dafür sorgen, daß seine Bürger nicht über Gegenstände und Leistungen kon trahieren, die sich ihrer Verfügung entziehen. Gewaltsam bringt er ihnen den ausschließenden Charakter des von allen begehrten und ge schätzten, deshalb stets mißachteten Privateigentums bei: Schuld und Sachenrecht;
- die Verhältnisse von Person und Eigentum, die sich aus ihrer Infrage stellung in der Beziehung der Geschlechter und zum Kind ergeben. Diese Beziehung bedarf gesonderter Regelungen, weil sich Mann, Frau und Kind vor lauter Liebe ihrem Dasein als Rechtspersonen ent gegenstellen. Der Staat zwingt sie zu einer Teilung und Gemein schaftlichkeit von Rechten und Pflichten auch in dem Bereich, indem sie die wechselseitige Ausschließung aufgrund individueller Zuneigung aufgeben. Damit erklärt er die Sphäre häuslichen Glücks zu einem geregelten Nützlichkeitsverhältnis, weswegen der Bruch des Sakraments auch seine weltlichen Seiten hat. Vor dem Höchsten kommen niedere Instanzen!: Familienrecht;
- die Verhältnisse von Person und Eigentum, die sich aus dem Tod von Eigentümern ergeben. Er garantiert den Fortbestand des Nutzens, den das Eigentum
innerhalb der. Familie erfüllt, und beschränkt daher die freie Verfügung über das Privateigentum durch Testamente, was bereits zu Lebzeiten in diversen Verboten antizipiert wird: Erbrecht.
2. Im Strafrecht regelt der Staat die Wiederherstellung des verletzten Rechts. Im Unterschied zur Festlegung privater Ansprüche, die im Zivilrecht normiert ist und auf die Durchsetzung rechtmäßiger Verhältnisse zielt - es soll nichts Unerlaubtes geschehen - geht es hier um die Reaktion des Staates auf Handlungen, die das Gesetz brechen. Indem diese Reaktion selbst als fester Bestandteil des Gesetzes erscheint, als Kodifizierung des Verbrechens (nullum crimen sine lege), verliert der Schutz des Gesetzes den Schein der Idylle, der ihm mit Hilfe des Vergleichs mit früheren Zuständen angedichtet wird. Wenn die Wiederherstellung des Rechts nichts
mit der Macht der privaten Willkür, die auf Verletzungen reagiert, zu tun hat; wenn sie Rache, Fehde, Duell etc. selbst als Unrecht behandelt und der Standpunkt der Justiz nicht der des geschädigten Interesses, sondern der des im Staat objektiven freien Willen ist, dann erhält das Recht eine Gesellschaft, in der jeder einzelne einem Prinzip entsprechend handelt, dem der Zwang zum Unrecht immanent ist.
- Das Schuldprinzip verlangt die Feststellung nicht nur des Vorhandenseins eines freien Willens beim Täter (Zurechnungsfähigkeit), sondern vor allem den Nachweis, daß die inkriminierte Handlung eine desjenigen freien Willens war, der sich dem Recht unterworfen weiß, das er bricht: Vorsatz - Fahrlässigkeit.
Verbrechen können nur von Leuten begangen werden, die dem Gesetz gehorchen.
- Entsprechend richtet sich die Strafe, die das Gesetz wiederherstellt, gegen ihn; sie ist Gewalt gegen Person und Eigentum, und darin dem Schuldigen (Geständnis) gemäß. Prävention und Resozialisierung sind vom Zweck der Strafe abgeleitete Zielsetzungen, die das Bewußt sein verraten, daß Strafen mit der Verhinderung des Unrechts nichts zu tun haben - was freilich die soziologischen Befürworter nützlicher Strafen nicht interessiert.
- Wenn bei der Bestimmung des Strafmaßes für verschiedene Vergehen scheinbar widersprüchliche Maßstäbe angelegt werden (z.B. Wirtschaftskriminalität - Raub), dann belegt dies nur das unterschiedliche Interesse des Staates an den Delikten. Und wenn bei der Beurteilung der Willentlichkeit einer Handlung Affekt zum mildernden Umstand wird, konzediert das Gesetz die traurige Realität der bürgerlichen Gesellschaft: es bedarf einiger Willenskraft, um die Beschränkungen durch andere zu ertragen, weswegen auch der berech nende Wille, ansonsten sehr gefragt, als niederes Motiv zählt, wenn er das Gesetz bricht.
3. Die Unterwerfung der Bürger unter das Gesetz, das der Staat selbst macht, entsprechend dem Gesetz zu regeln, ist Gegenstand des öffentlichen Rechts: es befaßt sich daher mit der Verfassungsmäßigkeit von Form und Inhalt der Gesetzgebung und anwendung und betrifft so verschiedene Bereiche wie
- parlamentarische Prozeduren
- Gerichtswesen und Polizei
- Steuern
- Wissenschaft usw. usw.
Insofern sich der Staat in all seinen Handlungen dem von ihm selbst gesetzten Recht unterwirft, s i c h als Rechtssubjekt beurteilt, wenn er seine Gesetze erläßt (Legislative), Recht spricht (Judikative) und ausführt (Exekutive), eröffnet sich die sinnreiche Frage nach dem gewaltigen Nutzen der wechselseitigen Kontrolle der Staatsgewalten: Ideologie der Gewaltenteilung. (MEW 7/498)
d)
Die legitime Gewalt des Staates, deren beschränkende Wirkung auf die Interessen der Bürger hingenommen wird, ist Resultat von Auseinandersetzungen mit einem Souverän, dessen Macht über die Gesellschaft nicht mit ihrer Unterordnung unter die Zwecke der Gesellschaft einherging, welche den Rechtsstaat auszeichnet.
- Gegenüber einem Fürsten, dessen Wort Gesetz war, galt es die Allgemeinheit des Rechts, die Loslösung von seinem persönlichen Willen durchzusetzen: neben die Forderung nach Freiheit und Gleichheit tritt der Kampf um die Verpflichtung der Gesetzgebung auf den Willen des Volkes, um die Unterwerfung der Regierung unter
das Gesetz und die Unabhängigkeit der Gerichte: hier der Ursprung der Lehre von der Gewaltenteilung.
- Während in anderen Ländern sich das Bürgertum darin bewährte, diesen Kampf auszuführen, zeichnete sich Deutschland dadurch aus, daß es die Notwendigkeit des bürgerlichen Staats, der nicht zustandekam, durch philosophische Traktate über seine Ideale verkünden ließ. Die Aufklärungsphilosophie und Literatur propagierte den bürgerlichen Staat mit der Deduktion seiner moralischen Prinzipien: praktische Philosophie Kants/Fichtes.
- Die Entstehung der amerikanischen Demokratie unterscheidet sich von der Konstitution europäischer Demokratien dadurch, daß die Inbesitznahme des herrenlosen Landes, die daraus erwachsene freie Konkurrenz mit dem dazugehörigen Recht des Stärkeren die Bürger zwang, einen Staat zu machen. Der Staat war als Resultat der Aktivitäten der freien Eigentümer, die der Staatsgewalt nur soweit Hoheitsrechte übertrugen, wie es für die Konkurrenz nützlich erschien, von vornherein nur Mittel für die Interessen des Volkes: erste Demokratie mit ihren heute noch rauhen Sitten.
e)
Seines Vorteils wegen will der Bürger das Recht, das ihm zugleich als Beschränkung entgegentritt; mit seinem Nutzen muß er also auch seinen Verzicht wollen: Moral. Er rechtfertigt seine Unterwerfung unhr die Gewalt, die ihm schadet, mit dem Ideal dieser Gewalt und ergänzt den ihm auferlegten Zwang durch seine Tugend. So gehorcht er nicht nur dem Gesetz, er hat auch eine rechtliche Gesinnung, die ihn seinen Gehorsam ertragen läßt. Alle seine Handlungen mißt er am Ideal der Rechtschaffenheit, und weil er in der Verfolgung seiner Vorteile seine Pflichten beständig verletzt, tut er dies mit schlechtem Gewissen. Die Gewohnheit des dabei erreichten Vorteils mag ihn die Beurteilung seines Tuns als Gut oder Böse vergessen lassen, das Urteil smderer bringt sie ihm beständig in Erinnerung, ebenso wie er selbst den anderen gegenüber als schlechtes Gewissen fungiert: öffentliche Heuchelei. Hier gelingt der moralischen Betätigung der eindrucksvolle Nachweis, daß
das Gute nur Schein ist, und als Ideal die besten Dienste leistet, weswegen ein Idealist derjenige verächtlich genannt wird, der die Ideale zu praktizieren sich anschickt. Während die Biirger ihrer Jugend gestatten, gewissen Idealen anzuhängen - sie sind sich sicher, daß die harte Welt des Erwerbs auch die Begeisterung für die Ideale in die schlichte moralische Funktionalisierung derselben für den Eigennutz verwandelt -, wird ihnen der Moralismus Erwachsener zum lästigen Charakterzug. Einem Erwachsenen Idealismus bescheinigen heißt daher stets auch, ihn der Realitätsblindheit, untüchtigkeit bezichtigen, was auch gegenüber
Kommunisten üblich ist, solange sie keine Gefahr darstellen.
Die Moral ist also alles andere als ein überflüssiges Beiwerk im bourgeoisen Zirkus, sondem die Versubjektivierung des Zwangs, auf den man um des eigenen Erfolgs willen eingeht, die Einstellung, die man benötigt, um mit dem Verzicht, den der Erfolg fordert, zurechtzukommen. Sie überdauert sogar längere Perioden, in denen sich partout kein Fortkommen abzeichnet, und erweist sich als ihrem Zweck gemäß auf der Sonnen- wie auf der Schattenseite der Gesellschaft. Den einen dient sie als willkommene Ergänzung ihres Vorteils - legerement verkünden sie, daß ihnen um Höheres zu tun sei, mit Sprüchen über das Gute, Wahre sowie Schöne; den anderen bietet sie in ihren vulgären Formen Trost angesichts ihres Elends; und beiden Seiten ist sie praktizierte Enthaltsamkeit in Sachen Veränderung.
So nimmt es nicht wunder, daß in der modernsten aller Gesellschaften radikale Kritik im Moralismus ihrer Adressaten eine harte Nuß zu knacken hat, und dies nicht nur im Moralismus als theoretischem, als Form des falschen Bewußtseins. Die Ideale des Altruismus, der Bescheidenheit, der Ehrlichkeit, des Mitleids, der Nächstenliebe etc. zu praktizieren, drängt es das Volk, von der Näherin bis zur Präsidentengattin; und alle tragen ihr Scherflein zur Krebshilfe bei; in der Aktion Sorgenkind kann man dasselbe mit dem Anreiz eines möglichen Gewinns tun. Sie versammeln sich in Vereinen zur organisierten Verdummung und Verwahrlosung der Jugend, in dem festen Glauben, hier hätten sie Gelegenheit zu dem, was ihnen das normale Leben versagt: Gemeinsamkeit der Zwecke mit anderen, Solidarität, Freundschaft - sie kompensieren den Zwang zur Konkurrenz gegen andere mit der widerlichen Vereinigung auf Basis ihrer Ideale, selbst dann, wenn sie ihr Idealismus weitere Opfer kostet.
Die Religion nimmt bei alledem den ersten Rang ein. Das Christentum ist von Marx als dem Kapitalismus entsprechende Religion bezeichnet worden. Der Kult des abstrakten Christenmenschen praktiziert die Vorstellung von Gott als dem obersten allmächtigen Richter, dem man so gut wie alles verdankt, von dem man andererseits auch nichts geschenkt bekommt - außer der Gnade, auf sich als Erbsünder höllisch aufpassen zu dürfen. Jeder sündigt, bekennt sich reumütig dazu und spielt sich ganz bescheiden als Richter über die Taten anderer auf. Kleine Unterschiede sind auch bei dieser Form der "geistigen Unterwerfung" in der Gemeinde Christi nicht zu übersehen: die einen predigen und erziehen anderen die gebotene Moral an, was ein echter Beruf geworden ist - die anderen machen sie sich zueigen, und ihre Heuchelei auf dem Felde christlicher Maßstäbe nimmt eher amateurhafte Züge an. Der neben dem Materialismus der kapitalistischen Gesellschaft praktizierte Idealismus der Religion kann die schwindende Botmäßigkeit der Menschen - die aus der Kirche austreten, weil diese sich nicht auf die theoretische Propaganda der Moral beschränkt, sondern aus dem Glauben ihrer Gemeinde die Vorschrift zu weltlichem Engagement gemacht hat; der mangelnden Attraktivität säkularisierten Glaubens entspricht die Einmischung der Institution quasi als Interessenverband - umsomehr verkraften, als der Staat im christlichen Krankenpfleger und Jugendpfarrer längst die nützliche Seite des Glaubens entdeckt hat und Kirchensteuer verlangt. Der Eifer christlicher Caritas gestattet ganz nebenbei den Haß gegen Leute zu erwecken, die weder tierlieb sind noch praktisch den Fortbestand des bürgerlichen Elends unterstützen, indem sie die anderen abverlangten Opfer um ihr eigenes bereichern.
f)
Die Logik des moralischen Denkens entspricht seinem Grund, dem Preis der Unterwerfung unter den Staat den man für die goldene Freiheit entrichten muß. Wo der mit den staatlichen Einschränkungen einverstandene Bürger anderen gegenüber seinen Vorteil herausschlagen will, kommt er ihm mit d e s s e n e i g e n e n N a c h t e i l daher sowie der Herleitung eines a l l g e m e i n e n Schadens, der sich einstellt, wenn sich der Kontrahent von dem nicht abbringen läßt, was er vor hat. Die Normalform der Mißbilligung unterscheidet sich erheblich von Kritik: an den Zwecken, die in unserer schönen Gesellschaft von Staats wegen gebilligt und verordnet werden;sie richtet sich stets g e g e n die Freiheit anderer und will sich die existente Gewalt nützlich machen. Dies ist übrigens nicht nur in den kleinen zwischenmenschlichen Ekelhaftigkeiten üblich, sondern auch bei der öffentlichen Verhandlung von Grundsatzfragen d e r Lebensordnung und was sich generell so gehört. Während die Gesellschaftstheorie des anständigen Bürgers starke Übergänge zur faschistischen Verurteilung selbst noch der kleinsten Freiheiten, die sich einer herausnimmt, aufweist ("Wo kämen wir denn hin. wenn das alle täten!"), macht die revisionistische Moralphilosophie die Aufteilung der Bürger und ihrer Handlungen in nützlich/gut - schädlich/böse etwas anders. Der feste Standpunkt der Massen hat freilich mit Marx nichts zu tun, obwohl der als Berufungsinstanz herangezogen wird: der Klassiker hat das K a p i t a l und deswegen die Kapitalisten kritisiert, ist daher auch nicht auf Bündnisse mit süßen kleinen Kapitalisten verfallen. Auch waren die Massen bei ihm nicht entrechtet und gut und das Finanzkapital (ein schöner Berührungspunkt mit den Faschisten!) nicht u n g e r e c h t wie auch sonst alles Unangenehme. Die moralische Gesellschaftskritik, die unter den Anmerkungen zur Ideologie bei jedem §§ zusammengefaßt wird, ist logisch
gesehen Quatsch erster Ordnung, aber ihre Wirkung als Beitrag zum geordneten Zusammenleben in einer Demokratie ist eine ungeheure - was die Spontaneisten aller Länder bemerken und betont u n m o r a l i s c h das Bedürfnis der Individualität kultivieren gegen deren Zähmung. An der bürgerlichen Integration der entsprechenden Einfälle - insbesondere in Sachen grüne Welt und Sexualität - beweist sich die T o l e r a n z der öffentlichen Ordnung: Ein klein wenig aus der Reihe tanzen geht - wenn's den Gang des Kapitals und des Staatslebens allerdings stört, gibt's Krach. Selbstverständlich gehören die Formen der Durchsetzung des Rechtsstaats ins Arsenal der Stereotype, mit denen ihm kritisch gehuldigt wird: Französische Revolution mit ihren großartigen Ideen, Kantische Philosophie mit ihrem moralischen Sternenhimmel und Wilder Westen sind bleibende Requisiten moderner Moral.
§ 5
Ideeller Gesamtkapitalist - Sozialstaat
Da der Staat seine Bürger durch die Unterwerfung unter das Gesetz zwingt, sich als Privateigentümer zu erhalten, ergreift er zusätzliche Maßnahmen, die garantieren, daß sich die Individuen trotz der Gegensätze der Konkurrenz entsprechend ihren Mitteln reproduzieren.
Die negativen Wirkungen der durch das Recht formell gesicherten Konkurrenz auf die Reproduktion der Bürger sind für den Staat Anlaß zu kompensatorischer Tätigkeit, die der Aufrechterhaltung der Eigentumsordnung dient. Diese Tätigkeit anerkennt die gesellschaftlichen Unterschiede im Eigentum und nimmt entsprechend den eigentümlichen Voraussetzungen der Staatsbürger den Charakter des Nutzens und Schadens an. Indem die Sicherung des Eigentums die seiner Unterschiede ist, was Sonderrechte erforderlich macht, erhält der Staat die Klassengesellschaft. Der ideelle Gesamtkapitalist, der den Eigentümern der Produktionsmittel allgemeine Voraussetzungen ihrer Konkurrenz bereitstellt, sorgt als Sozialstaat auch für die Erhaltung der Klasse, die keine Mittel hat, damit sie als Mittel des Eigentums tauglich ist.
a)
Die Sicherung des Privateigentums ist identisch mit dem den freien Individuen auferlegten Zwang, sich in der Beschränkung auf ihre Mittel, damit in der Abhängigkeit von den Mitteln der anderen, zu bewähren. Der gesellschaftliche Zusammenhang, den der Staat am Funktionieren erhält, beruht auf der Notwendigkeit jades einzelnen, sein Eigentum als Mittel für seine Reproduktion einzusetzen, indem er den Nutzen, den andere aus ihm ziehen können, für sich verwendet. Je nach der Natur dessen, worüber er ausschließlich verfügt, ist er imstande, sich einen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum zu verschaffen. Der Staat sorgt dafür, daß jeder mit seinem Privateigentum an der Vermehrung des Reichtums teilnimmt und nur entsprechend dieser Teilnahme sein Auskommen hat. Er ermöglicht den quantitativen Vergleich von qualitativ unterschiedenen Formen des Reichtums durch die Garantie eines objektiven Maßes: er ist verantwortlich für die Geltung und Bereitstellung des Geldes, des Mittels für den gesellschaftlichen Austausch, und bindet damit jede Tätigkeit seiner Bürger an die Verfügung über Geld. Keine Leistung und kein Gut, die nicht mit Geld und nur mit Geld zu erhalten sind.(Dies ist nicht die Erklärung des Geldes und daher auch kein "Verstoß gegen die Werttheorie"; die
Betrachtung des Geldes vom Standpunkt des Staates ist aber kenntlich als Grund für bürgerliche Geldtheorien und die Deduktion des Werts bei HEGEL. Vgl. Rechtsphilosophie § 63)
Die Staatsbürger unterscheiden sich sowohl nach der Größe ihres Einkommens wie nach der Leistung, die sie als Privateigentümer für ihr Einkommen bringen. Da für die Schaffung und Verteilung des Reichtums bereits vorhandener Reichtum, ,welcher die Form des Privateigentums besitzt, ebenso notwendig ist wie die productive Tätigkeit von Menschen, die die Freiheit der Person genießen, gelten in der bürgerlichen Gesellschaft so disparate Dinge wie die produktive Nutzung von Kapital/Boden und die Verrichtung von Lohnarbeit als g l e i c h b e r e c h t i g t e , objektiv anerkannte Weisen, sich ein Einkommen zu verschaffen. Die kompensatorische Tätigkeit des Staates wird dem Eigentümer von Produktionsmitteln ebenso gerecht wie denen, die keine haben. Die einen unterstützt er bei der Beseitigung von Schranken, welche die Gesellschaft der Nutzung ihres Eigentums entgegenstellt; die anderen weiß er zum rechten Gebrauch ihrer persönlichen Freiheit bezüglich des Eigentums an ihrer Arbeitskraft anzuhalten. Auch sie erzielen ein Einkommen, wenn sie ihre Dienste anderen überlassen und sich den Genuß ihrer Freiheit dadurch sichern, daß sie sie aufgeben. So erhält jedermann das, was sein Eigentum leistet - und neben der "Tauschgesellschaft" erfreut sich besonders die "Leistungsgesellschaft" so hoher Wertschätzung, weil viele nur sich selbst und ihre Konsumtionsmittel ihr eigen nennen.
b) Die Leistungen des Staates für die Eigentümer von Produktivvermögen
l. Da die Nutzung von produktivem Eigentum auf dem Handel zwischen den Besitzern der verschiedenen Produktionselemente beruht und Geschäfte zwischen Produzenten und Konsumenten einschließt, ist die Gesellschaft auf das Vorhandensein materieller Bedingungen der Zirkulation angewiesen. Der Staat sorgt für ein funktionierendes Verkehrs- und Nachrichtenwesen, welches als allgemeine Voraussetzung für die Mehrung privaten Eigentums dasselbe beschränkt. Da diese Einrichtungen allen Privateigentümern als Kosten erscheinen, jedem nur als Mittel für seinen individuellen Reichtum ein Anliegen sind, nimmt ihre Organisation die Form an, welche den Aufwand zu minimieren gestattet. Der Staat, der das Prinzip des privaten Gewinns schätzt, kompensiert entweder die mangelnde Rentabilität von derlei Unternehmungen - wegen der Größe des vorzuschießenden Kapitals sind es Aktiengesellschaften - oder betreibt den Bau und Betrieb von Verkehrswegen etc. unmittelbar in eigener Regie. Er unterstützt das produktive Eigentum, wenn er über den Preis für die Dienste oder über sein Defizit die Kosten dieser Unternehmung auf die gesamte Gesellschaft gleichmäßig verteilt.
2. Auf Grundlage eines nicht nur formell (rechtlich), sondern auch materiell gesicherten freien Warenverkehrs hängt die Erzielung von Einkommen durch das Privateigentum an Produktionsmitteln davon ab, daß die Unternehmer, konfrontiert mit einem beschränkten zahlungsfähigen Bedürfnis (Konkurrenz) ihre Produkte mit möglichst geringen Kosten herzustellen in der Lage sind. Die Größe des Gewinns bemißt sich an der Quantität der verkauften Ware, somit am Marktanteil, den sie mit ihren Produkten erobern, daher an der Billigkeit ihres Produkts. Die Senkung der Herstellungskosten pro Stück ist ihr Anliegen bei der Gestaltung der Produktion - die Erzielung des Gewinns ist bedingt durch den technischen Fortschritt im Einsatz von Arbeit und Material. Die Rentabilität des Privateigentums beruht auf der Anwendung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, auf Wissen, dessen Erarbeitung nicht im unmittelbaren Interesse des Unternehmers liegt, obgleich er seiner bedarf. Die Kenntnis von Naturgesetzen betrifft seine Reproduktion nur insofern, als sie ihm in Form besonderer Produktionsverfahren bzw. instrumente seine Produktionskosten vermindern helfen. Die Organisation naturwissenschaftlicher Forschung ist ein kostspieliges Geschäft ohne die geringste Garantie dafür, daß ihre Ergebnisse auch brauchbar sind für den Zweck der Unternehmung. Und weil es niemandem .auf Wissen über die Natur ankommt, jedem aber auf die private V e r w e n d u n g dieses Wissens, das seiner Privatisierung widerspricht, ist die Erkenntnis von Naturgesetzen auch kein G e s c h ä f t .
Die gesellschaftliche Notwendigkeit naturwissenschaftlicher Forschung, die nur als Bedürfnis nach ihrer p r i v a t e n N u t z u n g auftritt, zwingt den Staat zur Institutionalisierung der Naturwissenschaft g e t r e n n t vom materiellen Produktionsprozeß. Mit der Freiheit der Wissenschaft, der Ablösung der Naturerkenntnis von allen besonderen Interessen, sichert der Staat ihre Objektivität und schrankenlose Entfaltung, damit ihre Nützlichkeit für eine auf Naturbeherrschung angewiesene Produktionsweise.
Da die Institutionalisierung der Naturerkenntnis ihren Zweck und Grund in der U n t e r o r d n u n g gesellschaftlichen Wissens unter die Interessen des Privateigentums hat, ist der Staat auch bemüht, die praktische Anwendung der Naturgesetze erforschen zu lassen: Wissenschaft der Technologie. So schafft er die Möglichkeit der privaten Nutzung der Naturwissenschaft, deren tatsächliches Stattfinden allerdings den Kriterien der Rentabilität unterliegt (MEW 23/4l4, MEW 25/272). Anstrengungen und Kosten, die von seiten der Privatpersonen zur Entwicklung besonderer Produktionsverfahren unternommen werden, honoriert er:
Auftragsforschung und Recht auf zeitweilig ausschließlichen Gebrauch. Das Patent, ,geistiges Eigentum", bringt den Widerspruch privater Verfügung über gesellschaftliches Wissen ebenso zum Ausdruck wie Industriespionage.
Der Staatsbürger, der die Naturwissenschaft als unverzichtbares Mittel des Fortschritts schätzt und vom Nutzen ihrer Entdeckungen in Schule und Öffentlichkeit
beständig unterrichtet wird, erfährt neben den vielen praktischen Einrichtungen, die ihm zur Gewohnheit geworden sind und von der Leistungsfähigkeit von Wissenschaft und Technik zeugen, auch die Nutzlosigkeit und die Gefahren bei der Lösung d e r Probleme, die die bürgerliche Gesellschaft schafft. Weil die Naturwissenschaft Mittel für die ökonomischen Zwecke der Gesellschaft ist, werden ihr die positiven und negativen Wirkungen, die durch ihre Anwendung zustandekommen, gleich mit angerechnet. Weil sie dieses Mittel durch die Formulierung von Gesetzen ist, die Auskunft darüber geben, was mit natürlichen Gegenständen gemacht werden k a n n , wird i h r als der Voraussetzung für so manche Wirkung neben dem Lob auch Kritik zuteil, die nicht selten von Naturwissenschaftlern selbst vorgebracht wird. Schließlich ist es ihre Profession, mit ihrem Wissen der Gesellschaft und dem Gemeinwesen zu d i e n e n , sich n ü t z l i c h zu machen, so daß so manche "Wirkung" ihrer Anstrengungen in ihnen den Staatsbürger mobilisiert, - der sich, mit der Autorität des Wissenschaftlers gewappnet, zu politischen Fragen äußert und die Staatsmänner dafür tadelt, daß sie sich des Stands der Wissenschaft und Technik nicht ordentlich bedienen: T e c h n o k r a t e n , die Vorschläge zur effizienteren Steuerung der Gesellschaft machen; - der die negativen Wirkungen der kapitalistischen Anwendung der Technik auf die zwiespältige N a t u r zurückführt und die Zerstörung von Natur und Mensch zur unabwendbaren Begleiterscheinung des Fortschritts erklärt, also die Alternative konstruiert, so weiterzumachen und durch den Fortschritt die Wunden zu heilen, die er schlägt, oder auf alle möglichen Annehmlichkeiten zu verzichten und die nationale Wirtschaft, vor allem aber jeder sich selbst einzuschränken: Fortschrittspropaganda - Konzepte für energiesparendes Leben, wobei je nach Konjunktur die eine oder andere Ideologie öffentlich ausgeschlachtet wird (Vgl. Atomkraft-Debatte, in der Kritik am K a p i t a l kaum hörbar!);
- der die negativen Wirkungen auf einen Mangel der Wissenschaft zurückführt und dieselbe philosophisch-erkenntnistheoretisch in Frage stellt;
- der sich als Philosoph an der moralischen Aufrüstung beteiligt, Humanität und Frieden predigt und sagt, der Mensch wäre ein Stäubchen.
All diesen Varianten falscher Kritik an Staat, Gesellschaft und Wissenschaft liegt das Interesse an der besseren Nutzung der Naturerkenntnis durch die bürgerliche Praxis zugrunde - ein Interesse, dem die Unterwerfung der Wissenschaft unter das Prinzip des Privateigentums als das Selbstverständlichste gilt.
3. Die Anwendung des naturwissenschaftlichen und technologischen Fortschritts in der Industrie bedarf seiner praktischen Beherrschung durch Lohnarbeiter, die der Eigner von Produktivvermögen beschäftigt. Der Staat ergänzt die Institutionen der Forschung um die der Lehre und richtet Ausbildungsgänge für die in den besonderen Berufen erforderlichen Fähigkeiten ein. Da die Brauchbarkeit der vom Staat ermöglichten Qualifikation ihr Kriterium in den technischen Erfordernissen hat, die die Nutzung des Eigentums gebietet, garantiert das Ausbildungswesen weder den Ausgebildeten ihren Einsatz noch dem Kapital ihre productive Verwendung. Daher liegt die Durchführung der Ausbildung - von der Allgemeinbildung in der Volksschule über die Vermittlung von weiterreichenden Kenntnissen in den weiterführenden Schulen bis zur TH - auch nicht im unmittelbaren Interesse der Besitzer von Produktionsmitteln, so sehr sie ihre R e s u l t a t e als Voraussetzung ihrer Gewinnmacherei schätzen. Ebenso wie zu Beginn der industriellen Produktion die Einübung in eine beschränkte Tätigkeit im Rahmen ihres Betriebs ist den Unternehmern heute die zusätzlich zur staatlichen Ausbildung notwendige praktische Ausbildung für Spezialtätigkeiten ein notwendiges Übel, das ihnen der Staat per Gesetz aufzwingen muß und dem sie durch Ausbeutung der Lehrlinge sowie durch Ausbildungsverträge, die den Auszubildenden über die Zeit seines Lernens hinaus an den Betrieb binden, ihren Vorteil abgewinnen. Den an den Leistungen des Ausbildungswesens interessierten Bürgern sind die notwendigen Diskrepanzen zwischen Zweck und Mittel Anlaß zu ständigen Klagen über die schlechte Organisation des staatlichen Bildungswesens, die sich der Staat in seinen bildungsökonomischen Programmen auf seine Weise zu Herzen nimmt. Linke entdecken wegen ihres Ideals einer volksnützlichen Ausbildung in diesen Programmen einen vorzüglichen Beweis dafür, daß auch hier die Herrschaft der Monopole alles versaut.
4. Mit der Schaffung allgemeiner Voraussetzungen für die produktive Nutzung des Eigentums werden die Eigentümer nicht nur abhängig von dem Geschick und den Mitteln, durch die sie sich im Konkurrenzkampf bewähren - sie sind bei der Führung ihrer Geschäfte auch auf die Verfügung über gewisse unerläßliche Bedingungen der Produktion angewiesen, die sie auf dem Markt vorfinden müssen. Wo der Wettbewerb dazu führt, daß die entsprechenden Zweige nicht rentabel betriebenwerden können, sichert der Staat ihren Fortgang durch die Sozialisierung der Lasten, die das Eigentum nicht trägt. Er übernimmt (teilweise) die Kosten, die den Gewinn verhindern; im Interesse eines funktionierenden Eigentums ist es ihm eine "soziale Verpflichtung", in den Gang seiner Geschäfte einzugreifen: er subventioniert die Grundstoffindustrie, die Energieproduktion und die Landwirtschaft. Im äußersten Falle schreitet er zur Verstaatlichung, die freilich mit einem A n g r i f f aufs Privateigentum nichts zu schaffen hat.
Da die Industrie aus Kostengründen auf die Zerstörung der natürlichen Ressourcen keine Rücksicht nimmt, Naturwissenschaft und Technologie nur für die Befreiung der Produktion von natürlichen Schranken des p r o f i t a b l e n Einsatzes des jeweiligen Eigentums benutzt; und im Fortschritt:dieser Wissenschaften das Mittel besitzt, die Natur und das Menschenmaterial progressiv zu zerstören, zwingt der Staat die Unternehmer mit gebührender Verspätung zur Einhaltung von Umweltschutzvorschriften. Diese berücksichtigen die betriebliche Kalkulation, wimmeln deshalb von Ausnahmen und werden nur sporadisch durchgesetzt. Um die Verursacher der Schäden nicht zu schädigen, erhält der Staat durch seine eigenen Umweltschutzbemühungen mit gesellschaftlichen Mitteln dem Kapital eine brauchbare Natur und seinen Bürgern grüne Träume. Diese werfen dem Staat Versagen vor, wo er die rücksichtslose Ausbeutung der Natur plant und das Profitinteresse schützt und deswegen nicht nur bei der Atomenergie kalkulierte und nicht kalkulierte 'Risiken' und Katastrophen in Kauf nimmt.
Das Staatsbürgerbewußtsein entdeckt in diesen Aktionen je nach der gesellschaftlichen Stellung entweder einen Verstoß gegenüber den Prinzipien der freien Marktwirtschaft, einen ungerechte Schutz ökonomisch unfähiger Gruppen oder eine notwendige Verpflichtung, die sich der Staat durch seine Außenhandelspolitik und ihre zerstörerische Wirkung auf diese Gruppen auferlegt. Linke Menschen führen diese dem Schutz des Privateigentums gewidmeten Maßnahmen als Beweis dafür an, daß die kapitalistische Produktionsweise an ihren eigenen Agenten die Einsicht in die Überholtheit des Privateigentums erzeugt hat und verlangen vom Staat mehr Konsequenz im Vorgehen "gegen" dasselbe. In ihren Illusionen lassen sie sich noch durch die Klagen der Betroffenen bestärken, die dem Staat sozialistische Umtriebe vorwerfen.
5. Die wechselseitige Beschränkung, die sich Privateigentümer auferlegen, welche von der Vermehrung ihres Eigentums leben und in dieser Weise der Reproduktion nicht nur vom Staat anerkannt, sondern auch mit materiellen Voraussetzungen bedacht werden, regelt der Staat durch Sondergesetze, die die Respektierung des Eigentums anderer auch unter den besonderen Verhältnissen garantieren, die sich aus den Verkehrsformen des Gewerbes ergeben. Er erweitert die allgemeinen Bestimmungen zum Eigentum durch Gesetze, die es bei den Transaktionen, welche Für die Vermehrung von Eigentum durch Handel und Produktion notwendig sind, schützen. Welche dieser Sonderrechte einerseits im Zivilrecht getrennt, andererseits für sich als selbständiger Teil der Gesetzgebung erscheinen, ist für ihre Erklärung belanglos. Nationale Unterschiede!
- Der Kauf und Verkauf von Waren wird geregelt in Gesetzen, die festlegen, wer zum Handelsstand gehört und die ihm eigentümlichen Rechtsgeschäfte durchführen kann: mit dem Zweck des Eigentumswechsels kollidierende Umstände seiner praktischen Abwicklung (Kommissions-, Speditions-, Lager-, Frachtgeschäfte) sind als wechselseitige Verpflichtungen und Leistungen fixiert. Da die Unabhängigkeit von lokalen und zeitlichen Schranken des Handels mit einem ständigen Kampf um die Verteilung der dafür zu erbringenden Kosten einhergeht, beschränkt der Staat die verschiedenen Parteien so, daß die notwendigen Kosten Mittel für den Gewinn bleiben. Dasselbe gilt für den kaufmännischen Kredit, durch den sich die Privateigentümer in der Fortführung ihres Geschäfts unabhängig von der jeweiligen Verfügung über Bargeld machen; staatlicher Zwang zur Erfüllung von Zahlungsversprechen: Handelsgesetzgebung.
- Da die Vermehrung des Vermögens abhängig ist von der zeitweiligen Verfügung über die von den Banken verwalteten Vermögen anderer Eigentümer (Bankkredit), erwächst dem Staat die Aufgabe, die Gegensätze zwischen industriellem und Bankkapital so zu ordnen, daß die Gewinne der verselbständigten Geld-/Kreditinstitute sich als Mittel für die produktive Nutzung des Kapitals bewähren. Er schreibt den Banken vor, innerhalb welcher Grenzen sie ihren Nutzen auf Kosten der Unternehmungen verfolgen können, (Mindestreservesatz etc.) und verpflichtet die Unternehmen durch Bilanzierungsvorschriften auf den Nachweis ihrer Kreditfähigkeit: Bankgesetzgebung.
- Das Angewiesensein der Industrie auf das Eigentum an Grund und Boden, ihre Beschränkung durch andere Formen der Nutzung ruft auch den Staat auf den Plan:
mit dem Argument, bei Grund und Boden handele es sich um ein nicht beliebig vermehrbares Gut, läßt er hier keinen freien Markt zu und reglementiert die Verteilung von Boden auf die verschiedenen Weisen seiner Nutzung. Der Kommunismusverdacht anläßlich der Bodenrechtsreformvorschläge ist auch hier unbegründet, da die Übergriffe auf das Grundeigentum um des Privateigentums willen geschehen, an diesem also ihre Grenze haben: Raumordnung etc.
- Den Gefahren, die der produktiven Nutzung des Eigentums durch die Anstrengungen der Arbeiter (Koalitionen) drohen, - sie kämpfen um höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, was den Gewinn des Eigentümers verringert und die freie Verfügung über das Privateigentum infragestellt - begegnet der Staat mit Gesetzen, welche das Recht des Arbeiters auf seine persönliche Freiheit am Recht des Eigentums enden lassen. Daß die Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital die
Ansprüche der Arbeiter auf ein Maß begrenzt, das ihren Nutzen fürs Kapital sichert, heißt nicht, daß den Eigentümern von Produktionsmitteln an ihr etwas liegt; sie schließen sich zusammen und widersetzen sich den Regelungen des Lohnarbeitsverhältnisses, die ihnen Pflichten auferlegen und sich als Verluste niederschlagen - was Arbeiterfreunden als Beweis dafür dient, daß der Kommunismus im Kampf um Rechte der Arbeiter besteht: Arbeitsrecht.
- Mit Gesetzen gegen Wettbewerbsbeschränkung reagiert der Staat auf das Mittel des Zusammenschlusses, durch das sich Unternehmer Vorteile im Konkurrenzkampf sichern. Dieses Mittel wenden sie an, weil sie einerseits auf dem Markt (Preismechanismus) ihren Gewinn gefährdet sehen (Preisabsprachen), andererseits dem Zwang zur Billigkeit ihrer Produkte nur durch die Vergrößerung ihrer Anlagevermögen gehorchen können: die Größe des angewandten Kapitals ist entscheidend für die Konkurrenzfähigkeit; das Kartellgesetz richtet sich gegen die Wirkung von Absprachen und Zusammenschlüssen auf die freie Konkurrenz (andere werden an der Nutzung ihres Eigentums gehindert), anerkennt aber auch die Notwendigkeit durch die zulässigen Ausnahmen. Im Aktiengesetz schließlich gewährleistet der Staat das Funktionieren verschiedener Eigentümer als e i n Unternehmen, indem er sowohl die freie Verfügung über das Privateigentum sichert, das in einer Kapitalgesellschaft angelegt ist, als auch die Geschäfte der Gesellschaft vor der Willkür ihrer Teilhaber schützt: freier Handel mit Aktien, Haftungsbestimmungen usw.
6. Das Verhältnis des Staates zur herrschenden Klasse beruht darauf, daß er getrennt von ihr die Notwendigkeiten ihrer Konkurrenz berücksichtigt welche wegen des Konkurrenzinteresses der einzelnen Kapitalisten von ihnen selbst mißachtet bzw. nicht geschaffen werden. Indem der Staat die B e d i n g u n g e n ihres Geschäfts verwaltet, die für die Kapitalisten kein Geschäft s i n d , macht er sich als politische Instanz zum Durchsetzer des Klasseninteresses. Als ideeller Gesamtkapitalist ist er Mittel der herrschenden Klasse, was einschließt, daß seine Einrichtungen und Gesetze durchaus in Widerspruch zum Geschäftsvorteil einzelner Kapitalisten geraten. Nur Wohltaten, Geschenke und Hilfsmaßnahmen erwarten die Ritter des Privateigentums von seiten der öffentlichen Gewalt, und die kleinen Einschränkungen ihrer Akkumulation, die ihr Funktionieren sichern, bemüht der demokratische Staatsmann zum Beweis dafür, daß er nie und nimmer Agent eines Klassenstaates ist. Diese Ideologie liefert die Begleitmusik zum ständigen Antichambrieren von Geschäftsleuten bei kleinen und großen Amtsträgern, zum unentwegten Streit finanzgewaltiger Bürger um besondere Rücksichten. Die dazugehörigen Korruptionsskandale fallen meist recht mäßig aus, weil das demokratische Publikum diese Geschäftsgrundlage der politischen Karriere anerkennt: die Berücksichtigung ,der Wirtschaft' ist ja wohl das mindeste, was man von einem Staatsmann verlangen kann.
Die Schule der Superdemokraten ist da eine Ausnahme und außergewöhnlich listig auch ihre Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus. Den fertigen ideellen Gesamtkapitalisten von heute halten sie im Unterschied zum Staat von gestern für ein spätes Verfallsprodukt bürgerlicher Herrschaft. Das Gejammer über seine Hörigkeit gegenüber den Monopolen, die umgekehrt ungerechterweise die politischen Kommandohöhen erobert haben, weil sie ökonomisch aus dem letzten Loch pfeifen, bildet den Auftakt zum Programm der antimonopolistischen Demokratie - ein großartiges Konzept zum Ersatz des niedergehenden und funktionsgestörten Kapitalismus durch eine gesamtgesellschaftlich gesunde Herrschaftsform. Wie alle spätkapitalistischen Idiotien hat sich auch dieser Saubermannsgedanke pluralistisch breitdiskutiert, so daß seine Charakterisierung sicher als zu einfach zurückgewiesen wird. Deshalb sei noch einmal wiederholt, daß die Verschiedenheit dieser theoretischen Ansätze der Gemeinsamkeit ihres Interesses entspricht. Und dieses Interesse gilt nicht der Ausbeutung und ihrer staatlichen Verwaltung, sondern ihrer mangelhaften Organisation. Ein Blick über die Mauer verrät, daß ein reeller Gesamtkapitalist zwar eine staatsmonopolistische Demokratie inszeniert, die Effizienz des ökonomischen Systems aber nur in einem zustandekommt: in der Feier der Lohnarbeiter und ihres neuen Arbeitgebers.
Die faschistische Alternative entdeckt in der Einflußnahme der Kapitalisten - und besonders ihrer ,unproduktiven' Abteilung - ebenfalls den Ruin des Staates und den Niedergang des Volkes. Ihre Kritik an den Kapitalisten ist auch keine an der Ausbeutung, sondern am mangelnden Dienst, den die Praxis der herrschenden Klasse für die Stärke des Staates bedeutet. Entsprechend wohlwollend fiel der praktische Umgang mit den Bourgeois aus. Die staatlichen Bedingungen der Akkumulation wurden zur Verpflichtung auf eine bedingungslose Akkumulation im nationalen Interesse aus gestaltet, was sich die Geschäftsleute gern gefallen ließen, auch wenn gewisse staatliche Direktiven hinsichtlich des Gebrauchswerts dazugehörten.
c) Die Leistungen des Staates für seine lohnabhängigen Bürger
l. Die Bürger, die nicht aus der Verwendung ihres Eigentums ein Einkommen beziehen, sind auf einen für die bürgerliche Gesellschaft charakteristischen Gebrauch ihrer persönlichen Freiheit angewiesen; sie müssen nützliche Dienste für das Eigentum anderer verrichten, sei es unmittelbar in Produktion und Handel oder mittelbar in staatlichen Einrichtungen: Lohnarbeit. Ob sie damit ein Einkommen erzielen und wie groß dieses ist hängt davon ab, wieviel sie für ihren Arbeitgeber leisten (was nicht heißt, daß sie für ihre Leistung bezahlt werden). Sie konkurrieren als Anbieter ihrer Dienste um die vorhandenen Arbeitsplätze und die mit ihnen verbundenen Einkommen; sie vergleichen die Berufe an den Einschränkungen. die das Arbeitsverhältnis selbst und die Größe des Einkommens beinhalten, versuchen also in der Hierarchie der Arbeiten, die dem doppelten Maß von Anstrengung und Verdienst entspringt, einen möglichst hohen Rang einzunehmen. Da die Konkurrenz der Lohnarbeiter deren Eignung, entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten für die Berufe voraussetzt, die Erlernung solcher Kenntnisse jedoch keinen ökonomischen Nutzen bringt, organisiert der Staat das Ausbildungswesen neben der Konkurrenz und gestattet damit den Individuen vor dem Eintritt ins Erwerbsleben ihre Qualifizierung Für dasselbe: Das Recht auf Ausbildung, in dessen Genuß Kinder und Jugendliche gelangen, ist Für den Staat eine Veranstaltung, durch die er seine werdenden Bürger darauf verpflichtet, sich die allgemeinen, für alle Berufe gleichermaßen erforderten Kenntnisse anzueignen (allgemeine Schulpflicht) und anschließend seine Fähigkeiten für einen besonderen Beruf auszubilden, sich zu spezialisieren.
Da es in den Institutionen der Ausbildung um die Zurichtung der Jugend für nützliche Funktionen in Wirtschaft und Staat geht - ihre spezielle Anwendbarkeit ist Bedingung ihres Einkommens-, besteht der Zweck der Ausbildung nicht in der Bildung der Individualität, sondern in ihrer Beschränkung. Der Staat sorgt für Gerechtigkeit bei der Verteilung der Individuen auf die Hierarchie der Berufe, indem er den Zugang zu den verschiedenen Tätigkeiten von den Leistungen abhängig macht, die im Ausbildungsprozeß erbracht werden. Er regelt die Konkurrenz der Auszubildenden durch den institutionalisierten Leistungsvergleich. Prüfungen, beständige Bewertungen des in gewissen Zeiträumen beherrschten Wissens, entscheiden darüber, ob einer frühzeitig den Weg in die unteren Ränge des Berufslebens antreten muß oder an weiterführenden Ausbildungsgängen teilnehmen kann, die einen angenehmen Beruf und gute Bezahlung versprechen. So garantiert auch dieses Feld staatlichen Wirkens dadurch, daß es alle g l e i c h e n Bedingungen unterwirft (Chancengleichheit!), die Erhaltung der Unterschiede, welche die Betroffenen aufgrund der ökonomischen Verhältnisse ihrer Familie mitbringen.
Entsprechend seinem Zweck gliedert sich das Ausbildungswesen:
- Die für alle verbindliche Stufe der Elementar- und Allgemeinbildung, auf der die Schüler die für niedere Tätigkeiten notwendigen Kenntnisse vermittelt bekommen und dabei dem Ausleseprozeß für weiterführende Schulen unterzogen werden. Die für die Berufsausübung erforderlichen elementaren Fähigkeiten im Rechnen, Schreiben und Lesen sowie Naturkunde werden ergänzt durch die Vermittlung der Gesinnung, die man benötigt, will man sein lebenslanges Dasein als lohnabhängiger Staatsbürger ertragen.
- An diese Stufe schließt sich entsprechend der unter Beweis gestellten Leistung entweder die fachliche Ausbildung für eine Tätigkeit in der Produktion an, über deren Durchführung der Staat beständig in Konflikt mit den Unternehmen gerät, unter deren Kontrolle die praktische Unterweisung zwangsweise stattfindet: sie widersetzen sich einer allzu gründlichen und vielseitigen Lehre ebenso wie einer extensiven theoretischen Ausbildung, da es ihnen auf die möglichst schnelle Anwendung der Lehrlinge ankommt. Das unumgängliche Minimum an Fachkunde und staatsbürgerlicher Erziehung organisiert der Staat in seinen Berufsschulen.
Das Recht auf die notwendige Ausbildung ergänzt er um die Verpflichtung all derer, denen es um ihr berufliches Fortkommen zu tun ist, auf die Übernahme der damit verbundenen Lasten (Familie).
- Oder weiterführende Schulen, deren Absolventen in den Genuß gelan gen, mit zusätzlichen Ergebnissen der Wissenschaft vertraut gemacht zu werden, was einerseits Bedingung für eine Reihe höherer Berufe, ande rerseits Voraussetzung für eine wissenschaftliche Ausbildung an Hoch schulen ist. Auch in diesen Anstalten steht der gelernte Stoff nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem bestimmten Beruf, sondern fungiert als Material der Ausleseentscheidung und als Voraussetzung für die anschließende Spezialisierung.
- An den Hochschulen erfolgt die Ausbildung für Berufe, die spezielle wissenschaftliche Kenntnisse und ihre Anwendung verlangen: an den naturwissenschaftlichen Fakultäten geht es um die Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten, die für die Naturbeherrschung benötigt werden, an den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereichen um solche, die den zweckmäßigen Umgang mit den praktischen Problemen, dem Funktionieren der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Staates gewährleisten. Dafür taugt natürlich nicht objektives Wissen, sondern die instrumentelle Betrachtungsweise, die gemäß den Problemen bürgerlicher Herrschaftstechnik einzelwissenschaftliche Stand punkte ausgearbeitet hat. Ideologievermittlung ist also einziger Inhalt und Zweck universitärer Ausbildung in den Geisteswissenschaften. Zu gleich sorgt die universitäre Ausbildung Für die Befähigung, Wissenschaft selbst als Beruf zu betreiben.
Da der Staat seine Bürger darauf festlegt, sich durch die Spezialisierung auf einen bestimmten Beruf, durch die Nützlichkeit innerhalb eines festen Systems gesellschaftlicher Arbeit zu reproduzieren, und diese Festlegung durch die Konkurrenz innerhalb des Ausbildungswesens organisiert - der Ausleseprozeß ist ein negativer: geringe Leistung schließt von weiterer Bildung aus -, zwingt er alle zum Erwerb von und Interesse an Wissen in dem Maße, wie es für das Bestehen der
Ausbildung und für die Ausübung ihres Berufs erforderlich ist, und alles drüber Hinausgehende wird vom Standpunkt der Ausbildung wie der Auszubildenden überflüssig. So ist die bürgerliche Gesellschaft auf das Vorhandensein von Wissen angewiesen und an Wissen zugleich desinteressiert, weil es nur auf seine Nützlichkeit für die arbeitsteiligen Funktionen der Privatsubjekte ankommt. Daher schließt das Recht auf Ausbildung, das der Staat seinen werdenden Bürgern angedeihen läßt, seine Verpflichtung auf die Organisation von Wissenschaft getrennt von der Ausbildung ein - was sich bereits aus der Sicherung der produktiven Nutzung von Eigentum ergab.
Die Freiheit der Wissenschaft, ihr Schutz durch den Staat vor partikularen Interessen, die sich ihrer bemächtigen wollen, bedeutet also das Gegenteil von dem, was manche in ihr sehen möchten: einen Entzug wissenschaftlichen Tuns aus dem Bereich gesellschaftlicher Zweckbestimmungen. Sie stellt die der auf Konkurrenz beruhenden bürgerlichen Gesellschaft adäquate Organisationsform nützlicher Wissenschaft dar und garantiert die Erarbeitung des notwendigen Wissens wie seine
Unterwerfung unter die Praxis. Durch ihre Trennung von der Sphäre der materiellen Produktion ist die Wissenschaft dieser unterworfen.
Innerhalb des theoretischen Treibens macht sich dies als Nebeneinander richtiger Naturwissenschaft und falscher Geistes- und Gesellschaftswissenschaft geltend. Die Naturwissenschaften genügen durch die Aufdeckung der Naturgesetze und ihrer möglichen Anwendung den Erfordernissen der kapitalistischen Produktionsweise, die Selbständigkeit gegenüber den partikularen Interessen gewährleistet die Entstehung von objektivem Wissen, das zur Beherrschung der Natur taugt. Die Geisteswissenschaften entsprechen durch ihren parteilichen Pluralismus dem staatlichen Umgang mit Bedürfnissen, Willen und Interessen der bürgerlichen Subjekte. Sie sind also durchaus k r i t i s c h , wenn sie den partikularen Interessen Beachtung schenken und falsches Wissen hervorbringen, welches für die U n t e r w e r f u n g der Privatsubjekte unter die - selbstgemachten und unbegriffenen - Gesetze des Kapitals taugt. Wobei manche sich und manche auch noch andere unterwerfen. Die Konkurrenz der Wissenschaftler um das karriereträchtige Ansehen innerhalb und außerhalb der Universität gewährleistet die Durchsetzung dieses Standpunkts, und wo vereinzelt polizeiwidrige Gedanken in Umlauf kommen, wird nicht mehr diskutiert.
Die bei der Anwendung falschen Wissens aufrechterhaltenen Kollisionen der bürgerlichen Welt nimmt sich die auf ihren Nutzen bedachte Wissenschaft so zu Herzen, daß sie auf ihre Nützlichkeit, d.h. auf s i c h s e l b s t r e f l e k t i e r t und in ihren wissenschaftstheoretischen Diskussionen zu dem gar nicht überraschenden Ergebnis gelangt, daß sie so sein muß, wie sie ist und ihr Pluralismus doch kein vollständiger sein darf: wirkliches Wissen k r i t i s i e r t die bürgerliche Gesellschaft - und seine Anwendung s c h a d e t ihr.
Der Staat, der die Freiheit der Wissenschaft und das Ausbildungswesen verwaltet, um sie der Gesellschaft nützlich zu machen, zählt aufgrund der bei diesem Geschäft auftretenden praktischen Schwierigkeiten
- welches Wissen für welchen Beruf
- wieviel Wissen für alle/bestimmte Berufe
- Verwandlung von Wissen in Lehrstoff
- Organisation der Zurichtung, die auf Widerstand trifft, weil sie als unangenehm, zu wenig nützlich, oder gänzl;ch un nütz angesehen wird
- Anpassung an den Arbeitsmarkt
zu den Hauptabnehmern sozialwissenschaftlicher Theorien, weswegen sein Standpunkt als übergreifender :i :n : diesen Theorien präsent ist. So liefert denn diePädagogik nicht, wie ihr Name vermuten ließe, die Antwort auf die Frage "Was ist Erziehung?", sondern eine Unzahl von praktischen Erwägungen über "Sinn und Zweck", Schranken und Möglichkeiten der Erziehung, Umfang und Nützlichkeit des Wissens für die moralische Erziehung, usw., die allesamt aus dem Zwangscharakter der Bildung einer verantwortlichen Persönlichkeit kein Hehl machen. Diese Wissenschaft bildet ein Konglomerat von psychologischen, motivationstheoretischen, soziologischen, anthropologischen, didaktischen und empirisch-sozialwissenschaftlichen Kalkulationen, die allesamt das Ziel verfolgen, mit den Widersprüchen der kapitalistischen Ausbildung fertig zu werden, ohne sie abzuschaffen.
Da der Staat mit der Realisierung des Rechts auf Ausbildung den Auszubildenden manche Opfer aufnötigt, vielen die bittere Erfahrung der Niederlage im Konkurrenzkampf noch vor dem Erwerbsleben zuteil werden läßt und selbst denen, die ihr Ausbildungsziel erreichen, nicht garantiert, daß sie ihre Fertigkeiten als Mittel für ihre Existenz einsetzen können (weswegen ihnen der Staat auch den dornenreichen zweiten Bildungsweg zu einer neuen Spezialisierung anbietet), zieht er sich den Zorn seiner Bürger zu, die enttäuscht auf der Tauglichkeit der Ausbildung, der sie sich unterwerfen müssen, als Mittel für i h r e Reproduktion beharren und im Ausbildungsziel Mobilität das Ideal der Vereinseitigung realisieren wollen. Daher gibt es die Klage über den Bildungsnotstand, sooft mehr Ausbildungswillige da sind als Ausbildungsplätze, wobei sich die Forderung nach mehr Förderung der Ausbildung als Sorge um die Konkurrenzfähigkeit der Nation moralisch untermauern läßt. Wenn der Zweck der Ausbildung: die Gesellschaft mit den Leuten zu versorgen, die sie braucht, den Staat Maßnahmen wie den NC ergreifen läßt, läßt der Gang vors BVG nicht lange auf sich warten. Mit dem Recht rebelliert man gegen Realitäten, deren Notwendigkeit in der Gewalt des Staates und deren Auftrag liegt.
Den Wirkungen der Konkurrenz im Ausbildungsbereich, d.h. der Chancengleichheit, hält man ebenso ihr Ideal entgegen und vergißt sogar, daß es bei einem Leistungsvergleich noch stets Gewinner und Verlierer gibt. So gelangt man schließlich zur Verfolgung der Anliegen, die längst die des auf Ausschöpfung der Bildungsreserven bedachten Staates sind. Kritische Menschen machen sich für die Beseitigung von Sprachbarrieren, die keine sind, stark, dichten die Einführung der Gesamtschule u.ä. ("Permeabilität" heißt das auch!), also die Verschärfung der Konkurrenz in den Gewinn von Freiheits- und Entwicklungsräumen für den einzelnen
um - und wundern sich nach Einführung neuer Prüfungssysteme, Leistungszüge etc. darüber, daß ihre Kinder den Schulstreß nicht aushalten. Weit davon entfernt, etwas dagegen zu unternehmen, daß die Ausbildung ihren Kindern schadet rufen kritische Eltern nach besseren Prüfungen, die um ihrer Objektivität als Leistungsvergleich willen gar nicht erst nach Wissen fragen, sondern bessere Kreuzworträtsel darstellen (multiple choice). Wenn sich schließlich das abgefragte Unwissen partout nicht mehr in irgendeinen Zusammenhang mit dem Beruf bringen läßt, für den man sein Hirn martert, ertönt wie in den ersten Tagen der Bildungsreformen (und solche gibt es wieder!) die Klage über die Praxisferne, die Obsoletheit des Schulwissens. Was dem traditionellen humanistischen "Ballast" widerfuhr, bleibt der modernisierten Dressur nicht erspart: Auch bei ihr will man den Nutzen sehen, den sie bringt, wobei das unvermeidbare Ausbleiben der menschlichen, d.h. staatsbürgerlichen Einstellung bei der Jugend als Duckmäusertum gegeißelt wird. Linke wie rechte. Kritiker der Ausbildung sind sich darin einig, daß passive Staatsbürger keine guten sind, was sich freilich in recht unterschiedlichen Lehrplänen niederschlägt: Hessische Rahmenrichtlinien contra Hans Maier. Die emanzipatorische Erziehung, die in verlinksten Institutionen praktiziert wird, hat im übrigen den Vorzug, daß sie den Ausgebildeten auch den letzten Rest an Tauglichkeit für das Berufsleben erspart und stattdessen die endlose Debatte um eine kritische Einstellung zu Beruf und Staat zum Inhalt der Wissensvermittlung macht.
Auch die Wissenschaft, der es auf ihre Nützlichkeit ankommt, muß sich manchen Angriff auf ihre mangelnde Brauchbarkeit gefallen lassen. Nachdem in den Reihen der Wissenschaftler die Offensive der Methodologen und Eiferer des Pluralismus erfolgreich war, es also als ausgemacht gilt, daß Wissen etwas äußerst Relatives, von Standpunkt, Wertungen und Haltungen bestimmtes ist,somit dem zwanglosen Tummeln von I n t e r e s s e n kein Hindernis mehr entgegensteht, sah man sich mit Interessen konfrontiert, die man (der Staat) nicht gemeint hatte. So hat sich auch das Lager der Elfenbeinturmkritiker gespalten, und wenn einige Reaktionäre darauf pochen, macht immer gleich nach dem Nutzen ihres Gedankens befragt zu werden, meinen sie immer die Freiheit ihrer persönlichen Anschauungen und ihre partikulare Spinnerei, die ihnen der Staat nicht mehr gestatten will. An Wissenschaft, richtigem Denken liegt diesen seltnen Exemplaren ebensowenig wie den methodologisch-überprüfbar-empirischrationalistisch-kritisch-prasisbezogen-demokratisch eingestellten Ideologen des Pluralismus, die sich inzwischen einem neuen Gegner stellen müssen. Dieser Gegner hat den Elfenbeinturmvorwurf, die Anklage an die Wissenschaft, sie entferne sich von den Interessen der Gesellschaft, die sie aushält, dahingehend modifiziert, daß sie die Interessen der Benachteiligten, der Arbeiter insbesondere vernachlässige. Sie werfen den Sozialwissenschaften vor, daß sie den falschen Interessen dienstbar sind (was stimmt), kümmern sich weiter nicht darum, wie solches geschieht, und propagieren fröhlich eine Wissenschaft im Dienste des Volks: Bremen - Marburg. Ihre Dummheiten allerdings sind nur der einseitig gemachte Fehler des Pluralismus, also Unwahrheiten, die den Arbeitern nichts nützen. Die durch die Studentenrevolte als fällig demonstrierte Reform der universitären Ausbildung hatte somit einen Kampf zweier Linien eröffnet, dessen Ausgang durch die Gewalt des Staates eindeutig entschieden ist. Inzwischen schwindet mit dem widerwilligen staatlichen Verständnis bei dieser Veranstaltung die Anteilnahme der Jugend im selben Verhältnis, wie das stinknormale bürgerliche Gedankengut auch an Hochburgen linker Moral wächst - womit nicht gesagt sein soll, daß das eine der Grund für das andere ist.
Aus dem Zweck des staatlichen Bildungssystems, der Vereinseitigung individueller Entwicklung, der Spezialisierung auf reduzierte Fertigkeiten für einen Beruf, geht hervor, daß dem Staat die aufwendige Organisation des Verteilungsprozesses werdender Bürger auf die Hierarchie der Berufe, die Einrichtung eines allen zugänglichen Ausbildungswesens, innerhalb dessen sich entscheidet, wer was wird, als Belastung und überflüssiger Umweg erscheint. Sein Anliegen, die Bürger einer lebenslangen arbeitsteiligen Funktion zuzuführen, wurde durch die schlichte Vererbung des Berufsstandes beim biederen Volk und die klerikal-ständische Ausbildung der Staatsdiener ebenfalls erfüllt. Wie alle demokratischen Errungenschaften mußte ihm das Recht auf Ausbildung von den industriellen Lohnarbeitern, die er selbst befreit hatte, abgerungen werden; dem Zwang, in der großen Industrie ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, konnte de ohne allgemeine Bildungselemente ebensowenig folgen, wie ihre overlooker ihre Funktion angesichts der Maschinerie weiterhin allein mit körperlicher Züchtigung und Strafzetteln erfüllen konnten. Was die idealistischen Philosophen mit ihren vom Interesse an der Einheit der Nation geleiteten Traktaten über die Notwendigkeit staatsbürgerlicher Erziehung nicht schafften, erreichten die Arbeiter, die als Opfer der großen Industrie deren Erfordernisse dem Staat gegenüber durchsetzten, nachdem sich die Fabrikschulen ebensowenig als tauglich erwiesen hatten, freie, d.h. wechselnden Betätigungen genügende Arbeiter hervorzubringen, wie die philantropischen Bemühungen aufgeklärter Volksfreunde. Der Forderung nach Abschaffung des Bildungsprivilegs kam der Staat in der Weise nach, daß er die allgemeine Schulpflicht als Mittel der Auslese einrichtete und damit garantierte, daß die Kinder der Arbeiter einerseits mit dem für sie notwendigen Minimum an Kenntnissen und dem noch notwendigeren staatsbürgerlichen Tugendkodex beliefert werden, andererseits von überflüssigem Wissensballast verschont bleiben.
Dem Interesse des Staates an einer nützlichen Geistes- und Gesellschaftswissenschaft kam diese Philosophie insofern entgegen, als sie durch die Übernahme dieses Interesses als immanent-theoretischer Standpunkt den Kampf Gegen den Glauben um ihre Auflösung in die instrumentell verfahrenden Einzelwissenschaften ergänzte.
Die dem bürgerlichen Staat verpflichtete Universität konnte zwar der Aufgabe gerecht werden, das Material für die gelehrte Gesinnung höherer Beamter zu liefern, leistete aber schlechte Dienste für das allgemeine Ausbildungswesen, mit dem der Staat den Erfordernissen der großen Industrie entsprechen mußte. Die Freiheit der Wissenschaft, d.h. die Unterwerfung des berufsmäßigen Denkens unter die Zwecke des Staates, die bereits die Philosophie kennzeichnet, gewährleistete ihre immanente Entwicklung zu einem verläßlichen Instrument des Klassenstaats, zu der parteilichen, einzelwissenschaftlichen Betrachtung aller gesellschaftlichen Phänomene, die sich vom praktischen Interesse an der Fortführung der bürgerlichen Scheiße leiten läßt. (Dies ist eine materialistische Erklärung im Unterschied zu
Vorstellungen, die den Nutzen der Wissenschaft fürs Kapital ohne Staat, daher g e g e n ihre Freiheit beweisen wollen oder von der Abstraktion gewisser "ökonomischer Formbestimmtheiten" und dergl. Blödsinn das D e n k e n ableiten.)
2. Mit den erworbenen einseitigen Fertigkeiten überläßt der Staat seine nebenbei mündig gewordenen Bürger der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Wieviel sie verdienen, hängt einzig von der Leistung ab, die sie für ihren Arbeitgeber zu bringen bereit sind; so versuchen sie, die ihnen offenstehende Freiheit zu nützen und sieh durch den Verkauf von möglichst viel Arbeit ein gutes Leben zu sichern, wodurch sie beständig Arbeitskräfte relativ zur Nachfrage nach Arbeit überflüssig machen.
Vater Staat, der auch der Nachfrageseite die Freiheit läßt zu entscheiden, wann sich für sie der Kauf von Arbeit lohnt, weiß von der Kehrseite der freien Berufswahl, der immer vorhandenen Arbeitslosigkeit, und strickt die erste Masche seines sozialen Netzes: Er verpflichtet die Lohnabhängigen, die sich durch die Ausübung ihres Berufs nicht kontinuierlich ernähren können, dazu, dies doch zu tun: Zwang zur Arbeitslosenversicherung. Er zwingt sie zur vorsorglichen Einschränkung ihrer Reproduktion (Beiträge) und regelt für den Ernstfall ein vermindertes Einkommen auf bestimmte Zeit (Arbeitslosengeld/hilfe). Die mit den Einschränkungen wachsende Bereitschaft zum sozialen Abstieg befördert er durch Auflagen, die er je nach Konjunkturlage verschärft: Meldepflicht, Gebot zur Annahme "zumutbarer" Arbeitsplätze, und Anreize (Umschulung), wobei er den weiblichen Arbeitnehmern besondere Aufmerksamkeit darin zuteil werden läßt, daß er ihre hausfrauliche Tätigkeit ausnahmsweise als Beruf anerkennt. Diese Sparsamkeit, die sämtliche Kriterien für die Berechnung von Arbeitslosenunterstützung kennzeichnet (Länge des
Arbeitsverhältnisses, Berücksichtigung des familiären Vermögens, Begrenzung auf ein Familienmitglied etc.), macht die Anstrengung verständlich, die Lohnabhängige auf sich nehmen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Das Streben der Lohnabhängigen geht also darauf, das Stempelgeld erst gar nicht zu beanspruchen. Sie zeichnen sich durch Leistungsbereitschaft aus, gesteigerte Anstrengungen im Produktionsprozeß sollen ihr Einkommen nicht nur in erträglicher Größe halten, sondern durch den Nutzen, den der Unternehmer daraus zieht, auch beweisen, daß sich der Kauf ihrer Arbeit lohnt, und so den Arbeitsplatz sichern. Mit der Verpflichtung zur Kranken- und Unfallversicherung trägt der Staat der notwendigen Rücksichtslosigkeit der Arbeiter gegen ihre Gesundheit, d.h. einer möglichst intensiven Nutzung der Arbeitszeit durch die Unternehmer Rechnung.
Der Arbeiter muß das Krankwerden als selbstverständliche Begleiterscheinung seiner Arbeit akzeptieren und daher mit der Krankheit, die Arbeitsunfähigkeit bedeutet, fertig werden, also für seine Arbeitsfähigkeit Sorge tragen. Dies vermindert sein Einkommen, solange er arbeitet um die Beiträge, die er zahlt; im Krankheitsfall erhält er nur 6 Wochen lang seinen vollen Lohn, längere Krankheiten ziehen wie dauerhafte Unfall- und Berufsschäden ein reduziertes Entgelt nach sich. Dem damit gegebenen Anreiz zur Wiederaufnahme der Arbeit wird durch vertrauensärtzliche Kontrollen nachgeholfen. Da die Kranken- und Unfallversicherung also den Lohnarbeitern keine Sicherheit vor Krankheit bringt, sondern sie lediglich fähig macht, sich den Quellen ihrer Zerstörung erneut auszusetzen, hat sich der Staat einiges einfallen lassen, die unvermeidliche Arbeitsunfähigkeit in Grenzen zu halten. Er verlangt den Nutznießern der Lohnarbeit ihren maßvollen Gebrauch ab: Sicherheitsvorschriften, medizinische Betreuung, bezahlter Urlaub.
Da der Staat die Lohnabhängigen permanent den gesellschaftlichen Ursachen des Krankwerdens aussetzt und sie zugleich auf's Gesundsein verpflichtet, muß er die Einrichtungen bereitstellen, derer die Kranken bedürfen, um wieder arbeitsfähig zu werden: Gesundheitswesen. Daß die Bemühungen der Medizin an den Notwendigkeiten der Lohnarbeit ihre Grenze finden, also nicht dasselbe sind wie der Kampf um Gesundheit, demonstrieren die mannigfaltigen Vorschriften zur Verhinderung von Krankheit, wenn es um natürliche Ursachen geht, denen die Hilflosigkeit der modernen Medizin gegenüber den viel belaberten sozialen Krankheitsursachen gegenübersteht: so wenig sie als Medizin für gesundes Arbeiten tun kann und der Staat ein diesbezügliches Gesetz erlassen will, so zynisch verfahren diejenigen ihrer Vertreter, welche die gesellschaftlichen Gründe für die Beschädigung des Organismus in ihren psychologischen Ausdruck verwandeln und
in der psychosomatischen Medizin Rezepte entwickeln den Geschädigten den Willen beizubringen, ihre Zerstörung unter Beibehaltung ihrer Brauchbarkeit zu
ertragen.
Der Lebensweg des Arbeiters ist also ein Prozeß der Zerstörung, bei dem mit zunehmenden Jahren die Anstrengungen, der vorgeschriebenen Leistung im Beruf zu genügen, wachsen. Für den gesetzlich geregelten Zeitpunkt, an dem die Lohnarbeiter den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein brauchen, hält sie der Staat schon frühzeitig an, durch Abzüge von ihrem Einkommen vorzusorgen: Rentenversicherung. Er beschert ihnen für dieses Opfer ein vermindertes Auskommen in den Jahren, die sie als Frühinvaliden (valere!) oder Altersrentner in erzwungenem Müßiggang - mit lädierter Physis - zu leben (sic!) haben. Um die Nützlichkeit ihrer jüngeren Mitmenschen nicht über Gebühr durch die Last, welche die Alten darstellen, zu schmälern, versorgt sie der Staat mit Altersheimen, von denen es einerseits zu wenig gibt und die andererseits Geld verlangen. Dies befördert bei den Familienangehörigen die Überlegung, was billiger und einfacher ist: der Pflegesatz für's trostlose Altersheim oder das lästige Mitschleifen von Oma und Opa - im Rahmen der häuslichen Idylle.
Versicherungen sind also soziale Einrichtungen, die mit der Sicherheit der Leute, die sie bezahlen, nichts zu tun haben. Zunächst einmal muß sie jeder bezahlen, weil sicher ist, daß er sie braucht, sei es als Hilfe auf dem Weg zu erneuter Brauchbarkeit oder als Gnadenbrot für die irreparable Zerstörung. Im doppelten Zwang zum Opfer, das man entweder bringt oder ist, liegt der soziale Charakter dieser Institutionen, deren Zweck, die Erhaltung der Lohnarbeit als Mittel des Eigentums, durch die Verpflichtung des Arbeitgebers auf die Zahlung eines Teils der Beiträge nicht verhüllt, sondern deutlich wird. Die den Arbeitgebern dadurch entstehenden Geschäftskosten sind ihnen zwar lästige Begleiterscheinungen bei der Vermehrung ihres Vermögens, aber nicht die Gefährdung ihrer Reproduktion - weswegen sie vom Staat auch nicht gezwungen werden, sich zu versichern. Wenn sie ihr Sicherheitsbedürfnis über die Gewißheit, ihr Eigentum verzehren zu können, hinaus befriedigen wollen, stehen ihnen freiwillige Versicherungen aller Art offen, die sich von den Zwangsversicherungen dadurch unterscheiden, daß mit ihnen, abgesehen von den Privilegien, die sie bieten, ein Geschäft zu machen ist.
Da die Versicherungen Opfer verlangen und wenig Sicherheit bieten, ist der Staat mit den Klagen seiner Bürger konfrontiert, die, wenn sie die Gefährdungen der Reproduktion durch Lohnarbeit erfahren, vom Staat Kompensation verlangen und den Aufwand für Versicherungen mit ihren Leistungen v e r g l e i c h e n .
Einerseits kritisieren sie die Einschränkungen, die ihnen bei der Inanspruchnahme von Versicherungen auferlegt werden, als u n g e r e c h t und erinnern an ihre N ü t z l i c h k e i t , für die sie Anerkennung verlangen. Andererseits lasten die Beitragszahler denjenigen, die Versicherungen in Anspruch nehmen müssen, ihre N u t z l o s i g k e i t an, die ihre Mitbürger so teuer zu stehen komme.
Die Arbeitslosen beharren auf dem Recht auf Arbeit, als gehörte nicht zu diesem auch die Arbeitslosigkeit, fordern von der Versicherung ihr Auskommen und
werden für ihre hilflosen Widerstände gegen den sozialen Abstieg mit dem Vorwurf mangelnder Leistungsbereitschaft und Drückebergerei, den sie sich selbst gezwungenermaßen zu Herzen nehmen, belohnt. Auch die Klagen über die Mängel der Krankenversicherung haben ihre andere Seite. Während man für sich selbst Abhilfe gegen das Kranksein erwartet, kann man sich den Angriff auf die anderen nicht versagen, wenn sie die Leistungen der Versicherung in Anspruch nehmen: Die anderen f e i e r n krank und treiben die Kosten in die Höhe. Manch einem erscheint daher die Rücksichtslosigkeit gegen die eigene Gesundheit nicht nur notwendig (die Angst um den Arbeitsplatz ist begründet!), sondern auch gut.
Die gesellschaftlich nutzlosen R e n t n e r , die einen sicheren und geruhsamen Lebensabend genießen wollen und Dank für ihre früheren Anstrengungen erwarten, trifft die Verachtung derjenigen, die sich noch die Ideologie leisten, daß Ansprüche eben auf Leistung beruhen. So stehen die Klagen über die Herzlosigkeit gegen das Alter neben dem unverfrorenen Lob der Jugend, um die es sich zu kümmern gilt, weil ihr die Zukunft gehört; und die Blödheit der Alten, die in jugendlicher Brauchbarkeit ihre eigene, nun verblaßte Tugend entdecken, wetteifert mit dem Stolz der Jungen, die nicht sehen wollen, daß ihre Tatkraft das beste Mittel ist, schnell alt zu werden.
Der S t a a t legitimiert seine Maßnahmen gegenüber dieser doppelten Unzufriedenheit mit dem Hinweis auf die Unausweichlichkeit der Lebensrisiken, zu deren Verringerung alle solidarisch ihren Beitrag leisten müssen, und preist seine Sozialmaßnahmen als notwendige Ergänzung des Leistungsprinzips, die jedem die Chance eines menschenwürdigen Lebens eröffne. Die Klagen der Betroffenen über die Ungerechtigkeit der Arbeitslosigkeit wehrt er mit dem Hinweis auf seine Ohnmacht gegenüber der Konjunkturentwicklung und die Zuständigkeit der Unternehmer ab, deren Unterstützung er denn auch tatkräftig betreibt. Beschwerden über die Plackerei der Lohnarbeit greift er mit der Verteidigung des Leistungsprinzips an oder mit Forderungen nach "Humanisierung der Arbeitswelt" auf, die durch Anpassung der "Sachzwänge" an die physischen und psychischen Schranken der Arbeiter ihre Selbstzerstörung attraktiver und effektiver machen soll. Gegen die landläufigen Angriffe auf das Gesundheitswesen, die dem Staat den Willen zur Krankheitsbekämpfung unterstellen, verteidigt er sich mit Vergleichen gegenüber früher, als Seuchen und früher Tod grassierten, und agitiert für ein gesundes Privatleben seiner Bürger. Mit Klagen über das "Leistungs- und Konsumdenken" wirft er den Leuten vor, daß sie sich kaputtmachen lassen; mit der Propaganda maßvoller Genüsse und gesunder Ernährung versuch er die Arbeiter auch dort, wo er ihnen keine Vorschriften machen kann, zur selbstzerstörerischen Rücksichtnahme auf ihren gesellschaftlichen Nutzen zu bewegen. Und da es auf Leistung ankommt, die denen, die sie bringen, wenig einbringt; verkündet er im Lobpreis der Jugend das Ideal der Brauchbarkeit und ergänzt es durch die Aufforderung, statt das Alter zu mißachten, durch familiäre Fürsorge dem Staat einen Teil der Alterslast abzunehmen.
Angesichts der Bekundungen des Staates, daß er nicht willens ist, aus den sozialen Rechten der Bürger etwas anderes zu machen, als sie sind; nämlich Kompensationen, die zur Fortführung des Lohnarbeiterdaseins zwingen, fällt den l i n k e n Arbeiterfreunden nichts Besseres ein, als diese Rechte mit dem Argument zu verherrlichen, daß sie von den Arbeitern erkämpft worden seien. Sie benutzen ausgerechnet die Notwendigkeit, dem Staat noch die miesesten Zugeständnisse abzuringen, dazu, ihnen die höheren Weihen von Arbeiterrechten zu verleihen, und eröffnen sich mit diesem zynischen Lob das weite Feld von verharmlosenden Angriffen gegen die "Unfähigkeit" des Staates sowie den revisionistischen Kampf um Rechte.
Die f a s c h i s t i s c h e Alternative betrachtet die sozialen Aufwendungen des Staates nicht nur wie jeder Demokrat als eine Belastung, sondern auch vom Standpunkt ihres Wirkens her als eine Sache, die dem Untergang der Nation Vorschub leistet. Gegen die Erhaltung der nur bedingt brauchbaren Arbeitskraft setzen sie den bedingungslosen Anspruch des Staates auf opferbereiten Dienst. Den kapitalistischen Zwang zur Konkurrenz mit seinen Folgen nehmen sie zum Anlaß, die Individuen danach zu unterscheiden, ob sie zur Erfüllung ihrer Pflicht bereit und fähig sind: staatliche Auslese
3. Das staatliche Bemühen um die Brauchbarkeit und Arbeitsbereitschaft der Lohnarbeiter verschafft diesen - als Lohn für ihren Nutzen - den vielgepriesenen Freiheitsraum des Privatleben, der in der westlichen Welt geachtet wird. Dieser Raum hat allerdings Grenzen, zunächst die mit der Lohnarbeit unmittelbar gegebenen: er beginnt, wenn die Arbeit aufhört, und seine Ausgestaltung ist eine Frage des Geldes. Weil sich der Lohnarbeiter alles leisten darf, sich aber nicht alles leisten kann, kauft er sich nur das, was er sich leisten muß. Genauso verfährt er bei der Einteilung seiner Zeit. Die Einstellung zu seiner privaten Freiheit als einer Sphäre der Notwendigkeit wird ihm von der Sorge diktiert, die Quelle seines Einkommens, d.h. seine Arbeitsfähigkeit, zu erhalten. Im Versuch, seinen Wünschen Befriedigung zu verschaffen, erfährt er nicht nur, daß dazu weder Zeit noch Geld reichen, sondern auch, daß der unüberlegte Gebrauch seiner privaten Freiheit stets auf Kosten der notwendigen Genüsse geht, die zur Fortführung der Arbeit unabdingbar sind. Und selbst der Befriedigung der Bedürfnisse, die funktionell auf die Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit bezogen sind, stehen gesellschaftliche Bedingungen im Wege, mit denen er aufgrund seines Geldbeutels nicht fertig wird. Dies ruft den Staat auf den Plan, der seine sozialpolitische Abteilung um zusätzliche Leistungen erweitert, die darauf abzielen, die Schwierigkeiten des Privatlebens nicht zum Hindernis des Arbeitslebens werden zu lassen. Diese Maßnahmen haben daher auch keinen Geschenkcharakter, und ihre soziale Funktion besteht darin, die Lohnarbeiter dahin zu bringen, aus ihrer Freizeit trotz allem Reproduktion ihrer Arbeitskraft zu machen, was nicht ohne neuerliche Verpflichtungen und Opfer abgeht und das Reich der individuellen Freiheit den Notwendigkeiten der Ausbeutung unterwirft.
- Da der Arbeiter kein Eigentum hat, muß er eine Wohnung mieten. Diese elementare Lebensbedingung bringt ihn in Abhängigkeit vom Grundbesitzer, der seinerseits aus seinem Vermögen Einkommen erwirtschaften will. Die Kollision zwischen den Notwendigkeiten der Privatsphäre und dem Recht des Hausbesitzers auf die Erhaltung und effektive Nutzung seines Besitzes regelt der Staat im Mietrecht, das wegen der gleichmäßigen Berücksichtigung beider Seiten dem Mieter weder eine sichere Wohnstätte noch einen erschwinglichen Preis garantiert. Auf den Mangel an billigen Wohnungen - das Grundeigentum ist anerkannte Einkommensquelle! - reagiert der Staat mit Wohnungspolitik. Diese besteht zunächst darin, daß er das Streben der Betroffenen, sich von den Lasten als Mieter unabhängig zu machen, durch die Förderung zweckgebundenen S p a r e n s unterstützt, mit der Gewährung von Bank k r e d i t e n das Eigenheim endgültig zum
lebenslangen Problem macht und ihnen diese neue Form des Opfers, das mit dem Wohnen eines Arbeiters verbunden ist, mit der Ideologie der "eigenen vier Wände" schmackhaft zu machen versucht. Da sich diejenigen, denen an einer billigen Wohnung gelegen sein muß, den Luxus nicht leisten können, neben der zu teuren Miete auch noch für ein Eigenheim sparen zu können, gibt es den s o z i a l e n W o h n u n g s b a u . Diese Maßnahme ist darin sozial, daß sie vermögende Leute mit Steuererleichterungen, Zuschüssen etc. dazu anhält, Wohnungen zu erstellen und diese eine Zeitlang k o s t e n d e c k e n d zu vermieten. Da der soziale Wohnungsbau zwar Wohnungen schafft, nicht aber das Wohnungsproblem armer Leute löst, mildert der Staat die Kollision zwischen dem Interesse an billigen Wohnungen und dem berechtigten Gewinn der Hausbesitzer durch die Zahlung von W o h n g e l d , wodurch er Steuergelder in Gewinn verwandelt, den das Grundeigentum also trotz der Armut der Mieter machen kann. Das Wohngeld als der krönende Abschluß unserer Bundesregierung beim Abbau von zwangswirtschaft lichen Eingriffen, die den Verfechtern der sozialen Marktwirtschaft unangenehm waren, beweist, daß der Staat kein Interesse daran hat, die Kollision aufzulösen, der sich die W o h n u n g s f r a g e verdankt; Preisbindung und Zwangsbewirtschaftung gelten dem Staat als außer ordentliche Notmaßnahmen.
- Die Gefährdung der Reproduktion durch den Zeitaufwand, den die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte kostet, verlangt vom Staat besondere Aufmerksamkeit beim Ausbau des Verkehrsnetzes. Zum einen muß er beim Straßenbau die Erfordernisse des dadurch wachsenden Privatverkehrs berücksichtigen, zum anderen ist wegen der Unerschwinglichkeit eines eigenen Autos und seiner Benutzung für viele Lohnarbeiter die Einrichtung von M a s s e n v e r k e h r s m i t t e l n geboten. Diese Leistungen eröffnen den Massen die trostreiche Alternative, die notwendige Verlängerung der Arbeitszeit in ihre Freizeit hinzunehmen oder sie durch geldlichen Mehraufwand zu verkürzen.
- Das Angewiesensein der Bürger auf kontinuierliche Information über die sich wandelnden gesellschaftlichen Umständen, mit denen sie zurechtzukommen haben,
das Bescheid wissen müssen über alle möglichen Bedingungen ihrer Reproduktion - was einen weiteren Teil ihrer Freizeit okupiert - nützt der Staat dadurch aus, daß er mit der Gewährleistung des leichten Zugangs zu allen notwendigen Informationen die staatsgerechte Zubereitung und Kommentierung derselben verbindet. Die politische Abteilung der Medien hat ihren Kernpunkt im Nachrichtenwesen, welches 24 mal täglich den jeweils gültigen Standpunkt der Nation zu internationalen Konflikten darbietet, den neuesten Stand staatlicher und wirtschaftlicher Unterdrückung unter Abwägung von Vor- und Nachteilen als unausweichlich darstellt und an hand von Meldungen über Verbrechen und Unwetter klarmacht, daß der Staat erstens sein muß und zweitens verläßlich ist. Die Eintönigkeit dieser Veranstaltung bedient sich der Methode des kommentierenden Pluralismus: jede Maßnahme, jedes Ereignis vom U-Bahn-Bau bis zur Olympiade wird eingekleidet in das Urteil mehrerer maßgeblicher Männer aus Politik und Wirtschaft. Damit sich der Bürger nicht auf die bloße Kenntnisnahme zurückzieht und sich im übrigen zu den Belangen der Nation passiv verhält, setzen Kommentare, politische Magazine und Diskussionen das Geschäft fort, des Bürgers eigene Meinung zu bilden. Der Abwehr der Bürger dagegen, sich in ihrer Freizeit die Sorgen des Staates zu machen, begegnet man mit geschickter Programmgestaltung. Damit der Bürger an der Agitation nicht vorbeikommt, wird sie im Rahmen der Sendungen dargeboten, die ihn mit allerlei praktischen Tips und Lebenshilfen versorgen und daher seines Interesses gewiß sind. Insbesondere die Aufklärung der neugierigen Jugend über die Fährnisse des Lebens und die Befassung mit den Frusts des Frauendaseins empfehlen sich für eine gründliche moralische Aufrüstung. Die Mittel, die den Medien aus Gebühren, Steuergeldern und nicht zuletzt aus der Werbung zufließen, durch die der Staat der Wirtschaft gestattet, auf vergnügliche Weise klarzumachen, daß Waren preiswert sind, erlauben ihnen auch, dem Wunsch der Bürger nach Unterhaltung Genüge zu tun. Weil der Staat weiß, was er von seinen arbeitenden Bürgern zu halten hat, geht er hier auch ganz auf sie ein. Er erfüllt durch geistlose Unterhaltungssendungen und Rätselstunden ihr Bedürfnis nach Kompensation für den in der Arbeitswelt erlittenen Verschleiß, der weitere Anstrengungen unmöglich macht. Die vulgären Formen von Schlager, Show und Film sind für ihn das geeignete Programm seiner kompensatorischen Erziehung, nach der das Volk leider verlangt. Es zerfällt in drei Teile: erstens geht im Leben mancher Schuß daneben, und zweitens lassen wir uns das Singen nicht verbieten, weil drittens vor der Himmelstür alle gleich sind. So hat jede Kulturnation auch ihre Massenkultur .
Die bei diesem Programm gar nicht erstaunliche Unzufriedenheit der Massen eröffnet die Möglichkeit harter Kritik: In Leserbriefen an die Rundfunkzeitschriften wird gesagt, was man lieber hätte, und Medienforscher verlangen statt Manipulation ein besseres Eingehen auf die (originären) Bedürfnisse des Publikums. Die Unzufriedenheit des Staates über die immer wieder spürbare Undankbarkeit seiner Adressaten führt zu Beschwörungen seiner erzieherischen Aufgabe und der Anklage, er ließe wegen ökonomischer Interessen von ihr ab.
- Der Notwendigkeit körperlichen Ausgleichs für die erzwungenen Anstrengungen der Arbeit trägt der Staat durch die Bereitstellung von Erholungs- und
Sportstätten Rechnung. Weil er aber nicht an der Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung, sondern daran interessiert ist, daß s i e s i c h gesund erhält, knüpft er
auch diese Wohltat an Bedingungen. Wer Sport treiben will und dazu Platz und Geräte braucht, muß zeigen, daß er dafür etwas übrig hat. Eintrittspreis und Zwänge
des Vereinslebens machen aus der freiwilligen Betätigung des Körpers eine Frage der Opferbereitschaft. Da viele aufgrund der einseitigen Anstrengung ihrer Arbeit von Körperbewegung genug haben, wegen ihrer mangelnden Leistung auch keine Freude am Sich-Messen haben und schließlich ihr Geld und ihre Zeit für andere Genüsse verbrauchen macht ihnen der Staat mit seiner Trimm-Dich- und Gesundheitsagitation klar, daß es ihm auf die Freuden des Sports ohnehin nicht ankommt.
Er fordert seine Bürger auf, einfach jede Bewegung vom Einkaufsbummel bis zum Spaziergang a l s Sport zu betrachten und nicht zu rasten, damit sie nicht rosten.
Und wo sich junge Leute wirklich für den Sport begeistern, geht er sogleich dazu über, seinen Nutzen daraus zu ziehen: er fördert den Leistungssport, welche Tautologie Sport als Beruf meint und an ihren Wirkungen auch als solcher kenntlich ist, und hat mit ihm ein prächtiges Mittel zur Repräsentation der Nation wie auch eine Erweiterung des Unterhaltungsangebots.
Weil sich der Großteil der Bürger schwer tut, das zu schaffen, was der kleine Teil der Bürger von ihnen erwartet: gesund und munter zu bleiben, um bei der Verrichtung ihrer Arbeit und bei der Unterstützung des Staats ihren Mann zu stehen, haben einige um das Funktionieren unserer Gesellschaft besorgte Wissenschaftler und Journalisten das Problem der "Freizeitgesellschaft" entdeckt. In der verhinderten Reproduktion der Massen erblicken sie eine G e f a h r , legen die Folgen der Lohnarbeit und der staatlichen Reglementierung der Privatsphäre den Betroffenen zur Last und tadeln sie, weil sie ihrem Standpunkt zufolge nichts (Richtiges) mit ihrer Freizeit anzufangen wissen. Sie versprechen sich viel von einer Verkürzung des lästigen freien Lebens und seiner Erfüllung mit Sinn.
4. Für alle, die den Anforderungen der Konkurrenz in Ausbildung und am Arbeitsplatz nicht gewachsen sind, also für ihren Lebensunterhalt nicht sorgen können und auch für die Zeit ihres Ausflippens keine Vorsorge getroffen haben, hält der Staat seine Fürsorgemaßnahmen bereit. Er rechnet mit dem steten Vorhandensein des P a u p e r i s m u s und erklärt ihn zu einer öffentlichen Angelegenheit. Die Gewährung von Sozialhilfe soll ihren Empfänger befähigen, unabhängig von ihr zu leben; und weil man höheren Orts weiß, daß dieser Anstrengung wenig Erfolg beschieden ist, denkt man an die drohende Kriminalität, die ihr Mißerfolg mit sich bringt. Zum Empfang von Sozialhilfe ist nicht berechtigt, wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten, was aber nicht heißt, daß er überhaupt nichts bekommt: ihm winkt ein Platz in einer Anstalt, ein Gefängnisaufenthalt, der keinen Rechtsbruch voraussetzt. So macht der Staat seinen Bürgern auch an den Grenzfällen individueller Not deutlich, daß er nicht für sie da ist, sondern sie für den öffentlichen Nutzen dazusein haben, indem sie für sich selbst sorgen - was wiederum nur durch die Vermehrung des Nutzens anderer geht. Weil ihm schließlich selbst die Aufwendungen für Armenhäuser, Obdachlosenasyle und die spärlichen Gelder für Arme zuviel sind, hat er sich der moralischen Gesinnung seiner Bürger erinnert und den Grundsatz des "Nachrangs" der Sozialhilfe erfunden. Die Sozialbehörden beschränken ihre Wohltaten auf die Fälle, die nicht durch Familie oder Einrichtungen der "freien Wohlfahrtspflege" bewältigt werden - durch jene Vereine und Stiftungen also, die an die Moral der noch mit Arbeitsfähigkeit gesegneten Leute appellieren und ihnen beim Einkaufen, Spazierengehen, an der Haustür, in der Schule etc. eine Mark nach der anderen abluchsen. Der Staat fördert diese Körperschaften, so daß die Betätigung der Moral von der zufälligen Rührung einzelner loskommt: unabhängig von der Anschauung des Elends in der näheren Umgebung sieht sich jeder mit der organisierten Darstellung von Not konfrontiert, für die er sich verantwortlich sehen soll. So entdecken letztlich auch minder Gläubige die Funktion der Kirche, ihre Solidarität mit ihren Mitbürgern und ersparen dem Staat Auslagen, was dieser freudig zur Kenntnis
nimmt - und sein Geld zur Förderung des Eigentums verwendet.
5. Daß es dem Staat um die Erhaltung der Lohnarbeiterklasse zu tun ist, läßt sich nicht bestreiten; noch viel weniger aber, daß die Fürsorge, die er den auf ihre Arbeit angewiesenen Bürgern zuteil werden läßt, diesen nicht gut bekommt. Alle seine Leistungen laufen darauf hinaus, den Lohnabhängigen die wenig bewundernswerte Kunst aufzuherrschen, mit den Konsequenzen ihres Diensts am Eigentum fertigzuwerden; die Wirkungen des unmittelbaren Produktionsprozesses ebenso zu ertragen wie die Funktionalisierung ihres Privatlebens für ihre Tauglichkeit als Arbeitskräfte zu bewerkstelligen. So sieht er sich als Folge seines freiheitsstiftenden Wirkens mit dem Anspruch der Lohnarbeiter auf ihre E x i s t e n z konfrontiert, dem er seine Anerkennung nicht versagen kann; schließlich ist die Existenz seiner arbeitenden Bürger die Bedingung für ihren nützlichen Dienst, auf den es ihm ankommt. Deshalb schreitet er zur Festlegung von Schranken der Ausbeutung und betätigt sich als Beschützer der Arbeitskraft, wo ihre Verwendung ihre Vernichtung unmittelbar zur Folge hat. Die gesetzliche Festlegung eines Normalarbeitstages ist die Reaktion des Staates auf die Verhinderung jeglicher Reproduktion, die mit dem freien Spiel der Kräfte auf dem Arbeitsmarkt einhergeht:
weil jeder Lohnarbeiter zur Verbesserung seiner Reproduktion mehr arbeitet und sich dadurch das Angebot an Arbeit stets von seiten ihrer Käufer zur Senkung des Lohnes ausnützen läßt, führt die gelobte freie Konkurrenz unweigerlich zu einem Arbeitstag, dessen Länge die Lohnarbeiter nicht aushalten und dessen Ertrag nicht für ihre Erhaltung reicht. Der Staat verhindert mit dem Normalarbeitstag, daß die Unternehmer die Konkurrenz der Lohnarbeiter in einem Maße ausnützen, das den Arbeitsprozeß zur unmittelbaren Bedrohung des Lebens werden läßt. Freilich liegt ihm damit wie mit den übrigen Konsequenzen aus §$#167; 618 BGB - "Der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen von Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, daß der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet." - nichts an der Abschaffung der Gründe, die fiir die Lage der arbeitenden Klasse verantwortlich sind. Ganz Sozialstaat, nimmt er die Notwendigkeit der Dienstleistenden, über das normale Maß hinauszuarbeiten, zum Anlaß, auch dafür bestimmte Grenzen festzulegen und die Bedingungen anzugeben, unter denen er sie gestattet.
Die vielfältigen und als Fortschritt des Kapitalismus gepriesenen Schutzmaßnahmen tragen allesamt dem Kriterium der öffentlichen Macht Rechnung, das diese befolgt,wenn sie sich zu Sonderrechten für Lohnabhängige entschließt: die Auswirkungen der Lohnarbeit müssen dort ihre Grenze haben, wo sie als eine Weise
der Reproduktion unmöglich wird, ein "soziales Problem" darstellt, ohne daß sie Nutzen bringt. Marx hat den Witz der Gesetze, die das rücksichtslose Zugrunderichten der dem Kapitalisten unter worfenen Arbeiter so reglementieren, daß die Arbeiter für d a s Kapital tauglich bleiben, so zusammengefaßt:
"Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?"
Arbeitsschutz, der sich auch auf die "Wahrung von Sitte und Anstand" erstreckt, Unfallverhütungsvorschriften und besondere Auflagen für die Ausbeutung
Jugendlicher und schwangerer Frauen sind die trostlosen Zugeständnisse des Staates an die Menschenwürde, von der seine Agenten wissen, daß sie im Dienst am
Eigentum beständig zuschanden wird. Dabei geht aus der Notwendigkeit, die Ruinierung der Arbeiter im Produktionsprozeß durch staatliche Eingriffe zu bremsen, nicht nur hervor, daß die Eigentümer von Produktionsmitteln von sich aus nicht bereit sind, die verheerenden Wirkungen ihres Gewerbes auf Körper und Geist ihrer Produktionsinstrumente einzudämmen; auch die mit ihrem Eigentum verbundene Macht, ihren Zweck gegen die konkurrierenden Arbeiter durchzusetzen, ist nicht zu übersehen.
So erweisen sich die Regelungen, die der Staat gegen die Eigentümer zum Schutz der Lohnarbeiter erläßt, als Pendant zu den Bestimmungen, durch die er die Vermehrung von Eigentum sichert, indem er den anerkannten Zweck der Gewinnemacherei in Formen zwingt, die auch anderen Eigentümern ihr Geschäft ermöglichen (b 5.). Der kleine Unterschied zu den Bestimmungen, welche die Konkurrenz unter den Arbeitern fortzuführen gestatten, liegt in der Natur dessen, was
durch die Konkurrenz bedroht ist und ohne das Zutun des Staates keinen Bestand hat: während die Konkurrenz zwischen Eigentümern die produktive Nutzung des Eigentums gefährdet und der Staat Beschränkungen verordnet, welche die produktive Nutzung des Eigentums g e w ä h r l e i s t e n , führt die Konkurrenz der Lohnarbeiter zur Zerstörung ihrer Existenz, die dem Staat wegen der damit verbundenen U n b r a u c h b a r k e i t der Leute zum Problem wird. Und zwar deswegen, weil die Betroffenen - freie Anbieter ihres Arbeitsvermögens - sich ein Arbeitsverhältnis, das sie zum Zwecke ihres Lebensunterhalts eingehen, nicht mehr gefallen lassen, wenn es den Lebensunterhalt verunmöglicht. Sie setzen sich gegen die Wirkungen der Konkurrenz zur Wehr, innerhalb derer sie sich zu bewähren gezwungen sind, schließen sich zur gemeinsamen Arbeitsverweigerung zusammen, um bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen. Die bereits erwähnten Schutzmaßnahmen sind dem Staat durch Kämpfe der Arbeiterklasse abgerungen worden und bilden, einmal durchgesetzt, für die besitzende Klasse den Ausgangspunkt für allerlei Anstrengungen, sich für die verminderte Ausbeutbarkeit ihrer Arbeiter schadlos zu halten. Jedes durch vorübergehende Arbeitsniederlegung erreichte Resultat staatlich fixierter Arbeitsbedingungen eröffnet erneut die Konkurrenz zwischen den Arbeitern und damit die Möglichkeit für die Kapitalisten, das Verhältnis von Lohn und Leistung zu ihren Gunsten zu andern. So daß die periodische Gegenwehr der an ihrer Existenz gehinderten Arbeiter zum normalen Getriebe der bürgerlichen Gesellschaft gehört. Der Staat findet mit der U n v e r e i n b a r k e i t der Interessen von Lohnarbeit und Kapital auch den Klassenkampf vor, der sein soziales Wirken für Eigentum und Lohnarbeit beständig in Frage stellt, das Funktionieren der Gesellschaft stört. Keine seiner Leistungen für das Eigentum und für die Lohnarbeit schafft den sozialen Frieden, weil jede Maßnahme dem G e g e n s a t z , dem er seine Existenz verdankt, eine neue Verlaufsform und dem Kampf der Lohnabhängigen einen neuen Grund gibt.
So nimmt sich der demokratische Staat, der die Koalitionen der Arbeiter nicht verbieten will, weil die rücksichtslose Niederschlagung von Arbeitskämpfen die
Vermehrung des Eigentums ihres Mittels beraubt und Arbeiter zu Staatsfeinden werden läßt, des sozialen Konflikts an, indem er den Arbeitskampf gesetzlich regelt:
er toleriert ihn, indem er ihm Grenzen vorschreibt; bannt die von ihm ausgehende Gefahr für das Privateigentum, indem er ihn soweit zuläßt, wie er das Privateigentum
und seine Vermehrung als seine Schranke anerkennt. Den Arbeitern gewährt er die Koalitionsfreiheit und erläßt Gesetze über deren z u l ä s s i g e n G e b r a u c h . Aus den feindlichen Klassen werden S o z i a l p a r t n e r durch die Gewährung der Tarifautonomie, den Zwang, in Verhandlungen Tarifverträge abzuschließen, die der einen Seite die Möglichkeit geben, in Veränderungen des Produktionsprozesses die Konkurrenz der Arbeiter auf dem Markt und im Betrieb auszunützen, die andere Seite aber für die Laufzeit des Vertrages mit der Friedenspflicht beglücken. Damit nun nicht jeder neue Vertragsabschluß, in dem die Manteltarife - die Mindestbedingungen, unter denen die Arbeiter sich zu verkaufen berechtigt sind - festgesetzt werden, automatisch zu Arbeitsniederlegungen führt, macht der Staat aus seiner Abneigung gegen die unerwünschte Störung der Geschäfte sogleich Gesetze, die den Gewerkschaften Streikauflagen bescheren, ohne deren Erfüllung ein Streik zum Gesetzesbruch wird. Ein Streik muß s o z i a l a d ä q u a t sein, darf nicht auf Vernichtung des Sozialpartners abstellen (will heißen: seines Eigentums), und von der Rücksichtnahme auf Dritte die stets betroffen sind, muß er auch noch getragen sein. Wobei dem Rechtsstaat auch er selbst einfällt:
die Wirtschaftslage der Nation und überhaupt die FDGO setzen den Ansprüchen der Arbeiter auf die Veränderung des Verhältnisses von Lohn und Leistung Grenzen und lassen das Interesse an einem passablen Lebensunterhalt von vornherein nur b e d i n g t gelten. Während die ideologischen Fanatiker der Tarifautonomie in dieser den idyllischen Zustand einer N i c h t e i n m i s c h u n g der öffentlichen Macht in den Tarifkonflikt erblicken, zeigt das Tarifvertragsgesetz mit jedem Paragraphen, daß die vielgepriesene Tarifautonomie die Verrechtung des gewerkschaftlichen Kampfes darstellt, also die E i n m i s c h u n g des Staates in den vorgefundenen Klassenkampf ist, die seine Austragung zu einer Sammlung von Pflichten für die Koalitionen der Arbeiter macht.
Die vorliegende Analyse unterscheidet sich erheblich von den Schriften, die seit einem Jahrzehnt als Beitrag zur "Staatsableitungsdebatte" erscheinen. Sie i s t nämlich die Staatsableitung, beendet also jene unselige Debatte für all diejenigen, die ein Interesse an der Erklärung des Staates haben, weil sie objektives Wissen brauchen über Grund, Zweck und Verlaufsformen der politischen Herrschaft im Kapitalismus. Der Unterschied zur Literatur ü b e r die Staatsableitung, insbesondere zur Literatur über die einschlägigen Projekte, ist nicht schwer festzustellen, weswegen eine kurze Zusammenfassung genügt, um den Lesern Enttäuschungen zu ersparen.
Vorenthalten werden ihnen zunächst einmal Erörterungen über die Schwierigkeiten, die einer Ableitung des Staates im Wege stehen. Die methodologischen Veranstaltungen, mit denen linke Intellektuelle der Durchführung einer Staatstheorie ausweichen, fehlen gänzlich. Es wird also nicht im Jargon bürgerlicher Wissenschaftstheorie die Frage zum dreitausendsten Male gestellt, ob und wie eine Staatstheorie möglich sei; es werden auch keine Probleme problematisiert" welche von irgendwelchen Kategorien, Dimensionen, Ebenen der Theorie herstammen sollen und ihr Verhältnis zur "Empirie" und Geschichte zu hinterfragen gebieten. All diese "Ansätze" und "Fragestellungen" erfinden ja mit allerlei komplizierten Bedingungen, die den Staatstheoretikern angeblich das Leben so schwer machen, nur die Unmöglichkeit, zu einem objektiven Urteil über den im Titel erwähnten Gegenstand zu gelangen. Inzwischen ist man auch unter Linken dahin übereingekommen, das eigene Desinteresse an objektiver Wissenschaft zu einer "Schwierigkeit" umzulügen, die man dann auch noch der Sache, die man bespricht und doch nicht erklären will, als Eigenschaft andichtet - bis hin zu der genialen Leistung, den Staat als "komplex" und als "Struktur" vorzuführen.
Des weiteren hat uns im Unterschied zu denen, die uns der Arroganz bezichtigen, auch die Tatsache wenig belastet, daß d e r Staat gar nicht existiert, s o n d e r n nur "historisch gewordene" und höchst unterschiedliche Staatswesen. Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei all den Staaten eben um Staaten, und deren gemeinsame Prinzipien erklärt eine Staatstheorie. Daß sich an Besonderheiten Allgemeines nicht finden lasse, halten wir für ein Gerücht, welches die albernste Form der öffentlichen Abdankung eines Theoretikers darstellt. Diejenigen, die den Unterschied zwischen englischem und deutschem Recht, zwischen italienischer und deutscher Sozialgesetzgebung bemühen, um sich den Begriff von Recht und Sozialstaat zu ersparen, werden mit diesem Begriff auch keine Besonderheiten richtig
analysieren, weil sie ihn, wie er aus den westdeutschen Verhältnissen erschlossen wird, leugnen. Eine andere Abteilung linker Staatstheoretiker wird das Fehlen ihrer Fragestellungen ebenfalls registrieren, weil wir in theoretischen Angelegenheiten sehr dogmatisch sind und so praktische Erwägungen wie die Suche nach "Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Handelns" für den Auftakt handfester Ideologien erachten. Wir sorgen uns auch nicht um "Struktur- und Funktionsprobleme", die diese Leute am Klassenstaat entdecken, um sich dann mit ihren Alternativen der vermeintlichen Nöte des herrlichen Gemeinwesens anzunehmen. Wenn sie schließlich auch noch von der "Dialektik von Reform und Revolution" anfangen, behaupten wir glatt, daß eine Veränderung des Staates mit Blick auf seine Funktionstüchtigkeit nichts Revolutionäres und auch nichts Dialektisches ist, deshalb keinem Proleten etwas bringt, genauso wie die Theorie, die diesem Interesse an dialektischen Reformen dient.
Die These, daß der Staat s c h e i t e r t , wird man im folgenden auch nicht in einer anderen Version hören können. Wir wissen nichts von den guten Werken, die ihm aufgegeben sind und die er - sei es wegen seiner Abhängigkeit von ein paar Monopolisten, sei es wegen einem Defizit an Steuergeldern nicht ausführen kann. Deswegen ist unsere Analyse aber nicht unvollständig.
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Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei noch vermerkt, worum es unserer unmaßgeblichen Meinung nach bei einer A b l e i t u n g geht, was ja den methodisch interessierten Menschen so viel Kopfzerbrechen macht. Erstens ist eine Ableitung ganz dasselbe wie die Erklärung einer Sache, unterscheidet sich also nicht ihrem Inhalt nach von wissenschaftlicher Argumentation, wie sie sonst stattfindet, sooft einer nach Gründen sucht. Zweitens ist eine Ableitung eine Form der Darstellung, die dem Inhalt gefundener Erklärungen entsprechend die Gedanken ordnet. Nicht in der Reihenfolge ihres historischen Auftretens, auch nicht in der Art und Weise, wie man über die verschiedenen Momente einer Sache stolpert, werden sie behandelt, sondern gemäß ihrem Zusammenhang. Wenn die Untersuchung der Massenmedien z.B. den Grund dafür, daß es sie so gibt, wie sie sind, in der Verpflichtung der Bürger auf das Gewaltmonopol des Staates ermittelt hat, so kommt die Analyse der demokratisch bewerkstelligten Zustimmung zum Staat vor die Öffentlichkeit zu stehen. Die einzelnen Momente des erklärten Gegenstandes erscheinen als Grund füreinander, und jede Bestimmung des Staates nimmt die Stelle vor derjenigen anderen ein, welche sie n o t w e n d i g macht. Zum Verdacht idealistischer Konstruktion hat Marx das Nötige gesagt. In der Anwendung des Wissens über die Welt des Kapitals, in der Agitation derer, die diese Welt aus den Angeln heben sollen, sind dieselben Argumente fällig wie in der Ableitung nur nimmt die theoretische Auseinandersetzung mit dem Adressaten ihren Ausgang an dessen aktuellem Interesse: in unserem Fall an den Taten des Staates, mit denen er sich gerade herumschlägt, über die er ein falsches Bewußtsein hat und zu denen er sich praktisch so verhält, daß sein Schaden garantiert ist. Während in der Ableitung die Maßnahmen des Staates aus ihrem G r u n d heraus notwendig werden, wird in ihrer politischen Anwendung aus der aktuellen Kollision von Staat und Bürger deren Grund erschlossen. Dies zur Frage, inwiefern eine Ableitung eine theoretische Waffe darstellt und wer sie nicht brauchen kann.
3
Die Bestimmungen des Staates sind in Paragraphen gegliedert, die den allgemeinen Zweck der analysierten Maßnahme darstellen. In Zusätzen wird jeweils auf die Verlaufsformen dieser Maßnahme eingegangen, der entsprechende Gegensatz zwischen Staat und Bürger am Material der Bundesrepublik verfolgt; ein Verweis auf die historische Durchsetzung, d.h. auf die bestimmte Art der Kämpfe, die den heutigen Staat hervorgebracht haben, findet schon deswegen statt, weil es in der Linken üblich ist, alles gut zu finden, weil es erkämpft werden mußte: Die zum jeweiligen Stoff gehörigen Ideologien bilden den Abschluß des Paragraphen. Während die faschistischen Konsequenzen der Demokratie mitbehandelt werden, kommen die Besonderheiten von Nationen, die sich dem Wirken kapitalistischer Staaten nach außen verdanken, dort vor, wo sie in einer Ableitung hingehören, in der Fortsetzung staatlicher Gewalt zum Imperialismus.
Der bürgerliche Staat
Zum Inhalt
§ 1
Freiheit & Gleichheit - Privateigentum - abstrakt freier Wille
Der bürgerliche Staat ist die politische Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft. Er unterwirft die Agenten der kapitalistischen Produktionsweise unter Absehung von allen natürlichen und gesellschaftlichen Unterschieden seiner Herrschaft und gewährt ihnen damit die Verfolgung ihrer gegensätzlichen Sonderinteressen: Gleichheit & Freiheit. Er verpflichtet sie, die ökonomische Konkurrenz unter Respektierung des Privateigentums abzuwickeln: jeder wird gezwungen, die ausschließende Verfügung über den Reichtum der Gesellschaft anzuerkennen und zum Prinzip seines ökonomischen Handelns zu machen. Weil die Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft in der Verfolgung ihres individuellen Nutzens die - Schädigung der anderen betreiben, sind sie auf eine Macht angewiesen, die getrennt vom ökonomischen Leben die Anerkennung von Eigentum und Person garantiert. Ihren negativen Bezug aufeinander ergänzen sie um ihre gemeinsame Unterwerfung unter eine Gewalt, die ihre Sonderinteressen beschränkt. N e b e n ihren ökonomischen Geschäften sind sie politische Bürger, sie wollen die staatliche Herrschaft, weil sie ihren Sonderinteressen nur nachgehen können, indem sie von ihnen auch abstrahieren. Der bürgerliche Staat ist also die Verselbständigung i h r e s abstrakt freien Willens.
a)
Die erste Bestimmung des Staates, sein abstrakter Begriff, enthält zwar d e n Grund und damit auch d e n Zweck dieser Instanz, aber eben noch getrennt von den konkreten Formen ihres Bezugs auf die Bürger. Gerade in diesem abstrakten Begriff wird deutlich, daß die Realisierung von Freiheit und Gleichheit eine ungemütliche Sache ist, weil sie sich erstens ökonomischen Gegensätzen v e r d a n k t und zweitens eine mittels Gewaltmonopol erzwungene A u f r e c h t e r h a l t u n g dieser Gegensätze zum Zweck hat. Auch ohne Betrachtung der Ökonomie, der Produktionsweise, welche der Staat mit seiner Gewalt am Laufen hält, steht fest, daß er Klassenstaat ist: durch die g l e i c h e Unterwerfung aller garantiert er den Fortbestand aller kleinen und großen Unterschiede - es ist also auch keine Frage, wie der N u t z e n aussieht, den die verschiedenen Agenten der kapitalistischen Produktionsweise von ihm haben. Die Freiheit, die ihnen durch die Gleichbehandlung
seitens des Staates gesichert wird, besteht in der freundlichen Gewährung des Rechts, sich entsprechend den ökonomischen Mitteln, die sie haben oder auch nicht, ihren Anteil am Reichtum zu sichern - und zwar unter Respektierung anderer, die dasselbe auf ihre Kosten, gegen sie tun. Um dieser Freiheit willen geht es ihnen um den Staat, ohne den sie sich ihrer Mittel gar nicht bedienen könnten: vom praktischen Standpunkt erscheint ihnen die Staatsgewalt als Bedingung der freien Konkurrenz, also w o l l e n sie anerkannte Staatsbürger sein, weil sie es wegen ihrer ökonomischen Interessen sein m ü s s e n . Die Gemeinschaftlichkeit, der politische Wille aller im Staat beruht auf einer erzwungenen Leistung des einzelnen Willens, der wegen des privaten Nutzens, auf den es ihm ankommt, auch noch als abstrakt-allgemeiner Wille auftritt: "Die Trennung der bürgerlichen Gesellschaft und des politischen Staates erscheint notwendig als eine Trennung des p o l i t i s c h e n Bürgers, des Staatsbürgers, von der bürgerlichen Gesellschaft, von seiner eignen wirklichen, empirischen Wirklichkeit, denn als Staatsidealist ist er ein g a n z a n d e r e s , von seiner Wirklichkeit v e r s c h i e d e n e s , unterschiedenes, entgegengesetztes W e s e n . " (MEW 1/281) Was diese Leistung für die besonderen Charaktere der kapitalistischen Produktionsweise bedeutet, inwiefern und für wen sich der Staat durch Gewalt als M i t t e l betätigt, ist kein Geheimnis - die Unterwerfung aller muß denen zum Vorteil gereichen, die ökonomisch im Vorteil s i n d . Die folgenden §§ werden also zeigen, was der Staat den verschiedenen Klassen abverlangt und genehmigt, wenn er die freie Konkurrenz zu seinem Anliegen macht.
b)
Wenn der Staat gewaltsam die Konkurrenz regelt, um sie stattfinden zu lassen, so erhält er eine Ökonomie, in der die Abhängigkeit der Individuen in der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums so organisiert ist, daß sie sich in der Verfolgung ihrer Interessen wechselseitig die Teilnahme am Reichtum b e s t r e i t e n . Weil die Befriedigung eines Sonderinteresses das andere negiert, erfolgt die Unterwerfung unter seine Gewalt, und diese Unterwerfung hat für jeden einzelnen n e g a t i v e , a u s s c h l i e ß e n d e Bedeutung. Damit sind freilich die Kollisionen. nicht verschwunden, sondern so eingerichtet, daß sich alle vom Staat die Freiheit des anderen als die Schranke der eigenen vorschreiben lassen. Die Tatsache, daß sich die ökonomischen Subjekte eines gesellschaftlichen Zusammenwirkens befleißigen, durch das sie einander von den zu ihrer Existenz notwendigen Mitteln ausschließen, also beständig im Kampf miteinander liegen, behandelt die Staatsgewalt so, daß sie die Ausschließung g e b i e t e t und den Angriff auf die Mittel und Existenz des anderen v e r b i e t e t . Jeder muß mit s e i n e n Mitteln in Abhängigkeit von den anderen, die die ihren einsetzen, zurechtkommen; und der Erhalt neu produzierter Güter hat sich unter Respektierung von Eigentum und Person abzuspielen. Das Privateigentum, die ausschließende Verfügung über den Reichtum der Gesellschaft, von dem andere in ihrer Existenz abhängig sind, also Gebrauch machen müssen, ist die Grundlage des individuellen Nutzens und damit auch Schadens. Ihm verdankt sich die moderne Form der Armut, die sich selbst als Mittel fremden Eigentums erhalten muß, dessen Wachstum selbstverständlich dem Staat am Herzen liegt.
Schließlich sei noch erwähnt, daß das Privateigentum keine Frage von Zahnbürstchen und Limonade ist, obwohl es im Bereich des individuellen Konsums seine Wirkung zeitigt. Die Abhängigkeit von dem, was anderen gehört, spielt sich auf dem Felde der Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Reichtums ab.
Mit der ausschließlichen Verfügung über die Produktionsmittel und damit über die Produkte erhält der Reichtum die Gewalt, anderen die Existenz zu bestreiten.
c)
So wenig der von gegensätzlichen Klassen praktizierte Staatsidealismus eine Idylle darstellt, so wenig harmonisch verlief der freiwillige Zusammenschluß zum Staat,
die "Staatsgründung", die noch in jeder Nation bei der Wiederkehr ihres Datums als Anlaß zum Feiern genommen wird. Bürgerliche Staaten sind Produkte erlesenen Terrors, was von ihren Liebhabern nicht nur im Falle der französischen Revolution und der beinharten Einrichtung der Bundesrepublik vergessen wird. Das gemeinsame Interesse an der Beseitigung vorbürgerlicher Formen der Staatsgewalt, das die gegensätzlichen Klassen zum Kampf brachte, entsprang ja schon einigermaßen unterschiedenen Anliegen: die einen sahen im alten Staat und den ihn betreibenden Ständen ein Hindernis für ihre Geschäfte, die anderen kämpften um ihre Existenz, die sie durch Arbeit sichern mußten. Die Erreichung des gemeinsamen Ziels fiel selbstverständlich nicht zur Zufriedenheit beider Klassen aus, da die vom demokratischen Gemeinwesen geschützte Möglichkeit, sich im Dienst an fremdem Eigentum zu erhalten, schnell eine bittere Notwendigkeit wurde. Daß die Proleten, die die bürgerliche Republik erkämpften, den alten Staat beseitigen mußten, wollten sie leben, heißt eben nicht, daß sie sich im neuen Staat i h r Mittel geschaffen haben.
d)
Die Unzufriedenheit mit der harten Welt des Eigentums ist ein Springquell der beständigsten Ideologien: aus allen unangenehmen K o n s e q u e n z e n von Freiheit & Gleichheit, die in den nächsten Seiten noch zur Sprache kommen, pflegen Linke einen Hinweis zu entnehmen auf die mangelhafte Realisierung dieser beiden Ziele der französischen Revolution. Sie bezweifeln die R e a l i t ä t der Gleichheit vor der Staatsgewalt mit den merklichen Unterschieden in der Gesellschaft, machen aus Gleichheit ein I d e a l , dessen praktische Verwirklichung sie dem Staat anempfehlen und in ihm durchsetzen wollen. So wenig ihnen auffällt, daß eine g e w a l t s a m aufrechterhaltene F r e i h e i t irgendeinen Haken haben muß, so wenig gibt ihre Phantasie für die Vorstellung eines Gemeinwesens her, in welchem die Unterschiede zwischen den Leuten beseitigt werden. Diese Phantasie ist im Gegensatz zu linken Staatsidealisten recht populär und macht sich in literarischen sowie cineastischen Utopien genüßlich breit. Sie kontert auch im Munde von Politikern jede Kritik am Staat, wenn die G l e i c h m a c h e r e i großmütig abgelehnt wird. In solcher Kritik von Ansprüchen an den Staat wird um die rechte Begeisterung für ihn geworben, wobei über den abgeschmackten Vergleich mit früher und drüben auch der idiotische "Widerspruch zwischen Freiheit und Gleichheit" entdeckt zu werden pflegt: mehr vom einen muß angeblich mit einem weniger vom anderen erkauft werden, so daß man alles sowieso nicht kriegen kann und es am besten ist, die Unzufriedenheit bleiben zu lassen und sich der Realisierung des dritten Grundwertes, der Brüderlichkeit (modern: Solidarität) zu befleißigen. Hier zeigt sich, daß auch die Unzufriedenheit mit der Unzufriedenheit anderer das falsche Denken über die abstrakteste Bestimmung des Staates gehörig ankurbelt. Das Interesse am Staat, die positive Stellung zu ihm beschwört das g e m e i n s a m e A n l i e g e n und versucht, die offenkundigen Nachteile seines Wirkens mit einer Staatsableitung eigener Prägung als n o t w e n d i g e s Ü b e l akzeptabel zu machen. Die D e d u k t i o n d e s S t a a t e s aus der Menschennatur gehört zum Standardrepertoire jedes aufgeklärten Studienrates und Professors, wobei einmal die Gegensätze der kapitalistischen Gesellschaft bemüht werden, und nicht die liebenswerten Unterschiede. Die Deduktion übersieht, damit sie geht, - den Z w a n g z u r K o n k u r r e n z , den der Staat s e t z t , samt sämtlichen ökonomischen Eigentümlichkeiten, um das schiere G e g e n e i n a n d e r zum Ausfluß der M e n s c h e n n a t u r zu erklären: homo homini lupus, ergo müssen ein paar Wölfe für den Frieden unter den restlichen Wölfen einstehen, und das ist dann die notwendige staatliche Ordnung. Im Werkeltagsleben kürzt sich die Zurückweisung von Kritik, die ja das staatliche Wirken am Interesse mißt, ihn für sich als Mittel zu gebrauchen, auf die Bemerkung zusammen, daß Ordnung eben sein muß: wo kämen wir denn hin, wenn alles jedem gehört!
Die Bereitschaft, es im eigenen Interesse mit anderen aufzunehmen und zugleich für die Schranken Partei zu ergreifen, die von der Ordnung anderen gesetzt sind, lebt also in einer Demokratie. Auch in ihrer faschistischen Abwandlung, die das Konkurrenzinteresse tadelt und dem einzelnen gebietet, sein Trachten ganz im Gemeinwesen aufgehen zu lassen, was echte Freiheit wäre.
Die öffentlichen Festredner von Gleichheit & Freiheit, die im jeweiligen Staat die dem M e n s c h e n angemessene Sorte Ordnung erkannt haben wollen, finden die detaillierte Ausgestaltung dieser Frechheit wohlpräpariert in der wissenschaftlichen Literatur vor: keine Geistes- und Gesellschaftswissenschaft will es sich nehmen lassen, eine Definition des Menschen zu liefern, wobei die geringfügigen Variationen des Themas "Der Mensch ist von Natur aus ein Vieh, aber er zeigt sich gewöhnlich auch zu Höherem fähig!" dem jeweiligen praktischen Fachinteresse entspringen, welches an der Ausgestaltung des "Höheren" beteiligt sein will. Den Staatsbürger mit seinen beiden Seiten, dem M a t e r i a l i s m u s der Konkurrenz und dem von Abhängigkeit diktierten Staats i d e a l i s m u s , machen sie sich allesamt zum Anliegen, verfabeln ihn zur anthropologischen Konstante, so daß die Zurichtung des Willens als eine einzige B e s t ä t i g u n g der Menschlichkeit erscheint: psychologisch, pädagogisch, politologisch, betriebswirtschaftlich und literaturtheoretisch-linguistisch. Als ob die Anwendung der Wissenschaften nicht darauf beruhen würde, daß die Individualität der Leistung, von sich zu abstrahieren, manches e n t g e g e n s t e l l t ! Zur Sache mit den vielen Einzelwesen, die einen Staatsvertrag eingehen, steht bei Marx alles Wichtige; ebenso über die Rolle Robinsons in der Geistesgeschichte ! Die Würde des Menschen verlangt eben den wissenschaftlichen Staatsdienern auch das Ihre ab, zumal sie ja auch Kriterien dafür geben müssen, was von dem, das nur Menschen mit Staat im Kopf zuwege bringen, unter die Rubrik " u n m e n s c h l i c h " fällt.
§ 2
Souveränität - Volk - Grundrechte - Repräsentation
Der Wille zur politischen Herrschaft findet seine Erfüllung in der Souveränität des Staates. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus und entspricht seinem politischen Willen, indem sie ihn als das Allgemeininteresse g e g e n die Privatsubjekte durchsetzt. In der Verfassung werden die Beziehungen der Bürger untereinander bestimmt, und zwar in Form von gültigen Prinzipien staatlicher Gewaltanwendung.
Die Grundrechte setzen das Bürgern und Staat Erlaubte fest, definieren also die Pflichten, für deren Erfüllung professionelle Repräsentanten des Volkswillens sorgen. Die bürgerliche Gesellschaft erhält ihre Gegensätze durch die Scheidung ihrer Mitglieder in grundberechtigte Menschen und zur Gewaltanwendung verpflichtete Volksdiener.
a)
Der souveräne Staat ist von den Bürgern getrennte, selbständige Instanz, die mit keinem besonderen Interesse identisch ist und gerade und nur deswegen von allen anerkannte Gewalt ist, weil er s e i n Interesse, das Allgemeinwohl, gegen die Privatsubjekte durchsetzt. Indem er seine Gewalt dafür einsetzt, daß die besonderen ökonomischen Mittel nur gemäß seinem Interesse an Person und Eigentum verwandt werden, macht er sich den Interessen dienstbar, die der Verfügung über produktives Eigentum entspringen. Ihrem Inhalt nach ist seine Souveränität eine sehr relative Sache. Das gegen die einzelne Person und ihr Eigentum rücksichtslose Staatshandeln gilt der Funktion d e s Eigentums: nur durch seine Souveränität ist dieser Zweck gewährleistet. Diese wird erhalten durch den Willen des Volkes: der gemeinsame Wille mit dem Inhalt "Staat" macht aus den Individuen einer Gesellschaft ein V o l k , wobei sich dieser Wille in der B e s t ä t i g u n g der staatlichen Entscheidungen äußert. 0 b Staat sein soll, ist nie Gegenstand einer freien Entscheidung, sondern durch Gewalt entschieden. Alle wollen Repräsentanten, ob sie diese wählen oder ob sie vom Staat selbst eingesetzt werden; und ,im Namen des Volkes" sollen sie souverän handeln.
Der Schutz vor gewaltsamen Übergriffen der Privatsubjekte gegeneinander ist als Maxime staatlicher Souveränität Akt s e i n e r Gewährung. In den Grundrechten wird die negative Beziehung der konkurrierenden Privaten u n t e r e i n a n d e r in der Form von Rechten und Pflichten g e g e n ü b e r der politischen Gewalt fixiert. Nur soweit sie Pflichten gegenüber dem Staat auf sich nehmen, gewährt ihnen der Staat das Recht, freie Privatperson zu sein. Der Staat ist also Mittel der Gesellschaft, die er seiner Souveränität unterwirft und mit den Grundrechten'zu einer Wahrnehmung ihrer Freiheit anhält, die positiv zum Staat steht. Die Grundrechte formulieren allgemein gültige Beschränkungen: in der Form der Zusicherung dessen, was er alles darf, erfährt der Bürger, was ihm alles verboten ist, bzw. wie der Staat mit ihm verfahren darf - so daß jedes Grundrecht seine Bedingungen gleich mitformuliert. Die Wahrnehmung von Grundrechten muß stets mit dem staatlichen Eingriff rechnen, und dies umso mehr, je näher ein Grundrecht auf das Verhältnis Staat - Bürger abzielt. Die Grundrechte verpflichten, was Hegel wußte und dann lieber die Umkehrung zur Feier des Staates bemühte. Die Gleichung Recht = Pflicht besagt, daß der Staat seine Macht dafür einsetzt, daß jede Beziehung der Bürger staatlichen Grundsätzen genügt. Die Grundrechte werden auch Menschenrechte (im Unterschied zu Tier- und Pflanzenrechten) genannt, nach der Vorstellung, daß sie der Natur des Menschen gemäß seien. Die "Natur", die verlangt, ihn zu einem Grundberechtigten zu machen, ist die Welt der Konkurrenz, in der das Eigentum nicht viel von der gegenseitigen Achtung der Menschen übrigläßt. Die p o s i t i v e Bestimmung des M e n s c h e n , die ihm von Staats wegen beigebracht wird, ist ihrem Inhalt nach eine n e g a t i v e . Die Staatsgewalt sorgt für Konkurrenz und Rücksicht!
c)
Wenn die Staatsdiener - vom höchsten Politiker bis zum kleinsten Beamten - ihre Geschäfte ausführen, repräsentieren sie n e b e n der Gesellschaft das allgemeine Interesse, das i n ihr nicht existiert. Sie wirken f ü r die Privatsubjekte, indem sie ge gen sie vorgehen. Dabei zeichnen sie sich durch die Rücksichtslosigkeit aus, die dem guten Gewissen, als Staatsgewalt den Willen des Volkes geltend zu machen, eigen ist. Die individuellen Wünsche der Volksangehörigen, in deren Namen sie handeln, erscheinen ihnen als unberechtigtes Hindernis, weil die Souveränität des Staates mit Ihrer Durchsetzung zusammenfällt. Die Leistung der Repräsentanten ist andererseits nicht immer selbstverständlich, da auch sie individuelle Interessen haben und ihr Amt da manche Verlockung bereithält. Die unvermeidlichen Kollisionen von staatlichem und Privatinteresse in der Person des Staatsagenten sind der Grund für die Sicherstellung dieser Typen gegen die Fährnisse der Konkurrenz, aber auch für die Benutzung der Amtsgewalt für das Privatinteresse: Karriere, erlaubte Vergünstigungen und Korruption.
Jene, denen das Staatsamt schon in Fleisch und Blut übergegangen ist, die es also wissen müssen, warum sich eine kritische Stellung zum Staat nicht mit einer ordentlichen Pflichterfüllung im Amt verträgt, haben Berufsverbote erfunden, die es übrigens nicht nur bei den häßlichen Deutschen gibt. Staatsdienst ist eben kein Beruf wie jeder andere, auch nicht als Lokführer.
d)
Im Kampf um die Durchsetzung des souveränen Staates ging es darum, die Verschmelzung der politischen Gewalt mit Kirche, Adel und Grundeigentum zu beseitigen und die g e s a m t e Gesellschaft seiner Gewalt zu unterwerfen. Seine Entscheidungen wurden von besonderen Interessen (auch von solchen außerhalb seines Herrschaftsbereiches) gelöst; nur s e i n e n Bürgern, aber auch a l l e n , sollte der Staat verpflichtet sein und umgekehrt, so daß der Kampf um die Anerkennung von Person und Eigentum in Form einer Befreiung des alten Staats von seinen Abhängigkeiten stattfand. Im Namen der Volkssouveränität forderten die von der Staatsmacht nicht anerkannten Teile der Gesellschaft ihre Beteiligung an der öffentlichen Gewalt. Alle staatlichen Entscheidungsorgane sollten mit den Grundrechten alle Beherrschten achten, was die alten Souveräne nicht taten. Sie wurden beseitigt, und die Menschenrechtserklärungen waren der Auftakt für die Ausübung einer politischen Gewalt, die von Volksvertretern bestellt wurde. Aus denen, die Interessen g e g e n den alten Staat durchsetzten, wurden Repräsentanten dieser Interessen; nun sprachen und handelten sie nicht mehr f ü r die Anliegen ihrer Leute, sondern b e s c h r ä n k t e n dieselben mit allen Mitteln staatlicher Kunst.
Vom Standpunkt der Kämpfenden erschien deshalb mancher bürgerlicher Revolutionär nach dem Sieg als Verräter!
e)
Für den praktischen Bürgerverstand bildet die Unausweichlichkeit der Unterwerfung unter die staatliche Souveränität den Ausgangspunkt für Erwartungen und Enttäuschungen. S i c h s e l b s t fühlt er laufend über die Maßen in die Pflicht genommen, b e i a n d e r e n sieht er dagegen nur Rechte und beschwert sich über die bedenkliche Schwäche der Repräsentanten, denen er sonst auch einmal den Vorwurf des Machtmißbrauchs macht. So findet er sich ab mit der Verpflichtung auf die Grundrechte, indem er ständig kritisch über das Ausmaß staatlicher Einschränkungsvollmachten gegenüber anderen streitet, die ihre Grundrechte wahrnehmen. Sein Interesse an Herrschaft wird da oft enttäuscht, so daß er sich zum Begutachter der Führungsqualitäten und der Vertrauenswürdigkeit seiner Repräsentanten entwickelt, die der Bürger über sein mangelhaftes Zurechtkommen in dessen Grund verwandelt. Der Anspruch auf gebührende R e p r ä s e n t a t i o n des Staates ist alles andere als Auflehnung, was sich an der peinlichen Lübke-Kritik von Intellektuellen darbot. Er wird ergänzt durch die Einstellung, daß die Benutzung der Macht für das private Ansehen des Repräsentanten legitim und verständlich ist, wenn es der Sache des Staates dient. Die Öffentlichkeit beruhigt sich über die brutalen Seiten der Herrschaftsausübung auch mit dem Gemeinspruch Politik sei ein schmutziges Geschäft, und die Sorgen über die Schädigung des Staatsansehens bei sogenannten Skandalen verschwinden schlagartig, wenn die betreffenden Figuren ausgetauscht sind (Watergate, Filbinger, Kohl).
Die Propagandisten einer funktionierenden Herrschaft, die politischen Wissenschaftler, betrachten das Verhältnis Staat - Bürger streng funktional. An der Volkssouveränität gefällt ihnen die Gewaltökonomie, die S t a b i l i t ä t einer politischen Macht, die sich auf Zustimmung gründet. In ihrer Ableitung der Repräsentanten aus Raum, Zahl und politischem Reifegrad preisen sie das Ideal eines Volkswillens, der im Repräsentanten staatlicher Gewalt u n d im Bürger als Verantwortung existiert. Politologen machen beim Lob der Grundrechte stets den Übergang von der herrlichen Möglichkeit, freier Bürger zu sein, zur Notwendigkeit, die Freiheit auch richtig zu gebrauchen. Jede Grundrechtserläuterung geht auf die Abwägung, wieweit die Ausnützung der Verfassung erlaubt sein soll - andererseits ist der etwas anders geartete Umgang auswärtiger Staaten mit ihren Bürgern damit zu erledigen, daß sie die Menschenrechte verletzen. Die "Menschenrechtswaffe" zieht vor allem gegenüber revisionistischen Staaten, weil sie deren Zurückdrängen, das knallharte imperialistische Vorwärts, so schön moralisch untermalt.
Die l i n k e n Fanatiker des wahren Volkswillens landen mit derselben Waffe enorm moralische Schläge in die umgekehrte Richtung. Das ganze Jahr über fordern sie für Arbeiter und Bauern mehr Rechte, weil sie ihnen das Vergnügen gönnen, voll und ganz mit der Staatsgewalt eins zu sein. Der Haken an der öffentlichen Macht liegt für sie nämlich darin, daß diese unter dem Druck von Monopolen eine echte Vertretung des Volkes nicht sein kann. In die richtigen Hände gelegt, können sie ihren gesellschaftlichen Verpflichtung wieder nachkommen.
Die f a s c h i s t i s c h e n Kritiker wollen ebenfalls das Verhältnis Volk - Staat enger gestaltet sehen: an die Stelle der souveränen Macht, die sich der Konkurrenz nützlich macht, soll ein Souverän treten, der die Konkurrenz als Staatsdienst organisiert. Im Bezug auf die Freiheit des Privatinteresses, das vom Staat reguliert und anerkannt wird, erblicken sie eine Schwäche des Staates. Grundrechte halten sie für Fesseln seiner Gewalt statt für ihr Mittel, und die demokratischen Staatsagenten für schlappe, im Gegensatz zum wahren Volksgeist verkommene Typen, weil sie den Willen der Bürger zum Staat nicht getrennt von seinen Gründen - den Ansprüchen der Konkurrenz - zum Motor der Politik machen: der Privatmensch soll im Bürger aufgehen!
§ 3
Gesetz - Rechtsstaat - Demokratie
Mit der Verfassung genügt der Staat dem Interesse seiner Bürger an den Verkehrsformen der Konkurrenz und verpflichtet sich, alles, was er tut, in Form von Gesetzen zu vollziehen, deren Inhalt den Grundrechten zur Durchsetzung verhilft. Indem die Repräsentanten des Volkes ihr Handeln mit den Grundrechten legitimieren und es korrigieren, sobald es der Verfassung widerspricht, ist der Staat Rechtsstaat. Als solcher ist er vom Einfluß des privaten Willens auf sein Handeln emanzipiert und läßt seine Gewaltausübung nur noch an der Verfassung messen. Die Demokratie ist insofern die adäquate Verlaufsform des Verhältnisses von Staat und Volk, als sie die Identität des Volkswillens mit der Staatsgewalt abstrakt verwirklicht, also trennt von der Zustimmung der Privatsubjekte zu bestimmten Gesetzen und ihrer Ausführung. Hier ist nicht Zustimmung gefragt, sondern Gehorsam; und für den Fall, daß der ausbleibt, steht nicht der Staat, sondern der Rechtsstaat zur Disposition.
a)
A d ä q u a t e Staatsform ist die Demokratie darin, daß die Staatsgewalt den Bürgern immer, aber auch nur dann Beschränkungen auferlegt, wenn der Gebrauch ihrer Freiheit eine Verletzung der Freiheit anderer zur Folge hat: der Staat a n e r k e n n t die Besonderheit aller Privatpersonen, die er dem Gesetz unterwirft. Er verleiht seinen Gesetzen allgemeine Gültigkeit, bezieht a l l e Handlungen auf sich und verlangt keinem Interesse besondere Leistungen ab - außer eben die, welche sich aus dessen ökonomischen Mitteln ergeben. (Man wird sehen, wie gründlich er das tut!) Im Unterschied zum absolutistischen Staat bevorzugt er keinen Stand, keine Klasse; jedermann kommt in den Genuß aller Rechte und niemand hat P r i v i legien. Nicht durch seine P a r t e i n a h m e , seinen unmittelbaren Einsatz für das Interesse bestimmter Teile der Gesellschaft, wird er Diener einer Klasse - das allen garantierte Gesetz und die Gerechtigkeit organisieren den Vorteil der Stärkeren und den bleibenden Nachteil der minder bemittelten Bürger: der demokratische Staat vertraut auf die Macht des Privateigentums, er e n t s p r i c h t den gesellschaftlichen Verhältnissen, wenn er sie kodifiziert.
b)
Die Macht, mit der die Organe des Staates sich von der Gesellschaft ausstatten lassen, nicht anders zu gebrauchen, als es den Zwecken der Bürger gemäß ist, betrachtet der Rechtsstaat als eine Pflicht. Er kommt ihr nach, indem er seine Kollisionen mit den Bürgern dem Kriterium der Grundrechte unterwirft. Großzügig begnügt er sich mit den Beschränkungen der Bürger, die in der Verfassung enthalten sind. Legitimes Hinausgehen über die Schranken findet andererseits immer dann statt, wenn die Existenz des Staates selbst gefährdet ist: wenn die Unbotmäßigkeit der rechtmäßig gedeckelten Teile seines Volkes zur Gefahr für seine Souveränität wird, gestattet der demokratische Staat sich selbst, auf die Verletzung der Grundpflichten mit der Sicherung des Gemeinwesens ohne wenn und aber zu reagieren:
einer drohenden Mißachtung seiner Vorschriften begegnet er mit dem Vorwurf des Mißbrauchs der Rechte, die dann auch durch ihren konsequenten Ausbau geschützt werden müssen: Notstandsgesetze als rechtmäßige Vorbereitung auf den Ernstfall, in dem ein Staat, Rechtsstaat zu sein, sich nicht mehr leisten will !
c)
Die Staatsform der Demokratie ist mit all ihren hochgepriesenen Verkehrsformen die Institutionalisierung der Gegensätze zwischen Staat und Bürger. Sooft sich - die Bürger der staatlichen Gewalt als ihres Mittels versichern, erweist sie sich als dieses Mittel dadurch, daß sie der Freiheit des einzelnen Grenzen zieht. Die Abstraktion, die die Privatsubjekte an sich vollziehen, tritt ihnen als Zwang gegenüber, dem sie gehorchen müssen. Weil sie diesen Zwang zur Durchsetzung ihres individuellen Interesses benötigen, aber auch nur wegen d i e s e s Interesses akzeptieren, sind sie aufrechte Demokraten nur dort, wo die Tätigkeit des Staates s i e nicht beeinträchtigt. Gegenüber den Nutznießern von Rechten, die für ihn Pflichten sind, ist keiner mehr demokratisch eingestellt - da hat jedermann bessere Alternativen des staatlichen Zuschlagens zur Hand. "Anständige" Bürger plädieren mitten in der schönsten Demokratie für "einfachere" Formen der politischen Gewalt, während ein Argument g e g e n Herrschaft ganz unüblich ist. Die Staatsmänner erfahren umgekehrt, daß ihr Dienst am allgemeinen Interesse kaum jemals auf das Wohlwollen der Bürger stößt, die Befolgung sämtlicher demokratischer Prozeduren also ihrem Fortkommen gar nicht unbedingt dienlich ist: mit zunehmender Amtsdauer werden sie der demokratischen Legitimation vor lhren Bürgern müde und tragen das Grundgesetz nicht immer unter dem Arm. Wo es sich gut macht, sagen sie aber auch, daß ihre Macht demokratisch zustandegekommen ist.
Der abstrakte Begriff der Demokratie ist also für die Erklärung des Faschismus von einigem Nutzen. Diese alternative Form bürgerlicher Herrschaft ist nicht nur als Wunsch der Politiker u n d Bürger in der Demokratie ständig präsent, sondern auch praktisch fällig, wenn sich Bürger und Staat i n ihrem Gegensatz dahingehend handelseinig werden, daß die ineffiziente Herrschaftsausübung schuld daran ist, wenn im ökonomischen Leben einiges nicht geht. Ein ordentlicher Gebrauch der politischen Gewalt, dem sich die Befürworter mit über das demokratische Maß hinausgehender Opferbereitschaft verschreiben damit Schluß gemacht wird mit Nörglern, politisch und ökonomisch nicht bedingungslos leistungswilligen Bürgern, stellt sich da alsbald ein, zumal der Antifaschismus als R e t t u n g s p r o g r a m m der Demokratie den politischen Kampfmitteln derer nichts entgegenzusetzen hat, die eine Rettung der Nation vor Schädlingen andersherum anstreben. Die Legende von der extra chauvinistischen Fraktion der Bourgeoisie, die ein Volk von Edeldemokraten ver- und dann nur noch führt, die dann aber auch wegen des Kräfteverhältnisses zu ihren Machenschaften befähigt gewesen sein soll, zeugt selbst von der nationalistischen Verbeugung vor einer echten Demokratie, die dem realen Willen zum Opfer für die Nation nichts entgegensetzt als eine fiktive Identität von Volk und Staat. Im übrigen widerspricht der Übergang zum Faschismus keineswegs der Aussage, daß die Demokratie die adäquate Staatsform des Kapitalismus ist. Als Institutionalisierung der G e g e n s ä t z e "funktioniert" sie eben nur, solange die auf den rechten Gebrauch des Privateigentums verpflichteten Bürger o r d e n t l i c h konkurrieren, d.h. mit den diversen Resultaten ihrer Konkurrenz auch demokratisch z u r e c h t k o m m e n w o l l e n - weshalb man auch zur Demokratie erzogen werden muß und manche Völker von Demokraten noch gar nicht für reif befunden werden für eine so anspruchsvolle Staatsform. Diese Leute wissen sehr gut Bescheid über die faschistischen Verhältnisse, die ihnen auswärts gelegen kommen, wo sie sie erzeugt haben und bewahren wollen: die Kunst der Selbstbeherrschung gehört zur demokratischen Herrschaft, ist die in ihr hochgehaltene Kardinaltugend; ihrer Pflege sind die auswärtigen Formen der Armut, läßt man den freien Willen erst einmal zum Zuge kommen, eine schlechte Grundlage.
d)
Die Kollisionen zwischen Staat und Bürger, die sich bei der Unterwerfung unter das Gesetz unvermeidlich einstellen, führen auf seiten der Bürger je nach ihrem in politische Alternativen übersetzten Interesse zu komplementären Formen der Zustimmung und Kritik. Man kann
l. sich am Leben der Demokratie beteiligen, indem man Handlungen des Staates mißbilligt und dies so tut, daß man ihre Legitimität bezweifelt. Dabei trifft man auf andere, die für dieselben Maßnahmen Stellung beziehen und ihre Iegitimität betonen. Zustimmung und Kritik wechseln je nach dem Charakter des Gesetzes, um das gestritten wird, die Seiten.
2. die Vervollkommnung der Demokratie zu seinem Anliegen machen. Entweder man erfindet eine generelle Krise der Legitimität und verlangt mehr Rücksicht auf bzw. Agitation um die Zustimmung der Bürger; oder man bedauert, daß sich der Staat seiner existenten Legitimität zu wenig sicher ist und in einem fort sein Handeln an der Billigung der Bürger orientiert. So gibt es für die einen Feinde der Demokratie, für die anderen Feinde des Staates. Letztere haben es nicht ganz so leicht, deshalb beteuern sie ständig ihren Willen zum Staat, wenn es sein muß, auf öffentlichen Tribunalen.
3. sich als Gegner des demokratischen Staates betätigen, indem man seine Legitimität l e u g n e t . Während der Revisionismus die eindeutige Verteilung von Schaden und Nutzen im Volk zum Anlaß nimmt, den ständigen Mißbrauch der Zustimmung zur souveränen Gesetzesmacherei anzuprangern, also einen Staat propagiert, der sich an den "Interessen der Massen relativiert, sind Anarchisten mit der Entdeckung der Gewalttätigkeit des Staates gegen die Individuen zufrieden. Im Namen des Volkes messen sie sich auf diesem Felde mit dem Staat und müssen erfahren, daß der Volkswille der Gewalt der öffentlichen Instanzen durch aus wohlgesonnen ist: sie werden, weil in ganz anderer Weise von den Massen getrennt als die Staatsagenten, zu Gehetzten und Opfern, GSG 9 zu Helden der
Demokratie. Den Faschisten ist die Legitimität des Staats eine einzige Beschränkung für die Erfüllung seiner Aufgaben. Mit der prinzipiellen Zustimmung verlangen sie vom Bürger die bedingungslose Unterordnung, den Verzicht bei jedem Interesse, das den Staat beschränkt: Politik als rücksichtslose Ausrichtung des Volkes am Staatszweck, Volksgemeinschaft. Terror im Namen des Staates.
e)
Die Entstehung von demokratischen Staaten beruht darauf, daß zwischen Klassen mit gegensätzlichen Interessen e i n e Gemeinsamkeit existiert hat: ein Staat war für beide nützlich, der die Rücksichtnahme auf die eigenen Notwendigkeiten bei anderen erzwingt. Die Einheit zwischen Bourgeoisie und Proletariat war eine n e g a t i v e - sie richtete sich gegen einen Staat, der sich zum Werkzeug einer unproduktiven Klasse machte; in Amerika direkt S c h a f f u n g einer Obrigkeit.
f)
Die Verherrlichung der Demokratie hat mit ihrer Erklärung nichts zu tun, und sie bedient sich gewöhnlich des Verweises auf Vorteile, die nicht allzuvielen Bürgern zuteil werden; bei der Überlegung, wie sie zu verteidigen ist, ist man ohnehin nicht zimperlich. Ein Lob der Demokratie kommt am ehesten noch über einen "Vergleich" mit zeitlich (alle Phasen der Erdgeschichte ! ) oder örtlich (Hinterindien ! ) entrückten Zuständen zustande - wobei jegliche Kritik durch den Hinweis auf Schlimmeres für verfehlt erklärt wird. Meint man es mit dem Vergleich der bürgerlichen Demokratie mit vorherigen Verhältnissen ernst, so wird man im Fortschritt - Anerkennung des (abstrakt) freien Willens, Abschaffung persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse etc. - auch den Zwang entdecken, dem insbesondere die große Hälfte der freien Bürger da unterworfen wird: daß alle Freiheiten nur soweit reichen, wie der Staat es zuläßt, also ihre Einschränkung institutionalisiert wurde, ja daß mit ihrer Brauchbarkeit ihre Berechtigung steht und fällt;. Hierher gehören die beliebten Interpretationen des demokratischen Auftrags, an denen neben Journalisten vor allem die Revisionisten inner- und außerakademisch rege teilnehmen; bei der Bewährung der einschlägigen Deutungskünste spielt das Hin und Her zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine gewaltige Rolle - zu viel oder zu wenig Demokratie wagen, erkämpfen, leben ...
§ 4
Recht - Schutz von Person & Eigentum - Moral
Die legitime Gewalt des Staates unterwirft die Bürger dem Gesetz. Der Staat verschafft dem Recht Geltung und zwingt sie dadurch zur wechselseitigen Anerkennung ihres freien Willens. Die Rechtspflege sorgt für den Schutz von Person und Eigentum sowie für die Souveränität des Staates. Sie e r h ä l t die Konkurrenz, indem sie die Freiheit der Privatsubjekte von der Übereinstimmung ihrer Handlungen mit dem Recht abhängig macht. Der Staat beurteilt alles, was die Bürger tun, danach, ob es dem Gesetz entspricht, und verleiht seinem Urteil Gültigkeit, indem er das verletzte Recht w i e d e r h e r s t e l l t . Durch die Macht des Staates ist den
Handlungen der Bürger das Gesetz immanent, so daß die Bürger dessen Gebote als sittlichen Maßstab anerkennen, den sie an sich selbst und an andere anlegen: Moral.
a)
Wenn der Staat den freien Bürger, seine Persönlichkeit und sein Eigentum s c h ü t z t , indem er ihn beschränkt, dann b e r u h t er n i c h t n u r auf den Kollisionen der Konkurrenz; die Erhaltung der Gesellschaft, in der die Vermehrung von Eigentum, die Erweiterung der Sphäre persönlicher Freiheit, andere von der Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum ausschließt, bildet auch den einzigen Zweck des bürgerlichen Staates. Indem er seine Gewalt dafür einsetzt, daß von keiner Seite Übergriffe auf die Person und das ihr gehörige Eigentum stattfinden, sorgt er für die Bewahrung der Unterschiede, die er im ökonomischen Leben vorfindet. und für eine Austragung der darin enthaltenen Gegensätze, deren Resultat von vornherein feststeht. Daß die g l e i c h e Behandlung der mit unterschiedlichen Mitteln ausgestatteten Kontrahenten die beste Gewähr dafür bietet, daß die U n g l e i c h h e i t fortbesteht und wächst, will den Fanatikern der Gleichheit nicht in den Kopf. In der Gleichheit sehen sie kein Gewaltverhältnis, sondern ein Ideal, an dem sie die gesellschaftlichen Unterschiede messen.
Die Praktizierung dieses Ideals, die sich der Staat angelegen sein läßt, ist im Gegensatz zu solchen Auffassungen kein Unrecht, sondern der Rechtszustand. Durch den Vergleich der Handlungen von Privatpersonen mit dem Inhalt des Gesetzes erreicht der Staat, daß die Freiheit des einzelnen am Eigentum des anderen aufhört.
So unterscheidet sich das Urteil im Recht wesentlich von dem in der Wissenschaft. Während das Urteil der Wissenschaft die Theorie über einen Gegenstand, seine Erklärung, darstellt, als Gedanken festhält, was er i s t , hat das juristische Urteil mit der Erklärung der Handlungen, die es betrifft, nichts gemein. Was Recht ist, beschäftigt den Juristen überhaupt nicht - er weiß, daß es das Recht g i b t in Form von Gesetzen, die sich nicht wissenschaftlichen Anstrengungen, sondern Gesetzgebungsakten der Staatsgewalt verdanken; und er hat nur ein Anliegen: die Handlungen der Staatsbürger daraufhin zu untersuchen, ob sie dem geltenden Gesetz ent- oder widersprechen, und durch seine theoretische Subsumtion von "Fällen" unter das Gesetz deren praktische Subsumtion vorzubereiten. Seine Urteile sind kein Wissen, sondern Vergleiche, Abstraktionen vom konkreten Inhalt der Handlungen durch ihre B e z i e h u n g aufs Recht, denen durch gewaltsames Vorgehen gegen die Individualität o b j e k t i v e G e l t u n g verschafft wird: Polizei und Justiz.
c)
Mit dem Schutz von Person und Eigentum sichert der Staat dem einzelnen eine Sphäre der Freiheit, die ihm bei der Verfolgung seiner besonderen Anliegen Grenzen
setzt. Die Betätigung des freien Willens ist abhängig vom freien Willen anderer; sie wird daher rechtlich geregelt, der Staat schreibt den Bürgern die Form vor, in der sie miteinander zu verkehren haben. Die Realisierung ihrer privaten Interessen ist ihr Recht, d.h. unter der Bedingung gestattet, daß sie dem Gesetz nicht widerspricht.
Der Staat setzt sein Gewaltmonopol dafür ein, daß die Kollisionen zwischen den Interessen in der Gesellschaft ohne Gewalt ausgetragen werden: die Unterwerfung aller Handlungen unter das Gesetz ist die Grundlage für die bürgerliche Definition der Gewalt als unrechtmäßiger Handlung, die manch staatstreuem Zeitgenossen die kapitalistische Gesellschaft als Idylle erscheinen läßt. Vor lauter Freude über das Gewaltmonopol des Staates vergißt der bourgeoise Verstand leicht, daß in der Geltung des Gesetzes die Abwicklung a l l e r Geschäfte die Unterwerfung unter die Staatsgewalt einschließt, das Interesse an Freiheit auch eines an Gewalt ist.
1. Im Zivilrecht bestimmt der Staat die Beziehungen der voneinander abhängigen Privatpersonen aufeinander. Er setzt Normen für die Handlungen fest, die aus der Betätigung der Freiheit der Person und der Nutzung des Eigentums erwachsen. Er bestimmt
- die Bedingungen, unter welchen jemand als Rechtssubjekt gilt und als solches Rechtsgeschäfte abschließen kann, d.h. wann und wieweit der Wille eines Menschen
von anderen respektiert werden muß, was also in der bürgerlichen Gesellschaft nicht zu den Selbstverständlich keiten zählt: Personenrecht;
- die Abwicklung von Rechtsgeschäften, ihre verschiedenen Arten, den Modus ihrer Durchführung sowie ihre Konsequenzen: weil die Privatsubjekte bei ihren Geschäften mit anderen nur ihren Nutzen im Auge haben, muß der Staat ihnen die Grundform rechtlichen Verkehrs, den Vertrag aufherrschen, und zwar durch penibelste Vorschriften bezüglich aller zum Vertrag gehörigen Momente. Das Gesetz definiert, was als Willensäußerung gilt, wann eine Willensäußerung gültig ist, was diese Gültigkeit impliziert (Schuldleistung) und w i e das Leistungsversprechen einzulösen ist - und weil jeder Kontrahent dem anderen nur Mittel für den eigenen Vorteil ist, muß der Staat auch dafür sorgen, daß seine Bürger nicht über Gegenstände und Leistungen kon trahieren, die sich ihrer Verfügung entziehen. Gewaltsam bringt er ihnen den ausschließenden Charakter des von allen begehrten und ge schätzten, deshalb stets mißachteten Privateigentums bei: Schuld und Sachenrecht;
- die Verhältnisse von Person und Eigentum, die sich aus ihrer Infrage stellung in der Beziehung der Geschlechter und zum Kind ergeben. Diese Beziehung bedarf gesonderter Regelungen, weil sich Mann, Frau und Kind vor lauter Liebe ihrem Dasein als Rechtspersonen ent gegenstellen. Der Staat zwingt sie zu einer Teilung und Gemein schaftlichkeit von Rechten und Pflichten auch in dem Bereich, indem sie die wechselseitige Ausschließung aufgrund individueller Zuneigung aufgeben. Damit erklärt er die Sphäre häuslichen Glücks zu einem geregelten Nützlichkeitsverhältnis, weswegen der Bruch des Sakraments auch seine weltlichen Seiten hat. Vor dem Höchsten kommen niedere Instanzen!: Familienrecht;
- die Verhältnisse von Person und Eigentum, die sich aus dem Tod von Eigentümern ergeben. Er garantiert den Fortbestand des Nutzens, den das Eigentum
innerhalb der. Familie erfüllt, und beschränkt daher die freie Verfügung über das Privateigentum durch Testamente, was bereits zu Lebzeiten in diversen Verboten antizipiert wird: Erbrecht.
2. Im Strafrecht regelt der Staat die Wiederherstellung des verletzten Rechts. Im Unterschied zur Festlegung privater Ansprüche, die im Zivilrecht normiert ist und auf die Durchsetzung rechtmäßiger Verhältnisse zielt - es soll nichts Unerlaubtes geschehen - geht es hier um die Reaktion des Staates auf Handlungen, die das Gesetz brechen. Indem diese Reaktion selbst als fester Bestandteil des Gesetzes erscheint, als Kodifizierung des Verbrechens (nullum crimen sine lege), verliert der Schutz des Gesetzes den Schein der Idylle, der ihm mit Hilfe des Vergleichs mit früheren Zuständen angedichtet wird. Wenn die Wiederherstellung des Rechts nichts
mit der Macht der privaten Willkür, die auf Verletzungen reagiert, zu tun hat; wenn sie Rache, Fehde, Duell etc. selbst als Unrecht behandelt und der Standpunkt der Justiz nicht der des geschädigten Interesses, sondern der des im Staat objektiven freien Willen ist, dann erhält das Recht eine Gesellschaft, in der jeder einzelne einem Prinzip entsprechend handelt, dem der Zwang zum Unrecht immanent ist.
- Das Schuldprinzip verlangt die Feststellung nicht nur des Vorhandenseins eines freien Willens beim Täter (Zurechnungsfähigkeit), sondern vor allem den Nachweis, daß die inkriminierte Handlung eine desjenigen freien Willens war, der sich dem Recht unterworfen weiß, das er bricht: Vorsatz - Fahrlässigkeit.
Verbrechen können nur von Leuten begangen werden, die dem Gesetz gehorchen.
- Entsprechend richtet sich die Strafe, die das Gesetz wiederherstellt, gegen ihn; sie ist Gewalt gegen Person und Eigentum, und darin dem Schuldigen (Geständnis) gemäß. Prävention und Resozialisierung sind vom Zweck der Strafe abgeleitete Zielsetzungen, die das Bewußt sein verraten, daß Strafen mit der Verhinderung des Unrechts nichts zu tun haben - was freilich die soziologischen Befürworter nützlicher Strafen nicht interessiert.
- Wenn bei der Bestimmung des Strafmaßes für verschiedene Vergehen scheinbar widersprüchliche Maßstäbe angelegt werden (z.B. Wirtschaftskriminalität - Raub), dann belegt dies nur das unterschiedliche Interesse des Staates an den Delikten. Und wenn bei der Beurteilung der Willentlichkeit einer Handlung Affekt zum mildernden Umstand wird, konzediert das Gesetz die traurige Realität der bürgerlichen Gesellschaft: es bedarf einiger Willenskraft, um die Beschränkungen durch andere zu ertragen, weswegen auch der berech nende Wille, ansonsten sehr gefragt, als niederes Motiv zählt, wenn er das Gesetz bricht.
3. Die Unterwerfung der Bürger unter das Gesetz, das der Staat selbst macht, entsprechend dem Gesetz zu regeln, ist Gegenstand des öffentlichen Rechts: es befaßt sich daher mit der Verfassungsmäßigkeit von Form und Inhalt der Gesetzgebung und anwendung und betrifft so verschiedene Bereiche wie
- parlamentarische Prozeduren
- Gerichtswesen und Polizei
- Steuern
- Wissenschaft usw. usw.
Insofern sich der Staat in all seinen Handlungen dem von ihm selbst gesetzten Recht unterwirft, s i c h als Rechtssubjekt beurteilt, wenn er seine Gesetze erläßt (Legislative), Recht spricht (Judikative) und ausführt (Exekutive), eröffnet sich die sinnreiche Frage nach dem gewaltigen Nutzen der wechselseitigen Kontrolle der Staatsgewalten: Ideologie der Gewaltenteilung. (MEW 7/498)
d)
Die legitime Gewalt des Staates, deren beschränkende Wirkung auf die Interessen der Bürger hingenommen wird, ist Resultat von Auseinandersetzungen mit einem Souverän, dessen Macht über die Gesellschaft nicht mit ihrer Unterordnung unter die Zwecke der Gesellschaft einherging, welche den Rechtsstaat auszeichnet.
- Gegenüber einem Fürsten, dessen Wort Gesetz war, galt es die Allgemeinheit des Rechts, die Loslösung von seinem persönlichen Willen durchzusetzen: neben die Forderung nach Freiheit und Gleichheit tritt der Kampf um die Verpflichtung der Gesetzgebung auf den Willen des Volkes, um die Unterwerfung der Regierung unter
das Gesetz und die Unabhängigkeit der Gerichte: hier der Ursprung der Lehre von der Gewaltenteilung.
- Während in anderen Ländern sich das Bürgertum darin bewährte, diesen Kampf auszuführen, zeichnete sich Deutschland dadurch aus, daß es die Notwendigkeit des bürgerlichen Staats, der nicht zustandekam, durch philosophische Traktate über seine Ideale verkünden ließ. Die Aufklärungsphilosophie und Literatur propagierte den bürgerlichen Staat mit der Deduktion seiner moralischen Prinzipien: praktische Philosophie Kants/Fichtes.
- Die Entstehung der amerikanischen Demokratie unterscheidet sich von der Konstitution europäischer Demokratien dadurch, daß die Inbesitznahme des herrenlosen Landes, die daraus erwachsene freie Konkurrenz mit dem dazugehörigen Recht des Stärkeren die Bürger zwang, einen Staat zu machen. Der Staat war als Resultat der Aktivitäten der freien Eigentümer, die der Staatsgewalt nur soweit Hoheitsrechte übertrugen, wie es für die Konkurrenz nützlich erschien, von vornherein nur Mittel für die Interessen des Volkes: erste Demokratie mit ihren heute noch rauhen Sitten.
e)
Seines Vorteils wegen will der Bürger das Recht, das ihm zugleich als Beschränkung entgegentritt; mit seinem Nutzen muß er also auch seinen Verzicht wollen: Moral. Er rechtfertigt seine Unterwerfung unhr die Gewalt, die ihm schadet, mit dem Ideal dieser Gewalt und ergänzt den ihm auferlegten Zwang durch seine Tugend. So gehorcht er nicht nur dem Gesetz, er hat auch eine rechtliche Gesinnung, die ihn seinen Gehorsam ertragen läßt. Alle seine Handlungen mißt er am Ideal der Rechtschaffenheit, und weil er in der Verfolgung seiner Vorteile seine Pflichten beständig verletzt, tut er dies mit schlechtem Gewissen. Die Gewohnheit des dabei erreichten Vorteils mag ihn die Beurteilung seines Tuns als Gut oder Böse vergessen lassen, das Urteil smderer bringt sie ihm beständig in Erinnerung, ebenso wie er selbst den anderen gegenüber als schlechtes Gewissen fungiert: öffentliche Heuchelei. Hier gelingt der moralischen Betätigung der eindrucksvolle Nachweis, daß
das Gute nur Schein ist, und als Ideal die besten Dienste leistet, weswegen ein Idealist derjenige verächtlich genannt wird, der die Ideale zu praktizieren sich anschickt. Während die Biirger ihrer Jugend gestatten, gewissen Idealen anzuhängen - sie sind sich sicher, daß die harte Welt des Erwerbs auch die Begeisterung für die Ideale in die schlichte moralische Funktionalisierung derselben für den Eigennutz verwandelt -, wird ihnen der Moralismus Erwachsener zum lästigen Charakterzug. Einem Erwachsenen Idealismus bescheinigen heißt daher stets auch, ihn der Realitätsblindheit, untüchtigkeit bezichtigen, was auch gegenüber
Kommunisten üblich ist, solange sie keine Gefahr darstellen.
Die Moral ist also alles andere als ein überflüssiges Beiwerk im bourgeoisen Zirkus, sondem die Versubjektivierung des Zwangs, auf den man um des eigenen Erfolgs willen eingeht, die Einstellung, die man benötigt, um mit dem Verzicht, den der Erfolg fordert, zurechtzukommen. Sie überdauert sogar längere Perioden, in denen sich partout kein Fortkommen abzeichnet, und erweist sich als ihrem Zweck gemäß auf der Sonnen- wie auf der Schattenseite der Gesellschaft. Den einen dient sie als willkommene Ergänzung ihres Vorteils - legerement verkünden sie, daß ihnen um Höheres zu tun sei, mit Sprüchen über das Gute, Wahre sowie Schöne; den anderen bietet sie in ihren vulgären Formen Trost angesichts ihres Elends; und beiden Seiten ist sie praktizierte Enthaltsamkeit in Sachen Veränderung.
So nimmt es nicht wunder, daß in der modernsten aller Gesellschaften radikale Kritik im Moralismus ihrer Adressaten eine harte Nuß zu knacken hat, und dies nicht nur im Moralismus als theoretischem, als Form des falschen Bewußtseins. Die Ideale des Altruismus, der Bescheidenheit, der Ehrlichkeit, des Mitleids, der Nächstenliebe etc. zu praktizieren, drängt es das Volk, von der Näherin bis zur Präsidentengattin; und alle tragen ihr Scherflein zur Krebshilfe bei; in der Aktion Sorgenkind kann man dasselbe mit dem Anreiz eines möglichen Gewinns tun. Sie versammeln sich in Vereinen zur organisierten Verdummung und Verwahrlosung der Jugend, in dem festen Glauben, hier hätten sie Gelegenheit zu dem, was ihnen das normale Leben versagt: Gemeinsamkeit der Zwecke mit anderen, Solidarität, Freundschaft - sie kompensieren den Zwang zur Konkurrenz gegen andere mit der widerlichen Vereinigung auf Basis ihrer Ideale, selbst dann, wenn sie ihr Idealismus weitere Opfer kostet.
Die Religion nimmt bei alledem den ersten Rang ein. Das Christentum ist von Marx als dem Kapitalismus entsprechende Religion bezeichnet worden. Der Kult des abstrakten Christenmenschen praktiziert die Vorstellung von Gott als dem obersten allmächtigen Richter, dem man so gut wie alles verdankt, von dem man andererseits auch nichts geschenkt bekommt - außer der Gnade, auf sich als Erbsünder höllisch aufpassen zu dürfen. Jeder sündigt, bekennt sich reumütig dazu und spielt sich ganz bescheiden als Richter über die Taten anderer auf. Kleine Unterschiede sind auch bei dieser Form der "geistigen Unterwerfung" in der Gemeinde Christi nicht zu übersehen: die einen predigen und erziehen anderen die gebotene Moral an, was ein echter Beruf geworden ist - die anderen machen sie sich zueigen, und ihre Heuchelei auf dem Felde christlicher Maßstäbe nimmt eher amateurhafte Züge an. Der neben dem Materialismus der kapitalistischen Gesellschaft praktizierte Idealismus der Religion kann die schwindende Botmäßigkeit der Menschen - die aus der Kirche austreten, weil diese sich nicht auf die theoretische Propaganda der Moral beschränkt, sondern aus dem Glauben ihrer Gemeinde die Vorschrift zu weltlichem Engagement gemacht hat; der mangelnden Attraktivität säkularisierten Glaubens entspricht die Einmischung der Institution quasi als Interessenverband - umsomehr verkraften, als der Staat im christlichen Krankenpfleger und Jugendpfarrer längst die nützliche Seite des Glaubens entdeckt hat und Kirchensteuer verlangt. Der Eifer christlicher Caritas gestattet ganz nebenbei den Haß gegen Leute zu erwecken, die weder tierlieb sind noch praktisch den Fortbestand des bürgerlichen Elends unterstützen, indem sie die anderen abverlangten Opfer um ihr eigenes bereichern.
f)
Die Logik des moralischen Denkens entspricht seinem Grund, dem Preis der Unterwerfung unter den Staat den man für die goldene Freiheit entrichten muß. Wo der mit den staatlichen Einschränkungen einverstandene Bürger anderen gegenüber seinen Vorteil herausschlagen will, kommt er ihm mit d e s s e n e i g e n e n N a c h t e i l daher sowie der Herleitung eines a l l g e m e i n e n Schadens, der sich einstellt, wenn sich der Kontrahent von dem nicht abbringen läßt, was er vor hat. Die Normalform der Mißbilligung unterscheidet sich erheblich von Kritik: an den Zwecken, die in unserer schönen Gesellschaft von Staats wegen gebilligt und verordnet werden;sie richtet sich stets g e g e n die Freiheit anderer und will sich die existente Gewalt nützlich machen. Dies ist übrigens nicht nur in den kleinen zwischenmenschlichen Ekelhaftigkeiten üblich, sondern auch bei der öffentlichen Verhandlung von Grundsatzfragen d e r Lebensordnung und was sich generell so gehört. Während die Gesellschaftstheorie des anständigen Bürgers starke Übergänge zur faschistischen Verurteilung selbst noch der kleinsten Freiheiten, die sich einer herausnimmt, aufweist ("Wo kämen wir denn hin. wenn das alle täten!"), macht die revisionistische Moralphilosophie die Aufteilung der Bürger und ihrer Handlungen in nützlich/gut - schädlich/böse etwas anders. Der feste Standpunkt der Massen hat freilich mit Marx nichts zu tun, obwohl der als Berufungsinstanz herangezogen wird: der Klassiker hat das K a p i t a l und deswegen die Kapitalisten kritisiert, ist daher auch nicht auf Bündnisse mit süßen kleinen Kapitalisten verfallen. Auch waren die Massen bei ihm nicht entrechtet und gut und das Finanzkapital (ein schöner Berührungspunkt mit den Faschisten!) nicht u n g e r e c h t wie auch sonst alles Unangenehme. Die moralische Gesellschaftskritik, die unter den Anmerkungen zur Ideologie bei jedem §§ zusammengefaßt wird, ist logisch
gesehen Quatsch erster Ordnung, aber ihre Wirkung als Beitrag zum geordneten Zusammenleben in einer Demokratie ist eine ungeheure - was die Spontaneisten aller Länder bemerken und betont u n m o r a l i s c h das Bedürfnis der Individualität kultivieren gegen deren Zähmung. An der bürgerlichen Integration der entsprechenden Einfälle - insbesondere in Sachen grüne Welt und Sexualität - beweist sich die T o l e r a n z der öffentlichen Ordnung: Ein klein wenig aus der Reihe tanzen geht - wenn's den Gang des Kapitals und des Staatslebens allerdings stört, gibt's Krach. Selbstverständlich gehören die Formen der Durchsetzung des Rechtsstaats ins Arsenal der Stereotype, mit denen ihm kritisch gehuldigt wird: Französische Revolution mit ihren großartigen Ideen, Kantische Philosophie mit ihrem moralischen Sternenhimmel und Wilder Westen sind bleibende Requisiten moderner Moral.
§ 5
Ideeller Gesamtkapitalist - Sozialstaat
Da der Staat seine Bürger durch die Unterwerfung unter das Gesetz zwingt, sich als Privateigentümer zu erhalten, ergreift er zusätzliche Maßnahmen, die garantieren, daß sich die Individuen trotz der Gegensätze der Konkurrenz entsprechend ihren Mitteln reproduzieren.
Die negativen Wirkungen der durch das Recht formell gesicherten Konkurrenz auf die Reproduktion der Bürger sind für den Staat Anlaß zu kompensatorischer Tätigkeit, die der Aufrechterhaltung der Eigentumsordnung dient. Diese Tätigkeit anerkennt die gesellschaftlichen Unterschiede im Eigentum und nimmt entsprechend den eigentümlichen Voraussetzungen der Staatsbürger den Charakter des Nutzens und Schadens an. Indem die Sicherung des Eigentums die seiner Unterschiede ist, was Sonderrechte erforderlich macht, erhält der Staat die Klassengesellschaft. Der ideelle Gesamtkapitalist, der den Eigentümern der Produktionsmittel allgemeine Voraussetzungen ihrer Konkurrenz bereitstellt, sorgt als Sozialstaat auch für die Erhaltung der Klasse, die keine Mittel hat, damit sie als Mittel des Eigentums tauglich ist.
a)
Die Sicherung des Privateigentums ist identisch mit dem den freien Individuen auferlegten Zwang, sich in der Beschränkung auf ihre Mittel, damit in der Abhängigkeit von den Mitteln der anderen, zu bewähren. Der gesellschaftliche Zusammenhang, den der Staat am Funktionieren erhält, beruht auf der Notwendigkeit jades einzelnen, sein Eigentum als Mittel für seine Reproduktion einzusetzen, indem er den Nutzen, den andere aus ihm ziehen können, für sich verwendet. Je nach der Natur dessen, worüber er ausschließlich verfügt, ist er imstande, sich einen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum zu verschaffen. Der Staat sorgt dafür, daß jeder mit seinem Privateigentum an der Vermehrung des Reichtums teilnimmt und nur entsprechend dieser Teilnahme sein Auskommen hat. Er ermöglicht den quantitativen Vergleich von qualitativ unterschiedenen Formen des Reichtums durch die Garantie eines objektiven Maßes: er ist verantwortlich für die Geltung und Bereitstellung des Geldes, des Mittels für den gesellschaftlichen Austausch, und bindet damit jede Tätigkeit seiner Bürger an die Verfügung über Geld. Keine Leistung und kein Gut, die nicht mit Geld und nur mit Geld zu erhalten sind.(Dies ist nicht die Erklärung des Geldes und daher auch kein "Verstoß gegen die Werttheorie"; die
Betrachtung des Geldes vom Standpunkt des Staates ist aber kenntlich als Grund für bürgerliche Geldtheorien und die Deduktion des Werts bei HEGEL. Vgl. Rechtsphilosophie § 63)
Die Staatsbürger unterscheiden sich sowohl nach der Größe ihres Einkommens wie nach der Leistung, die sie als Privateigentümer für ihr Einkommen bringen. Da für die Schaffung und Verteilung des Reichtums bereits vorhandener Reichtum, ,welcher die Form des Privateigentums besitzt, ebenso notwendig ist wie die productive Tätigkeit von Menschen, die die Freiheit der Person genießen, gelten in der bürgerlichen Gesellschaft so disparate Dinge wie die produktive Nutzung von Kapital/Boden und die Verrichtung von Lohnarbeit als g l e i c h b e r e c h t i g t e , objektiv anerkannte Weisen, sich ein Einkommen zu verschaffen. Die kompensatorische Tätigkeit des Staates wird dem Eigentümer von Produktionsmitteln ebenso gerecht wie denen, die keine haben. Die einen unterstützt er bei der Beseitigung von Schranken, welche die Gesellschaft der Nutzung ihres Eigentums entgegenstellt; die anderen weiß er zum rechten Gebrauch ihrer persönlichen Freiheit bezüglich des Eigentums an ihrer Arbeitskraft anzuhalten. Auch sie erzielen ein Einkommen, wenn sie ihre Dienste anderen überlassen und sich den Genuß ihrer Freiheit dadurch sichern, daß sie sie aufgeben. So erhält jedermann das, was sein Eigentum leistet - und neben der "Tauschgesellschaft" erfreut sich besonders die "Leistungsgesellschaft" so hoher Wertschätzung, weil viele nur sich selbst und ihre Konsumtionsmittel ihr eigen nennen.
b) Die Leistungen des Staates für die Eigentümer von Produktivvermögen
l. Da die Nutzung von produktivem Eigentum auf dem Handel zwischen den Besitzern der verschiedenen Produktionselemente beruht und Geschäfte zwischen Produzenten und Konsumenten einschließt, ist die Gesellschaft auf das Vorhandensein materieller Bedingungen der Zirkulation angewiesen. Der Staat sorgt für ein funktionierendes Verkehrs- und Nachrichtenwesen, welches als allgemeine Voraussetzung für die Mehrung privaten Eigentums dasselbe beschränkt. Da diese Einrichtungen allen Privateigentümern als Kosten erscheinen, jedem nur als Mittel für seinen individuellen Reichtum ein Anliegen sind, nimmt ihre Organisation die Form an, welche den Aufwand zu minimieren gestattet. Der Staat, der das Prinzip des privaten Gewinns schätzt, kompensiert entweder die mangelnde Rentabilität von derlei Unternehmungen - wegen der Größe des vorzuschießenden Kapitals sind es Aktiengesellschaften - oder betreibt den Bau und Betrieb von Verkehrswegen etc. unmittelbar in eigener Regie. Er unterstützt das produktive Eigentum, wenn er über den Preis für die Dienste oder über sein Defizit die Kosten dieser Unternehmung auf die gesamte Gesellschaft gleichmäßig verteilt.
2. Auf Grundlage eines nicht nur formell (rechtlich), sondern auch materiell gesicherten freien Warenverkehrs hängt die Erzielung von Einkommen durch das Privateigentum an Produktionsmitteln davon ab, daß die Unternehmer, konfrontiert mit einem beschränkten zahlungsfähigen Bedürfnis (Konkurrenz) ihre Produkte mit möglichst geringen Kosten herzustellen in der Lage sind. Die Größe des Gewinns bemißt sich an der Quantität der verkauften Ware, somit am Marktanteil, den sie mit ihren Produkten erobern, daher an der Billigkeit ihres Produkts. Die Senkung der Herstellungskosten pro Stück ist ihr Anliegen bei der Gestaltung der Produktion - die Erzielung des Gewinns ist bedingt durch den technischen Fortschritt im Einsatz von Arbeit und Material. Die Rentabilität des Privateigentums beruht auf der Anwendung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, auf Wissen, dessen Erarbeitung nicht im unmittelbaren Interesse des Unternehmers liegt, obgleich er seiner bedarf. Die Kenntnis von Naturgesetzen betrifft seine Reproduktion nur insofern, als sie ihm in Form besonderer Produktionsverfahren bzw. instrumente seine Produktionskosten vermindern helfen. Die Organisation naturwissenschaftlicher Forschung ist ein kostspieliges Geschäft ohne die geringste Garantie dafür, daß ihre Ergebnisse auch brauchbar sind für den Zweck der Unternehmung. Und weil es niemandem .auf Wissen über die Natur ankommt, jedem aber auf die private V e r w e n d u n g dieses Wissens, das seiner Privatisierung widerspricht, ist die Erkenntnis von Naturgesetzen auch kein G e s c h ä f t .
Die gesellschaftliche Notwendigkeit naturwissenschaftlicher Forschung, die nur als Bedürfnis nach ihrer p r i v a t e n N u t z u n g auftritt, zwingt den Staat zur Institutionalisierung der Naturwissenschaft g e t r e n n t vom materiellen Produktionsprozeß. Mit der Freiheit der Wissenschaft, der Ablösung der Naturerkenntnis von allen besonderen Interessen, sichert der Staat ihre Objektivität und schrankenlose Entfaltung, damit ihre Nützlichkeit für eine auf Naturbeherrschung angewiesene Produktionsweise.
Da die Institutionalisierung der Naturerkenntnis ihren Zweck und Grund in der U n t e r o r d n u n g gesellschaftlichen Wissens unter die Interessen des Privateigentums hat, ist der Staat auch bemüht, die praktische Anwendung der Naturgesetze erforschen zu lassen: Wissenschaft der Technologie. So schafft er die Möglichkeit der privaten Nutzung der Naturwissenschaft, deren tatsächliches Stattfinden allerdings den Kriterien der Rentabilität unterliegt (MEW 23/4l4, MEW 25/272). Anstrengungen und Kosten, die von seiten der Privatpersonen zur Entwicklung besonderer Produktionsverfahren unternommen werden, honoriert er:
Auftragsforschung und Recht auf zeitweilig ausschließlichen Gebrauch. Das Patent, ,geistiges Eigentum", bringt den Widerspruch privater Verfügung über gesellschaftliches Wissen ebenso zum Ausdruck wie Industriespionage.
Der Staatsbürger, der die Naturwissenschaft als unverzichtbares Mittel des Fortschritts schätzt und vom Nutzen ihrer Entdeckungen in Schule und Öffentlichkeit
beständig unterrichtet wird, erfährt neben den vielen praktischen Einrichtungen, die ihm zur Gewohnheit geworden sind und von der Leistungsfähigkeit von Wissenschaft und Technik zeugen, auch die Nutzlosigkeit und die Gefahren bei der Lösung d e r Probleme, die die bürgerliche Gesellschaft schafft. Weil die Naturwissenschaft Mittel für die ökonomischen Zwecke der Gesellschaft ist, werden ihr die positiven und negativen Wirkungen, die durch ihre Anwendung zustandekommen, gleich mit angerechnet. Weil sie dieses Mittel durch die Formulierung von Gesetzen ist, die Auskunft darüber geben, was mit natürlichen Gegenständen gemacht werden k a n n , wird i h r als der Voraussetzung für so manche Wirkung neben dem Lob auch Kritik zuteil, die nicht selten von Naturwissenschaftlern selbst vorgebracht wird. Schließlich ist es ihre Profession, mit ihrem Wissen der Gesellschaft und dem Gemeinwesen zu d i e n e n , sich n ü t z l i c h zu machen, so daß so manche "Wirkung" ihrer Anstrengungen in ihnen den Staatsbürger mobilisiert, - der sich, mit der Autorität des Wissenschaftlers gewappnet, zu politischen Fragen äußert und die Staatsmänner dafür tadelt, daß sie sich des Stands der Wissenschaft und Technik nicht ordentlich bedienen: T e c h n o k r a t e n , die Vorschläge zur effizienteren Steuerung der Gesellschaft machen; - der die negativen Wirkungen der kapitalistischen Anwendung der Technik auf die zwiespältige N a t u r zurückführt und die Zerstörung von Natur und Mensch zur unabwendbaren Begleiterscheinung des Fortschritts erklärt, also die Alternative konstruiert, so weiterzumachen und durch den Fortschritt die Wunden zu heilen, die er schlägt, oder auf alle möglichen Annehmlichkeiten zu verzichten und die nationale Wirtschaft, vor allem aber jeder sich selbst einzuschränken: Fortschrittspropaganda - Konzepte für energiesparendes Leben, wobei je nach Konjunktur die eine oder andere Ideologie öffentlich ausgeschlachtet wird (Vgl. Atomkraft-Debatte, in der Kritik am K a p i t a l kaum hörbar!);
- der die negativen Wirkungen auf einen Mangel der Wissenschaft zurückführt und dieselbe philosophisch-erkenntnistheoretisch in Frage stellt;
- der sich als Philosoph an der moralischen Aufrüstung beteiligt, Humanität und Frieden predigt und sagt, der Mensch wäre ein Stäubchen.
All diesen Varianten falscher Kritik an Staat, Gesellschaft und Wissenschaft liegt das Interesse an der besseren Nutzung der Naturerkenntnis durch die bürgerliche Praxis zugrunde - ein Interesse, dem die Unterwerfung der Wissenschaft unter das Prinzip des Privateigentums als das Selbstverständlichste gilt.
3. Die Anwendung des naturwissenschaftlichen und technologischen Fortschritts in der Industrie bedarf seiner praktischen Beherrschung durch Lohnarbeiter, die der Eigner von Produktivvermögen beschäftigt. Der Staat ergänzt die Institutionen der Forschung um die der Lehre und richtet Ausbildungsgänge für die in den besonderen Berufen erforderlichen Fähigkeiten ein. Da die Brauchbarkeit der vom Staat ermöglichten Qualifikation ihr Kriterium in den technischen Erfordernissen hat, die die Nutzung des Eigentums gebietet, garantiert das Ausbildungswesen weder den Ausgebildeten ihren Einsatz noch dem Kapital ihre productive Verwendung. Daher liegt die Durchführung der Ausbildung - von der Allgemeinbildung in der Volksschule über die Vermittlung von weiterreichenden Kenntnissen in den weiterführenden Schulen bis zur TH - auch nicht im unmittelbaren Interesse der Besitzer von Produktionsmitteln, so sehr sie ihre R e s u l t a t e als Voraussetzung ihrer Gewinnmacherei schätzen. Ebenso wie zu Beginn der industriellen Produktion die Einübung in eine beschränkte Tätigkeit im Rahmen ihres Betriebs ist den Unternehmern heute die zusätzlich zur staatlichen Ausbildung notwendige praktische Ausbildung für Spezialtätigkeiten ein notwendiges Übel, das ihnen der Staat per Gesetz aufzwingen muß und dem sie durch Ausbeutung der Lehrlinge sowie durch Ausbildungsverträge, die den Auszubildenden über die Zeit seines Lernens hinaus an den Betrieb binden, ihren Vorteil abgewinnen. Den an den Leistungen des Ausbildungswesens interessierten Bürgern sind die notwendigen Diskrepanzen zwischen Zweck und Mittel Anlaß zu ständigen Klagen über die schlechte Organisation des staatlichen Bildungswesens, die sich der Staat in seinen bildungsökonomischen Programmen auf seine Weise zu Herzen nimmt. Linke entdecken wegen ihres Ideals einer volksnützlichen Ausbildung in diesen Programmen einen vorzüglichen Beweis dafür, daß auch hier die Herrschaft der Monopole alles versaut.
4. Mit der Schaffung allgemeiner Voraussetzungen für die produktive Nutzung des Eigentums werden die Eigentümer nicht nur abhängig von dem Geschick und den Mitteln, durch die sie sich im Konkurrenzkampf bewähren - sie sind bei der Führung ihrer Geschäfte auch auf die Verfügung über gewisse unerläßliche Bedingungen der Produktion angewiesen, die sie auf dem Markt vorfinden müssen. Wo der Wettbewerb dazu führt, daß die entsprechenden Zweige nicht rentabel betriebenwerden können, sichert der Staat ihren Fortgang durch die Sozialisierung der Lasten, die das Eigentum nicht trägt. Er übernimmt (teilweise) die Kosten, die den Gewinn verhindern; im Interesse eines funktionierenden Eigentums ist es ihm eine "soziale Verpflichtung", in den Gang seiner Geschäfte einzugreifen: er subventioniert die Grundstoffindustrie, die Energieproduktion und die Landwirtschaft. Im äußersten Falle schreitet er zur Verstaatlichung, die freilich mit einem A n g r i f f aufs Privateigentum nichts zu schaffen hat.
Da die Industrie aus Kostengründen auf die Zerstörung der natürlichen Ressourcen keine Rücksicht nimmt, Naturwissenschaft und Technologie nur für die Befreiung der Produktion von natürlichen Schranken des p r o f i t a b l e n Einsatzes des jeweiligen Eigentums benutzt; und im Fortschritt:dieser Wissenschaften das Mittel besitzt, die Natur und das Menschenmaterial progressiv zu zerstören, zwingt der Staat die Unternehmer mit gebührender Verspätung zur Einhaltung von Umweltschutzvorschriften. Diese berücksichtigen die betriebliche Kalkulation, wimmeln deshalb von Ausnahmen und werden nur sporadisch durchgesetzt. Um die Verursacher der Schäden nicht zu schädigen, erhält der Staat durch seine eigenen Umweltschutzbemühungen mit gesellschaftlichen Mitteln dem Kapital eine brauchbare Natur und seinen Bürgern grüne Träume. Diese werfen dem Staat Versagen vor, wo er die rücksichtslose Ausbeutung der Natur plant und das Profitinteresse schützt und deswegen nicht nur bei der Atomenergie kalkulierte und nicht kalkulierte 'Risiken' und Katastrophen in Kauf nimmt.
Das Staatsbürgerbewußtsein entdeckt in diesen Aktionen je nach der gesellschaftlichen Stellung entweder einen Verstoß gegenüber den Prinzipien der freien Marktwirtschaft, einen ungerechte Schutz ökonomisch unfähiger Gruppen oder eine notwendige Verpflichtung, die sich der Staat durch seine Außenhandelspolitik und ihre zerstörerische Wirkung auf diese Gruppen auferlegt. Linke Menschen führen diese dem Schutz des Privateigentums gewidmeten Maßnahmen als Beweis dafür an, daß die kapitalistische Produktionsweise an ihren eigenen Agenten die Einsicht in die Überholtheit des Privateigentums erzeugt hat und verlangen vom Staat mehr Konsequenz im Vorgehen "gegen" dasselbe. In ihren Illusionen lassen sie sich noch durch die Klagen der Betroffenen bestärken, die dem Staat sozialistische Umtriebe vorwerfen.
5. Die wechselseitige Beschränkung, die sich Privateigentümer auferlegen, welche von der Vermehrung ihres Eigentums leben und in dieser Weise der Reproduktion nicht nur vom Staat anerkannt, sondern auch mit materiellen Voraussetzungen bedacht werden, regelt der Staat durch Sondergesetze, die die Respektierung des Eigentums anderer auch unter den besonderen Verhältnissen garantieren, die sich aus den Verkehrsformen des Gewerbes ergeben. Er erweitert die allgemeinen Bestimmungen zum Eigentum durch Gesetze, die es bei den Transaktionen, welche Für die Vermehrung von Eigentum durch Handel und Produktion notwendig sind, schützen. Welche dieser Sonderrechte einerseits im Zivilrecht getrennt, andererseits für sich als selbständiger Teil der Gesetzgebung erscheinen, ist für ihre Erklärung belanglos. Nationale Unterschiede!
- Der Kauf und Verkauf von Waren wird geregelt in Gesetzen, die festlegen, wer zum Handelsstand gehört und die ihm eigentümlichen Rechtsgeschäfte durchführen kann: mit dem Zweck des Eigentumswechsels kollidierende Umstände seiner praktischen Abwicklung (Kommissions-, Speditions-, Lager-, Frachtgeschäfte) sind als wechselseitige Verpflichtungen und Leistungen fixiert. Da die Unabhängigkeit von lokalen und zeitlichen Schranken des Handels mit einem ständigen Kampf um die Verteilung der dafür zu erbringenden Kosten einhergeht, beschränkt der Staat die verschiedenen Parteien so, daß die notwendigen Kosten Mittel für den Gewinn bleiben. Dasselbe gilt für den kaufmännischen Kredit, durch den sich die Privateigentümer in der Fortführung ihres Geschäfts unabhängig von der jeweiligen Verfügung über Bargeld machen; staatlicher Zwang zur Erfüllung von Zahlungsversprechen: Handelsgesetzgebung.
- Da die Vermehrung des Vermögens abhängig ist von der zeitweiligen Verfügung über die von den Banken verwalteten Vermögen anderer Eigentümer (Bankkredit), erwächst dem Staat die Aufgabe, die Gegensätze zwischen industriellem und Bankkapital so zu ordnen, daß die Gewinne der verselbständigten Geld-/Kreditinstitute sich als Mittel für die produktive Nutzung des Kapitals bewähren. Er schreibt den Banken vor, innerhalb welcher Grenzen sie ihren Nutzen auf Kosten der Unternehmungen verfolgen können, (Mindestreservesatz etc.) und verpflichtet die Unternehmen durch Bilanzierungsvorschriften auf den Nachweis ihrer Kreditfähigkeit: Bankgesetzgebung.
- Das Angewiesensein der Industrie auf das Eigentum an Grund und Boden, ihre Beschränkung durch andere Formen der Nutzung ruft auch den Staat auf den Plan:
mit dem Argument, bei Grund und Boden handele es sich um ein nicht beliebig vermehrbares Gut, läßt er hier keinen freien Markt zu und reglementiert die Verteilung von Boden auf die verschiedenen Weisen seiner Nutzung. Der Kommunismusverdacht anläßlich der Bodenrechtsreformvorschläge ist auch hier unbegründet, da die Übergriffe auf das Grundeigentum um des Privateigentums willen geschehen, an diesem also ihre Grenze haben: Raumordnung etc.
- Den Gefahren, die der produktiven Nutzung des Eigentums durch die Anstrengungen der Arbeiter (Koalitionen) drohen, - sie kämpfen um höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, was den Gewinn des Eigentümers verringert und die freie Verfügung über das Privateigentum infragestellt - begegnet der Staat mit Gesetzen, welche das Recht des Arbeiters auf seine persönliche Freiheit am Recht des Eigentums enden lassen. Daß die Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital die
Ansprüche der Arbeiter auf ein Maß begrenzt, das ihren Nutzen fürs Kapital sichert, heißt nicht, daß den Eigentümern von Produktionsmitteln an ihr etwas liegt; sie schließen sich zusammen und widersetzen sich den Regelungen des Lohnarbeitsverhältnisses, die ihnen Pflichten auferlegen und sich als Verluste niederschlagen - was Arbeiterfreunden als Beweis dafür dient, daß der Kommunismus im Kampf um Rechte der Arbeiter besteht: Arbeitsrecht.
- Mit Gesetzen gegen Wettbewerbsbeschränkung reagiert der Staat auf das Mittel des Zusammenschlusses, durch das sich Unternehmer Vorteile im Konkurrenzkampf sichern. Dieses Mittel wenden sie an, weil sie einerseits auf dem Markt (Preismechanismus) ihren Gewinn gefährdet sehen (Preisabsprachen), andererseits dem Zwang zur Billigkeit ihrer Produkte nur durch die Vergrößerung ihrer Anlagevermögen gehorchen können: die Größe des angewandten Kapitals ist entscheidend für die Konkurrenzfähigkeit; das Kartellgesetz richtet sich gegen die Wirkung von Absprachen und Zusammenschlüssen auf die freie Konkurrenz (andere werden an der Nutzung ihres Eigentums gehindert), anerkennt aber auch die Notwendigkeit durch die zulässigen Ausnahmen. Im Aktiengesetz schließlich gewährleistet der Staat das Funktionieren verschiedener Eigentümer als e i n Unternehmen, indem er sowohl die freie Verfügung über das Privateigentum sichert, das in einer Kapitalgesellschaft angelegt ist, als auch die Geschäfte der Gesellschaft vor der Willkür ihrer Teilhaber schützt: freier Handel mit Aktien, Haftungsbestimmungen usw.
6. Das Verhältnis des Staates zur herrschenden Klasse beruht darauf, daß er getrennt von ihr die Notwendigkeiten ihrer Konkurrenz berücksichtigt welche wegen des Konkurrenzinteresses der einzelnen Kapitalisten von ihnen selbst mißachtet bzw. nicht geschaffen werden. Indem der Staat die B e d i n g u n g e n ihres Geschäfts verwaltet, die für die Kapitalisten kein Geschäft s i n d , macht er sich als politische Instanz zum Durchsetzer des Klasseninteresses. Als ideeller Gesamtkapitalist ist er Mittel der herrschenden Klasse, was einschließt, daß seine Einrichtungen und Gesetze durchaus in Widerspruch zum Geschäftsvorteil einzelner Kapitalisten geraten. Nur Wohltaten, Geschenke und Hilfsmaßnahmen erwarten die Ritter des Privateigentums von seiten der öffentlichen Gewalt, und die kleinen Einschränkungen ihrer Akkumulation, die ihr Funktionieren sichern, bemüht der demokratische Staatsmann zum Beweis dafür, daß er nie und nimmer Agent eines Klassenstaates ist. Diese Ideologie liefert die Begleitmusik zum ständigen Antichambrieren von Geschäftsleuten bei kleinen und großen Amtsträgern, zum unentwegten Streit finanzgewaltiger Bürger um besondere Rücksichten. Die dazugehörigen Korruptionsskandale fallen meist recht mäßig aus, weil das demokratische Publikum diese Geschäftsgrundlage der politischen Karriere anerkennt: die Berücksichtigung ,der Wirtschaft' ist ja wohl das mindeste, was man von einem Staatsmann verlangen kann.
Die Schule der Superdemokraten ist da eine Ausnahme und außergewöhnlich listig auch ihre Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus. Den fertigen ideellen Gesamtkapitalisten von heute halten sie im Unterschied zum Staat von gestern für ein spätes Verfallsprodukt bürgerlicher Herrschaft. Das Gejammer über seine Hörigkeit gegenüber den Monopolen, die umgekehrt ungerechterweise die politischen Kommandohöhen erobert haben, weil sie ökonomisch aus dem letzten Loch pfeifen, bildet den Auftakt zum Programm der antimonopolistischen Demokratie - ein großartiges Konzept zum Ersatz des niedergehenden und funktionsgestörten Kapitalismus durch eine gesamtgesellschaftlich gesunde Herrschaftsform. Wie alle spätkapitalistischen Idiotien hat sich auch dieser Saubermannsgedanke pluralistisch breitdiskutiert, so daß seine Charakterisierung sicher als zu einfach zurückgewiesen wird. Deshalb sei noch einmal wiederholt, daß die Verschiedenheit dieser theoretischen Ansätze der Gemeinsamkeit ihres Interesses entspricht. Und dieses Interesse gilt nicht der Ausbeutung und ihrer staatlichen Verwaltung, sondern ihrer mangelhaften Organisation. Ein Blick über die Mauer verrät, daß ein reeller Gesamtkapitalist zwar eine staatsmonopolistische Demokratie inszeniert, die Effizienz des ökonomischen Systems aber nur in einem zustandekommt: in der Feier der Lohnarbeiter und ihres neuen Arbeitgebers.
Die faschistische Alternative entdeckt in der Einflußnahme der Kapitalisten - und besonders ihrer ,unproduktiven' Abteilung - ebenfalls den Ruin des Staates und den Niedergang des Volkes. Ihre Kritik an den Kapitalisten ist auch keine an der Ausbeutung, sondern am mangelnden Dienst, den die Praxis der herrschenden Klasse für die Stärke des Staates bedeutet. Entsprechend wohlwollend fiel der praktische Umgang mit den Bourgeois aus. Die staatlichen Bedingungen der Akkumulation wurden zur Verpflichtung auf eine bedingungslose Akkumulation im nationalen Interesse aus gestaltet, was sich die Geschäftsleute gern gefallen ließen, auch wenn gewisse staatliche Direktiven hinsichtlich des Gebrauchswerts dazugehörten.
c) Die Leistungen des Staates für seine lohnabhängigen Bürger
l. Die Bürger, die nicht aus der Verwendung ihres Eigentums ein Einkommen beziehen, sind auf einen für die bürgerliche Gesellschaft charakteristischen Gebrauch ihrer persönlichen Freiheit angewiesen; sie müssen nützliche Dienste für das Eigentum anderer verrichten, sei es unmittelbar in Produktion und Handel oder mittelbar in staatlichen Einrichtungen: Lohnarbeit. Ob sie damit ein Einkommen erzielen und wie groß dieses ist hängt davon ab, wieviel sie für ihren Arbeitgeber leisten (was nicht heißt, daß sie für ihre Leistung bezahlt werden). Sie konkurrieren als Anbieter ihrer Dienste um die vorhandenen Arbeitsplätze und die mit ihnen verbundenen Einkommen; sie vergleichen die Berufe an den Einschränkungen. die das Arbeitsverhältnis selbst und die Größe des Einkommens beinhalten, versuchen also in der Hierarchie der Arbeiten, die dem doppelten Maß von Anstrengung und Verdienst entspringt, einen möglichst hohen Rang einzunehmen. Da die Konkurrenz der Lohnarbeiter deren Eignung, entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten für die Berufe voraussetzt, die Erlernung solcher Kenntnisse jedoch keinen ökonomischen Nutzen bringt, organisiert der Staat das Ausbildungswesen neben der Konkurrenz und gestattet damit den Individuen vor dem Eintritt ins Erwerbsleben ihre Qualifizierung Für dasselbe: Das Recht auf Ausbildung, in dessen Genuß Kinder und Jugendliche gelangen, ist Für den Staat eine Veranstaltung, durch die er seine werdenden Bürger darauf verpflichtet, sich die allgemeinen, für alle Berufe gleichermaßen erforderten Kenntnisse anzueignen (allgemeine Schulpflicht) und anschließend seine Fähigkeiten für einen besonderen Beruf auszubilden, sich zu spezialisieren.
Da es in den Institutionen der Ausbildung um die Zurichtung der Jugend für nützliche Funktionen in Wirtschaft und Staat geht - ihre spezielle Anwendbarkeit ist Bedingung ihres Einkommens-, besteht der Zweck der Ausbildung nicht in der Bildung der Individualität, sondern in ihrer Beschränkung. Der Staat sorgt für Gerechtigkeit bei der Verteilung der Individuen auf die Hierarchie der Berufe, indem er den Zugang zu den verschiedenen Tätigkeiten von den Leistungen abhängig macht, die im Ausbildungsprozeß erbracht werden. Er regelt die Konkurrenz der Auszubildenden durch den institutionalisierten Leistungsvergleich. Prüfungen, beständige Bewertungen des in gewissen Zeiträumen beherrschten Wissens, entscheiden darüber, ob einer frühzeitig den Weg in die unteren Ränge des Berufslebens antreten muß oder an weiterführenden Ausbildungsgängen teilnehmen kann, die einen angenehmen Beruf und gute Bezahlung versprechen. So garantiert auch dieses Feld staatlichen Wirkens dadurch, daß es alle g l e i c h e n Bedingungen unterwirft (Chancengleichheit!), die Erhaltung der Unterschiede, welche die Betroffenen aufgrund der ökonomischen Verhältnisse ihrer Familie mitbringen.
Entsprechend seinem Zweck gliedert sich das Ausbildungswesen:
- Die für alle verbindliche Stufe der Elementar- und Allgemeinbildung, auf der die Schüler die für niedere Tätigkeiten notwendigen Kenntnisse vermittelt bekommen und dabei dem Ausleseprozeß für weiterführende Schulen unterzogen werden. Die für die Berufsausübung erforderlichen elementaren Fähigkeiten im Rechnen, Schreiben und Lesen sowie Naturkunde werden ergänzt durch die Vermittlung der Gesinnung, die man benötigt, will man sein lebenslanges Dasein als lohnabhängiger Staatsbürger ertragen.
- An diese Stufe schließt sich entsprechend der unter Beweis gestellten Leistung entweder die fachliche Ausbildung für eine Tätigkeit in der Produktion an, über deren Durchführung der Staat beständig in Konflikt mit den Unternehmen gerät, unter deren Kontrolle die praktische Unterweisung zwangsweise stattfindet: sie widersetzen sich einer allzu gründlichen und vielseitigen Lehre ebenso wie einer extensiven theoretischen Ausbildung, da es ihnen auf die möglichst schnelle Anwendung der Lehrlinge ankommt. Das unumgängliche Minimum an Fachkunde und staatsbürgerlicher Erziehung organisiert der Staat in seinen Berufsschulen.
Das Recht auf die notwendige Ausbildung ergänzt er um die Verpflichtung all derer, denen es um ihr berufliches Fortkommen zu tun ist, auf die Übernahme der damit verbundenen Lasten (Familie).
- Oder weiterführende Schulen, deren Absolventen in den Genuß gelan gen, mit zusätzlichen Ergebnissen der Wissenschaft vertraut gemacht zu werden, was einerseits Bedingung für eine Reihe höherer Berufe, ande rerseits Voraussetzung für eine wissenschaftliche Ausbildung an Hoch schulen ist. Auch in diesen Anstalten steht der gelernte Stoff nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem bestimmten Beruf, sondern fungiert als Material der Ausleseentscheidung und als Voraussetzung für die anschließende Spezialisierung.
- An den Hochschulen erfolgt die Ausbildung für Berufe, die spezielle wissenschaftliche Kenntnisse und ihre Anwendung verlangen: an den naturwissenschaftlichen Fakultäten geht es um die Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten, die für die Naturbeherrschung benötigt werden, an den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereichen um solche, die den zweckmäßigen Umgang mit den praktischen Problemen, dem Funktionieren der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Staates gewährleisten. Dafür taugt natürlich nicht objektives Wissen, sondern die instrumentelle Betrachtungsweise, die gemäß den Problemen bürgerlicher Herrschaftstechnik einzelwissenschaftliche Stand punkte ausgearbeitet hat. Ideologievermittlung ist also einziger Inhalt und Zweck universitärer Ausbildung in den Geisteswissenschaften. Zu gleich sorgt die universitäre Ausbildung Für die Befähigung, Wissenschaft selbst als Beruf zu betreiben.
Da der Staat seine Bürger darauf festlegt, sich durch die Spezialisierung auf einen bestimmten Beruf, durch die Nützlichkeit innerhalb eines festen Systems gesellschaftlicher Arbeit zu reproduzieren, und diese Festlegung durch die Konkurrenz innerhalb des Ausbildungswesens organisiert - der Ausleseprozeß ist ein negativer: geringe Leistung schließt von weiterer Bildung aus -, zwingt er alle zum Erwerb von und Interesse an Wissen in dem Maße, wie es für das Bestehen der
Ausbildung und für die Ausübung ihres Berufs erforderlich ist, und alles drüber Hinausgehende wird vom Standpunkt der Ausbildung wie der Auszubildenden überflüssig. So ist die bürgerliche Gesellschaft auf das Vorhandensein von Wissen angewiesen und an Wissen zugleich desinteressiert, weil es nur auf seine Nützlichkeit für die arbeitsteiligen Funktionen der Privatsubjekte ankommt. Daher schließt das Recht auf Ausbildung, das der Staat seinen werdenden Bürgern angedeihen läßt, seine Verpflichtung auf die Organisation von Wissenschaft getrennt von der Ausbildung ein - was sich bereits aus der Sicherung der produktiven Nutzung von Eigentum ergab.
Die Freiheit der Wissenschaft, ihr Schutz durch den Staat vor partikularen Interessen, die sich ihrer bemächtigen wollen, bedeutet also das Gegenteil von dem, was manche in ihr sehen möchten: einen Entzug wissenschaftlichen Tuns aus dem Bereich gesellschaftlicher Zweckbestimmungen. Sie stellt die der auf Konkurrenz beruhenden bürgerlichen Gesellschaft adäquate Organisationsform nützlicher Wissenschaft dar und garantiert die Erarbeitung des notwendigen Wissens wie seine
Unterwerfung unter die Praxis. Durch ihre Trennung von der Sphäre der materiellen Produktion ist die Wissenschaft dieser unterworfen.
Innerhalb des theoretischen Treibens macht sich dies als Nebeneinander richtiger Naturwissenschaft und falscher Geistes- und Gesellschaftswissenschaft geltend. Die Naturwissenschaften genügen durch die Aufdeckung der Naturgesetze und ihrer möglichen Anwendung den Erfordernissen der kapitalistischen Produktionsweise, die Selbständigkeit gegenüber den partikularen Interessen gewährleistet die Entstehung von objektivem Wissen, das zur Beherrschung der Natur taugt. Die Geisteswissenschaften entsprechen durch ihren parteilichen Pluralismus dem staatlichen Umgang mit Bedürfnissen, Willen und Interessen der bürgerlichen Subjekte. Sie sind also durchaus k r i t i s c h , wenn sie den partikularen Interessen Beachtung schenken und falsches Wissen hervorbringen, welches für die U n t e r w e r f u n g der Privatsubjekte unter die - selbstgemachten und unbegriffenen - Gesetze des Kapitals taugt. Wobei manche sich und manche auch noch andere unterwerfen. Die Konkurrenz der Wissenschaftler um das karriereträchtige Ansehen innerhalb und außerhalb der Universität gewährleistet die Durchsetzung dieses Standpunkts, und wo vereinzelt polizeiwidrige Gedanken in Umlauf kommen, wird nicht mehr diskutiert.
Die bei der Anwendung falschen Wissens aufrechterhaltenen Kollisionen der bürgerlichen Welt nimmt sich die auf ihren Nutzen bedachte Wissenschaft so zu Herzen, daß sie auf ihre Nützlichkeit, d.h. auf s i c h s e l b s t r e f l e k t i e r t und in ihren wissenschaftstheoretischen Diskussionen zu dem gar nicht überraschenden Ergebnis gelangt, daß sie so sein muß, wie sie ist und ihr Pluralismus doch kein vollständiger sein darf: wirkliches Wissen k r i t i s i e r t die bürgerliche Gesellschaft - und seine Anwendung s c h a d e t ihr.
Der Staat, der die Freiheit der Wissenschaft und das Ausbildungswesen verwaltet, um sie der Gesellschaft nützlich zu machen, zählt aufgrund der bei diesem Geschäft auftretenden praktischen Schwierigkeiten
- welches Wissen für welchen Beruf
- wieviel Wissen für alle/bestimmte Berufe
- Verwandlung von Wissen in Lehrstoff
- Organisation der Zurichtung, die auf Widerstand trifft, weil sie als unangenehm, zu wenig nützlich, oder gänzl;ch un nütz angesehen wird
- Anpassung an den Arbeitsmarkt
zu den Hauptabnehmern sozialwissenschaftlicher Theorien, weswegen sein Standpunkt als übergreifender :i :n : diesen Theorien präsent ist. So liefert denn diePädagogik nicht, wie ihr Name vermuten ließe, die Antwort auf die Frage "Was ist Erziehung?", sondern eine Unzahl von praktischen Erwägungen über "Sinn und Zweck", Schranken und Möglichkeiten der Erziehung, Umfang und Nützlichkeit des Wissens für die moralische Erziehung, usw., die allesamt aus dem Zwangscharakter der Bildung einer verantwortlichen Persönlichkeit kein Hehl machen. Diese Wissenschaft bildet ein Konglomerat von psychologischen, motivationstheoretischen, soziologischen, anthropologischen, didaktischen und empirisch-sozialwissenschaftlichen Kalkulationen, die allesamt das Ziel verfolgen, mit den Widersprüchen der kapitalistischen Ausbildung fertig zu werden, ohne sie abzuschaffen.
Da der Staat mit der Realisierung des Rechts auf Ausbildung den Auszubildenden manche Opfer aufnötigt, vielen die bittere Erfahrung der Niederlage im Konkurrenzkampf noch vor dem Erwerbsleben zuteil werden läßt und selbst denen, die ihr Ausbildungsziel erreichen, nicht garantiert, daß sie ihre Fertigkeiten als Mittel für ihre Existenz einsetzen können (weswegen ihnen der Staat auch den dornenreichen zweiten Bildungsweg zu einer neuen Spezialisierung anbietet), zieht er sich den Zorn seiner Bürger zu, die enttäuscht auf der Tauglichkeit der Ausbildung, der sie sich unterwerfen müssen, als Mittel für i h r e Reproduktion beharren und im Ausbildungsziel Mobilität das Ideal der Vereinseitigung realisieren wollen. Daher gibt es die Klage über den Bildungsnotstand, sooft mehr Ausbildungswillige da sind als Ausbildungsplätze, wobei sich die Forderung nach mehr Förderung der Ausbildung als Sorge um die Konkurrenzfähigkeit der Nation moralisch untermauern läßt. Wenn der Zweck der Ausbildung: die Gesellschaft mit den Leuten zu versorgen, die sie braucht, den Staat Maßnahmen wie den NC ergreifen läßt, läßt der Gang vors BVG nicht lange auf sich warten. Mit dem Recht rebelliert man gegen Realitäten, deren Notwendigkeit in der Gewalt des Staates und deren Auftrag liegt.
Den Wirkungen der Konkurrenz im Ausbildungsbereich, d.h. der Chancengleichheit, hält man ebenso ihr Ideal entgegen und vergißt sogar, daß es bei einem Leistungsvergleich noch stets Gewinner und Verlierer gibt. So gelangt man schließlich zur Verfolgung der Anliegen, die längst die des auf Ausschöpfung der Bildungsreserven bedachten Staates sind. Kritische Menschen machen sich für die Beseitigung von Sprachbarrieren, die keine sind, stark, dichten die Einführung der Gesamtschule u.ä. ("Permeabilität" heißt das auch!), also die Verschärfung der Konkurrenz in den Gewinn von Freiheits- und Entwicklungsräumen für den einzelnen
um - und wundern sich nach Einführung neuer Prüfungssysteme, Leistungszüge etc. darüber, daß ihre Kinder den Schulstreß nicht aushalten. Weit davon entfernt, etwas dagegen zu unternehmen, daß die Ausbildung ihren Kindern schadet rufen kritische Eltern nach besseren Prüfungen, die um ihrer Objektivität als Leistungsvergleich willen gar nicht erst nach Wissen fragen, sondern bessere Kreuzworträtsel darstellen (multiple choice). Wenn sich schließlich das abgefragte Unwissen partout nicht mehr in irgendeinen Zusammenhang mit dem Beruf bringen läßt, für den man sein Hirn martert, ertönt wie in den ersten Tagen der Bildungsreformen (und solche gibt es wieder!) die Klage über die Praxisferne, die Obsoletheit des Schulwissens. Was dem traditionellen humanistischen "Ballast" widerfuhr, bleibt der modernisierten Dressur nicht erspart: Auch bei ihr will man den Nutzen sehen, den sie bringt, wobei das unvermeidbare Ausbleiben der menschlichen, d.h. staatsbürgerlichen Einstellung bei der Jugend als Duckmäusertum gegeißelt wird. Linke wie rechte. Kritiker der Ausbildung sind sich darin einig, daß passive Staatsbürger keine guten sind, was sich freilich in recht unterschiedlichen Lehrplänen niederschlägt: Hessische Rahmenrichtlinien contra Hans Maier. Die emanzipatorische Erziehung, die in verlinksten Institutionen praktiziert wird, hat im übrigen den Vorzug, daß sie den Ausgebildeten auch den letzten Rest an Tauglichkeit für das Berufsleben erspart und stattdessen die endlose Debatte um eine kritische Einstellung zu Beruf und Staat zum Inhalt der Wissensvermittlung macht.
Auch die Wissenschaft, der es auf ihre Nützlichkeit ankommt, muß sich manchen Angriff auf ihre mangelnde Brauchbarkeit gefallen lassen. Nachdem in den Reihen der Wissenschaftler die Offensive der Methodologen und Eiferer des Pluralismus erfolgreich war, es also als ausgemacht gilt, daß Wissen etwas äußerst Relatives, von Standpunkt, Wertungen und Haltungen bestimmtes ist,somit dem zwanglosen Tummeln von I n t e r e s s e n kein Hindernis mehr entgegensteht, sah man sich mit Interessen konfrontiert, die man (der Staat) nicht gemeint hatte. So hat sich auch das Lager der Elfenbeinturmkritiker gespalten, und wenn einige Reaktionäre darauf pochen, macht immer gleich nach dem Nutzen ihres Gedankens befragt zu werden, meinen sie immer die Freiheit ihrer persönlichen Anschauungen und ihre partikulare Spinnerei, die ihnen der Staat nicht mehr gestatten will. An Wissenschaft, richtigem Denken liegt diesen seltnen Exemplaren ebensowenig wie den methodologisch-überprüfbar-empirischrationalistisch-kritisch-prasisbezogen-demokratisch eingestellten Ideologen des Pluralismus, die sich inzwischen einem neuen Gegner stellen müssen. Dieser Gegner hat den Elfenbeinturmvorwurf, die Anklage an die Wissenschaft, sie entferne sich von den Interessen der Gesellschaft, die sie aushält, dahingehend modifiziert, daß sie die Interessen der Benachteiligten, der Arbeiter insbesondere vernachlässige. Sie werfen den Sozialwissenschaften vor, daß sie den falschen Interessen dienstbar sind (was stimmt), kümmern sich weiter nicht darum, wie solches geschieht, und propagieren fröhlich eine Wissenschaft im Dienste des Volks: Bremen - Marburg. Ihre Dummheiten allerdings sind nur der einseitig gemachte Fehler des Pluralismus, also Unwahrheiten, die den Arbeitern nichts nützen. Die durch die Studentenrevolte als fällig demonstrierte Reform der universitären Ausbildung hatte somit einen Kampf zweier Linien eröffnet, dessen Ausgang durch die Gewalt des Staates eindeutig entschieden ist. Inzwischen schwindet mit dem widerwilligen staatlichen Verständnis bei dieser Veranstaltung die Anteilnahme der Jugend im selben Verhältnis, wie das stinknormale bürgerliche Gedankengut auch an Hochburgen linker Moral wächst - womit nicht gesagt sein soll, daß das eine der Grund für das andere ist.
Aus dem Zweck des staatlichen Bildungssystems, der Vereinseitigung individueller Entwicklung, der Spezialisierung auf reduzierte Fertigkeiten für einen Beruf, geht hervor, daß dem Staat die aufwendige Organisation des Verteilungsprozesses werdender Bürger auf die Hierarchie der Berufe, die Einrichtung eines allen zugänglichen Ausbildungswesens, innerhalb dessen sich entscheidet, wer was wird, als Belastung und überflüssiger Umweg erscheint. Sein Anliegen, die Bürger einer lebenslangen arbeitsteiligen Funktion zuzuführen, wurde durch die schlichte Vererbung des Berufsstandes beim biederen Volk und die klerikal-ständische Ausbildung der Staatsdiener ebenfalls erfüllt. Wie alle demokratischen Errungenschaften mußte ihm das Recht auf Ausbildung von den industriellen Lohnarbeitern, die er selbst befreit hatte, abgerungen werden; dem Zwang, in der großen Industrie ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, konnte de ohne allgemeine Bildungselemente ebensowenig folgen, wie ihre overlooker ihre Funktion angesichts der Maschinerie weiterhin allein mit körperlicher Züchtigung und Strafzetteln erfüllen konnten. Was die idealistischen Philosophen mit ihren vom Interesse an der Einheit der Nation geleiteten Traktaten über die Notwendigkeit staatsbürgerlicher Erziehung nicht schafften, erreichten die Arbeiter, die als Opfer der großen Industrie deren Erfordernisse dem Staat gegenüber durchsetzten, nachdem sich die Fabrikschulen ebensowenig als tauglich erwiesen hatten, freie, d.h. wechselnden Betätigungen genügende Arbeiter hervorzubringen, wie die philantropischen Bemühungen aufgeklärter Volksfreunde. Der Forderung nach Abschaffung des Bildungsprivilegs kam der Staat in der Weise nach, daß er die allgemeine Schulpflicht als Mittel der Auslese einrichtete und damit garantierte, daß die Kinder der Arbeiter einerseits mit dem für sie notwendigen Minimum an Kenntnissen und dem noch notwendigeren staatsbürgerlichen Tugendkodex beliefert werden, andererseits von überflüssigem Wissensballast verschont bleiben.
Dem Interesse des Staates an einer nützlichen Geistes- und Gesellschaftswissenschaft kam diese Philosophie insofern entgegen, als sie durch die Übernahme dieses Interesses als immanent-theoretischer Standpunkt den Kampf Gegen den Glauben um ihre Auflösung in die instrumentell verfahrenden Einzelwissenschaften ergänzte.
Die dem bürgerlichen Staat verpflichtete Universität konnte zwar der Aufgabe gerecht werden, das Material für die gelehrte Gesinnung höherer Beamter zu liefern, leistete aber schlechte Dienste für das allgemeine Ausbildungswesen, mit dem der Staat den Erfordernissen der großen Industrie entsprechen mußte. Die Freiheit der Wissenschaft, d.h. die Unterwerfung des berufsmäßigen Denkens unter die Zwecke des Staates, die bereits die Philosophie kennzeichnet, gewährleistete ihre immanente Entwicklung zu einem verläßlichen Instrument des Klassenstaats, zu der parteilichen, einzelwissenschaftlichen Betrachtung aller gesellschaftlichen Phänomene, die sich vom praktischen Interesse an der Fortführung der bürgerlichen Scheiße leiten läßt. (Dies ist eine materialistische Erklärung im Unterschied zu
Vorstellungen, die den Nutzen der Wissenschaft fürs Kapital ohne Staat, daher g e g e n ihre Freiheit beweisen wollen oder von der Abstraktion gewisser "ökonomischer Formbestimmtheiten" und dergl. Blödsinn das D e n k e n ableiten.)
2. Mit den erworbenen einseitigen Fertigkeiten überläßt der Staat seine nebenbei mündig gewordenen Bürger der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Wieviel sie verdienen, hängt einzig von der Leistung ab, die sie für ihren Arbeitgeber zu bringen bereit sind; so versuchen sie, die ihnen offenstehende Freiheit zu nützen und sieh durch den Verkauf von möglichst viel Arbeit ein gutes Leben zu sichern, wodurch sie beständig Arbeitskräfte relativ zur Nachfrage nach Arbeit überflüssig machen.
Vater Staat, der auch der Nachfrageseite die Freiheit läßt zu entscheiden, wann sich für sie der Kauf von Arbeit lohnt, weiß von der Kehrseite der freien Berufswahl, der immer vorhandenen Arbeitslosigkeit, und strickt die erste Masche seines sozialen Netzes: Er verpflichtet die Lohnabhängigen, die sich durch die Ausübung ihres Berufs nicht kontinuierlich ernähren können, dazu, dies doch zu tun: Zwang zur Arbeitslosenversicherung. Er zwingt sie zur vorsorglichen Einschränkung ihrer Reproduktion (Beiträge) und regelt für den Ernstfall ein vermindertes Einkommen auf bestimmte Zeit (Arbeitslosengeld/hilfe). Die mit den Einschränkungen wachsende Bereitschaft zum sozialen Abstieg befördert er durch Auflagen, die er je nach Konjunkturlage verschärft: Meldepflicht, Gebot zur Annahme "zumutbarer" Arbeitsplätze, und Anreize (Umschulung), wobei er den weiblichen Arbeitnehmern besondere Aufmerksamkeit darin zuteil werden läßt, daß er ihre hausfrauliche Tätigkeit ausnahmsweise als Beruf anerkennt. Diese Sparsamkeit, die sämtliche Kriterien für die Berechnung von Arbeitslosenunterstützung kennzeichnet (Länge des
Arbeitsverhältnisses, Berücksichtigung des familiären Vermögens, Begrenzung auf ein Familienmitglied etc.), macht die Anstrengung verständlich, die Lohnabhängige auf sich nehmen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Das Streben der Lohnabhängigen geht also darauf, das Stempelgeld erst gar nicht zu beanspruchen. Sie zeichnen sich durch Leistungsbereitschaft aus, gesteigerte Anstrengungen im Produktionsprozeß sollen ihr Einkommen nicht nur in erträglicher Größe halten, sondern durch den Nutzen, den der Unternehmer daraus zieht, auch beweisen, daß sich der Kauf ihrer Arbeit lohnt, und so den Arbeitsplatz sichern. Mit der Verpflichtung zur Kranken- und Unfallversicherung trägt der Staat der notwendigen Rücksichtslosigkeit der Arbeiter gegen ihre Gesundheit, d.h. einer möglichst intensiven Nutzung der Arbeitszeit durch die Unternehmer Rechnung.
Der Arbeiter muß das Krankwerden als selbstverständliche Begleiterscheinung seiner Arbeit akzeptieren und daher mit der Krankheit, die Arbeitsunfähigkeit bedeutet, fertig werden, also für seine Arbeitsfähigkeit Sorge tragen. Dies vermindert sein Einkommen, solange er arbeitet um die Beiträge, die er zahlt; im Krankheitsfall erhält er nur 6 Wochen lang seinen vollen Lohn, längere Krankheiten ziehen wie dauerhafte Unfall- und Berufsschäden ein reduziertes Entgelt nach sich. Dem damit gegebenen Anreiz zur Wiederaufnahme der Arbeit wird durch vertrauensärtzliche Kontrollen nachgeholfen. Da die Kranken- und Unfallversicherung also den Lohnarbeitern keine Sicherheit vor Krankheit bringt, sondern sie lediglich fähig macht, sich den Quellen ihrer Zerstörung erneut auszusetzen, hat sich der Staat einiges einfallen lassen, die unvermeidliche Arbeitsunfähigkeit in Grenzen zu halten. Er verlangt den Nutznießern der Lohnarbeit ihren maßvollen Gebrauch ab: Sicherheitsvorschriften, medizinische Betreuung, bezahlter Urlaub.
Da der Staat die Lohnabhängigen permanent den gesellschaftlichen Ursachen des Krankwerdens aussetzt und sie zugleich auf's Gesundsein verpflichtet, muß er die Einrichtungen bereitstellen, derer die Kranken bedürfen, um wieder arbeitsfähig zu werden: Gesundheitswesen. Daß die Bemühungen der Medizin an den Notwendigkeiten der Lohnarbeit ihre Grenze finden, also nicht dasselbe sind wie der Kampf um Gesundheit, demonstrieren die mannigfaltigen Vorschriften zur Verhinderung von Krankheit, wenn es um natürliche Ursachen geht, denen die Hilflosigkeit der modernen Medizin gegenüber den viel belaberten sozialen Krankheitsursachen gegenübersteht: so wenig sie als Medizin für gesundes Arbeiten tun kann und der Staat ein diesbezügliches Gesetz erlassen will, so zynisch verfahren diejenigen ihrer Vertreter, welche die gesellschaftlichen Gründe für die Beschädigung des Organismus in ihren psychologischen Ausdruck verwandeln und
in der psychosomatischen Medizin Rezepte entwickeln den Geschädigten den Willen beizubringen, ihre Zerstörung unter Beibehaltung ihrer Brauchbarkeit zu
ertragen.
Der Lebensweg des Arbeiters ist also ein Prozeß der Zerstörung, bei dem mit zunehmenden Jahren die Anstrengungen, der vorgeschriebenen Leistung im Beruf zu genügen, wachsen. Für den gesetzlich geregelten Zeitpunkt, an dem die Lohnarbeiter den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein brauchen, hält sie der Staat schon frühzeitig an, durch Abzüge von ihrem Einkommen vorzusorgen: Rentenversicherung. Er beschert ihnen für dieses Opfer ein vermindertes Auskommen in den Jahren, die sie als Frühinvaliden (valere!) oder Altersrentner in erzwungenem Müßiggang - mit lädierter Physis - zu leben (sic!) haben. Um die Nützlichkeit ihrer jüngeren Mitmenschen nicht über Gebühr durch die Last, welche die Alten darstellen, zu schmälern, versorgt sie der Staat mit Altersheimen, von denen es einerseits zu wenig gibt und die andererseits Geld verlangen. Dies befördert bei den Familienangehörigen die Überlegung, was billiger und einfacher ist: der Pflegesatz für's trostlose Altersheim oder das lästige Mitschleifen von Oma und Opa - im Rahmen der häuslichen Idylle.
Versicherungen sind also soziale Einrichtungen, die mit der Sicherheit der Leute, die sie bezahlen, nichts zu tun haben. Zunächst einmal muß sie jeder bezahlen, weil sicher ist, daß er sie braucht, sei es als Hilfe auf dem Weg zu erneuter Brauchbarkeit oder als Gnadenbrot für die irreparable Zerstörung. Im doppelten Zwang zum Opfer, das man entweder bringt oder ist, liegt der soziale Charakter dieser Institutionen, deren Zweck, die Erhaltung der Lohnarbeit als Mittel des Eigentums, durch die Verpflichtung des Arbeitgebers auf die Zahlung eines Teils der Beiträge nicht verhüllt, sondern deutlich wird. Die den Arbeitgebern dadurch entstehenden Geschäftskosten sind ihnen zwar lästige Begleiterscheinungen bei der Vermehrung ihres Vermögens, aber nicht die Gefährdung ihrer Reproduktion - weswegen sie vom Staat auch nicht gezwungen werden, sich zu versichern. Wenn sie ihr Sicherheitsbedürfnis über die Gewißheit, ihr Eigentum verzehren zu können, hinaus befriedigen wollen, stehen ihnen freiwillige Versicherungen aller Art offen, die sich von den Zwangsversicherungen dadurch unterscheiden, daß mit ihnen, abgesehen von den Privilegien, die sie bieten, ein Geschäft zu machen ist.
Da die Versicherungen Opfer verlangen und wenig Sicherheit bieten, ist der Staat mit den Klagen seiner Bürger konfrontiert, die, wenn sie die Gefährdungen der Reproduktion durch Lohnarbeit erfahren, vom Staat Kompensation verlangen und den Aufwand für Versicherungen mit ihren Leistungen v e r g l e i c h e n .
Einerseits kritisieren sie die Einschränkungen, die ihnen bei der Inanspruchnahme von Versicherungen auferlegt werden, als u n g e r e c h t und erinnern an ihre N ü t z l i c h k e i t , für die sie Anerkennung verlangen. Andererseits lasten die Beitragszahler denjenigen, die Versicherungen in Anspruch nehmen müssen, ihre N u t z l o s i g k e i t an, die ihre Mitbürger so teuer zu stehen komme.
Die Arbeitslosen beharren auf dem Recht auf Arbeit, als gehörte nicht zu diesem auch die Arbeitslosigkeit, fordern von der Versicherung ihr Auskommen und
werden für ihre hilflosen Widerstände gegen den sozialen Abstieg mit dem Vorwurf mangelnder Leistungsbereitschaft und Drückebergerei, den sie sich selbst gezwungenermaßen zu Herzen nehmen, belohnt. Auch die Klagen über die Mängel der Krankenversicherung haben ihre andere Seite. Während man für sich selbst Abhilfe gegen das Kranksein erwartet, kann man sich den Angriff auf die anderen nicht versagen, wenn sie die Leistungen der Versicherung in Anspruch nehmen: Die anderen f e i e r n krank und treiben die Kosten in die Höhe. Manch einem erscheint daher die Rücksichtslosigkeit gegen die eigene Gesundheit nicht nur notwendig (die Angst um den Arbeitsplatz ist begründet!), sondern auch gut.
Die gesellschaftlich nutzlosen R e n t n e r , die einen sicheren und geruhsamen Lebensabend genießen wollen und Dank für ihre früheren Anstrengungen erwarten, trifft die Verachtung derjenigen, die sich noch die Ideologie leisten, daß Ansprüche eben auf Leistung beruhen. So stehen die Klagen über die Herzlosigkeit gegen das Alter neben dem unverfrorenen Lob der Jugend, um die es sich zu kümmern gilt, weil ihr die Zukunft gehört; und die Blödheit der Alten, die in jugendlicher Brauchbarkeit ihre eigene, nun verblaßte Tugend entdecken, wetteifert mit dem Stolz der Jungen, die nicht sehen wollen, daß ihre Tatkraft das beste Mittel ist, schnell alt zu werden.
Der S t a a t legitimiert seine Maßnahmen gegenüber dieser doppelten Unzufriedenheit mit dem Hinweis auf die Unausweichlichkeit der Lebensrisiken, zu deren Verringerung alle solidarisch ihren Beitrag leisten müssen, und preist seine Sozialmaßnahmen als notwendige Ergänzung des Leistungsprinzips, die jedem die Chance eines menschenwürdigen Lebens eröffne. Die Klagen der Betroffenen über die Ungerechtigkeit der Arbeitslosigkeit wehrt er mit dem Hinweis auf seine Ohnmacht gegenüber der Konjunkturentwicklung und die Zuständigkeit der Unternehmer ab, deren Unterstützung er denn auch tatkräftig betreibt. Beschwerden über die Plackerei der Lohnarbeit greift er mit der Verteidigung des Leistungsprinzips an oder mit Forderungen nach "Humanisierung der Arbeitswelt" auf, die durch Anpassung der "Sachzwänge" an die physischen und psychischen Schranken der Arbeiter ihre Selbstzerstörung attraktiver und effektiver machen soll. Gegen die landläufigen Angriffe auf das Gesundheitswesen, die dem Staat den Willen zur Krankheitsbekämpfung unterstellen, verteidigt er sich mit Vergleichen gegenüber früher, als Seuchen und früher Tod grassierten, und agitiert für ein gesundes Privatleben seiner Bürger. Mit Klagen über das "Leistungs- und Konsumdenken" wirft er den Leuten vor, daß sie sich kaputtmachen lassen; mit der Propaganda maßvoller Genüsse und gesunder Ernährung versuch er die Arbeiter auch dort, wo er ihnen keine Vorschriften machen kann, zur selbstzerstörerischen Rücksichtnahme auf ihren gesellschaftlichen Nutzen zu bewegen. Und da es auf Leistung ankommt, die denen, die sie bringen, wenig einbringt; verkündet er im Lobpreis der Jugend das Ideal der Brauchbarkeit und ergänzt es durch die Aufforderung, statt das Alter zu mißachten, durch familiäre Fürsorge dem Staat einen Teil der Alterslast abzunehmen.
Angesichts der Bekundungen des Staates, daß er nicht willens ist, aus den sozialen Rechten der Bürger etwas anderes zu machen, als sie sind; nämlich Kompensationen, die zur Fortführung des Lohnarbeiterdaseins zwingen, fällt den l i n k e n Arbeiterfreunden nichts Besseres ein, als diese Rechte mit dem Argument zu verherrlichen, daß sie von den Arbeitern erkämpft worden seien. Sie benutzen ausgerechnet die Notwendigkeit, dem Staat noch die miesesten Zugeständnisse abzuringen, dazu, ihnen die höheren Weihen von Arbeiterrechten zu verleihen, und eröffnen sich mit diesem zynischen Lob das weite Feld von verharmlosenden Angriffen gegen die "Unfähigkeit" des Staates sowie den revisionistischen Kampf um Rechte.
Die f a s c h i s t i s c h e Alternative betrachtet die sozialen Aufwendungen des Staates nicht nur wie jeder Demokrat als eine Belastung, sondern auch vom Standpunkt ihres Wirkens her als eine Sache, die dem Untergang der Nation Vorschub leistet. Gegen die Erhaltung der nur bedingt brauchbaren Arbeitskraft setzen sie den bedingungslosen Anspruch des Staates auf opferbereiten Dienst. Den kapitalistischen Zwang zur Konkurrenz mit seinen Folgen nehmen sie zum Anlaß, die Individuen danach zu unterscheiden, ob sie zur Erfüllung ihrer Pflicht bereit und fähig sind: staatliche Auslese
3. Das staatliche Bemühen um die Brauchbarkeit und Arbeitsbereitschaft der Lohnarbeiter verschafft diesen - als Lohn für ihren Nutzen - den vielgepriesenen Freiheitsraum des Privatleben, der in der westlichen Welt geachtet wird. Dieser Raum hat allerdings Grenzen, zunächst die mit der Lohnarbeit unmittelbar gegebenen: er beginnt, wenn die Arbeit aufhört, und seine Ausgestaltung ist eine Frage des Geldes. Weil sich der Lohnarbeiter alles leisten darf, sich aber nicht alles leisten kann, kauft er sich nur das, was er sich leisten muß. Genauso verfährt er bei der Einteilung seiner Zeit. Die Einstellung zu seiner privaten Freiheit als einer Sphäre der Notwendigkeit wird ihm von der Sorge diktiert, die Quelle seines Einkommens, d.h. seine Arbeitsfähigkeit, zu erhalten. Im Versuch, seinen Wünschen Befriedigung zu verschaffen, erfährt er nicht nur, daß dazu weder Zeit noch Geld reichen, sondern auch, daß der unüberlegte Gebrauch seiner privaten Freiheit stets auf Kosten der notwendigen Genüsse geht, die zur Fortführung der Arbeit unabdingbar sind. Und selbst der Befriedigung der Bedürfnisse, die funktionell auf die Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit bezogen sind, stehen gesellschaftliche Bedingungen im Wege, mit denen er aufgrund seines Geldbeutels nicht fertig wird. Dies ruft den Staat auf den Plan, der seine sozialpolitische Abteilung um zusätzliche Leistungen erweitert, die darauf abzielen, die Schwierigkeiten des Privatlebens nicht zum Hindernis des Arbeitslebens werden zu lassen. Diese Maßnahmen haben daher auch keinen Geschenkcharakter, und ihre soziale Funktion besteht darin, die Lohnarbeiter dahin zu bringen, aus ihrer Freizeit trotz allem Reproduktion ihrer Arbeitskraft zu machen, was nicht ohne neuerliche Verpflichtungen und Opfer abgeht und das Reich der individuellen Freiheit den Notwendigkeiten der Ausbeutung unterwirft.
- Da der Arbeiter kein Eigentum hat, muß er eine Wohnung mieten. Diese elementare Lebensbedingung bringt ihn in Abhängigkeit vom Grundbesitzer, der seinerseits aus seinem Vermögen Einkommen erwirtschaften will. Die Kollision zwischen den Notwendigkeiten der Privatsphäre und dem Recht des Hausbesitzers auf die Erhaltung und effektive Nutzung seines Besitzes regelt der Staat im Mietrecht, das wegen der gleichmäßigen Berücksichtigung beider Seiten dem Mieter weder eine sichere Wohnstätte noch einen erschwinglichen Preis garantiert. Auf den Mangel an billigen Wohnungen - das Grundeigentum ist anerkannte Einkommensquelle! - reagiert der Staat mit Wohnungspolitik. Diese besteht zunächst darin, daß er das Streben der Betroffenen, sich von den Lasten als Mieter unabhängig zu machen, durch die Förderung zweckgebundenen S p a r e n s unterstützt, mit der Gewährung von Bank k r e d i t e n das Eigenheim endgültig zum
lebenslangen Problem macht und ihnen diese neue Form des Opfers, das mit dem Wohnen eines Arbeiters verbunden ist, mit der Ideologie der "eigenen vier Wände" schmackhaft zu machen versucht. Da sich diejenigen, denen an einer billigen Wohnung gelegen sein muß, den Luxus nicht leisten können, neben der zu teuren Miete auch noch für ein Eigenheim sparen zu können, gibt es den s o z i a l e n W o h n u n g s b a u . Diese Maßnahme ist darin sozial, daß sie vermögende Leute mit Steuererleichterungen, Zuschüssen etc. dazu anhält, Wohnungen zu erstellen und diese eine Zeitlang k o s t e n d e c k e n d zu vermieten. Da der soziale Wohnungsbau zwar Wohnungen schafft, nicht aber das Wohnungsproblem armer Leute löst, mildert der Staat die Kollision zwischen dem Interesse an billigen Wohnungen und dem berechtigten Gewinn der Hausbesitzer durch die Zahlung von W o h n g e l d , wodurch er Steuergelder in Gewinn verwandelt, den das Grundeigentum also trotz der Armut der Mieter machen kann. Das Wohngeld als der krönende Abschluß unserer Bundesregierung beim Abbau von zwangswirtschaft lichen Eingriffen, die den Verfechtern der sozialen Marktwirtschaft unangenehm waren, beweist, daß der Staat kein Interesse daran hat, die Kollision aufzulösen, der sich die W o h n u n g s f r a g e verdankt; Preisbindung und Zwangsbewirtschaftung gelten dem Staat als außer ordentliche Notmaßnahmen.
- Die Gefährdung der Reproduktion durch den Zeitaufwand, den die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte kostet, verlangt vom Staat besondere Aufmerksamkeit beim Ausbau des Verkehrsnetzes. Zum einen muß er beim Straßenbau die Erfordernisse des dadurch wachsenden Privatverkehrs berücksichtigen, zum anderen ist wegen der Unerschwinglichkeit eines eigenen Autos und seiner Benutzung für viele Lohnarbeiter die Einrichtung von M a s s e n v e r k e h r s m i t t e l n geboten. Diese Leistungen eröffnen den Massen die trostreiche Alternative, die notwendige Verlängerung der Arbeitszeit in ihre Freizeit hinzunehmen oder sie durch geldlichen Mehraufwand zu verkürzen.
- Das Angewiesensein der Bürger auf kontinuierliche Information über die sich wandelnden gesellschaftlichen Umständen, mit denen sie zurechtzukommen haben,
das Bescheid wissen müssen über alle möglichen Bedingungen ihrer Reproduktion - was einen weiteren Teil ihrer Freizeit okupiert - nützt der Staat dadurch aus, daß er mit der Gewährleistung des leichten Zugangs zu allen notwendigen Informationen die staatsgerechte Zubereitung und Kommentierung derselben verbindet. Die politische Abteilung der Medien hat ihren Kernpunkt im Nachrichtenwesen, welches 24 mal täglich den jeweils gültigen Standpunkt der Nation zu internationalen Konflikten darbietet, den neuesten Stand staatlicher und wirtschaftlicher Unterdrückung unter Abwägung von Vor- und Nachteilen als unausweichlich darstellt und an hand von Meldungen über Verbrechen und Unwetter klarmacht, daß der Staat erstens sein muß und zweitens verläßlich ist. Die Eintönigkeit dieser Veranstaltung bedient sich der Methode des kommentierenden Pluralismus: jede Maßnahme, jedes Ereignis vom U-Bahn-Bau bis zur Olympiade wird eingekleidet in das Urteil mehrerer maßgeblicher Männer aus Politik und Wirtschaft. Damit sich der Bürger nicht auf die bloße Kenntnisnahme zurückzieht und sich im übrigen zu den Belangen der Nation passiv verhält, setzen Kommentare, politische Magazine und Diskussionen das Geschäft fort, des Bürgers eigene Meinung zu bilden. Der Abwehr der Bürger dagegen, sich in ihrer Freizeit die Sorgen des Staates zu machen, begegnet man mit geschickter Programmgestaltung. Damit der Bürger an der Agitation nicht vorbeikommt, wird sie im Rahmen der Sendungen dargeboten, die ihn mit allerlei praktischen Tips und Lebenshilfen versorgen und daher seines Interesses gewiß sind. Insbesondere die Aufklärung der neugierigen Jugend über die Fährnisse des Lebens und die Befassung mit den Frusts des Frauendaseins empfehlen sich für eine gründliche moralische Aufrüstung. Die Mittel, die den Medien aus Gebühren, Steuergeldern und nicht zuletzt aus der Werbung zufließen, durch die der Staat der Wirtschaft gestattet, auf vergnügliche Weise klarzumachen, daß Waren preiswert sind, erlauben ihnen auch, dem Wunsch der Bürger nach Unterhaltung Genüge zu tun. Weil der Staat weiß, was er von seinen arbeitenden Bürgern zu halten hat, geht er hier auch ganz auf sie ein. Er erfüllt durch geistlose Unterhaltungssendungen und Rätselstunden ihr Bedürfnis nach Kompensation für den in der Arbeitswelt erlittenen Verschleiß, der weitere Anstrengungen unmöglich macht. Die vulgären Formen von Schlager, Show und Film sind für ihn das geeignete Programm seiner kompensatorischen Erziehung, nach der das Volk leider verlangt. Es zerfällt in drei Teile: erstens geht im Leben mancher Schuß daneben, und zweitens lassen wir uns das Singen nicht verbieten, weil drittens vor der Himmelstür alle gleich sind. So hat jede Kulturnation auch ihre Massenkultur .
Die bei diesem Programm gar nicht erstaunliche Unzufriedenheit der Massen eröffnet die Möglichkeit harter Kritik: In Leserbriefen an die Rundfunkzeitschriften wird gesagt, was man lieber hätte, und Medienforscher verlangen statt Manipulation ein besseres Eingehen auf die (originären) Bedürfnisse des Publikums. Die Unzufriedenheit des Staates über die immer wieder spürbare Undankbarkeit seiner Adressaten führt zu Beschwörungen seiner erzieherischen Aufgabe und der Anklage, er ließe wegen ökonomischer Interessen von ihr ab.
- Der Notwendigkeit körperlichen Ausgleichs für die erzwungenen Anstrengungen der Arbeit trägt der Staat durch die Bereitstellung von Erholungs- und
Sportstätten Rechnung. Weil er aber nicht an der Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung, sondern daran interessiert ist, daß s i e s i c h gesund erhält, knüpft er
auch diese Wohltat an Bedingungen. Wer Sport treiben will und dazu Platz und Geräte braucht, muß zeigen, daß er dafür etwas übrig hat. Eintrittspreis und Zwänge
des Vereinslebens machen aus der freiwilligen Betätigung des Körpers eine Frage der Opferbereitschaft. Da viele aufgrund der einseitigen Anstrengung ihrer Arbeit von Körperbewegung genug haben, wegen ihrer mangelnden Leistung auch keine Freude am Sich-Messen haben und schließlich ihr Geld und ihre Zeit für andere Genüsse verbrauchen macht ihnen der Staat mit seiner Trimm-Dich- und Gesundheitsagitation klar, daß es ihm auf die Freuden des Sports ohnehin nicht ankommt.
Er fordert seine Bürger auf, einfach jede Bewegung vom Einkaufsbummel bis zum Spaziergang a l s Sport zu betrachten und nicht zu rasten, damit sie nicht rosten.
Und wo sich junge Leute wirklich für den Sport begeistern, geht er sogleich dazu über, seinen Nutzen daraus zu ziehen: er fördert den Leistungssport, welche Tautologie Sport als Beruf meint und an ihren Wirkungen auch als solcher kenntlich ist, und hat mit ihm ein prächtiges Mittel zur Repräsentation der Nation wie auch eine Erweiterung des Unterhaltungsangebots.
Weil sich der Großteil der Bürger schwer tut, das zu schaffen, was der kleine Teil der Bürger von ihnen erwartet: gesund und munter zu bleiben, um bei der Verrichtung ihrer Arbeit und bei der Unterstützung des Staats ihren Mann zu stehen, haben einige um das Funktionieren unserer Gesellschaft besorgte Wissenschaftler und Journalisten das Problem der "Freizeitgesellschaft" entdeckt. In der verhinderten Reproduktion der Massen erblicken sie eine G e f a h r , legen die Folgen der Lohnarbeit und der staatlichen Reglementierung der Privatsphäre den Betroffenen zur Last und tadeln sie, weil sie ihrem Standpunkt zufolge nichts (Richtiges) mit ihrer Freizeit anzufangen wissen. Sie versprechen sich viel von einer Verkürzung des lästigen freien Lebens und seiner Erfüllung mit Sinn.
4. Für alle, die den Anforderungen der Konkurrenz in Ausbildung und am Arbeitsplatz nicht gewachsen sind, also für ihren Lebensunterhalt nicht sorgen können und auch für die Zeit ihres Ausflippens keine Vorsorge getroffen haben, hält der Staat seine Fürsorgemaßnahmen bereit. Er rechnet mit dem steten Vorhandensein des P a u p e r i s m u s und erklärt ihn zu einer öffentlichen Angelegenheit. Die Gewährung von Sozialhilfe soll ihren Empfänger befähigen, unabhängig von ihr zu leben; und weil man höheren Orts weiß, daß dieser Anstrengung wenig Erfolg beschieden ist, denkt man an die drohende Kriminalität, die ihr Mißerfolg mit sich bringt. Zum Empfang von Sozialhilfe ist nicht berechtigt, wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten, was aber nicht heißt, daß er überhaupt nichts bekommt: ihm winkt ein Platz in einer Anstalt, ein Gefängnisaufenthalt, der keinen Rechtsbruch voraussetzt. So macht der Staat seinen Bürgern auch an den Grenzfällen individueller Not deutlich, daß er nicht für sie da ist, sondern sie für den öffentlichen Nutzen dazusein haben, indem sie für sich selbst sorgen - was wiederum nur durch die Vermehrung des Nutzens anderer geht. Weil ihm schließlich selbst die Aufwendungen für Armenhäuser, Obdachlosenasyle und die spärlichen Gelder für Arme zuviel sind, hat er sich der moralischen Gesinnung seiner Bürger erinnert und den Grundsatz des "Nachrangs" der Sozialhilfe erfunden. Die Sozialbehörden beschränken ihre Wohltaten auf die Fälle, die nicht durch Familie oder Einrichtungen der "freien Wohlfahrtspflege" bewältigt werden - durch jene Vereine und Stiftungen also, die an die Moral der noch mit Arbeitsfähigkeit gesegneten Leute appellieren und ihnen beim Einkaufen, Spazierengehen, an der Haustür, in der Schule etc. eine Mark nach der anderen abluchsen. Der Staat fördert diese Körperschaften, so daß die Betätigung der Moral von der zufälligen Rührung einzelner loskommt: unabhängig von der Anschauung des Elends in der näheren Umgebung sieht sich jeder mit der organisierten Darstellung von Not konfrontiert, für die er sich verantwortlich sehen soll. So entdecken letztlich auch minder Gläubige die Funktion der Kirche, ihre Solidarität mit ihren Mitbürgern und ersparen dem Staat Auslagen, was dieser freudig zur Kenntnis
nimmt - und sein Geld zur Förderung des Eigentums verwendet.
5. Daß es dem Staat um die Erhaltung der Lohnarbeiterklasse zu tun ist, läßt sich nicht bestreiten; noch viel weniger aber, daß die Fürsorge, die er den auf ihre Arbeit angewiesenen Bürgern zuteil werden läßt, diesen nicht gut bekommt. Alle seine Leistungen laufen darauf hinaus, den Lohnabhängigen die wenig bewundernswerte Kunst aufzuherrschen, mit den Konsequenzen ihres Diensts am Eigentum fertigzuwerden; die Wirkungen des unmittelbaren Produktionsprozesses ebenso zu ertragen wie die Funktionalisierung ihres Privatlebens für ihre Tauglichkeit als Arbeitskräfte zu bewerkstelligen. So sieht er sich als Folge seines freiheitsstiftenden Wirkens mit dem Anspruch der Lohnarbeiter auf ihre E x i s t e n z konfrontiert, dem er seine Anerkennung nicht versagen kann; schließlich ist die Existenz seiner arbeitenden Bürger die Bedingung für ihren nützlichen Dienst, auf den es ihm ankommt. Deshalb schreitet er zur Festlegung von Schranken der Ausbeutung und betätigt sich als Beschützer der Arbeitskraft, wo ihre Verwendung ihre Vernichtung unmittelbar zur Folge hat. Die gesetzliche Festlegung eines Normalarbeitstages ist die Reaktion des Staates auf die Verhinderung jeglicher Reproduktion, die mit dem freien Spiel der Kräfte auf dem Arbeitsmarkt einhergeht:
weil jeder Lohnarbeiter zur Verbesserung seiner Reproduktion mehr arbeitet und sich dadurch das Angebot an Arbeit stets von seiten ihrer Käufer zur Senkung des Lohnes ausnützen läßt, führt die gelobte freie Konkurrenz unweigerlich zu einem Arbeitstag, dessen Länge die Lohnarbeiter nicht aushalten und dessen Ertrag nicht für ihre Erhaltung reicht. Der Staat verhindert mit dem Normalarbeitstag, daß die Unternehmer die Konkurrenz der Lohnarbeiter in einem Maße ausnützen, das den Arbeitsprozeß zur unmittelbaren Bedrohung des Lebens werden läßt. Freilich liegt ihm damit wie mit den übrigen Konsequenzen aus §$#167; 618 BGB - "Der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen von Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, daß der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet." - nichts an der Abschaffung der Gründe, die fiir die Lage der arbeitenden Klasse verantwortlich sind. Ganz Sozialstaat, nimmt er die Notwendigkeit der Dienstleistenden, über das normale Maß hinauszuarbeiten, zum Anlaß, auch dafür bestimmte Grenzen festzulegen und die Bedingungen anzugeben, unter denen er sie gestattet.
Die vielfältigen und als Fortschritt des Kapitalismus gepriesenen Schutzmaßnahmen tragen allesamt dem Kriterium der öffentlichen Macht Rechnung, das diese befolgt,wenn sie sich zu Sonderrechten für Lohnabhängige entschließt: die Auswirkungen der Lohnarbeit müssen dort ihre Grenze haben, wo sie als eine Weise
der Reproduktion unmöglich wird, ein "soziales Problem" darstellt, ohne daß sie Nutzen bringt. Marx hat den Witz der Gesetze, die das rücksichtslose Zugrunderichten der dem Kapitalisten unter worfenen Arbeiter so reglementieren, daß die Arbeiter für d a s Kapital tauglich bleiben, so zusammengefaßt:
"Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?"
Arbeitsschutz, der sich auch auf die "Wahrung von Sitte und Anstand" erstreckt, Unfallverhütungsvorschriften und besondere Auflagen für die Ausbeutung
Jugendlicher und schwangerer Frauen sind die trostlosen Zugeständnisse des Staates an die Menschenwürde, von der seine Agenten wissen, daß sie im Dienst am
Eigentum beständig zuschanden wird. Dabei geht aus der Notwendigkeit, die Ruinierung der Arbeiter im Produktionsprozeß durch staatliche Eingriffe zu bremsen, nicht nur hervor, daß die Eigentümer von Produktionsmitteln von sich aus nicht bereit sind, die verheerenden Wirkungen ihres Gewerbes auf Körper und Geist ihrer Produktionsinstrumente einzudämmen; auch die mit ihrem Eigentum verbundene Macht, ihren Zweck gegen die konkurrierenden Arbeiter durchzusetzen, ist nicht zu übersehen.
So erweisen sich die Regelungen, die der Staat gegen die Eigentümer zum Schutz der Lohnarbeiter erläßt, als Pendant zu den Bestimmungen, durch die er die Vermehrung von Eigentum sichert, indem er den anerkannten Zweck der Gewinnemacherei in Formen zwingt, die auch anderen Eigentümern ihr Geschäft ermöglichen (b 5.). Der kleine Unterschied zu den Bestimmungen, welche die Konkurrenz unter den Arbeitern fortzuführen gestatten, liegt in der Natur dessen, was
durch die Konkurrenz bedroht ist und ohne das Zutun des Staates keinen Bestand hat: während die Konkurrenz zwischen Eigentümern die produktive Nutzung des Eigentums gefährdet und der Staat Beschränkungen verordnet, welche die produktive Nutzung des Eigentums g e w ä h r l e i s t e n , führt die Konkurrenz der Lohnarbeiter zur Zerstörung ihrer Existenz, die dem Staat wegen der damit verbundenen U n b r a u c h b a r k e i t der Leute zum Problem wird. Und zwar deswegen, weil die Betroffenen - freie Anbieter ihres Arbeitsvermögens - sich ein Arbeitsverhältnis, das sie zum Zwecke ihres Lebensunterhalts eingehen, nicht mehr gefallen lassen, wenn es den Lebensunterhalt verunmöglicht. Sie setzen sich gegen die Wirkungen der Konkurrenz zur Wehr, innerhalb derer sie sich zu bewähren gezwungen sind, schließen sich zur gemeinsamen Arbeitsverweigerung zusammen, um bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen. Die bereits erwähnten Schutzmaßnahmen sind dem Staat durch Kämpfe der Arbeiterklasse abgerungen worden und bilden, einmal durchgesetzt, für die besitzende Klasse den Ausgangspunkt für allerlei Anstrengungen, sich für die verminderte Ausbeutbarkeit ihrer Arbeiter schadlos zu halten. Jedes durch vorübergehende Arbeitsniederlegung erreichte Resultat staatlich fixierter Arbeitsbedingungen eröffnet erneut die Konkurrenz zwischen den Arbeitern und damit die Möglichkeit für die Kapitalisten, das Verhältnis von Lohn und Leistung zu ihren Gunsten zu andern. So daß die periodische Gegenwehr der an ihrer Existenz gehinderten Arbeiter zum normalen Getriebe der bürgerlichen Gesellschaft gehört. Der Staat findet mit der U n v e r e i n b a r k e i t der Interessen von Lohnarbeit und Kapital auch den Klassenkampf vor, der sein soziales Wirken für Eigentum und Lohnarbeit beständig in Frage stellt, das Funktionieren der Gesellschaft stört. Keine seiner Leistungen für das Eigentum und für die Lohnarbeit schafft den sozialen Frieden, weil jede Maßnahme dem G e g e n s a t z , dem er seine Existenz verdankt, eine neue Verlaufsform und dem Kampf der Lohnabhängigen einen neuen Grund gibt.
So nimmt sich der demokratische Staat, der die Koalitionen der Arbeiter nicht verbieten will, weil die rücksichtslose Niederschlagung von Arbeitskämpfen die
Vermehrung des Eigentums ihres Mittels beraubt und Arbeiter zu Staatsfeinden werden läßt, des sozialen Konflikts an, indem er den Arbeitskampf gesetzlich regelt:
er toleriert ihn, indem er ihm Grenzen vorschreibt; bannt die von ihm ausgehende Gefahr für das Privateigentum, indem er ihn soweit zuläßt, wie er das Privateigentum
und seine Vermehrung als seine Schranke anerkennt. Den Arbeitern gewährt er die Koalitionsfreiheit und erläßt Gesetze über deren z u l ä s s i g e n G e b r a u c h . Aus den feindlichen Klassen werden S o z i a l p a r t n e r durch die Gewährung der Tarifautonomie, den Zwang, in Verhandlungen Tarifverträge abzuschließen, die der einen Seite die Möglichkeit geben, in Veränderungen des Produktionsprozesses die Konkurrenz der Arbeiter auf dem Markt und im Betrieb auszunützen, die andere Seite aber für die Laufzeit des Vertrages mit der Friedenspflicht beglücken. Damit nun nicht jeder neue Vertragsabschluß, in dem die Manteltarife - die Mindestbedingungen, unter denen die Arbeiter sich zu verkaufen berechtigt sind - festgesetzt werden, automatisch zu Arbeitsniederlegungen führt, macht der Staat aus seiner Abneigung gegen die unerwünschte Störung der Geschäfte sogleich Gesetze, die den Gewerkschaften Streikauflagen bescheren, ohne deren Erfüllung ein Streik zum Gesetzesbruch wird. Ein Streik muß s o z i a l a d ä q u a t sein, darf nicht auf Vernichtung des Sozialpartners abstellen (will heißen: seines Eigentums), und von der Rücksichtnahme auf Dritte die stets betroffen sind, muß er auch noch getragen sein. Wobei dem Rechtsstaat auch er selbst einfällt:
die Wirtschaftslage der Nation und überhaupt die FDGO setzen den Ansprüchen der Arbeiter auf die Veränderung des Verhältnisses von Lohn und Leistung Grenzen und lassen das Interesse an einem passablen Lebensunterhalt von vornherein nur b e d i n g t gelten. Während die ideologischen Fanatiker der Tarifautonomie in dieser den idyllischen Zustand einer N i c h t e i n m i s c h u n g der öffentlichen Macht in den Tarifkonflikt erblicken, zeigt das Tarifvertragsgesetz mit jedem Paragraphen, daß die vielgepriesene Tarifautonomie die Verrechtung des gewerkschaftlichen Kampfes darstellt, also die E i n m i s c h u n g des Staates in den vorgefundenen Klassenkampf ist, die seine Austragung zu einer Sammlung von Pflichten für die Koalitionen der Arbeiter macht.