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06.02.2004, 13:47
Der bürgerliche Staat
Die vorliegende Analyse unterscheidet sich erheblich von den Schriften, die seit einem Jahrzehnt als Beitrag zur "Staatsableitungsdebatte" erscheinen. Sie i s t nämlich die Staatsableitung, beendet also jene unselige Debatte für all diejenigen, die ein Interesse an der Erklärung des Staates haben, weil sie objektives Wissen brauchen über Grund, Zweck und Verlaufsformen der politischen Herrschaft im Kapitalismus. Der Unterschied zur Literatur ü b e r die Staatsableitung, insbesondere zur Literatur über die einschlägigen Projekte, ist nicht schwer festzustellen, weswegen eine kurze Zusammenfassung genügt, um den Lesern Enttäuschungen zu ersparen.

Vorenthalten werden ihnen zunächst einmal Erörterungen über die Schwierigkeiten, die einer Ableitung des Staates im Wege stehen. Die methodologischen Veranstaltungen, mit denen linke Intellektuelle der Durchführung einer Staatstheorie ausweichen, fehlen gänzlich. Es wird also nicht im Jargon bürgerlicher Wissenschaftstheorie die Frage zum dreitausendsten Male gestellt, ob und wie eine Staatstheorie möglich sei; es werden auch keine Probleme problematisiert" welche von irgendwelchen Kategorien, Dimensionen, Ebenen der Theorie herstammen sollen und ihr Verhältnis zur "Empirie" und Geschichte zu hinterfragen gebieten. All diese "Ansätze" und "Fragestellungen" erfinden ja mit allerlei komplizierten Bedingungen, die den Staatstheoretikern angeblich das Leben so schwer machen, nur die Unmöglichkeit, zu einem objektiven Urteil über den im Titel erwähnten Gegenstand zu gelangen. Inzwischen ist man auch unter Linken dahin übereingekommen, das eigene Desinteresse an objektiver Wissenschaft zu einer "Schwierigkeit" umzulügen, die man dann auch noch der Sache, die man bespricht und doch nicht erklären will, als Eigenschaft andichtet - bis hin zu der genialen Leistung, den Staat als "komplex" und als "Struktur" vorzuführen.

Des weiteren hat uns im Unterschied zu denen, die uns der Arroganz bezichtigen, auch die Tatsache wenig belastet, daß d e r Staat gar nicht existiert, s o n d e r n nur "historisch gewordene" und höchst unterschiedliche Staatswesen. Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei all den Staaten eben um Staaten, und deren gemeinsame Prinzipien erklärt eine Staatstheorie. Daß sich an Besonderheiten Allgemeines nicht finden lasse, halten wir für ein Gerücht, welches die albernste Form der öffentlichen Abdankung eines Theoretikers darstellt. Diejenigen, die den Unterschied zwischen englischem und deutschem Recht, zwischen italienischer und deutscher Sozialgesetzgebung bemühen, um sich den Begriff von Recht und Sozialstaat zu ersparen, werden mit diesem Begriff auch keine Besonderheiten richtig
analysieren, weil sie ihn, wie er aus den westdeutschen Verhältnissen erschlossen wird, leugnen. Eine andere Abteilung linker Staatstheoretiker wird das Fehlen ihrer Fragestellungen ebenfalls registrieren, weil wir in theoretischen Angelegenheiten sehr dogmatisch sind und so praktische Erwägungen wie die Suche nach "Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Handelns" für den Auftakt handfester Ideologien erachten. Wir sorgen uns auch nicht um "Struktur- und Funktionsprobleme", die diese Leute am Klassenstaat entdecken, um sich dann mit ihren Alternativen der vermeintlichen Nöte des herrlichen Gemeinwesens anzunehmen. Wenn sie schließlich auch noch von der "Dialektik von Reform und Revolution" anfangen, behaupten wir glatt, daß eine Veränderung des Staates mit Blick auf seine Funktionstüchtigkeit nichts Revolutionäres und auch nichts Dialektisches ist, deshalb keinem Proleten etwas bringt, genauso wie die Theorie, die diesem Interesse an dialektischen Reformen dient.

Die These, daß der Staat s c h e i t e r t , wird man im folgenden auch nicht in einer anderen Version hören können. Wir wissen nichts von den guten Werken, die ihm aufgegeben sind und die er - sei es wegen seiner Abhängigkeit von ein paar Monopolisten, sei es wegen einem Defizit an Steuergeldern nicht ausführen kann. Deswegen ist unsere Analyse aber nicht unvollständig.

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Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei noch vermerkt, worum es unserer unmaßgeblichen Meinung nach bei einer A b l e i t u n g geht, was ja den methodisch interessierten Menschen so viel Kopfzerbrechen macht. Erstens ist eine Ableitung ganz dasselbe wie die Erklärung einer Sache, unterscheidet sich also nicht ihrem Inhalt nach von wissenschaftlicher Argumentation, wie sie sonst stattfindet, sooft einer nach Gründen sucht. Zweitens ist eine Ableitung eine Form der Darstellung, die dem Inhalt gefundener Erklärungen entsprechend die Gedanken ordnet. Nicht in der Reihenfolge ihres historischen Auftretens, auch nicht in der Art und Weise, wie man über die verschiedenen Momente einer Sache stolpert, werden sie behandelt, sondern gemäß ihrem Zusammenhang. Wenn die Untersuchung der Massenmedien z.B. den Grund dafür, daß es sie so gibt, wie sie sind, in der Verpflichtung der Bürger auf das Gewaltmonopol des Staates ermittelt hat, so kommt die Analyse der demokratisch bewerkstelligten Zustimmung zum Staat vor die Öffentlichkeit zu stehen. Die einzelnen Momente des erklärten Gegenstandes erscheinen als Grund füreinander, und jede Bestimmung des Staates nimmt die Stelle vor derjenigen anderen ein, welche sie n o t w e n d i g macht. Zum Verdacht idealistischer Konstruktion hat Marx das Nötige gesagt. In der Anwendung des Wissens über die Welt des Kapitals, in der Agitation derer, die diese Welt aus den Angeln heben sollen, sind dieselben Argumente fällig wie in der Ableitung nur nimmt die theoretische Auseinandersetzung mit dem Adressaten ihren Ausgang an dessen aktuellem Interesse: in unserem Fall an den Taten des Staates, mit denen er sich gerade herumschlägt, über die er ein falsches Bewußtsein hat und zu denen er sich praktisch so verhält, daß sein Schaden garantiert ist. Während in der Ableitung die Maßnahmen des Staates aus ihrem G r u n d heraus notwendig werden, wird in ihrer politischen Anwendung aus der aktuellen Kollision von Staat und Bürger deren Grund erschlossen. Dies zur Frage, inwiefern eine Ableitung eine theoretische Waffe darstellt und wer sie nicht brauchen kann.

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Die Bestimmungen des Staates sind in Paragraphen gegliedert, die den allgemeinen Zweck der analysierten Maßnahme darstellen. In Zusätzen wird jeweils auf die Verlaufsformen dieser Maßnahme eingegangen, der entsprechende Gegensatz zwischen Staat und Bürger am Material der Bundesrepublik verfolgt; ein Verweis auf die historische Durchsetzung, d.h. auf die bestimmte Art der Kämpfe, die den heutigen Staat hervorgebracht haben, findet schon deswegen statt, weil es in der Linken üblich ist, alles gut zu finden, weil es erkämpft werden mußte: Die zum jeweiligen Stoff gehörigen Ideologien bilden den Abschluß des Paragraphen. Während die faschistischen Konsequenzen der Demokratie mitbehandelt werden, kommen die Besonderheiten von Nationen, die sich dem Wirken kapitalistischer Staaten nach außen verdanken, dort vor, wo sie in einer Ableitung hingehören, in der Fortsetzung staatlicher Gewalt zum Imperialismus.











Der bürgerliche Staat

Zum Inhalt


§ 1

Freiheit & Gleichheit - Privateigentum - abstrakt freier Wille

Der bürgerliche Staat ist die politische Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft. Er unterwirft die Agenten der kapitalistischen Produktionsweise unter Absehung von allen natürlichen und gesellschaftlichen Unterschieden seiner Herrschaft und gewährt ihnen damit die Verfolgung ihrer gegensätzlichen Sonderinteressen: Gleichheit & Freiheit. Er verpflichtet sie, die ökonomische Konkurrenz unter Respektierung des Privateigentums abzuwickeln: jeder wird gezwungen, die ausschließende Verfügung über den Reichtum der Gesellschaft anzuerkennen und zum Prinzip seines ökonomischen Handelns zu machen. Weil die Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft in der Verfolgung ihres individuellen Nutzens die - Schädigung der anderen betreiben, sind sie auf eine Macht angewiesen, die getrennt vom ökonomischen Leben die Anerkennung von Eigentum und Person garantiert. Ihren negativen Bezug aufeinander ergänzen sie um ihre gemeinsame Unterwerfung unter eine Gewalt, die ihre Sonderinteressen beschränkt. N e b e n ihren ökonomischen Geschäften sind sie politische Bürger, sie wollen die staatliche Herrschaft, weil sie ihren Sonderinteressen nur nachgehen können, indem sie von ihnen auch abstrahieren. Der bürgerliche Staat ist also die Verselbständigung i h r e s abstrakt freien Willens.



a)

Die erste Bestimmung des Staates, sein abstrakter Begriff, enthält zwar d e n Grund und damit auch d e n Zweck dieser Instanz, aber eben noch getrennt von den konkreten Formen ihres Bezugs auf die Bürger. Gerade in diesem abstrakten Begriff wird deutlich, daß die Realisierung von Freiheit und Gleichheit eine ungemütliche Sache ist, weil sie sich erstens ökonomischen Gegensätzen v e r d a n k t und zweitens eine mittels Gewaltmonopol erzwungene A u f r e c h t e r h a l t u n g dieser Gegensätze zum Zweck hat. Auch ohne Betrachtung der Ökonomie, der Produktionsweise, welche der Staat mit seiner Gewalt am Laufen hält, steht fest, daß er Klassenstaat ist: durch die g l e i c h e Unterwerfung aller garantiert er den Fortbestand aller kleinen und großen Unterschiede - es ist also auch keine Frage, wie der N u t z e n aussieht, den die verschiedenen Agenten der kapitalistischen Produktionsweise von ihm haben. Die Freiheit, die ihnen durch die Gleichbehandlung
seitens des Staates gesichert wird, besteht in der freundlichen Gewährung des Rechts, sich entsprechend den ökonomischen Mitteln, die sie haben oder auch nicht, ihren Anteil am Reichtum zu sichern - und zwar unter Respektierung anderer, die dasselbe auf ihre Kosten, gegen sie tun. Um dieser Freiheit willen geht es ihnen um den Staat, ohne den sie sich ihrer Mittel gar nicht bedienen könnten: vom praktischen Standpunkt erscheint ihnen die Staatsgewalt als Bedingung der freien Konkurrenz, also w o l l e n sie anerkannte Staatsbürger sein, weil sie es wegen ihrer ökonomischen Interessen sein m ü s s e n . Die Gemeinschaftlichkeit, der politische Wille aller im Staat beruht auf einer erzwungenen Leistung des einzelnen Willens, der wegen des privaten Nutzens, auf den es ihm ankommt, auch noch als abstrakt-allgemeiner Wille auftritt: "Die Trennung der bürgerlichen Gesellschaft und des politischen Staates erscheint notwendig als eine Trennung des p o l i t i s c h e n Bürgers, des Staatsbürgers, von der bürgerlichen Gesellschaft, von seiner eignen wirklichen, empirischen Wirklichkeit, denn als Staatsidealist ist er ein g a n z a n d e r e s , von seiner Wirklichkeit v e r s c h i e d e n e s , unterschiedenes, entgegengesetztes W e s e n . " (MEW 1/281) Was diese Leistung für die besonderen Charaktere der kapitalistischen Produktionsweise bedeutet, inwiefern und für wen sich der Staat durch Gewalt als M i t t e l betätigt, ist kein Geheimnis - die Unterwerfung aller muß denen zum Vorteil gereichen, die ökonomisch im Vorteil s i n d . Die folgenden §§ werden also zeigen, was der Staat den verschiedenen Klassen abverlangt und genehmigt, wenn er die freie Konkurrenz zu seinem Anliegen macht.

b)

Wenn der Staat gewaltsam die Konkurrenz regelt, um sie stattfinden zu lassen, so erhält er eine Ökonomie, in der die Abhängigkeit der Individuen in der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums so organisiert ist, daß sie sich in der Verfolgung ihrer Interessen wechselseitig die Teilnahme am Reichtum b e s t r e i t e n . Weil die Befriedigung eines Sonderinteresses das andere negiert, erfolgt die Unterwerfung unter seine Gewalt, und diese Unterwerfung hat für jeden einzelnen n e g a t i v e , a u s s c h l i e ß e n d e Bedeutung. Damit sind freilich die Kollisionen. nicht verschwunden, sondern so eingerichtet, daß sich alle vom Staat die Freiheit des anderen als die Schranke der eigenen vorschreiben lassen. Die Tatsache, daß sich die ökonomischen Subjekte eines gesellschaftlichen Zusammenwirkens befleißigen, durch das sie einander von den zu ihrer Existenz notwendigen Mitteln ausschließen, also beständig im Kampf miteinander liegen, behandelt die Staatsgewalt so, daß sie die Ausschließung g e b i e t e t und den Angriff auf die Mittel und Existenz des anderen v e r b i e t e t . Jeder muß mit s e i n e n Mitteln in Abhängigkeit von den anderen, die die ihren einsetzen, zurechtkommen; und der Erhalt neu produzierter Güter hat sich unter Respektierung von Eigentum und Person abzuspielen. Das Privateigentum, die ausschließende Verfügung über den Reichtum der Gesellschaft, von dem andere in ihrer Existenz abhängig sind, also Gebrauch machen müssen, ist die Grundlage des individuellen Nutzens und damit auch Schadens. Ihm verdankt sich die moderne Form der Armut, die sich selbst als Mittel fremden Eigentums erhalten muß, dessen Wachstum selbstverständlich dem Staat am Herzen liegt.

Schließlich sei noch erwähnt, daß das Privateigentum keine Frage von Zahnbürstchen und Limonade ist, obwohl es im Bereich des individuellen Konsums seine Wirkung zeitigt. Die Abhängigkeit von dem, was anderen gehört, spielt sich auf dem Felde der Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Reichtums ab.
Mit der ausschließlichen Verfügung über die Produktionsmittel und damit über die Produkte erhält der Reichtum die Gewalt, anderen die Existenz zu bestreiten.

c)

So wenig der von gegensätzlichen Klassen praktizierte Staatsidealismus eine Idylle darstellt, so wenig harmonisch verlief der freiwillige Zusammenschluß zum Staat,
die "Staatsgründung", die noch in jeder Nation bei der Wiederkehr ihres Datums als Anlaß zum Feiern genommen wird. Bürgerliche Staaten sind Produkte erlesenen Terrors, was von ihren Liebhabern nicht nur im Falle der französischen Revolution und der beinharten Einrichtung der Bundesrepublik vergessen wird. Das gemeinsame Interesse an der Beseitigung vorbürgerlicher Formen der Staatsgewalt, das die gegensätzlichen Klassen zum Kampf brachte, entsprang ja schon einigermaßen unterschiedenen Anliegen: die einen sahen im alten Staat und den ihn betreibenden Ständen ein Hindernis für ihre Geschäfte, die anderen kämpften um ihre Existenz, die sie durch Arbeit sichern mußten. Die Erreichung des gemeinsamen Ziels fiel selbstverständlich nicht zur Zufriedenheit beider Klassen aus, da die vom demokratischen Gemeinwesen geschützte Möglichkeit, sich im Dienst an fremdem Eigentum zu erhalten, schnell eine bittere Notwendigkeit wurde. Daß die Proleten, die die bürgerliche Republik erkämpften, den alten Staat beseitigen mußten, wollten sie leben, heißt eben nicht, daß sie sich im neuen Staat i h r Mittel geschaffen haben.

d)

Die Unzufriedenheit mit der harten Welt des Eigentums ist ein Springquell der beständigsten Ideologien: aus allen unangenehmen K o n s e q u e n z e n von Freiheit & Gleichheit, die in den nächsten Seiten noch zur Sprache kommen, pflegen Linke einen Hinweis zu entnehmen auf die mangelhafte Realisierung dieser beiden Ziele der französischen Revolution. Sie bezweifeln die R e a l i t ä t der Gleichheit vor der Staatsgewalt mit den merklichen Unterschieden in der Gesellschaft, machen aus Gleichheit ein I d e a l , dessen praktische Verwirklichung sie dem Staat anempfehlen und in ihm durchsetzen wollen. So wenig ihnen auffällt, daß eine g e w a l t s a m aufrechterhaltene F r e i h e i t irgendeinen Haken haben muß, so wenig gibt ihre Phantasie für die Vorstellung eines Gemeinwesens her, in welchem die Unterschiede zwischen den Leuten beseitigt werden. Diese Phantasie ist im Gegensatz zu linken Staatsidealisten recht populär und macht sich in literarischen sowie cineastischen Utopien genüßlich breit. Sie kontert auch im Munde von Politikern jede Kritik am Staat, wenn die G l e i c h m a c h e r e i großmütig abgelehnt wird. In solcher Kritik von Ansprüchen an den Staat wird um die rechte Begeisterung für ihn geworben, wobei über den abgeschmackten Vergleich mit früher und drüben auch der idiotische "Widerspruch zwischen Freiheit und Gleichheit" entdeckt zu werden pflegt: mehr vom einen muß angeblich mit einem weniger vom anderen erkauft werden, so daß man alles sowieso nicht kriegen kann und es am besten ist, die Unzufriedenheit bleiben zu lassen und sich der Realisierung des dritten Grundwertes, der Brüderlichkeit (modern: Solidarität) zu befleißigen. Hier zeigt sich, daß auch die Unzufriedenheit mit der Unzufriedenheit anderer das falsche Denken über die abstrakteste Bestimmung des Staates gehörig ankurbelt. Das Interesse am Staat, die positive Stellung zu ihm beschwört das g e m e i n s a m e A n l i e g e n und versucht, die offenkundigen Nachteile seines Wirkens mit einer Staatsableitung eigener Prägung als n o t w e n d i g e s Ü b e l akzeptabel zu machen. Die D e d u k t i o n d e s S t a a t e s aus der Menschennatur gehört zum Standardrepertoire jedes aufgeklärten Studienrates und Professors, wobei einmal die Gegensätze der kapitalistischen Gesellschaft bemüht werden, und nicht die liebenswerten Unterschiede. Die Deduktion übersieht, damit sie geht, - den Z w a n g z u r K o n k u r r e n z , den der Staat s e t z t , samt sämtlichen ökonomischen Eigentümlichkeiten, um das schiere G e g e n e i n a n d e r zum Ausfluß der M e n s c h e n n a t u r zu erklären: homo homini lupus, ergo müssen ein paar Wölfe für den Frieden unter den restlichen Wölfen einstehen, und das ist dann die notwendige staatliche Ordnung. Im Werkeltagsleben kürzt sich die Zurückweisung von Kritik, die ja das staatliche Wirken am Interesse mißt, ihn für sich als Mittel zu gebrauchen, auf die Bemerkung zusammen, daß Ordnung eben sein muß: wo kämen wir denn hin, wenn alles jedem gehört!
Die Bereitschaft, es im eigenen Interesse mit anderen aufzunehmen und zugleich für die Schranken Partei zu ergreifen, die von der Ordnung anderen gesetzt sind, lebt also in einer Demokratie. Auch in ihrer faschistischen Abwandlung, die das Konkurrenzinteresse tadelt und dem einzelnen gebietet, sein Trachten ganz im Gemeinwesen aufgehen zu lassen, was echte Freiheit wäre.

Die öffentlichen Festredner von Gleichheit & Freiheit, die im jeweiligen Staat die dem M e n s c h e n angemessene Sorte Ordnung erkannt haben wollen, finden die detaillierte Ausgestaltung dieser Frechheit wohlpräpariert in der wissenschaftlichen Literatur vor: keine Geistes- und Gesellschaftswissenschaft will es sich nehmen lassen, eine Definition des Menschen zu liefern, wobei die geringfügigen Variationen des Themas "Der Mensch ist von Natur aus ein Vieh, aber er zeigt sich gewöhnlich auch zu Höherem fähig!" dem jeweiligen praktischen Fachinteresse entspringen, welches an der Ausgestaltung des "Höheren" beteiligt sein will. Den Staatsbürger mit seinen beiden Seiten, dem M a t e r i a l i s m u s der Konkurrenz und dem von Abhängigkeit diktierten Staats i d e a l i s m u s , machen sie sich allesamt zum Anliegen, verfabeln ihn zur anthropologischen Konstante, so daß die Zurichtung des Willens als eine einzige B e s t ä t i g u n g der Menschlichkeit erscheint: psychologisch, pädagogisch, politologisch, betriebswirtschaftlich und literaturtheoretisch-linguistisch. Als ob die Anwendung der Wissenschaften nicht darauf beruhen würde, daß die Individualität der Leistung, von sich zu abstrahieren, manches e n t g e g e n s t e l l t ! Zur Sache mit den vielen Einzelwesen, die einen Staatsvertrag eingehen, steht bei Marx alles Wichtige; ebenso über die Rolle Robinsons in der Geistesgeschichte ! Die Würde des Menschen verlangt eben den wissenschaftlichen Staatsdienern auch das Ihre ab, zumal sie ja auch Kriterien dafür geben müssen, was von dem, das nur Menschen mit Staat im Kopf zuwege bringen, unter die Rubrik " u n m e n s c h l i c h " fällt.

§ 2

Souveränität - Volk - Grundrechte - Repräsentation

Der Wille zur politischen Herrschaft findet seine Erfüllung in der Souveränität des Staates. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus und entspricht seinem politischen Willen, indem sie ihn als das Allgemeininteresse g e g e n die Privatsubjekte durchsetzt. In der Verfassung werden die Beziehungen der Bürger untereinander bestimmt, und zwar in Form von gültigen Prinzipien staatlicher Gewaltanwendung.
Die Grundrechte setzen das Bürgern und Staat Erlaubte fest, definieren also die Pflichten, für deren Erfüllung professionelle Repräsentanten des Volkswillens sorgen. Die bürgerliche Gesellschaft erhält ihre Gegensätze durch die Scheidung ihrer Mitglieder in grundberechtigte Menschen und zur Gewaltanwendung verpflichtete Volksdiener.



a)

Der souveräne Staat ist von den Bürgern getrennte, selbständige Instanz, die mit keinem besonderen Interesse identisch ist und gerade und nur deswegen von allen anerkannte Gewalt ist, weil er s e i n Interesse, das Allgemeinwohl, gegen die Privatsubjekte durchsetzt. Indem er seine Gewalt dafür einsetzt, daß die besonderen ökonomischen Mittel nur gemäß seinem Interesse an Person und Eigentum verwandt werden, macht er sich den Interessen dienstbar, die der Verfügung über produktives Eigentum entspringen. Ihrem Inhalt nach ist seine Souveränität eine sehr relative Sache. Das gegen die einzelne Person und ihr Eigentum rücksichtslose Staatshandeln gilt der Funktion d e s Eigentums: nur durch seine Souveränität ist dieser Zweck gewährleistet. Diese wird erhalten durch den Willen des Volkes: der gemeinsame Wille mit dem Inhalt "Staat" macht aus den Individuen einer Gesellschaft ein V o l k , wobei sich dieser Wille in der B e s t ä t i g u n g der staatlichen Entscheidungen äußert. 0 b Staat sein soll, ist nie Gegenstand einer freien Entscheidung, sondern durch Gewalt entschieden. Alle wollen Repräsentanten, ob sie diese wählen oder ob sie vom Staat selbst eingesetzt werden; und ,im Namen des Volkes" sollen sie souverän handeln.

Der Schutz vor gewaltsamen Übergriffen der Privatsubjekte gegeneinander ist als Maxime staatlicher Souveränität Akt s e i n e r Gewährung. In den Grundrechten wird die negative Beziehung der konkurrierenden Privaten u n t e r e i n a n d e r in der Form von Rechten und Pflichten g e g e n ü b e r der politischen Gewalt fixiert. Nur soweit sie Pflichten gegenüber dem Staat auf sich nehmen, gewährt ihnen der Staat das Recht, freie Privatperson zu sein. Der Staat ist also Mittel der Gesellschaft, die er seiner Souveränität unterwirft und mit den Grundrechten'zu einer Wahrnehmung ihrer Freiheit anhält, die positiv zum Staat steht. Die Grundrechte formulieren allgemein gültige Beschränkungen: in der Form der Zusicherung dessen, was er alles darf, erfährt der Bürger, was ihm alles verboten ist, bzw. wie der Staat mit ihm verfahren darf - so daß jedes Grundrecht seine Bedingungen gleich mitformuliert. Die Wahrnehmung von Grundrechten muß stets mit dem staatlichen Eingriff rechnen, und dies umso mehr, je näher ein Grundrecht auf das Verhältnis Staat - Bürger abzielt. Die Grundrechte verpflichten, was Hegel wußte und dann lieber die Umkehrung zur Feier des Staates bemühte. Die Gleichung Recht = Pflicht besagt, daß der Staat seine Macht dafür einsetzt, daß jede Beziehung der Bürger staatlichen Grundsätzen genügt. Die Grundrechte werden auch Menschenrechte (im Unterschied zu Tier- und Pflanzenrechten) genannt, nach der Vorstellung, daß sie der Natur des Menschen gemäß seien. Die "Natur", die verlangt, ihn zu einem Grundberechtigten zu machen, ist die Welt der Konkurrenz, in der das Eigentum nicht viel von der gegenseitigen Achtung der Menschen übrigläßt. Die p o s i t i v e Bestimmung des M e n s c h e n , die ihm von Staats wegen beigebracht wird, ist ihrem Inhalt nach eine n e g a t i v e . Die Staatsgewalt sorgt für Konkurrenz und Rücksicht!

c)

Wenn die Staatsdiener - vom höchsten Politiker bis zum kleinsten Beamten - ihre Geschäfte ausführen, repräsentieren sie n e b e n der Gesellschaft das allgemeine Interesse, das i n ihr nicht existiert. Sie wirken f ü r die Privatsubjekte, indem sie ge gen sie vorgehen. Dabei zeichnen sie sich durch die Rücksichtslosigkeit aus, die dem guten Gewissen, als Staatsgewalt den Willen des Volkes geltend zu machen, eigen ist. Die individuellen Wünsche der Volksangehörigen, in deren Namen sie handeln, erscheinen ihnen als unberechtigtes Hindernis, weil die Souveränität des Staates mit Ihrer Durchsetzung zusammenfällt. Die Leistung der Repräsentanten ist andererseits nicht immer selbstverständlich, da auch sie individuelle Interessen haben und ihr Amt da manche Verlockung bereithält. Die unvermeidlichen Kollisionen von staatlichem und Privatinteresse in der Person des Staatsagenten sind der Grund für die Sicherstellung dieser Typen gegen die Fährnisse der Konkurrenz, aber auch für die Benutzung der Amtsgewalt für das Privatinteresse: Karriere, erlaubte Vergünstigungen und Korruption.

Jene, denen das Staatsamt schon in Fleisch und Blut übergegangen ist, die es also wissen müssen, warum sich eine kritische Stellung zum Staat nicht mit einer ordentlichen Pflichterfüllung im Amt verträgt, haben Berufsverbote erfunden, die es übrigens nicht nur bei den häßlichen Deutschen gibt. Staatsdienst ist eben kein Beruf wie jeder andere, auch nicht als Lokführer.

d)

Im Kampf um die Durchsetzung des souveränen Staates ging es darum, die Verschmelzung der politischen Gewalt mit Kirche, Adel und Grundeigentum zu beseitigen und die g e s a m t e Gesellschaft seiner Gewalt zu unterwerfen. Seine Entscheidungen wurden von besonderen Interessen (auch von solchen außerhalb seines Herrschaftsbereiches) gelöst; nur s e i n e n Bürgern, aber auch a l l e n , sollte der Staat verpflichtet sein und umgekehrt, so daß der Kampf um die Anerkennung von Person und Eigentum in Form einer Befreiung des alten Staats von seinen Abhängigkeiten stattfand. Im Namen der Volkssouveränität forderten die von der Staatsmacht nicht anerkannten Teile der Gesellschaft ihre Beteiligung an der öffentlichen Gewalt. Alle staatlichen Entscheidungsorgane sollten mit den Grundrechten alle Beherrschten achten, was die alten Souveräne nicht taten. Sie wurden beseitigt, und die Menschenrechtserklärungen waren der Auftakt für die Ausübung einer politischen Gewalt, die von Volksvertretern bestellt wurde. Aus denen, die Interessen g e g e n den alten Staat durchsetzten, wurden Repräsentanten dieser Interessen; nun sprachen und handelten sie nicht mehr f ü r die Anliegen ihrer Leute, sondern b e s c h r ä n k t e n dieselben mit allen Mitteln staatlicher Kunst.
Vom Standpunkt der Kämpfenden erschien deshalb mancher bürgerlicher Revolutionär nach dem Sieg als Verräter!

e)

Für den praktischen Bürgerverstand bildet die Unausweichlichkeit der Unterwerfung unter die staatliche Souveränität den Ausgangspunkt für Erwartungen und Enttäuschungen. S i c h s e l b s t fühlt er laufend über die Maßen in die Pflicht genommen, b e i a n d e r e n sieht er dagegen nur Rechte und beschwert sich über die bedenkliche Schwäche der Repräsentanten, denen er sonst auch einmal den Vorwurf des Machtmißbrauchs macht. So findet er sich ab mit der Verpflichtung auf die Grundrechte, indem er ständig kritisch über das Ausmaß staatlicher Einschränkungsvollmachten gegenüber anderen streitet, die ihre Grundrechte wahrnehmen. Sein Interesse an Herrschaft wird da oft enttäuscht, so daß er sich zum Begutachter der Führungsqualitäten und der Vertrauenswürdigkeit seiner Repräsentanten entwickelt, die der Bürger über sein mangelhaftes Zurechtkommen in dessen Grund verwandelt. Der Anspruch auf gebührende R e p r ä s e n t a t i o n des Staates ist alles andere als Auflehnung, was sich an der peinlichen Lübke-Kritik von Intellektuellen darbot. Er wird ergänzt durch die Einstellung, daß die Benutzung der Macht für das private Ansehen des Repräsentanten legitim und verständlich ist, wenn es der Sache des Staates dient. Die Öffentlichkeit beruhigt sich über die brutalen Seiten der Herrschaftsausübung auch mit dem Gemeinspruch Politik sei ein schmutziges Geschäft, und die Sorgen über die Schädigung des Staatsansehens bei sogenannten Skandalen verschwinden schlagartig, wenn die betreffenden Figuren ausgetauscht sind (Watergate, Filbinger, Kohl).

Die Propagandisten einer funktionierenden Herrschaft, die politischen Wissenschaftler, betrachten das Verhältnis Staat - Bürger streng funktional. An der Volkssouveränität gefällt ihnen die Gewaltökonomie, die S t a b i l i t ä t einer politischen Macht, die sich auf Zustimmung gründet. In ihrer Ableitung der Repräsentanten aus Raum, Zahl und politischem Reifegrad preisen sie das Ideal eines Volkswillens, der im Repräsentanten staatlicher Gewalt u n d im Bürger als Verantwortung existiert. Politologen machen beim Lob der Grundrechte stets den Übergang von der herrlichen Möglichkeit, freier Bürger zu sein, zur Notwendigkeit, die Freiheit auch richtig zu gebrauchen. Jede Grundrechtserläuterung geht auf die Abwägung, wieweit die Ausnützung der Verfassung erlaubt sein soll - andererseits ist der etwas anders geartete Umgang auswärtiger Staaten mit ihren Bürgern damit zu erledigen, daß sie die Menschenrechte verletzen. Die "Menschenrechtswaffe" zieht vor allem gegenüber revisionistischen Staaten, weil sie deren Zurückdrängen, das knallharte imperialistische Vorwärts, so schön moralisch untermalt.

Die l i n k e n Fanatiker des wahren Volkswillens landen mit derselben Waffe enorm moralische Schläge in die umgekehrte Richtung. Das ganze Jahr über fordern sie für Arbeiter und Bauern mehr Rechte, weil sie ihnen das Vergnügen gönnen, voll und ganz mit der Staatsgewalt eins zu sein. Der Haken an der öffentlichen Macht liegt für sie nämlich darin, daß diese unter dem Druck von Monopolen eine echte Vertretung des Volkes nicht sein kann. In die richtigen Hände gelegt, können sie ihren gesellschaftlichen Verpflichtung wieder nachkommen.

Die f a s c h i s t i s c h e n Kritiker wollen ebenfalls das Verhältnis Volk - Staat enger gestaltet sehen: an die Stelle der souveränen Macht, die sich der Konkurrenz nützlich macht, soll ein Souverän treten, der die Konkurrenz als Staatsdienst organisiert. Im Bezug auf die Freiheit des Privatinteresses, das vom Staat reguliert und anerkannt wird, erblicken sie eine Schwäche des Staates. Grundrechte halten sie für Fesseln seiner Gewalt statt für ihr Mittel, und die demokratischen Staatsagenten für schlappe, im Gegensatz zum wahren Volksgeist verkommene Typen, weil sie den Willen der Bürger zum Staat nicht getrennt von seinen Gründen - den Ansprüchen der Konkurrenz - zum Motor der Politik machen: der Privatmensch soll im Bürger aufgehen!





§ 3

Gesetz - Rechtsstaat - Demokratie

Mit der Verfassung genügt der Staat dem Interesse seiner Bürger an den Verkehrsformen der Konkurrenz und verpflichtet sich, alles, was er tut, in Form von Gesetzen zu vollziehen, deren Inhalt den Grundrechten zur Durchsetzung verhilft. Indem die Repräsentanten des Volkes ihr Handeln mit den Grundrechten legitimieren und es korrigieren, sobald es der Verfassung widerspricht, ist der Staat Rechtsstaat. Als solcher ist er vom Einfluß des privaten Willens auf sein Handeln emanzipiert und läßt seine Gewaltausübung nur noch an der Verfassung messen. Die Demokratie ist insofern die adäquate Verlaufsform des Verhältnisses von Staat und Volk, als sie die Identität des Volkswillens mit der Staatsgewalt abstrakt verwirklicht, also trennt von der Zustimmung der Privatsubjekte zu bestimmten Gesetzen und ihrer Ausführung. Hier ist nicht Zustimmung gefragt, sondern Gehorsam; und für den Fall, daß der ausbleibt, steht nicht der Staat, sondern der Rechtsstaat zur Disposition.



a)

A d ä q u a t e Staatsform ist die Demokratie darin, daß die Staatsgewalt den Bürgern immer, aber auch nur dann Beschränkungen auferlegt, wenn der Gebrauch ihrer Freiheit eine Verletzung der Freiheit anderer zur Folge hat: der Staat a n e r k e n n t die Besonderheit aller Privatpersonen, die er dem Gesetz unterwirft. Er verleiht seinen Gesetzen allgemeine Gültigkeit, bezieht a l l e Handlungen auf sich und verlangt keinem Interesse besondere Leistungen ab - außer eben die, welche sich aus dessen ökonomischen Mitteln ergeben. (Man wird sehen, wie gründlich er das tut!) Im Unterschied zum absolutistischen Staat bevorzugt er keinen Stand, keine Klasse; jedermann kommt in den Genuß aller Rechte und niemand hat P r i v i legien. Nicht durch seine P a r t e i n a h m e , seinen unmittelbaren Einsatz für das Interesse bestimmter Teile der Gesellschaft, wird er Diener einer Klasse - das allen garantierte Gesetz und die Gerechtigkeit organisieren den Vorteil der Stärkeren und den bleibenden Nachteil der minder bemittelten Bürger: der demokratische Staat vertraut auf die Macht des Privateigentums, er e n t s p r i c h t den gesellschaftlichen Verhältnissen, wenn er sie kodifiziert.

b)

Die Macht, mit der die Organe des Staates sich von der Gesellschaft ausstatten lassen, nicht anders zu gebrauchen, als es den Zwecken der Bürger gemäß ist, betrachtet der Rechtsstaat als eine Pflicht. Er kommt ihr nach, indem er seine Kollisionen mit den Bürgern dem Kriterium der Grundrechte unterwirft. Großzügig begnügt er sich mit den Beschränkungen der Bürger, die in der Verfassung enthalten sind. Legitimes Hinausgehen über die Schranken findet andererseits immer dann statt, wenn die Existenz des Staates selbst gefährdet ist: wenn die Unbotmäßigkeit der rechtmäßig gedeckelten Teile seines Volkes zur Gefahr für seine Souveränität wird, gestattet der demokratische Staat sich selbst, auf die Verletzung der Grundpflichten mit der Sicherung des Gemeinwesens ohne wenn und aber zu reagieren:
einer drohenden Mißachtung seiner Vorschriften begegnet er mit dem Vorwurf des Mißbrauchs der Rechte, die dann auch durch ihren konsequenten Ausbau geschützt werden müssen: Notstandsgesetze als rechtmäßige Vorbereitung auf den Ernstfall, in dem ein Staat, Rechtsstaat zu sein, sich nicht mehr leisten will !

c)

Die Staatsform der Demokratie ist mit all ihren hochgepriesenen Verkehrsformen die Institutionalisierung der Gegensätze zwischen Staat und Bürger. Sooft sich - die Bürger der staatlichen Gewalt als ihres Mittels versichern, erweist sie sich als dieses Mittel dadurch, daß sie der Freiheit des einzelnen Grenzen zieht. Die Abstraktion, die die Privatsubjekte an sich vollziehen, tritt ihnen als Zwang gegenüber, dem sie gehorchen müssen. Weil sie diesen Zwang zur Durchsetzung ihres individuellen Interesses benötigen, aber auch nur wegen d i e s e s Interesses akzeptieren, sind sie aufrechte Demokraten nur dort, wo die Tätigkeit des Staates s i e nicht beeinträchtigt. Gegenüber den Nutznießern von Rechten, die für ihn Pflichten sind, ist keiner mehr demokratisch eingestellt - da hat jedermann bessere Alternativen des staatlichen Zuschlagens zur Hand. "Anständige" Bürger plädieren mitten in der schönsten Demokratie für "einfachere" Formen der politischen Gewalt, während ein Argument g e g e n Herrschaft ganz unüblich ist. Die Staatsmänner erfahren umgekehrt, daß ihr Dienst am allgemeinen Interesse kaum jemals auf das Wohlwollen der Bürger stößt, die Befolgung sämtlicher demokratischer Prozeduren also ihrem Fortkommen gar nicht unbedingt dienlich ist: mit zunehmender Amtsdauer werden sie der demokratischen Legitimation vor lhren Bürgern müde und tragen das Grundgesetz nicht immer unter dem Arm. Wo es sich gut macht, sagen sie aber auch, daß ihre Macht demokratisch zustandegekommen ist.

Der abstrakte Begriff der Demokratie ist also für die Erklärung des Faschismus von einigem Nutzen. Diese alternative Form bürgerlicher Herrschaft ist nicht nur als Wunsch der Politiker u n d Bürger in der Demokratie ständig präsent, sondern auch praktisch fällig, wenn sich Bürger und Staat i n ihrem Gegensatz dahingehend handelseinig werden, daß die ineffiziente Herrschaftsausübung schuld daran ist, wenn im ökonomischen Leben einiges nicht geht. Ein ordentlicher Gebrauch der politischen Gewalt, dem sich die Befürworter mit über das demokratische Maß hinausgehender Opferbereitschaft verschreiben damit Schluß gemacht wird mit Nörglern, politisch und ökonomisch nicht bedingungslos leistungswilligen Bürgern, stellt sich da alsbald ein, zumal der Antifaschismus als R e t t u n g s p r o g r a m m der Demokratie den politischen Kampfmitteln derer nichts entgegenzusetzen hat, die eine Rettung der Nation vor Schädlingen andersherum anstreben. Die Legende von der extra chauvinistischen Fraktion der Bourgeoisie, die ein Volk von Edeldemokraten ver- und dann nur noch führt, die dann aber auch wegen des Kräfteverhältnisses zu ihren Machenschaften befähigt gewesen sein soll, zeugt selbst von der nationalistischen Verbeugung vor einer echten Demokratie, die dem realen Willen zum Opfer für die Nation nichts entgegensetzt als eine fiktive Identität von Volk und Staat. Im übrigen widerspricht der Übergang zum Faschismus keineswegs der Aussage, daß die Demokratie die adäquate Staatsform des Kapitalismus ist. Als Institutionalisierung der G e g e n s ä t z e "funktioniert" sie eben nur, solange die auf den rechten Gebrauch des Privateigentums verpflichteten Bürger o r d e n t l i c h konkurrieren, d.h. mit den diversen Resultaten ihrer Konkurrenz auch demokratisch z u r e c h t k o m m e n w o l l e n - weshalb man auch zur Demokratie erzogen werden muß und manche Völker von Demokraten noch gar nicht für reif befunden werden für eine so anspruchsvolle Staatsform. Diese Leute wissen sehr gut Bescheid über die faschistischen Verhältnisse, die ihnen auswärts gelegen kommen, wo sie sie erzeugt haben und bewahren wollen: die Kunst der Selbstbeherrschung gehört zur demokratischen Herrschaft, ist die in ihr hochgehaltene Kardinaltugend; ihrer Pflege sind die auswärtigen Formen der Armut, läßt man den freien Willen erst einmal zum Zuge kommen, eine schlechte Grundlage.

d)

Die Kollisionen zwischen Staat und Bürger, die sich bei der Unterwerfung unter das Gesetz unvermeidlich einstellen, führen auf seiten der Bürger je nach ihrem in politische Alternativen übersetzten Interesse zu komplementären Formen der Zustimmung und Kritik. Man kann

l. sich am Leben der Demokratie beteiligen, indem man Handlungen des Staates mißbilligt und dies so tut, daß man ihre Legitimität bezweifelt. Dabei trifft man auf andere, die für dieselben Maßnahmen Stellung beziehen und ihre Iegitimität betonen. Zustimmung und Kritik wechseln je nach dem Charakter des Gesetzes, um das gestritten wird, die Seiten.

2. die Vervollkommnung der Demokratie zu seinem Anliegen machen. Entweder man erfindet eine generelle Krise der Legitimität und verlangt mehr Rücksicht auf bzw. Agitation um die Zustimmung der Bürger; oder man bedauert, daß sich der Staat seiner existenten Legitimität zu wenig sicher ist und in einem fort sein Handeln an der Billigung der Bürger orientiert. So gibt es für die einen Feinde der Demokratie, für die anderen Feinde des Staates. Letztere haben es nicht ganz so leicht, deshalb beteuern sie ständig ihren Willen zum Staat, wenn es sein muß, auf öffentlichen Tribunalen.

3. sich als Gegner des demokratischen Staates betätigen, indem man seine Legitimität l e u g n e t . Während der Revisionismus die eindeutige Verteilung von Schaden und Nutzen im Volk zum Anlaß nimmt, den ständigen Mißbrauch der Zustimmung zur souveränen Gesetzesmacherei anzuprangern, also einen Staat propagiert, der sich an den "Interessen der Massen relativiert, sind Anarchisten mit der Entdeckung der Gewalttätigkeit des Staates gegen die Individuen zufrieden. Im Namen des Volkes messen sie sich auf diesem Felde mit dem Staat und müssen erfahren, daß der Volkswille der Gewalt der öffentlichen Instanzen durch aus wohlgesonnen ist: sie werden, weil in ganz anderer Weise von den Massen getrennt als die Staatsagenten, zu Gehetzten und Opfern, GSG 9 zu Helden der
Demokratie. Den Faschisten ist die Legitimität des Staats eine einzige Beschränkung für die Erfüllung seiner Aufgaben. Mit der prinzipiellen Zustimmung verlangen sie vom Bürger die bedingungslose Unterordnung, den Verzicht bei jedem Interesse, das den Staat beschränkt: Politik als rücksichtslose Ausrichtung des Volkes am Staatszweck, Volksgemeinschaft. Terror im Namen des Staates.

e)

Die Entstehung von demokratischen Staaten beruht darauf, daß zwischen Klassen mit gegensätzlichen Interessen e i n e Gemeinsamkeit existiert hat: ein Staat war für beide nützlich, der die Rücksichtnahme auf die eigenen Notwendigkeiten bei anderen erzwingt. Die Einheit zwischen Bourgeoisie und Proletariat war eine n e g a t i v e - sie richtete sich gegen einen Staat, der sich zum Werkzeug einer unproduktiven Klasse machte; in Amerika direkt S c h a f f u n g einer Obrigkeit.

f)

Die Verherrlichung der Demokratie hat mit ihrer Erklärung nichts zu tun, und sie bedient sich gewöhnlich des Verweises auf Vorteile, die nicht allzuvielen Bürgern zuteil werden; bei der Überlegung, wie sie zu verteidigen ist, ist man ohnehin nicht zimperlich. Ein Lob der Demokratie kommt am ehesten noch über einen "Vergleich" mit zeitlich (alle Phasen der Erdgeschichte ! ) oder örtlich (Hinterindien ! ) entrückten Zuständen zustande - wobei jegliche Kritik durch den Hinweis auf Schlimmeres für verfehlt erklärt wird. Meint man es mit dem Vergleich der bürgerlichen Demokratie mit vorherigen Verhältnissen ernst, so wird man im Fortschritt - Anerkennung des (abstrakt) freien Willens, Abschaffung persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse etc. - auch den Zwang entdecken, dem insbesondere die große Hälfte der freien Bürger da unterworfen wird: daß alle Freiheiten nur soweit reichen, wie der Staat es zuläßt, also ihre Einschränkung institutionalisiert wurde, ja daß mit ihrer Brauchbarkeit ihre Berechtigung steht und fällt;. Hierher gehören die beliebten Interpretationen des demokratischen Auftrags, an denen neben Journalisten vor allem die Revisionisten inner- und außerakademisch rege teilnehmen; bei der Bewährung der einschlägigen Deutungskünste spielt das Hin und Her zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine gewaltige Rolle - zu viel oder zu wenig Demokratie wagen, erkämpfen, leben ...



§ 4

Recht - Schutz von Person & Eigentum - Moral

Die legitime Gewalt des Staates unterwirft die Bürger dem Gesetz. Der Staat verschafft dem Recht Geltung und zwingt sie dadurch zur wechselseitigen Anerkennung ihres freien Willens. Die Rechtspflege sorgt für den Schutz von Person und Eigentum sowie für die Souveränität des Staates. Sie e r h ä l t die Konkurrenz, indem sie die Freiheit der Privatsubjekte von der Übereinstimmung ihrer Handlungen mit dem Recht abhängig macht. Der Staat beurteilt alles, was die Bürger tun, danach, ob es dem Gesetz entspricht, und verleiht seinem Urteil Gültigkeit, indem er das verletzte Recht w i e d e r h e r s t e l l t . Durch die Macht des Staates ist den
Handlungen der Bürger das Gesetz immanent, so daß die Bürger dessen Gebote als sittlichen Maßstab anerkennen, den sie an sich selbst und an andere anlegen: Moral.



a)

Wenn der Staat den freien Bürger, seine Persönlichkeit und sein Eigentum s c h ü t z t , indem er ihn beschränkt, dann b e r u h t er n i c h t n u r auf den Kollisionen der Konkurrenz; die Erhaltung der Gesellschaft, in der die Vermehrung von Eigentum, die Erweiterung der Sphäre persönlicher Freiheit, andere von der Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum ausschließt, bildet auch den einzigen Zweck des bürgerlichen Staates. Indem er seine Gewalt dafür einsetzt, daß von keiner Seite Übergriffe auf die Person und das ihr gehörige Eigentum stattfinden, sorgt er für die Bewahrung der Unterschiede, die er im ökonomischen Leben vorfindet. und für eine Austragung der darin enthaltenen Gegensätze, deren Resultat von vornherein feststeht. Daß die g l e i c h e Behandlung der mit unterschiedlichen Mitteln ausgestatteten Kontrahenten die beste Gewähr dafür bietet, daß die U n g l e i c h h e i t fortbesteht und wächst, will den Fanatikern der Gleichheit nicht in den Kopf. In der Gleichheit sehen sie kein Gewaltverhältnis, sondern ein Ideal, an dem sie die gesellschaftlichen Unterschiede messen.

Die Praktizierung dieses Ideals, die sich der Staat angelegen sein läßt, ist im Gegensatz zu solchen Auffassungen kein Unrecht, sondern der Rechtszustand. Durch den Vergleich der Handlungen von Privatpersonen mit dem Inhalt des Gesetzes erreicht der Staat, daß die Freiheit des einzelnen am Eigentum des anderen aufhört.
So unterscheidet sich das Urteil im Recht wesentlich von dem in der Wissenschaft. Während das Urteil der Wissenschaft die Theorie über einen Gegenstand, seine Erklärung, darstellt, als Gedanken festhält, was er i s t , hat das juristische Urteil mit der Erklärung der Handlungen, die es betrifft, nichts gemein. Was Recht ist, beschäftigt den Juristen überhaupt nicht - er weiß, daß es das Recht g i b t in Form von Gesetzen, die sich nicht wissenschaftlichen Anstrengungen, sondern Gesetzgebungsakten der Staatsgewalt verdanken; und er hat nur ein Anliegen: die Handlungen der Staatsbürger daraufhin zu untersuchen, ob sie dem geltenden Gesetz ent- oder widersprechen, und durch seine theoretische Subsumtion von "Fällen" unter das Gesetz deren praktische Subsumtion vorzubereiten. Seine Urteile sind kein Wissen, sondern Vergleiche, Abstraktionen vom konkreten Inhalt der Handlungen durch ihre B e z i e h u n g aufs Recht, denen durch gewaltsames Vorgehen gegen die Individualität o b j e k t i v e G e l t u n g verschafft wird: Polizei und Justiz.

c)

Mit dem Schutz von Person und Eigentum sichert der Staat dem einzelnen eine Sphäre der Freiheit, die ihm bei der Verfolgung seiner besonderen Anliegen Grenzen
setzt. Die Betätigung des freien Willens ist abhängig vom freien Willen anderer; sie wird daher rechtlich geregelt, der Staat schreibt den Bürgern die Form vor, in der sie miteinander zu verkehren haben. Die Realisierung ihrer privaten Interessen ist ihr Recht, d.h. unter der Bedingung gestattet, daß sie dem Gesetz nicht widerspricht.

Der Staat setzt sein Gewaltmonopol dafür ein, daß die Kollisionen zwischen den Interessen in der Gesellschaft ohne Gewalt ausgetragen werden: die Unterwerfung aller Handlungen unter das Gesetz ist die Grundlage für die bürgerliche Definition der Gewalt als unrechtmäßiger Handlung, die manch staatstreuem Zeitgenossen die kapitalistische Gesellschaft als Idylle erscheinen läßt. Vor lauter Freude über das Gewaltmonopol des Staates vergißt der bourgeoise Verstand leicht, daß in der Geltung des Gesetzes die Abwicklung a l l e r Geschäfte die Unterwerfung unter die Staatsgewalt einschließt, das Interesse an Freiheit auch eines an Gewalt ist.

1. Im Zivilrecht bestimmt der Staat die Beziehungen der voneinander abhängigen Privatpersonen aufeinander. Er setzt Normen für die Handlungen fest, die aus der Betätigung der Freiheit der Person und der Nutzung des Eigentums erwachsen. Er bestimmt

- die Bedingungen, unter welchen jemand als Rechtssubjekt gilt und als solches Rechtsgeschäfte abschließen kann, d.h. wann und wieweit der Wille eines Menschen
von anderen respektiert werden muß, was also in der bürgerlichen Gesellschaft nicht zu den Selbstverständlich keiten zählt: Personenrecht;

- die Abwicklung von Rechtsgeschäften, ihre verschiedenen Arten, den Modus ihrer Durchführung sowie ihre Konsequenzen: weil die Privatsubjekte bei ihren Geschäften mit anderen nur ihren Nutzen im Auge haben, muß der Staat ihnen die Grundform rechtlichen Verkehrs, den Vertrag aufherrschen, und zwar durch penibelste Vorschriften bezüglich aller zum Vertrag gehörigen Momente. Das Gesetz definiert, was als Willensäußerung gilt, wann eine Willensäußerung gültig ist, was diese Gültigkeit impliziert (Schuldleistung) und w i e das Leistungsversprechen einzulösen ist - und weil jeder Kontrahent dem anderen nur Mittel für den eigenen Vorteil ist, muß der Staat auch dafür sorgen, daß seine Bürger nicht über Gegenstände und Leistungen kon trahieren, die sich ihrer Verfügung entziehen. Gewaltsam bringt er ihnen den ausschließenden Charakter des von allen begehrten und ge schätzten, deshalb stets mißachteten Privateigentums bei: Schuld und Sachenrecht;

- die Verhältnisse von Person und Eigentum, die sich aus ihrer Infrage stellung in der Beziehung der Geschlechter und zum Kind ergeben. Diese Beziehung bedarf gesonderter Regelungen, weil sich Mann, Frau und Kind vor lauter Liebe ihrem Dasein als Rechtspersonen ent gegenstellen. Der Staat zwingt sie zu einer Teilung und Gemein schaftlichkeit von Rechten und Pflichten auch in dem Bereich, indem sie die wechselseitige Ausschließung aufgrund individueller Zuneigung aufgeben. Damit erklärt er die Sphäre häuslichen Glücks zu einem geregelten Nützlichkeitsverhältnis, weswegen der Bruch des Sakraments auch seine weltlichen Seiten hat. Vor dem Höchsten kommen niedere Instanzen!: Familienrecht;

- die Verhältnisse von Person und Eigentum, die sich aus dem Tod von Eigentümern ergeben. Er garantiert den Fortbestand des Nutzens, den das Eigentum
innerhalb der. Familie erfüllt, und beschränkt daher die freie Verfügung über das Privateigentum durch Testamente, was bereits zu Lebzeiten in diversen Verboten antizipiert wird: Erbrecht.

2. Im Strafrecht regelt der Staat die Wiederherstellung des verletzten Rechts. Im Unterschied zur Festlegung privater Ansprüche, die im Zivilrecht normiert ist und auf die Durchsetzung rechtmäßiger Verhältnisse zielt - es soll nichts Unerlaubtes geschehen - geht es hier um die Reaktion des Staates auf Handlungen, die das Gesetz brechen. Indem diese Reaktion selbst als fester Bestandteil des Gesetzes erscheint, als Kodifizierung des Verbrechens (nullum crimen sine lege), verliert der Schutz des Gesetzes den Schein der Idylle, der ihm mit Hilfe des Vergleichs mit früheren Zuständen angedichtet wird. Wenn die Wiederherstellung des Rechts nichts
mit der Macht der privaten Willkür, die auf Verletzungen reagiert, zu tun hat; wenn sie Rache, Fehde, Duell etc. selbst als Unrecht behandelt und der Standpunkt der Justiz nicht der des geschädigten Interesses, sondern der des im Staat objektiven freien Willen ist, dann erhält das Recht eine Gesellschaft, in der jeder einzelne einem Prinzip entsprechend handelt, dem der Zwang zum Unrecht immanent ist.

- Das Schuldprinzip verlangt die Feststellung nicht nur des Vorhandenseins eines freien Willens beim Täter (Zurechnungsfähigkeit), sondern vor allem den Nachweis, daß die inkriminierte Handlung eine desjenigen freien Willens war, der sich dem Recht unterworfen weiß, das er bricht: Vorsatz - Fahrlässigkeit.
Verbrechen können nur von Leuten begangen werden, die dem Gesetz gehorchen.

- Entsprechend richtet sich die Strafe, die das Gesetz wiederherstellt, gegen ihn; sie ist Gewalt gegen Person und Eigentum, und darin dem Schuldigen (Geständnis) gemäß. Prävention und Resozialisierung sind vom Zweck der Strafe abgeleitete Zielsetzungen, die das Bewußt sein verraten, daß Strafen mit der Verhinderung des Unrechts nichts zu tun haben - was freilich die soziologischen Befürworter nützlicher Strafen nicht interessiert.

- Wenn bei der Bestimmung des Strafmaßes für verschiedene Vergehen scheinbar widersprüchliche Maßstäbe angelegt werden (z.B. Wirtschaftskriminalität - Raub), dann belegt dies nur das unterschiedliche Interesse des Staates an den Delikten. Und wenn bei der Beurteilung der Willentlichkeit einer Handlung Affekt zum mildernden Umstand wird, konzediert das Gesetz die traurige Realität der bürgerlichen Gesellschaft: es bedarf einiger Willenskraft, um die Beschränkungen durch andere zu ertragen, weswegen auch der berech nende Wille, ansonsten sehr gefragt, als niederes Motiv zählt, wenn er das Gesetz bricht.

3. Die Unterwerfung der Bürger unter das Gesetz, das der Staat selbst macht, entsprechend dem Gesetz zu regeln, ist Gegenstand des öffentlichen Rechts: es befaßt sich daher mit der Verfassungsmäßigkeit von Form und Inhalt der Gesetzgebung und anwendung und betrifft so verschiedene Bereiche wie
- parlamentarische Prozeduren
- Gerichtswesen und Polizei
- Steuern
- Wissenschaft usw. usw.

Insofern sich der Staat in all seinen Handlungen dem von ihm selbst gesetzten Recht unterwirft, s i c h als Rechtssubjekt beurteilt, wenn er seine Gesetze erläßt (Legislative), Recht spricht (Judikative) und ausführt (Exekutive), eröffnet sich die sinnreiche Frage nach dem gewaltigen Nutzen der wechselseitigen Kontrolle der Staatsgewalten: Ideologie der Gewaltenteilung. (MEW 7/498)

d)

Die legitime Gewalt des Staates, deren beschränkende Wirkung auf die Interessen der Bürger hingenommen wird, ist Resultat von Auseinandersetzungen mit einem Souverän, dessen Macht über die Gesellschaft nicht mit ihrer Unterordnung unter die Zwecke der Gesellschaft einherging, welche den Rechtsstaat auszeichnet.

- Gegenüber einem Fürsten, dessen Wort Gesetz war, galt es die Allgemeinheit des Rechts, die Loslösung von seinem persönlichen Willen durchzusetzen: neben die Forderung nach Freiheit und Gleichheit tritt der Kampf um die Verpflichtung der Gesetzgebung auf den Willen des Volkes, um die Unterwerfung der Regierung unter
das Gesetz und die Unabhängigkeit der Gerichte: hier der Ursprung der Lehre von der Gewaltenteilung.

- Während in anderen Ländern sich das Bürgertum darin bewährte, diesen Kampf auszuführen, zeichnete sich Deutschland dadurch aus, daß es die Notwendigkeit des bürgerlichen Staats, der nicht zustandekam, durch philosophische Traktate über seine Ideale verkünden ließ. Die Aufklärungsphilosophie und Literatur propagierte den bürgerlichen Staat mit der Deduktion seiner moralischen Prinzipien: praktische Philosophie Kants/Fichtes.

- Die Entstehung der amerikanischen Demokratie unterscheidet sich von der Konstitution europäischer Demokratien dadurch, daß die Inbesitznahme des herrenlosen Landes, die daraus erwachsene freie Konkurrenz mit dem dazugehörigen Recht des Stärkeren die Bürger zwang, einen Staat zu machen. Der Staat war als Resultat der Aktivitäten der freien Eigentümer, die der Staatsgewalt nur soweit Hoheitsrechte übertrugen, wie es für die Konkurrenz nützlich erschien, von vornherein nur Mittel für die Interessen des Volkes: erste Demokratie mit ihren heute noch rauhen Sitten.

e)

Seines Vorteils wegen will der Bürger das Recht, das ihm zugleich als Beschränkung entgegentritt; mit seinem Nutzen muß er also auch seinen Verzicht wollen: Moral. Er rechtfertigt seine Unterwerfung unhr die Gewalt, die ihm schadet, mit dem Ideal dieser Gewalt und ergänzt den ihm auferlegten Zwang durch seine Tugend. So gehorcht er nicht nur dem Gesetz, er hat auch eine rechtliche Gesinnung, die ihn seinen Gehorsam ertragen läßt. Alle seine Handlungen mißt er am Ideal der Rechtschaffenheit, und weil er in der Verfolgung seiner Vorteile seine Pflichten beständig verletzt, tut er dies mit schlechtem Gewissen. Die Gewohnheit des dabei erreichten Vorteils mag ihn die Beurteilung seines Tuns als Gut oder Böse vergessen lassen, das Urteil smderer bringt sie ihm beständig in Erinnerung, ebenso wie er selbst den anderen gegenüber als schlechtes Gewissen fungiert: öffentliche Heuchelei. Hier gelingt der moralischen Betätigung der eindrucksvolle Nachweis, daß
das Gute nur Schein ist, und als Ideal die besten Dienste leistet, weswegen ein Idealist derjenige verächtlich genannt wird, der die Ideale zu praktizieren sich anschickt. Während die Biirger ihrer Jugend gestatten, gewissen Idealen anzuhängen - sie sind sich sicher, daß die harte Welt des Erwerbs auch die Begeisterung für die Ideale in die schlichte moralische Funktionalisierung derselben für den Eigennutz verwandelt -, wird ihnen der Moralismus Erwachsener zum lästigen Charakterzug. Einem Erwachsenen Idealismus bescheinigen heißt daher stets auch, ihn der Realitätsblindheit, untüchtigkeit bezichtigen, was auch gegenüber
Kommunisten üblich ist, solange sie keine Gefahr darstellen.

Die Moral ist also alles andere als ein überflüssiges Beiwerk im bourgeoisen Zirkus, sondem die Versubjektivierung des Zwangs, auf den man um des eigenen Erfolgs willen eingeht, die Einstellung, die man benötigt, um mit dem Verzicht, den der Erfolg fordert, zurechtzukommen. Sie überdauert sogar längere Perioden, in denen sich partout kein Fortkommen abzeichnet, und erweist sich als ihrem Zweck gemäß auf der Sonnen- wie auf der Schattenseite der Gesellschaft. Den einen dient sie als willkommene Ergänzung ihres Vorteils - legerement verkünden sie, daß ihnen um Höheres zu tun sei, mit Sprüchen über das Gute, Wahre sowie Schöne; den anderen bietet sie in ihren vulgären Formen Trost angesichts ihres Elends; und beiden Seiten ist sie praktizierte Enthaltsamkeit in Sachen Veränderung.

So nimmt es nicht wunder, daß in der modernsten aller Gesellschaften radikale Kritik im Moralismus ihrer Adressaten eine harte Nuß zu knacken hat, und dies nicht nur im Moralismus als theoretischem, als Form des falschen Bewußtseins. Die Ideale des Altruismus, der Bescheidenheit, der Ehrlichkeit, des Mitleids, der Nächstenliebe etc. zu praktizieren, drängt es das Volk, von der Näherin bis zur Präsidentengattin; und alle tragen ihr Scherflein zur Krebshilfe bei; in der Aktion Sorgenkind kann man dasselbe mit dem Anreiz eines möglichen Gewinns tun. Sie versammeln sich in Vereinen zur organisierten Verdummung und Verwahrlosung der Jugend, in dem festen Glauben, hier hätten sie Gelegenheit zu dem, was ihnen das normale Leben versagt: Gemeinsamkeit der Zwecke mit anderen, Solidarität, Freundschaft - sie kompensieren den Zwang zur Konkurrenz gegen andere mit der widerlichen Vereinigung auf Basis ihrer Ideale, selbst dann, wenn sie ihr Idealismus weitere Opfer kostet.

Die Religion nimmt bei alledem den ersten Rang ein. Das Christentum ist von Marx als dem Kapitalismus entsprechende Religion bezeichnet worden. Der Kult des abstrakten Christenmenschen praktiziert die Vorstellung von Gott als dem obersten allmächtigen Richter, dem man so gut wie alles verdankt, von dem man andererseits auch nichts geschenkt bekommt - außer der Gnade, auf sich als Erbsünder höllisch aufpassen zu dürfen. Jeder sündigt, bekennt sich reumütig dazu und spielt sich ganz bescheiden als Richter über die Taten anderer auf. Kleine Unterschiede sind auch bei dieser Form der "geistigen Unterwerfung" in der Gemeinde Christi nicht zu übersehen: die einen predigen und erziehen anderen die gebotene Moral an, was ein echter Beruf geworden ist - die anderen machen sie sich zueigen, und ihre Heuchelei auf dem Felde christlicher Maßstäbe nimmt eher amateurhafte Züge an. Der neben dem Materialismus der kapitalistischen Gesellschaft praktizierte Idealismus der Religion kann die schwindende Botmäßigkeit der Menschen - die aus der Kirche austreten, weil diese sich nicht auf die theoretische Propaganda der Moral beschränkt, sondern aus dem Glauben ihrer Gemeinde die Vorschrift zu weltlichem Engagement gemacht hat; der mangelnden Attraktivität säkularisierten Glaubens entspricht die Einmischung der Institution quasi als Interessenverband - umsomehr verkraften, als der Staat im christlichen Krankenpfleger und Jugendpfarrer längst die nützliche Seite des Glaubens entdeckt hat und Kirchensteuer verlangt. Der Eifer christlicher Caritas gestattet ganz nebenbei den Haß gegen Leute zu erwecken, die weder tierlieb sind noch praktisch den Fortbestand des bürgerlichen Elends unterstützen, indem sie die anderen abverlangten Opfer um ihr eigenes bereichern.

f)

Die Logik des moralischen Denkens entspricht seinem Grund, dem Preis der Unterwerfung unter den Staat den man für die goldene Freiheit entrichten muß. Wo der mit den staatlichen Einschränkungen einverstandene Bürger anderen gegenüber seinen Vorteil herausschlagen will, kommt er ihm mit d e s s e n e i g e n e n N a c h t e i l daher sowie der Herleitung eines a l l g e m e i n e n Schadens, der sich einstellt, wenn sich der Kontrahent von dem nicht abbringen läßt, was er vor hat. Die Normalform der Mißbilligung unterscheidet sich erheblich von Kritik: an den Zwecken, die in unserer schönen Gesellschaft von Staats wegen gebilligt und verordnet werden;sie richtet sich stets g e g e n die Freiheit anderer und will sich die existente Gewalt nützlich machen. Dies ist übrigens nicht nur in den kleinen zwischenmenschlichen Ekelhaftigkeiten üblich, sondern auch bei der öffentlichen Verhandlung von Grundsatzfragen d e r Lebensordnung und was sich generell so gehört. Während die Gesellschaftstheorie des anständigen Bürgers starke Übergänge zur faschistischen Verurteilung selbst noch der kleinsten Freiheiten, die sich einer herausnimmt, aufweist ("Wo kämen wir denn hin. wenn das alle täten!"), macht die revisionistische Moralphilosophie die Aufteilung der Bürger und ihrer Handlungen in nützlich/gut - schädlich/böse etwas anders. Der feste Standpunkt der Massen hat freilich mit Marx nichts zu tun, obwohl der als Berufungsinstanz herangezogen wird: der Klassiker hat das K a p i t a l und deswegen die Kapitalisten kritisiert, ist daher auch nicht auf Bündnisse mit süßen kleinen Kapitalisten verfallen. Auch waren die Massen bei ihm nicht entrechtet und gut und das Finanzkapital (ein schöner Berührungspunkt mit den Faschisten!) nicht u n g e r e c h t wie auch sonst alles Unangenehme. Die moralische Gesellschaftskritik, die unter den Anmerkungen zur Ideologie bei jedem §§ zusammengefaßt wird, ist logisch
gesehen Quatsch erster Ordnung, aber ihre Wirkung als Beitrag zum geordneten Zusammenleben in einer Demokratie ist eine ungeheure - was die Spontaneisten aller Länder bemerken und betont u n m o r a l i s c h das Bedürfnis der Individualität kultivieren gegen deren Zähmung. An der bürgerlichen Integration der entsprechenden Einfälle - insbesondere in Sachen grüne Welt und Sexualität - beweist sich die T o l e r a n z der öffentlichen Ordnung: Ein klein wenig aus der Reihe tanzen geht - wenn's den Gang des Kapitals und des Staatslebens allerdings stört, gibt's Krach. Selbstverständlich gehören die Formen der Durchsetzung des Rechtsstaats ins Arsenal der Stereotype, mit denen ihm kritisch gehuldigt wird: Französische Revolution mit ihren großartigen Ideen, Kantische Philosophie mit ihrem moralischen Sternenhimmel und Wilder Westen sind bleibende Requisiten moderner Moral.

§ 5

Ideeller Gesamtkapitalist - Sozialstaat

Da der Staat seine Bürger durch die Unterwerfung unter das Gesetz zwingt, sich als Privateigentümer zu erhalten, ergreift er zusätzliche Maßnahmen, die garantieren, daß sich die Individuen trotz der Gegensätze der Konkurrenz entsprechend ihren Mitteln reproduzieren.
Die negativen Wirkungen der durch das Recht formell gesicherten Konkurrenz auf die Reproduktion der Bürger sind für den Staat Anlaß zu kompensatorischer Tätigkeit, die der Aufrechterhaltung der Eigentumsordnung dient. Diese Tätigkeit anerkennt die gesellschaftlichen Unterschiede im Eigentum und nimmt entsprechend den eigentümlichen Voraussetzungen der Staatsbürger den Charakter des Nutzens und Schadens an. Indem die Sicherung des Eigentums die seiner Unterschiede ist, was Sonderrechte erforderlich macht, erhält der Staat die Klassengesellschaft. Der ideelle Gesamtkapitalist, der den Eigentümern der Produktionsmittel allgemeine Voraussetzungen ihrer Konkurrenz bereitstellt, sorgt als Sozialstaat auch für die Erhaltung der Klasse, die keine Mittel hat, damit sie als Mittel des Eigentums tauglich ist.



a)

Die Sicherung des Privateigentums ist identisch mit dem den freien Individuen auferlegten Zwang, sich in der Beschränkung auf ihre Mittel, damit in der Abhängigkeit von den Mitteln der anderen, zu bewähren. Der gesellschaftliche Zusammenhang, den der Staat am Funktionieren erhält, beruht auf der Notwendigkeit jades einzelnen, sein Eigentum als Mittel für seine Reproduktion einzusetzen, indem er den Nutzen, den andere aus ihm ziehen können, für sich verwendet. Je nach der Natur dessen, worüber er ausschließlich verfügt, ist er imstande, sich einen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum zu verschaffen. Der Staat sorgt dafür, daß jeder mit seinem Privateigentum an der Vermehrung des Reichtums teilnimmt und nur entsprechend dieser Teilnahme sein Auskommen hat. Er ermöglicht den quantitativen Vergleich von qualitativ unterschiedenen Formen des Reichtums durch die Garantie eines objektiven Maßes: er ist verantwortlich für die Geltung und Bereitstellung des Geldes, des Mittels für den gesellschaftlichen Austausch, und bindet damit jede Tätigkeit seiner Bürger an die Verfügung über Geld. Keine Leistung und kein Gut, die nicht mit Geld und nur mit Geld zu erhalten sind.(Dies ist nicht die Erklärung des Geldes und daher auch kein "Verstoß gegen die Werttheorie"; die
Betrachtung des Geldes vom Standpunkt des Staates ist aber kenntlich als Grund für bürgerliche Geldtheorien und die Deduktion des Werts bei HEGEL. Vgl. Rechtsphilosophie § 63)

Die Staatsbürger unterscheiden sich sowohl nach der Größe ihres Einkommens wie nach der Leistung, die sie als Privateigentümer für ihr Einkommen bringen. Da für die Schaffung und Verteilung des Reichtums bereits vorhandener Reichtum, ,welcher die Form des Privateigentums besitzt, ebenso notwendig ist wie die productive Tätigkeit von Menschen, die die Freiheit der Person genießen, gelten in der bürgerlichen Gesellschaft so disparate Dinge wie die produktive Nutzung von Kapital/Boden und die Verrichtung von Lohnarbeit als g l e i c h b e r e c h t i g t e , objektiv anerkannte Weisen, sich ein Einkommen zu verschaffen. Die kompensatorische Tätigkeit des Staates wird dem Eigentümer von Produktionsmitteln ebenso gerecht wie denen, die keine haben. Die einen unterstützt er bei der Beseitigung von Schranken, welche die Gesellschaft der Nutzung ihres Eigentums entgegenstellt; die anderen weiß er zum rechten Gebrauch ihrer persönlichen Freiheit bezüglich des Eigentums an ihrer Arbeitskraft anzuhalten. Auch sie erzielen ein Einkommen, wenn sie ihre Dienste anderen überlassen und sich den Genuß ihrer Freiheit dadurch sichern, daß sie sie aufgeben. So erhält jedermann das, was sein Eigentum leistet - und neben der "Tauschgesellschaft" erfreut sich besonders die "Leistungsgesellschaft" so hoher Wertschätzung, weil viele nur sich selbst und ihre Konsumtionsmittel ihr eigen nennen.

b) Die Leistungen des Staates für die Eigentümer von Produktivvermögen

l. Da die Nutzung von produktivem Eigentum auf dem Handel zwischen den Besitzern der verschiedenen Produktionselemente beruht und Geschäfte zwischen Produzenten und Konsumenten einschließt, ist die Gesellschaft auf das Vorhandensein materieller Bedingungen der Zirkulation angewiesen. Der Staat sorgt für ein funktionierendes Verkehrs- und Nachrichtenwesen, welches als allgemeine Voraussetzung für die Mehrung privaten Eigentums dasselbe beschränkt. Da diese Einrichtungen allen Privateigentümern als Kosten erscheinen, jedem nur als Mittel für seinen individuellen Reichtum ein Anliegen sind, nimmt ihre Organisation die Form an, welche den Aufwand zu minimieren gestattet. Der Staat, der das Prinzip des privaten Gewinns schätzt, kompensiert entweder die mangelnde Rentabilität von derlei Unternehmungen - wegen der Größe des vorzuschießenden Kapitals sind es Aktiengesellschaften - oder betreibt den Bau und Betrieb von Verkehrswegen etc. unmittelbar in eigener Regie. Er unterstützt das produktive Eigentum, wenn er über den Preis für die Dienste oder über sein Defizit die Kosten dieser Unternehmung auf die gesamte Gesellschaft gleichmäßig verteilt.

2. Auf Grundlage eines nicht nur formell (rechtlich), sondern auch materiell gesicherten freien Warenverkehrs hängt die Erzielung von Einkommen durch das Privateigentum an Produktionsmitteln davon ab, daß die Unternehmer, konfrontiert mit einem beschränkten zahlungsfähigen Bedürfnis (Konkurrenz) ihre Produkte mit möglichst geringen Kosten herzustellen in der Lage sind. Die Größe des Gewinns bemißt sich an der Quantität der verkauften Ware, somit am Marktanteil, den sie mit ihren Produkten erobern, daher an der Billigkeit ihres Produkts. Die Senkung der Herstellungskosten pro Stück ist ihr Anliegen bei der Gestaltung der Produktion - die Erzielung des Gewinns ist bedingt durch den technischen Fortschritt im Einsatz von Arbeit und Material. Die Rentabilität des Privateigentums beruht auf der Anwendung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, auf Wissen, dessen Erarbeitung nicht im unmittelbaren Interesse des Unternehmers liegt, obgleich er seiner bedarf. Die Kenntnis von Naturgesetzen betrifft seine Reproduktion nur insofern, als sie ihm in Form besonderer Produktionsverfahren bzw. instrumente seine Produktionskosten vermindern helfen. Die Organisation naturwissenschaftlicher Forschung ist ein kostspieliges Geschäft ohne die geringste Garantie dafür, daß ihre Ergebnisse auch brauchbar sind für den Zweck der Unternehmung. Und weil es niemandem .auf Wissen über die Natur ankommt, jedem aber auf die private V e r w e n d u n g dieses Wissens, das seiner Privatisierung widerspricht, ist die Erkenntnis von Naturgesetzen auch kein G e s c h ä f t .

Die gesellschaftliche Notwendigkeit naturwissenschaftlicher Forschung, die nur als Bedürfnis nach ihrer p r i v a t e n N u t z u n g auftritt, zwingt den Staat zur Institutionalisierung der Naturwissenschaft g e t r e n n t vom materiellen Produktionsprozeß. Mit der Freiheit der Wissenschaft, der Ablösung der Naturerkenntnis von allen besonderen Interessen, sichert der Staat ihre Objektivität und schrankenlose Entfaltung, damit ihre Nützlichkeit für eine auf Naturbeherrschung angewiesene Produktionsweise.

Da die Institutionalisierung der Naturerkenntnis ihren Zweck und Grund in der U n t e r o r d n u n g gesellschaftlichen Wissens unter die Interessen des Privateigentums hat, ist der Staat auch bemüht, die praktische Anwendung der Naturgesetze erforschen zu lassen: Wissenschaft der Technologie. So schafft er die Möglichkeit der privaten Nutzung der Naturwissenschaft, deren tatsächliches Stattfinden allerdings den Kriterien der Rentabilität unterliegt (MEW 23/4l4, MEW 25/272). Anstrengungen und Kosten, die von seiten der Privatpersonen zur Entwicklung besonderer Produktionsverfahren unternommen werden, honoriert er:
Auftragsforschung und Recht auf zeitweilig ausschließlichen Gebrauch. Das Patent, ,geistiges Eigentum", bringt den Widerspruch privater Verfügung über gesellschaftliches Wissen ebenso zum Ausdruck wie Industriespionage.

Der Staatsbürger, der die Naturwissenschaft als unverzichtbares Mittel des Fortschritts schätzt und vom Nutzen ihrer Entdeckungen in Schule und Öffentlichkeit
beständig unterrichtet wird, erfährt neben den vielen praktischen Einrichtungen, die ihm zur Gewohnheit geworden sind und von der Leistungsfähigkeit von Wissenschaft und Technik zeugen, auch die Nutzlosigkeit und die Gefahren bei der Lösung d e r Probleme, die die bürgerliche Gesellschaft schafft. Weil die Naturwissenschaft Mittel für die ökonomischen Zwecke der Gesellschaft ist, werden ihr die positiven und negativen Wirkungen, die durch ihre Anwendung zustandekommen, gleich mit angerechnet. Weil sie dieses Mittel durch die Formulierung von Gesetzen ist, die Auskunft darüber geben, was mit natürlichen Gegenständen gemacht werden k a n n , wird i h r als der Voraussetzung für so manche Wirkung neben dem Lob auch Kritik zuteil, die nicht selten von Naturwissenschaftlern selbst vorgebracht wird. Schließlich ist es ihre Profession, mit ihrem Wissen der Gesellschaft und dem Gemeinwesen zu d i e n e n , sich n ü t z l i c h zu machen, so daß so manche "Wirkung" ihrer Anstrengungen in ihnen den Staatsbürger mobilisiert, - der sich, mit der Autorität des Wissenschaftlers gewappnet, zu politischen Fragen äußert und die Staatsmänner dafür tadelt, daß sie sich des Stands der Wissenschaft und Technik nicht ordentlich bedienen: T e c h n o k r a t e n , die Vorschläge zur effizienteren Steuerung der Gesellschaft machen; - der die negativen Wirkungen der kapitalistischen Anwendung der Technik auf die zwiespältige N a t u r zurückführt und die Zerstörung von Natur und Mensch zur unabwendbaren Begleiterscheinung des Fortschritts erklärt, also die Alternative konstruiert, so weiterzumachen und durch den Fortschritt die Wunden zu heilen, die er schlägt, oder auf alle möglichen Annehmlichkeiten zu verzichten und die nationale Wirtschaft, vor allem aber jeder sich selbst einzuschränken: Fortschrittspropaganda - Konzepte für energiesparendes Leben, wobei je nach Konjunktur die eine oder andere Ideologie öffentlich ausgeschlachtet wird (Vgl. Atomkraft-Debatte, in der Kritik am K a p i t a l kaum hörbar!);
- der die negativen Wirkungen auf einen Mangel der Wissenschaft zurückführt und dieselbe philosophisch-erkenntnistheoretisch in Frage stellt;
- der sich als Philosoph an der moralischen Aufrüstung beteiligt, Humanität und Frieden predigt und sagt, der Mensch wäre ein Stäubchen.

All diesen Varianten falscher Kritik an Staat, Gesellschaft und Wissenschaft liegt das Interesse an der besseren Nutzung der Naturerkenntnis durch die bürgerliche Praxis zugrunde - ein Interesse, dem die Unterwerfung der Wissenschaft unter das Prinzip des Privateigentums als das Selbstverständlichste gilt.

3. Die Anwendung des naturwissenschaftlichen und technologischen Fortschritts in der Industrie bedarf seiner praktischen Beherrschung durch Lohnarbeiter, die der Eigner von Produktivvermögen beschäftigt. Der Staat ergänzt die Institutionen der Forschung um die der Lehre und richtet Ausbildungsgänge für die in den besonderen Berufen erforderlichen Fähigkeiten ein. Da die Brauchbarkeit der vom Staat ermöglichten Qualifikation ihr Kriterium in den technischen Erfordernissen hat, die die Nutzung des Eigentums gebietet, garantiert das Ausbildungswesen weder den Ausgebildeten ihren Einsatz noch dem Kapital ihre productive Verwendung. Daher liegt die Durchführung der Ausbildung - von der Allgemeinbildung in der Volksschule über die Vermittlung von weiterreichenden Kenntnissen in den weiterführenden Schulen bis zur TH - auch nicht im unmittelbaren Interesse der Besitzer von Produktionsmitteln, so sehr sie ihre R e s u l t a t e als Voraussetzung ihrer Gewinnmacherei schätzen. Ebenso wie zu Beginn der industriellen Produktion die Einübung in eine beschränkte Tätigkeit im Rahmen ihres Betriebs ist den Unternehmern heute die zusätzlich zur staatlichen Ausbildung notwendige praktische Ausbildung für Spezialtätigkeiten ein notwendiges Übel, das ihnen der Staat per Gesetz aufzwingen muß und dem sie durch Ausbeutung der Lehrlinge sowie durch Ausbildungsverträge, die den Auszubildenden über die Zeit seines Lernens hinaus an den Betrieb binden, ihren Vorteil abgewinnen. Den an den Leistungen des Ausbildungswesens interessierten Bürgern sind die notwendigen Diskrepanzen zwischen Zweck und Mittel Anlaß zu ständigen Klagen über die schlechte Organisation des staatlichen Bildungswesens, die sich der Staat in seinen bildungsökonomischen Programmen auf seine Weise zu Herzen nimmt. Linke entdecken wegen ihres Ideals einer volksnützlichen Ausbildung in diesen Programmen einen vorzüglichen Beweis dafür, daß auch hier die Herrschaft der Monopole alles versaut.

4. Mit der Schaffung allgemeiner Voraussetzungen für die produktive Nutzung des Eigentums werden die Eigentümer nicht nur abhängig von dem Geschick und den Mitteln, durch die sie sich im Konkurrenzkampf bewähren - sie sind bei der Führung ihrer Geschäfte auch auf die Verfügung über gewisse unerläßliche Bedingungen der Produktion angewiesen, die sie auf dem Markt vorfinden müssen. Wo der Wettbewerb dazu führt, daß die entsprechenden Zweige nicht rentabel betriebenwerden können, sichert der Staat ihren Fortgang durch die Sozialisierung der Lasten, die das Eigentum nicht trägt. Er übernimmt (teilweise) die Kosten, die den Gewinn verhindern; im Interesse eines funktionierenden Eigentums ist es ihm eine "soziale Verpflichtung", in den Gang seiner Geschäfte einzugreifen: er subventioniert die Grundstoffindustrie, die Energieproduktion und die Landwirtschaft. Im äußersten Falle schreitet er zur Verstaatlichung, die freilich mit einem A n g r i f f aufs Privateigentum nichts zu schaffen hat.

Da die Industrie aus Kostengründen auf die Zerstörung der natürlichen Ressourcen keine Rücksicht nimmt, Naturwissenschaft und Technologie nur für die Befreiung der Produktion von natürlichen Schranken des p r o f i t a b l e n Einsatzes des jeweiligen Eigentums benutzt; und im Fortschritt:dieser Wissenschaften das Mittel besitzt, die Natur und das Menschenmaterial progressiv zu zerstören, zwingt der Staat die Unternehmer mit gebührender Verspätung zur Einhaltung von Umweltschutzvorschriften. Diese berücksichtigen die betriebliche Kalkulation, wimmeln deshalb von Ausnahmen und werden nur sporadisch durchgesetzt. Um die Verursacher der Schäden nicht zu schädigen, erhält der Staat durch seine eigenen Umweltschutzbemühungen mit gesellschaftlichen Mitteln dem Kapital eine brauchbare Natur und seinen Bürgern grüne Träume. Diese werfen dem Staat Versagen vor, wo er die rücksichtslose Ausbeutung der Natur plant und das Profitinteresse schützt und deswegen nicht nur bei der Atomenergie kalkulierte und nicht kalkulierte 'Risiken' und Katastrophen in Kauf nimmt.

Das Staatsbürgerbewußtsein entdeckt in diesen Aktionen je nach der gesellschaftlichen Stellung entweder einen Verstoß gegenüber den Prinzipien der freien Marktwirtschaft, einen ungerechte Schutz ökonomisch unfähiger Gruppen oder eine notwendige Verpflichtung, die sich der Staat durch seine Außenhandelspolitik und ihre zerstörerische Wirkung auf diese Gruppen auferlegt. Linke Menschen führen diese dem Schutz des Privateigentums gewidmeten Maßnahmen als Beweis dafür an, daß die kapitalistische Produktionsweise an ihren eigenen Agenten die Einsicht in die Überholtheit des Privateigentums erzeugt hat und verlangen vom Staat mehr Konsequenz im Vorgehen "gegen" dasselbe. In ihren Illusionen lassen sie sich noch durch die Klagen der Betroffenen bestärken, die dem Staat sozialistische Umtriebe vorwerfen.

5. Die wechselseitige Beschränkung, die sich Privateigentümer auferlegen, welche von der Vermehrung ihres Eigentums leben und in dieser Weise der Reproduktion nicht nur vom Staat anerkannt, sondern auch mit materiellen Voraussetzungen bedacht werden, regelt der Staat durch Sondergesetze, die die Respektierung des Eigentums anderer auch unter den besonderen Verhältnissen garantieren, die sich aus den Verkehrsformen des Gewerbes ergeben. Er erweitert die allgemeinen Bestimmungen zum Eigentum durch Gesetze, die es bei den Transaktionen, welche Für die Vermehrung von Eigentum durch Handel und Produktion notwendig sind, schützen. Welche dieser Sonderrechte einerseits im Zivilrecht getrennt, andererseits für sich als selbständiger Teil der Gesetzgebung erscheinen, ist für ihre Erklärung belanglos. Nationale Unterschiede!

- Der Kauf und Verkauf von Waren wird geregelt in Gesetzen, die festlegen, wer zum Handelsstand gehört und die ihm eigentümlichen Rechtsgeschäfte durchführen kann: mit dem Zweck des Eigentumswechsels kollidierende Umstände seiner praktischen Abwicklung (Kommissions-, Speditions-, Lager-, Frachtgeschäfte) sind als wechselseitige Verpflichtungen und Leistungen fixiert. Da die Unabhängigkeit von lokalen und zeitlichen Schranken des Handels mit einem ständigen Kampf um die Verteilung der dafür zu erbringenden Kosten einhergeht, beschränkt der Staat die verschiedenen Parteien so, daß die notwendigen Kosten Mittel für den Gewinn bleiben. Dasselbe gilt für den kaufmännischen Kredit, durch den sich die Privateigentümer in der Fortführung ihres Geschäfts unabhängig von der jeweiligen Verfügung über Bargeld machen; staatlicher Zwang zur Erfüllung von Zahlungsversprechen: Handelsgesetzgebung.

- Da die Vermehrung des Vermögens abhängig ist von der zeitweiligen Verfügung über die von den Banken verwalteten Vermögen anderer Eigentümer (Bankkredit), erwächst dem Staat die Aufgabe, die Gegensätze zwischen industriellem und Bankkapital so zu ordnen, daß die Gewinne der verselbständigten Geld-/Kreditinstitute sich als Mittel für die produktive Nutzung des Kapitals bewähren. Er schreibt den Banken vor, innerhalb welcher Grenzen sie ihren Nutzen auf Kosten der Unternehmungen verfolgen können, (Mindestreservesatz etc.) und verpflichtet die Unternehmen durch Bilanzierungsvorschriften auf den Nachweis ihrer Kreditfähigkeit: Bankgesetzgebung.

- Das Angewiesensein der Industrie auf das Eigentum an Grund und Boden, ihre Beschränkung durch andere Formen der Nutzung ruft auch den Staat auf den Plan:
mit dem Argument, bei Grund und Boden handele es sich um ein nicht beliebig vermehrbares Gut, läßt er hier keinen freien Markt zu und reglementiert die Verteilung von Boden auf die verschiedenen Weisen seiner Nutzung. Der Kommunismusverdacht anläßlich der Bodenrechtsreformvorschläge ist auch hier unbegründet, da die Übergriffe auf das Grundeigentum um des Privateigentums willen geschehen, an diesem also ihre Grenze haben: Raumordnung etc.

- Den Gefahren, die der produktiven Nutzung des Eigentums durch die Anstrengungen der Arbeiter (Koalitionen) drohen, - sie kämpfen um höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, was den Gewinn des Eigentümers verringert und die freie Verfügung über das Privateigentum infragestellt - begegnet der Staat mit Gesetzen, welche das Recht des Arbeiters auf seine persönliche Freiheit am Recht des Eigentums enden lassen. Daß die Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital die
Ansprüche der Arbeiter auf ein Maß begrenzt, das ihren Nutzen fürs Kapital sichert, heißt nicht, daß den Eigentümern von Produktionsmitteln an ihr etwas liegt; sie schließen sich zusammen und widersetzen sich den Regelungen des Lohnarbeitsverhältnisses, die ihnen Pflichten auferlegen und sich als Verluste niederschlagen - was Arbeiterfreunden als Beweis dafür dient, daß der Kommunismus im Kampf um Rechte der Arbeiter besteht: Arbeitsrecht.

- Mit Gesetzen gegen Wettbewerbsbeschränkung reagiert der Staat auf das Mittel des Zusammenschlusses, durch das sich Unternehmer Vorteile im Konkurrenzkampf sichern. Dieses Mittel wenden sie an, weil sie einerseits auf dem Markt (Preismechanismus) ihren Gewinn gefährdet sehen (Preisabsprachen), andererseits dem Zwang zur Billigkeit ihrer Produkte nur durch die Vergrößerung ihrer Anlagevermögen gehorchen können: die Größe des angewandten Kapitals ist entscheidend für die Konkurrenzfähigkeit; das Kartellgesetz richtet sich gegen die Wirkung von Absprachen und Zusammenschlüssen auf die freie Konkurrenz (andere werden an der Nutzung ihres Eigentums gehindert), anerkennt aber auch die Notwendigkeit durch die zulässigen Ausnahmen. Im Aktiengesetz schließlich gewährleistet der Staat das Funktionieren verschiedener Eigentümer als e i n Unternehmen, indem er sowohl die freie Verfügung über das Privateigentum sichert, das in einer Kapitalgesellschaft angelegt ist, als auch die Geschäfte der Gesellschaft vor der Willkür ihrer Teilhaber schützt: freier Handel mit Aktien, Haftungsbestimmungen usw.

6. Das Verhältnis des Staates zur herrschenden Klasse beruht darauf, daß er getrennt von ihr die Notwendigkeiten ihrer Konkurrenz berücksichtigt welche wegen des Konkurrenzinteresses der einzelnen Kapitalisten von ihnen selbst mißachtet bzw. nicht geschaffen werden. Indem der Staat die B e d i n g u n g e n ihres Geschäfts verwaltet, die für die Kapitalisten kein Geschäft s i n d , macht er sich als politische Instanz zum Durchsetzer des Klasseninteresses. Als ideeller Gesamtkapitalist ist er Mittel der herrschenden Klasse, was einschließt, daß seine Einrichtungen und Gesetze durchaus in Widerspruch zum Geschäftsvorteil einzelner Kapitalisten geraten. Nur Wohltaten, Geschenke und Hilfsmaßnahmen erwarten die Ritter des Privateigentums von seiten der öffentlichen Gewalt, und die kleinen Einschränkungen ihrer Akkumulation, die ihr Funktionieren sichern, bemüht der demokratische Staatsmann zum Beweis dafür, daß er nie und nimmer Agent eines Klassenstaates ist. Diese Ideologie liefert die Begleitmusik zum ständigen Antichambrieren von Geschäftsleuten bei kleinen und großen Amtsträgern, zum unentwegten Streit finanzgewaltiger Bürger um besondere Rücksichten. Die dazugehörigen Korruptionsskandale fallen meist recht mäßig aus, weil das demokratische Publikum diese Geschäftsgrundlage der politischen Karriere anerkennt: die Berücksichtigung ,der Wirtschaft' ist ja wohl das mindeste, was man von einem Staatsmann verlangen kann.

Die Schule der Superdemokraten ist da eine Ausnahme und außergewöhnlich listig auch ihre Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus. Den fertigen ideellen Gesamtkapitalisten von heute halten sie im Unterschied zum Staat von gestern für ein spätes Verfallsprodukt bürgerlicher Herrschaft. Das Gejammer über seine Hörigkeit gegenüber den Monopolen, die umgekehrt ungerechterweise die politischen Kommandohöhen erobert haben, weil sie ökonomisch aus dem letzten Loch pfeifen, bildet den Auftakt zum Programm der antimonopolistischen Demokratie - ein großartiges Konzept zum Ersatz des niedergehenden und funktionsgestörten Kapitalismus durch eine gesamtgesellschaftlich gesunde Herrschaftsform. Wie alle spätkapitalistischen Idiotien hat sich auch dieser Saubermannsgedanke pluralistisch breitdiskutiert, so daß seine Charakterisierung sicher als zu einfach zurückgewiesen wird. Deshalb sei noch einmal wiederholt, daß die Verschiedenheit dieser theoretischen Ansätze der Gemeinsamkeit ihres Interesses entspricht. Und dieses Interesse gilt nicht der Ausbeutung und ihrer staatlichen Verwaltung, sondern ihrer mangelhaften Organisation. Ein Blick über die Mauer verrät, daß ein reeller Gesamtkapitalist zwar eine staatsmonopolistische Demokratie inszeniert, die Effizienz des ökonomischen Systems aber nur in einem zustandekommt: in der Feier der Lohnarbeiter und ihres neuen Arbeitgebers.

Die faschistische Alternative entdeckt in der Einflußnahme der Kapitalisten - und besonders ihrer ,unproduktiven' Abteilung - ebenfalls den Ruin des Staates und den Niedergang des Volkes. Ihre Kritik an den Kapitalisten ist auch keine an der Ausbeutung, sondern am mangelnden Dienst, den die Praxis der herrschenden Klasse für die Stärke des Staates bedeutet. Entsprechend wohlwollend fiel der praktische Umgang mit den Bourgeois aus. Die staatlichen Bedingungen der Akkumulation wurden zur Verpflichtung auf eine bedingungslose Akkumulation im nationalen Interesse aus gestaltet, was sich die Geschäftsleute gern gefallen ließen, auch wenn gewisse staatliche Direktiven hinsichtlich des Gebrauchswerts dazugehörten.

c) Die Leistungen des Staates für seine lohnabhängigen Bürger

l. Die Bürger, die nicht aus der Verwendung ihres Eigentums ein Einkommen beziehen, sind auf einen für die bürgerliche Gesellschaft charakteristischen Gebrauch ihrer persönlichen Freiheit angewiesen; sie müssen nützliche Dienste für das Eigentum anderer verrichten, sei es unmittelbar in Produktion und Handel oder mittelbar in staatlichen Einrichtungen: Lohnarbeit. Ob sie damit ein Einkommen erzielen und wie groß dieses ist hängt davon ab, wieviel sie für ihren Arbeitgeber leisten (was nicht heißt, daß sie für ihre Leistung bezahlt werden). Sie konkurrieren als Anbieter ihrer Dienste um die vorhandenen Arbeitsplätze und die mit ihnen verbundenen Einkommen; sie vergleichen die Berufe an den Einschränkungen. die das Arbeitsverhältnis selbst und die Größe des Einkommens beinhalten, versuchen also in der Hierarchie der Arbeiten, die dem doppelten Maß von Anstrengung und Verdienst entspringt, einen möglichst hohen Rang einzunehmen. Da die Konkurrenz der Lohnarbeiter deren Eignung, entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten für die Berufe voraussetzt, die Erlernung solcher Kenntnisse jedoch keinen ökonomischen Nutzen bringt, organisiert der Staat das Ausbildungswesen neben der Konkurrenz und gestattet damit den Individuen vor dem Eintritt ins Erwerbsleben ihre Qualifizierung Für dasselbe: Das Recht auf Ausbildung, in dessen Genuß Kinder und Jugendliche gelangen, ist Für den Staat eine Veranstaltung, durch die er seine werdenden Bürger darauf verpflichtet, sich die allgemeinen, für alle Berufe gleichermaßen erforderten Kenntnisse anzueignen (allgemeine Schulpflicht) und anschließend seine Fähigkeiten für einen besonderen Beruf auszubilden, sich zu spezialisieren.

Da es in den Institutionen der Ausbildung um die Zurichtung der Jugend für nützliche Funktionen in Wirtschaft und Staat geht - ihre spezielle Anwendbarkeit ist Bedingung ihres Einkommens-, besteht der Zweck der Ausbildung nicht in der Bildung der Individualität, sondern in ihrer Beschränkung. Der Staat sorgt für Gerechtigkeit bei der Verteilung der Individuen auf die Hierarchie der Berufe, indem er den Zugang zu den verschiedenen Tätigkeiten von den Leistungen abhängig macht, die im Ausbildungsprozeß erbracht werden. Er regelt die Konkurrenz der Auszubildenden durch den institutionalisierten Leistungsvergleich. Prüfungen, beständige Bewertungen des in gewissen Zeiträumen beherrschten Wissens, entscheiden darüber, ob einer frühzeitig den Weg in die unteren Ränge des Berufslebens antreten muß oder an weiterführenden Ausbildungsgängen teilnehmen kann, die einen angenehmen Beruf und gute Bezahlung versprechen. So garantiert auch dieses Feld staatlichen Wirkens dadurch, daß es alle g l e i c h e n Bedingungen unterwirft (Chancengleichheit!), die Erhaltung der Unterschiede, welche die Betroffenen aufgrund der ökonomischen Verhältnisse ihrer Familie mitbringen.

Entsprechend seinem Zweck gliedert sich das Ausbildungswesen:

- Die für alle verbindliche Stufe der Elementar- und Allgemeinbildung, auf der die Schüler die für niedere Tätigkeiten notwendigen Kenntnisse vermittelt bekommen und dabei dem Ausleseprozeß für weiterführende Schulen unterzogen werden. Die für die Berufsausübung erforderlichen elementaren Fähigkeiten im Rechnen, Schreiben und Lesen sowie Naturkunde werden ergänzt durch die Vermittlung der Gesinnung, die man benötigt, will man sein lebenslanges Dasein als lohnabhängiger Staatsbürger ertragen.

- An diese Stufe schließt sich entsprechend der unter Beweis gestellten Leistung entweder die fachliche Ausbildung für eine Tätigkeit in der Produktion an, über deren Durchführung der Staat beständig in Konflikt mit den Unternehmen gerät, unter deren Kontrolle die praktische Unterweisung zwangsweise stattfindet: sie widersetzen sich einer allzu gründlichen und vielseitigen Lehre ebenso wie einer extensiven theoretischen Ausbildung, da es ihnen auf die möglichst schnelle Anwendung der Lehrlinge ankommt. Das unumgängliche Minimum an Fachkunde und staatsbürgerlicher Erziehung organisiert der Staat in seinen Berufsschulen.
Das Recht auf die notwendige Ausbildung ergänzt er um die Verpflichtung all derer, denen es um ihr berufliches Fortkommen zu tun ist, auf die Übernahme der damit verbundenen Lasten (Familie).

- Oder weiterführende Schulen, deren Absolventen in den Genuß gelan gen, mit zusätzlichen Ergebnissen der Wissenschaft vertraut gemacht zu werden, was einerseits Bedingung für eine Reihe höherer Berufe, ande rerseits Voraussetzung für eine wissenschaftliche Ausbildung an Hoch schulen ist. Auch in diesen Anstalten steht der gelernte Stoff nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem bestimmten Beruf, sondern fungiert als Material der Ausleseentscheidung und als Voraussetzung für die anschließende Spezialisierung.

- An den Hochschulen erfolgt die Ausbildung für Berufe, die spezielle wissenschaftliche Kenntnisse und ihre Anwendung verlangen: an den naturwissenschaftlichen Fakultäten geht es um die Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten, die für die Naturbeherrschung benötigt werden, an den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereichen um solche, die den zweckmäßigen Umgang mit den praktischen Problemen, dem Funktionieren der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Staates gewährleisten. Dafür taugt natürlich nicht objektives Wissen, sondern die instrumentelle Betrachtungsweise, die gemäß den Problemen bürgerlicher Herrschaftstechnik einzelwissenschaftliche Stand punkte ausgearbeitet hat. Ideologievermittlung ist also einziger Inhalt und Zweck universitärer Ausbildung in den Geisteswissenschaften. Zu gleich sorgt die universitäre Ausbildung Für die Befähigung, Wissenschaft selbst als Beruf zu betreiben.

Da der Staat seine Bürger darauf festlegt, sich durch die Spezialisierung auf einen bestimmten Beruf, durch die Nützlichkeit innerhalb eines festen Systems gesellschaftlicher Arbeit zu reproduzieren, und diese Festlegung durch die Konkurrenz innerhalb des Ausbildungswesens organisiert - der Ausleseprozeß ist ein negativer: geringe Leistung schließt von weiterer Bildung aus -, zwingt er alle zum Erwerb von und Interesse an Wissen in dem Maße, wie es für das Bestehen der
Ausbildung und für die Ausübung ihres Berufs erforderlich ist, und alles drüber Hinausgehende wird vom Standpunkt der Ausbildung wie der Auszubildenden überflüssig. So ist die bürgerliche Gesellschaft auf das Vorhandensein von Wissen angewiesen und an Wissen zugleich desinteressiert, weil es nur auf seine Nützlichkeit für die arbeitsteiligen Funktionen der Privatsubjekte ankommt. Daher schließt das Recht auf Ausbildung, das der Staat seinen werdenden Bürgern angedeihen läßt, seine Verpflichtung auf die Organisation von Wissenschaft getrennt von der Ausbildung ein - was sich bereits aus der Sicherung der produktiven Nutzung von Eigentum ergab.

Die Freiheit der Wissenschaft, ihr Schutz durch den Staat vor partikularen Interessen, die sich ihrer bemächtigen wollen, bedeutet also das Gegenteil von dem, was manche in ihr sehen möchten: einen Entzug wissenschaftlichen Tuns aus dem Bereich gesellschaftlicher Zweckbestimmungen. Sie stellt die der auf Konkurrenz beruhenden bürgerlichen Gesellschaft adäquate Organisationsform nützlicher Wissenschaft dar und garantiert die Erarbeitung des notwendigen Wissens wie seine
Unterwerfung unter die Praxis. Durch ihre Trennung von der Sphäre der materiellen Produktion ist die Wissenschaft dieser unterworfen.

Innerhalb des theoretischen Treibens macht sich dies als Nebeneinander richtiger Naturwissenschaft und falscher Geistes- und Gesellschaftswissenschaft geltend. Die Naturwissenschaften genügen durch die Aufdeckung der Naturgesetze und ihrer möglichen Anwendung den Erfordernissen der kapitalistischen Produktionsweise, die Selbständigkeit gegenüber den partikularen Interessen gewährleistet die Entstehung von objektivem Wissen, das zur Beherrschung der Natur taugt. Die Geisteswissenschaften entsprechen durch ihren parteilichen Pluralismus dem staatlichen Umgang mit Bedürfnissen, Willen und Interessen der bürgerlichen Subjekte. Sie sind also durchaus k r i t i s c h , wenn sie den partikularen Interessen Beachtung schenken und falsches Wissen hervorbringen, welches für die U n t e r w e r f u n g der Privatsubjekte unter die - selbstgemachten und unbegriffenen - Gesetze des Kapitals taugt. Wobei manche sich und manche auch noch andere unterwerfen. Die Konkurrenz der Wissenschaftler um das karriereträchtige Ansehen innerhalb und außerhalb der Universität gewährleistet die Durchsetzung dieses Standpunkts, und wo vereinzelt polizeiwidrige Gedanken in Umlauf kommen, wird nicht mehr diskutiert.

Die bei der Anwendung falschen Wissens aufrechterhaltenen Kollisionen der bürgerlichen Welt nimmt sich die auf ihren Nutzen bedachte Wissenschaft so zu Herzen, daß sie auf ihre Nützlichkeit, d.h. auf s i c h s e l b s t r e f l e k t i e r t und in ihren wissenschaftstheoretischen Diskussionen zu dem gar nicht überraschenden Ergebnis gelangt, daß sie so sein muß, wie sie ist und ihr Pluralismus doch kein vollständiger sein darf: wirkliches Wissen k r i t i s i e r t die bürgerliche Gesellschaft - und seine Anwendung s c h a d e t ihr.

Der Staat, der die Freiheit der Wissenschaft und das Ausbildungswesen verwaltet, um sie der Gesellschaft nützlich zu machen, zählt aufgrund der bei diesem Geschäft auftretenden praktischen Schwierigkeiten
- welches Wissen für welchen Beruf
- wieviel Wissen für alle/bestimmte Berufe
- Verwandlung von Wissen in Lehrstoff
- Organisation der Zurichtung, die auf Widerstand trifft, weil sie als unangenehm, zu wenig nützlich, oder gänzl;ch un nütz angesehen wird
- Anpassung an den Arbeitsmarkt
zu den Hauptabnehmern sozialwissenschaftlicher Theorien, weswegen sein Standpunkt als übergreifender :i :n : diesen Theorien präsent ist. So liefert denn diePädagogik nicht, wie ihr Name vermuten ließe, die Antwort auf die Frage "Was ist Erziehung?", sondern eine Unzahl von praktischen Erwägungen über "Sinn und Zweck", Schranken und Möglichkeiten der Erziehung, Umfang und Nützlichkeit des Wissens für die moralische Erziehung, usw., die allesamt aus dem Zwangscharakter der Bildung einer verantwortlichen Persönlichkeit kein Hehl machen. Diese Wissenschaft bildet ein Konglomerat von psychologischen, motivationstheoretischen, soziologischen, anthropologischen, didaktischen und empirisch-sozialwissenschaftlichen Kalkulationen, die allesamt das Ziel verfolgen, mit den Widersprüchen der kapitalistischen Ausbildung fertig zu werden, ohne sie abzuschaffen.

Da der Staat mit der Realisierung des Rechts auf Ausbildung den Auszubildenden manche Opfer aufnötigt, vielen die bittere Erfahrung der Niederlage im Konkurrenzkampf noch vor dem Erwerbsleben zuteil werden läßt und selbst denen, die ihr Ausbildungsziel erreichen, nicht garantiert, daß sie ihre Fertigkeiten als Mittel für ihre Existenz einsetzen können (weswegen ihnen der Staat auch den dornenreichen zweiten Bildungsweg zu einer neuen Spezialisierung anbietet), zieht er sich den Zorn seiner Bürger zu, die enttäuscht auf der Tauglichkeit der Ausbildung, der sie sich unterwerfen müssen, als Mittel für i h r e Reproduktion beharren und im Ausbildungsziel Mobilität das Ideal der Vereinseitigung realisieren wollen. Daher gibt es die Klage über den Bildungsnotstand, sooft mehr Ausbildungswillige da sind als Ausbildungsplätze, wobei sich die Forderung nach mehr Förderung der Ausbildung als Sorge um die Konkurrenzfähigkeit der Nation moralisch untermauern läßt. Wenn der Zweck der Ausbildung: die Gesellschaft mit den Leuten zu versorgen, die sie braucht, den Staat Maßnahmen wie den NC ergreifen läßt, läßt der Gang vors BVG nicht lange auf sich warten. Mit dem Recht rebelliert man gegen Realitäten, deren Notwendigkeit in der Gewalt des Staates und deren Auftrag liegt.
Den Wirkungen der Konkurrenz im Ausbildungsbereich, d.h. der Chancengleichheit, hält man ebenso ihr Ideal entgegen und vergißt sogar, daß es bei einem Leistungsvergleich noch stets Gewinner und Verlierer gibt. So gelangt man schließlich zur Verfolgung der Anliegen, die längst die des auf Ausschöpfung der Bildungsreserven bedachten Staates sind. Kritische Menschen machen sich für die Beseitigung von Sprachbarrieren, die keine sind, stark, dichten die Einführung der Gesamtschule u.ä. ("Permeabilität" heißt das auch!), also die Verschärfung der Konkurrenz in den Gewinn von Freiheits- und Entwicklungsräumen für den einzelnen
um - und wundern sich nach Einführung neuer Prüfungssysteme, Leistungszüge etc. darüber, daß ihre Kinder den Schulstreß nicht aushalten. Weit davon entfernt, etwas dagegen zu unternehmen, daß die Ausbildung ihren Kindern schadet rufen kritische Eltern nach besseren Prüfungen, die um ihrer Objektivität als Leistungsvergleich willen gar nicht erst nach Wissen fragen, sondern bessere Kreuzworträtsel darstellen (multiple choice). Wenn sich schließlich das abgefragte Unwissen partout nicht mehr in irgendeinen Zusammenhang mit dem Beruf bringen läßt, für den man sein Hirn martert, ertönt wie in den ersten Tagen der Bildungsreformen (und solche gibt es wieder!) die Klage über die Praxisferne, die Obsoletheit des Schulwissens. Was dem traditionellen humanistischen "Ballast" widerfuhr, bleibt der modernisierten Dressur nicht erspart: Auch bei ihr will man den Nutzen sehen, den sie bringt, wobei das unvermeidbare Ausbleiben der menschlichen, d.h. staatsbürgerlichen Einstellung bei der Jugend als Duckmäusertum gegeißelt wird. Linke wie rechte. Kritiker der Ausbildung sind sich darin einig, daß passive Staatsbürger keine guten sind, was sich freilich in recht unterschiedlichen Lehrplänen niederschlägt: Hessische Rahmenrichtlinien contra Hans Maier. Die emanzipatorische Erziehung, die in verlinksten Institutionen praktiziert wird, hat im übrigen den Vorzug, daß sie den Ausgebildeten auch den letzten Rest an Tauglichkeit für das Berufsleben erspart und stattdessen die endlose Debatte um eine kritische Einstellung zu Beruf und Staat zum Inhalt der Wissensvermittlung macht.

Auch die Wissenschaft, der es auf ihre Nützlichkeit ankommt, muß sich manchen Angriff auf ihre mangelnde Brauchbarkeit gefallen lassen. Nachdem in den Reihen der Wissenschaftler die Offensive der Methodologen und Eiferer des Pluralismus erfolgreich war, es also als ausgemacht gilt, daß Wissen etwas äußerst Relatives, von Standpunkt, Wertungen und Haltungen bestimmtes ist,somit dem zwanglosen Tummeln von I n t e r e s s e n kein Hindernis mehr entgegensteht, sah man sich mit Interessen konfrontiert, die man (der Staat) nicht gemeint hatte. So hat sich auch das Lager der Elfenbeinturmkritiker gespalten, und wenn einige Reaktionäre darauf pochen, macht immer gleich nach dem Nutzen ihres Gedankens befragt zu werden, meinen sie immer die Freiheit ihrer persönlichen Anschauungen und ihre partikulare Spinnerei, die ihnen der Staat nicht mehr gestatten will. An Wissenschaft, richtigem Denken liegt diesen seltnen Exemplaren ebensowenig wie den methodologisch-überprüfbar-empirischrationalistisch-kritisch-prasisbezogen-demokratisch eingestellten Ideologen des Pluralismus, die sich inzwischen einem neuen Gegner stellen müssen. Dieser Gegner hat den Elfenbeinturmvorwurf, die Anklage an die Wissenschaft, sie entferne sich von den Interessen der Gesellschaft, die sie aushält, dahingehend modifiziert, daß sie die Interessen der Benachteiligten, der Arbeiter insbesondere vernachlässige. Sie werfen den Sozialwissenschaften vor, daß sie den falschen Interessen dienstbar sind (was stimmt), kümmern sich weiter nicht darum, wie solches geschieht, und propagieren fröhlich eine Wissenschaft im Dienste des Volks: Bremen - Marburg. Ihre Dummheiten allerdings sind nur der einseitig gemachte Fehler des Pluralismus, also Unwahrheiten, die den Arbeitern nichts nützen. Die durch die Studentenrevolte als fällig demonstrierte Reform der universitären Ausbildung hatte somit einen Kampf zweier Linien eröffnet, dessen Ausgang durch die Gewalt des Staates eindeutig entschieden ist. Inzwischen schwindet mit dem widerwilligen staatlichen Verständnis bei dieser Veranstaltung die Anteilnahme der Jugend im selben Verhältnis, wie das stinknormale bürgerliche Gedankengut auch an Hochburgen linker Moral wächst - womit nicht gesagt sein soll, daß das eine der Grund für das andere ist.

Aus dem Zweck des staatlichen Bildungssystems, der Vereinseitigung individueller Entwicklung, der Spezialisierung auf reduzierte Fertigkeiten für einen Beruf, geht hervor, daß dem Staat die aufwendige Organisation des Verteilungsprozesses werdender Bürger auf die Hierarchie der Berufe, die Einrichtung eines allen zugänglichen Ausbildungswesens, innerhalb dessen sich entscheidet, wer was wird, als Belastung und überflüssiger Umweg erscheint. Sein Anliegen, die Bürger einer lebenslangen arbeitsteiligen Funktion zuzuführen, wurde durch die schlichte Vererbung des Berufsstandes beim biederen Volk und die klerikal-ständische Ausbildung der Staatsdiener ebenfalls erfüllt. Wie alle demokratischen Errungenschaften mußte ihm das Recht auf Ausbildung von den industriellen Lohnarbeitern, die er selbst befreit hatte, abgerungen werden; dem Zwang, in der großen Industrie ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, konnte de ohne allgemeine Bildungselemente ebensowenig folgen, wie ihre overlooker ihre Funktion angesichts der Maschinerie weiterhin allein mit körperlicher Züchtigung und Strafzetteln erfüllen konnten. Was die idealistischen Philosophen mit ihren vom Interesse an der Einheit der Nation geleiteten Traktaten über die Notwendigkeit staatsbürgerlicher Erziehung nicht schafften, erreichten die Arbeiter, die als Opfer der großen Industrie deren Erfordernisse dem Staat gegenüber durchsetzten, nachdem sich die Fabrikschulen ebensowenig als tauglich erwiesen hatten, freie, d.h. wechselnden Betätigungen genügende Arbeiter hervorzubringen, wie die philantropischen Bemühungen aufgeklärter Volksfreunde. Der Forderung nach Abschaffung des Bildungsprivilegs kam der Staat in der Weise nach, daß er die allgemeine Schulpflicht als Mittel der Auslese einrichtete und damit garantierte, daß die Kinder der Arbeiter einerseits mit dem für sie notwendigen Minimum an Kenntnissen und dem noch notwendigeren staatsbürgerlichen Tugendkodex beliefert werden, andererseits von überflüssigem Wissensballast verschont bleiben.

Dem Interesse des Staates an einer nützlichen Geistes- und Gesellschaftswissenschaft kam diese Philosophie insofern entgegen, als sie durch die Übernahme dieses Interesses als immanent-theoretischer Standpunkt den Kampf Gegen den Glauben um ihre Auflösung in die instrumentell verfahrenden Einzelwissenschaften ergänzte.
Die dem bürgerlichen Staat verpflichtete Universität konnte zwar der Aufgabe gerecht werden, das Material für die gelehrte Gesinnung höherer Beamter zu liefern, leistete aber schlechte Dienste für das allgemeine Ausbildungswesen, mit dem der Staat den Erfordernissen der großen Industrie entsprechen mußte. Die Freiheit der Wissenschaft, d.h. die Unterwerfung des berufsmäßigen Denkens unter die Zwecke des Staates, die bereits die Philosophie kennzeichnet, gewährleistete ihre immanente Entwicklung zu einem verläßlichen Instrument des Klassenstaats, zu der parteilichen, einzelwissenschaftlichen Betrachtung aller gesellschaftlichen Phänomene, die sich vom praktischen Interesse an der Fortführung der bürgerlichen Scheiße leiten läßt. (Dies ist eine materialistische Erklärung im Unterschied zu
Vorstellungen, die den Nutzen der Wissenschaft fürs Kapital ohne Staat, daher g e g e n ihre Freiheit beweisen wollen oder von der Abstraktion gewisser "ökonomischer Formbestimmtheiten" und dergl. Blödsinn das D e n k e n ableiten.)

2. Mit den erworbenen einseitigen Fertigkeiten überläßt der Staat seine nebenbei mündig gewordenen Bürger der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Wieviel sie verdienen, hängt einzig von der Leistung ab, die sie für ihren Arbeitgeber zu bringen bereit sind; so versuchen sie, die ihnen offenstehende Freiheit zu nützen und sieh durch den Verkauf von möglichst viel Arbeit ein gutes Leben zu sichern, wodurch sie beständig Arbeitskräfte relativ zur Nachfrage nach Arbeit überflüssig machen.
Vater Staat, der auch der Nachfrageseite die Freiheit läßt zu entscheiden, wann sich für sie der Kauf von Arbeit lohnt, weiß von der Kehrseite der freien Berufswahl, der immer vorhandenen Arbeitslosigkeit, und strickt die erste Masche seines sozialen Netzes: Er verpflichtet die Lohnabhängigen, die sich durch die Ausübung ihres Berufs nicht kontinuierlich ernähren können, dazu, dies doch zu tun: Zwang zur Arbeitslosenversicherung. Er zwingt sie zur vorsorglichen Einschränkung ihrer Reproduktion (Beiträge) und regelt für den Ernstfall ein vermindertes Einkommen auf bestimmte Zeit (Arbeitslosengeld/hilfe). Die mit den Einschränkungen wachsende Bereitschaft zum sozialen Abstieg befördert er durch Auflagen, die er je nach Konjunkturlage verschärft: Meldepflicht, Gebot zur Annahme "zumutbarer" Arbeitsplätze, und Anreize (Umschulung), wobei er den weiblichen Arbeitnehmern besondere Aufmerksamkeit darin zuteil werden läßt, daß er ihre hausfrauliche Tätigkeit ausnahmsweise als Beruf anerkennt. Diese Sparsamkeit, die sämtliche Kriterien für die Berechnung von Arbeitslosenunterstützung kennzeichnet (Länge des
Arbeitsverhältnisses, Berücksichtigung des familiären Vermögens, Begrenzung auf ein Familienmitglied etc.), macht die Anstrengung verständlich, die Lohnabhängige auf sich nehmen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Das Streben der Lohnabhängigen geht also darauf, das Stempelgeld erst gar nicht zu beanspruchen. Sie zeichnen sich durch Leistungsbereitschaft aus, gesteigerte Anstrengungen im Produktionsprozeß sollen ihr Einkommen nicht nur in erträglicher Größe halten, sondern durch den Nutzen, den der Unternehmer daraus zieht, auch beweisen, daß sich der Kauf ihrer Arbeit lohnt, und so den Arbeitsplatz sichern. Mit der Verpflichtung zur Kranken- und Unfallversicherung trägt der Staat der notwendigen Rücksichtslosigkeit der Arbeiter gegen ihre Gesundheit, d.h. einer möglichst intensiven Nutzung der Arbeitszeit durch die Unternehmer Rechnung.
Der Arbeiter muß das Krankwerden als selbstverständliche Begleiterscheinung seiner Arbeit akzeptieren und daher mit der Krankheit, die Arbeitsunfähigkeit bedeutet, fertig werden, also für seine Arbeitsfähigkeit Sorge tragen. Dies vermindert sein Einkommen, solange er arbeitet um die Beiträge, die er zahlt; im Krankheitsfall erhält er nur 6 Wochen lang seinen vollen Lohn, längere Krankheiten ziehen wie dauerhafte Unfall- und Berufsschäden ein reduziertes Entgelt nach sich. Dem damit gegebenen Anreiz zur Wiederaufnahme der Arbeit wird durch vertrauensärtzliche Kontrollen nachgeholfen. Da die Kranken- und Unfallversicherung also den Lohnarbeitern keine Sicherheit vor Krankheit bringt, sondern sie lediglich fähig macht, sich den Quellen ihrer Zerstörung erneut auszusetzen, hat sich der Staat einiges einfallen lassen, die unvermeidliche Arbeitsunfähigkeit in Grenzen zu halten. Er verlangt den Nutznießern der Lohnarbeit ihren maßvollen Gebrauch ab: Sicherheitsvorschriften, medizinische Betreuung, bezahlter Urlaub.

Da der Staat die Lohnabhängigen permanent den gesellschaftlichen Ursachen des Krankwerdens aussetzt und sie zugleich auf's Gesundsein verpflichtet, muß er die Einrichtungen bereitstellen, derer die Kranken bedürfen, um wieder arbeitsfähig zu werden: Gesundheitswesen. Daß die Bemühungen der Medizin an den Notwendigkeiten der Lohnarbeit ihre Grenze finden, also nicht dasselbe sind wie der Kampf um Gesundheit, demonstrieren die mannigfaltigen Vorschriften zur Verhinderung von Krankheit, wenn es um natürliche Ursachen geht, denen die Hilflosigkeit der modernen Medizin gegenüber den viel belaberten sozialen Krankheitsursachen gegenübersteht: so wenig sie als Medizin für gesundes Arbeiten tun kann und der Staat ein diesbezügliches Gesetz erlassen will, so zynisch verfahren diejenigen ihrer Vertreter, welche die gesellschaftlichen Gründe für die Beschädigung des Organismus in ihren psychologischen Ausdruck verwandeln und
in der psychosomatischen Medizin Rezepte entwickeln den Geschädigten den Willen beizubringen, ihre Zerstörung unter Beibehaltung ihrer Brauchbarkeit zu
ertragen.

Der Lebensweg des Arbeiters ist also ein Prozeß der Zerstörung, bei dem mit zunehmenden Jahren die Anstrengungen, der vorgeschriebenen Leistung im Beruf zu genügen, wachsen. Für den gesetzlich geregelten Zeitpunkt, an dem die Lohnarbeiter den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein brauchen, hält sie der Staat schon frühzeitig an, durch Abzüge von ihrem Einkommen vorzusorgen: Rentenversicherung. Er beschert ihnen für dieses Opfer ein vermindertes Auskommen in den Jahren, die sie als Frühinvaliden (valere!) oder Altersrentner in erzwungenem Müßiggang - mit lädierter Physis - zu leben (sic!) haben. Um die Nützlichkeit ihrer jüngeren Mitmenschen nicht über Gebühr durch die Last, welche die Alten darstellen, zu schmälern, versorgt sie der Staat mit Altersheimen, von denen es einerseits zu wenig gibt und die andererseits Geld verlangen. Dies befördert bei den Familienangehörigen die Überlegung, was billiger und einfacher ist: der Pflegesatz für's trostlose Altersheim oder das lästige Mitschleifen von Oma und Opa - im Rahmen der häuslichen Idylle.

Versicherungen sind also soziale Einrichtungen, die mit der Sicherheit der Leute, die sie bezahlen, nichts zu tun haben. Zunächst einmal muß sie jeder bezahlen, weil sicher ist, daß er sie braucht, sei es als Hilfe auf dem Weg zu erneuter Brauchbarkeit oder als Gnadenbrot für die irreparable Zerstörung. Im doppelten Zwang zum Opfer, das man entweder bringt oder ist, liegt der soziale Charakter dieser Institutionen, deren Zweck, die Erhaltung der Lohnarbeit als Mittel des Eigentums, durch die Verpflichtung des Arbeitgebers auf die Zahlung eines Teils der Beiträge nicht verhüllt, sondern deutlich wird. Die den Arbeitgebern dadurch entstehenden Geschäftskosten sind ihnen zwar lästige Begleiterscheinungen bei der Vermehrung ihres Vermögens, aber nicht die Gefährdung ihrer Reproduktion - weswegen sie vom Staat auch nicht gezwungen werden, sich zu versichern. Wenn sie ihr Sicherheitsbedürfnis über die Gewißheit, ihr Eigentum verzehren zu können, hinaus befriedigen wollen, stehen ihnen freiwillige Versicherungen aller Art offen, die sich von den Zwangsversicherungen dadurch unterscheiden, daß mit ihnen, abgesehen von den Privilegien, die sie bieten, ein Geschäft zu machen ist.

Da die Versicherungen Opfer verlangen und wenig Sicherheit bieten, ist der Staat mit den Klagen seiner Bürger konfrontiert, die, wenn sie die Gefährdungen der Reproduktion durch Lohnarbeit erfahren, vom Staat Kompensation verlangen und den Aufwand für Versicherungen mit ihren Leistungen v e r g l e i c h e n .
Einerseits kritisieren sie die Einschränkungen, die ihnen bei der Inanspruchnahme von Versicherungen auferlegt werden, als u n g e r e c h t und erinnern an ihre N ü t z l i c h k e i t , für die sie Anerkennung verlangen. Andererseits lasten die Beitragszahler denjenigen, die Versicherungen in Anspruch nehmen müssen, ihre N u t z l o s i g k e i t an, die ihre Mitbürger so teuer zu stehen komme.

Die Arbeitslosen beharren auf dem Recht auf Arbeit, als gehörte nicht zu diesem auch die Arbeitslosigkeit, fordern von der Versicherung ihr Auskommen und
werden für ihre hilflosen Widerstände gegen den sozialen Abstieg mit dem Vorwurf mangelnder Leistungsbereitschaft und Drückebergerei, den sie sich selbst gezwungenermaßen zu Herzen nehmen, belohnt. Auch die Klagen über die Mängel der Krankenversicherung haben ihre andere Seite. Während man für sich selbst Abhilfe gegen das Kranksein erwartet, kann man sich den Angriff auf die anderen nicht versagen, wenn sie die Leistungen der Versicherung in Anspruch nehmen: Die anderen f e i e r n krank und treiben die Kosten in die Höhe. Manch einem erscheint daher die Rücksichtslosigkeit gegen die eigene Gesundheit nicht nur notwendig (die Angst um den Arbeitsplatz ist begründet!), sondern auch gut.

Die gesellschaftlich nutzlosen R e n t n e r , die einen sicheren und geruhsamen Lebensabend genießen wollen und Dank für ihre früheren Anstrengungen erwarten, trifft die Verachtung derjenigen, die sich noch die Ideologie leisten, daß Ansprüche eben auf Leistung beruhen. So stehen die Klagen über die Herzlosigkeit gegen das Alter neben dem unverfrorenen Lob der Jugend, um die es sich zu kümmern gilt, weil ihr die Zukunft gehört; und die Blödheit der Alten, die in jugendlicher Brauchbarkeit ihre eigene, nun verblaßte Tugend entdecken, wetteifert mit dem Stolz der Jungen, die nicht sehen wollen, daß ihre Tatkraft das beste Mittel ist, schnell alt zu werden.

Der S t a a t legitimiert seine Maßnahmen gegenüber dieser doppelten Unzufriedenheit mit dem Hinweis auf die Unausweichlichkeit der Lebensrisiken, zu deren Verringerung alle solidarisch ihren Beitrag leisten müssen, und preist seine Sozialmaßnahmen als notwendige Ergänzung des Leistungsprinzips, die jedem die Chance eines menschenwürdigen Lebens eröffne. Die Klagen der Betroffenen über die Ungerechtigkeit der Arbeitslosigkeit wehrt er mit dem Hinweis auf seine Ohnmacht gegenüber der Konjunkturentwicklung und die Zuständigkeit der Unternehmer ab, deren Unterstützung er denn auch tatkräftig betreibt. Beschwerden über die Plackerei der Lohnarbeit greift er mit der Verteidigung des Leistungsprinzips an oder mit Forderungen nach "Humanisierung der Arbeitswelt" auf, die durch Anpassung der "Sachzwänge" an die physischen und psychischen Schranken der Arbeiter ihre Selbstzerstörung attraktiver und effektiver machen soll. Gegen die landläufigen Angriffe auf das Gesundheitswesen, die dem Staat den Willen zur Krankheitsbekämpfung unterstellen, verteidigt er sich mit Vergleichen gegenüber früher, als Seuchen und früher Tod grassierten, und agitiert für ein gesundes Privatleben seiner Bürger. Mit Klagen über das "Leistungs- und Konsumdenken" wirft er den Leuten vor, daß sie sich kaputtmachen lassen; mit der Propaganda maßvoller Genüsse und gesunder Ernährung versuch er die Arbeiter auch dort, wo er ihnen keine Vorschriften machen kann, zur selbstzerstörerischen Rücksichtnahme auf ihren gesellschaftlichen Nutzen zu bewegen. Und da es auf Leistung ankommt, die denen, die sie bringen, wenig einbringt; verkündet er im Lobpreis der Jugend das Ideal der Brauchbarkeit und ergänzt es durch die Aufforderung, statt das Alter zu mißachten, durch familiäre Fürsorge dem Staat einen Teil der Alterslast abzunehmen.

Angesichts der Bekundungen des Staates, daß er nicht willens ist, aus den sozialen Rechten der Bürger etwas anderes zu machen, als sie sind; nämlich Kompensationen, die zur Fortführung des Lohnarbeiterdaseins zwingen, fällt den l i n k e n Arbeiterfreunden nichts Besseres ein, als diese Rechte mit dem Argument zu verherrlichen, daß sie von den Arbeitern erkämpft worden seien. Sie benutzen ausgerechnet die Notwendigkeit, dem Staat noch die miesesten Zugeständnisse abzuringen, dazu, ihnen die höheren Weihen von Arbeiterrechten zu verleihen, und eröffnen sich mit diesem zynischen Lob das weite Feld von verharmlosenden Angriffen gegen die "Unfähigkeit" des Staates sowie den revisionistischen Kampf um Rechte.

Die f a s c h i s t i s c h e Alternative betrachtet die sozialen Aufwendungen des Staates nicht nur wie jeder Demokrat als eine Belastung, sondern auch vom Standpunkt ihres Wirkens her als eine Sache, die dem Untergang der Nation Vorschub leistet. Gegen die Erhaltung der nur bedingt brauchbaren Arbeitskraft setzen sie den bedingungslosen Anspruch des Staates auf opferbereiten Dienst. Den kapitalistischen Zwang zur Konkurrenz mit seinen Folgen nehmen sie zum Anlaß, die Individuen danach zu unterscheiden, ob sie zur Erfüllung ihrer Pflicht bereit und fähig sind: staatliche Auslese

3. Das staatliche Bemühen um die Brauchbarkeit und Arbeitsbereitschaft der Lohnarbeiter verschafft diesen - als Lohn für ihren Nutzen - den vielgepriesenen Freiheitsraum des Privatleben, der in der westlichen Welt geachtet wird. Dieser Raum hat allerdings Grenzen, zunächst die mit der Lohnarbeit unmittelbar gegebenen: er beginnt, wenn die Arbeit aufhört, und seine Ausgestaltung ist eine Frage des Geldes. Weil sich der Lohnarbeiter alles leisten darf, sich aber nicht alles leisten kann, kauft er sich nur das, was er sich leisten muß. Genauso verfährt er bei der Einteilung seiner Zeit. Die Einstellung zu seiner privaten Freiheit als einer Sphäre der Notwendigkeit wird ihm von der Sorge diktiert, die Quelle seines Einkommens, d.h. seine Arbeitsfähigkeit, zu erhalten. Im Versuch, seinen Wünschen Befriedigung zu verschaffen, erfährt er nicht nur, daß dazu weder Zeit noch Geld reichen, sondern auch, daß der unüberlegte Gebrauch seiner privaten Freiheit stets auf Kosten der notwendigen Genüsse geht, die zur Fortführung der Arbeit unabdingbar sind. Und selbst der Befriedigung der Bedürfnisse, die funktionell auf die Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit bezogen sind, stehen gesellschaftliche Bedingungen im Wege, mit denen er aufgrund seines Geldbeutels nicht fertig wird. Dies ruft den Staat auf den Plan, der seine sozialpolitische Abteilung um zusätzliche Leistungen erweitert, die darauf abzielen, die Schwierigkeiten des Privatlebens nicht zum Hindernis des Arbeitslebens werden zu lassen. Diese Maßnahmen haben daher auch keinen Geschenkcharakter, und ihre soziale Funktion besteht darin, die Lohnarbeiter dahin zu bringen, aus ihrer Freizeit trotz allem Reproduktion ihrer Arbeitskraft zu machen, was nicht ohne neuerliche Verpflichtungen und Opfer abgeht und das Reich der individuellen Freiheit den Notwendigkeiten der Ausbeutung unterwirft.

- Da der Arbeiter kein Eigentum hat, muß er eine Wohnung mieten. Diese elementare Lebensbedingung bringt ihn in Abhängigkeit vom Grundbesitzer, der seinerseits aus seinem Vermögen Einkommen erwirtschaften will. Die Kollision zwischen den Notwendigkeiten der Privatsphäre und dem Recht des Hausbesitzers auf die Erhaltung und effektive Nutzung seines Besitzes regelt der Staat im Mietrecht, das wegen der gleichmäßigen Berücksichtigung beider Seiten dem Mieter weder eine sichere Wohnstätte noch einen erschwinglichen Preis garantiert. Auf den Mangel an billigen Wohnungen - das Grundeigentum ist anerkannte Einkommensquelle! - reagiert der Staat mit Wohnungspolitik. Diese besteht zunächst darin, daß er das Streben der Betroffenen, sich von den Lasten als Mieter unabhängig zu machen, durch die Förderung zweckgebundenen S p a r e n s unterstützt, mit der Gewährung von Bank k r e d i t e n das Eigenheim endgültig zum
lebenslangen Problem macht und ihnen diese neue Form des Opfers, das mit dem Wohnen eines Arbeiters verbunden ist, mit der Ideologie der "eigenen vier Wände" schmackhaft zu machen versucht. Da sich diejenigen, denen an einer billigen Wohnung gelegen sein muß, den Luxus nicht leisten können, neben der zu teuren Miete auch noch für ein Eigenheim sparen zu können, gibt es den s o z i a l e n W o h n u n g s b a u . Diese Maßnahme ist darin sozial, daß sie vermögende Leute mit Steuererleichterungen, Zuschüssen etc. dazu anhält, Wohnungen zu erstellen und diese eine Zeitlang k o s t e n d e c k e n d zu vermieten. Da der soziale Wohnungsbau zwar Wohnungen schafft, nicht aber das Wohnungsproblem armer Leute löst, mildert der Staat die Kollision zwischen dem Interesse an billigen Wohnungen und dem berechtigten Gewinn der Hausbesitzer durch die Zahlung von W o h n g e l d , wodurch er Steuergelder in Gewinn verwandelt, den das Grundeigentum also trotz der Armut der Mieter machen kann. Das Wohngeld als der krönende Abschluß unserer Bundesregierung beim Abbau von zwangswirtschaft lichen Eingriffen, die den Verfechtern der sozialen Marktwirtschaft unangenehm waren, beweist, daß der Staat kein Interesse daran hat, die Kollision aufzulösen, der sich die W o h n u n g s f r a g e verdankt; Preisbindung und Zwangsbewirtschaftung gelten dem Staat als außer ordentliche Notmaßnahmen.

- Die Gefährdung der Reproduktion durch den Zeitaufwand, den die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte kostet, verlangt vom Staat besondere Aufmerksamkeit beim Ausbau des Verkehrsnetzes. Zum einen muß er beim Straßenbau die Erfordernisse des dadurch wachsenden Privatverkehrs berücksichtigen, zum anderen ist wegen der Unerschwinglichkeit eines eigenen Autos und seiner Benutzung für viele Lohnarbeiter die Einrichtung von M a s s e n v e r k e h r s m i t t e l n geboten. Diese Leistungen eröffnen den Massen die trostreiche Alternative, die notwendige Verlängerung der Arbeitszeit in ihre Freizeit hinzunehmen oder sie durch geldlichen Mehraufwand zu verkürzen.

- Das Angewiesensein der Bürger auf kontinuierliche Information über die sich wandelnden gesellschaftlichen Umständen, mit denen sie zurechtzukommen haben,
das Bescheid wissen müssen über alle möglichen Bedingungen ihrer Reproduktion - was einen weiteren Teil ihrer Freizeit okupiert - nützt der Staat dadurch aus, daß er mit der Gewährleistung des leichten Zugangs zu allen notwendigen Informationen die staatsgerechte Zubereitung und Kommentierung derselben verbindet. Die politische Abteilung der Medien hat ihren Kernpunkt im Nachrichtenwesen, welches 24 mal täglich den jeweils gültigen Standpunkt der Nation zu internationalen Konflikten darbietet, den neuesten Stand staatlicher und wirtschaftlicher Unterdrückung unter Abwägung von Vor- und Nachteilen als unausweichlich darstellt und an hand von Meldungen über Verbrechen und Unwetter klarmacht, daß der Staat erstens sein muß und zweitens verläßlich ist. Die Eintönigkeit dieser Veranstaltung bedient sich der Methode des kommentierenden Pluralismus: jede Maßnahme, jedes Ereignis vom U-Bahn-Bau bis zur Olympiade wird eingekleidet in das Urteil mehrerer maßgeblicher Männer aus Politik und Wirtschaft. Damit sich der Bürger nicht auf die bloße Kenntnisnahme zurückzieht und sich im übrigen zu den Belangen der Nation passiv verhält, setzen Kommentare, politische Magazine und Diskussionen das Geschäft fort, des Bürgers eigene Meinung zu bilden. Der Abwehr der Bürger dagegen, sich in ihrer Freizeit die Sorgen des Staates zu machen, begegnet man mit geschickter Programmgestaltung. Damit der Bürger an der Agitation nicht vorbeikommt, wird sie im Rahmen der Sendungen dargeboten, die ihn mit allerlei praktischen Tips und Lebenshilfen versorgen und daher seines Interesses gewiß sind. Insbesondere die Aufklärung der neugierigen Jugend über die Fährnisse des Lebens und die Befassung mit den Frusts des Frauendaseins empfehlen sich für eine gründliche moralische Aufrüstung. Die Mittel, die den Medien aus Gebühren, Steuergeldern und nicht zuletzt aus der Werbung zufließen, durch die der Staat der Wirtschaft gestattet, auf vergnügliche Weise klarzumachen, daß Waren preiswert sind, erlauben ihnen auch, dem Wunsch der Bürger nach Unterhaltung Genüge zu tun. Weil der Staat weiß, was er von seinen arbeitenden Bürgern zu halten hat, geht er hier auch ganz auf sie ein. Er erfüllt durch geistlose Unterhaltungssendungen und Rätselstunden ihr Bedürfnis nach Kompensation für den in der Arbeitswelt erlittenen Verschleiß, der weitere Anstrengungen unmöglich macht. Die vulgären Formen von Schlager, Show und Film sind für ihn das geeignete Programm seiner kompensatorischen Erziehung, nach der das Volk leider verlangt. Es zerfällt in drei Teile: erstens geht im Leben mancher Schuß daneben, und zweitens lassen wir uns das Singen nicht verbieten, weil drittens vor der Himmelstür alle gleich sind. So hat jede Kulturnation auch ihre Massenkultur .

Die bei diesem Programm gar nicht erstaunliche Unzufriedenheit der Massen eröffnet die Möglichkeit harter Kritik: In Leserbriefen an die Rundfunkzeitschriften wird gesagt, was man lieber hätte, und Medienforscher verlangen statt Manipulation ein besseres Eingehen auf die (originären) Bedürfnisse des Publikums. Die Unzufriedenheit des Staates über die immer wieder spürbare Undankbarkeit seiner Adressaten führt zu Beschwörungen seiner erzieherischen Aufgabe und der Anklage, er ließe wegen ökonomischer Interessen von ihr ab.

- Der Notwendigkeit körperlichen Ausgleichs für die erzwungenen Anstrengungen der Arbeit trägt der Staat durch die Bereitstellung von Erholungs- und
Sportstätten Rechnung. Weil er aber nicht an der Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung, sondern daran interessiert ist, daß s i e s i c h gesund erhält, knüpft er
auch diese Wohltat an Bedingungen. Wer Sport treiben will und dazu Platz und Geräte braucht, muß zeigen, daß er dafür etwas übrig hat. Eintrittspreis und Zwänge
des Vereinslebens machen aus der freiwilligen Betätigung des Körpers eine Frage der Opferbereitschaft. Da viele aufgrund der einseitigen Anstrengung ihrer Arbeit von Körperbewegung genug haben, wegen ihrer mangelnden Leistung auch keine Freude am Sich-Messen haben und schließlich ihr Geld und ihre Zeit für andere Genüsse verbrauchen macht ihnen der Staat mit seiner Trimm-Dich- und Gesundheitsagitation klar, daß es ihm auf die Freuden des Sports ohnehin nicht ankommt.
Er fordert seine Bürger auf, einfach jede Bewegung vom Einkaufsbummel bis zum Spaziergang a l s Sport zu betrachten und nicht zu rasten, damit sie nicht rosten.
Und wo sich junge Leute wirklich für den Sport begeistern, geht er sogleich dazu über, seinen Nutzen daraus zu ziehen: er fördert den Leistungssport, welche Tautologie Sport als Beruf meint und an ihren Wirkungen auch als solcher kenntlich ist, und hat mit ihm ein prächtiges Mittel zur Repräsentation der Nation wie auch eine Erweiterung des Unterhaltungsangebots.

Weil sich der Großteil der Bürger schwer tut, das zu schaffen, was der kleine Teil der Bürger von ihnen erwartet: gesund und munter zu bleiben, um bei der Verrichtung ihrer Arbeit und bei der Unterstützung des Staats ihren Mann zu stehen, haben einige um das Funktionieren unserer Gesellschaft besorgte Wissenschaftler und Journalisten das Problem der "Freizeitgesellschaft" entdeckt. In der verhinderten Reproduktion der Massen erblicken sie eine G e f a h r , legen die Folgen der Lohnarbeit und der staatlichen Reglementierung der Privatsphäre den Betroffenen zur Last und tadeln sie, weil sie ihrem Standpunkt zufolge nichts (Richtiges) mit ihrer Freizeit anzufangen wissen. Sie versprechen sich viel von einer Verkürzung des lästigen freien Lebens und seiner Erfüllung mit Sinn.

4. Für alle, die den Anforderungen der Konkurrenz in Ausbildung und am Arbeitsplatz nicht gewachsen sind, also für ihren Lebensunterhalt nicht sorgen können und auch für die Zeit ihres Ausflippens keine Vorsorge getroffen haben, hält der Staat seine Fürsorgemaßnahmen bereit. Er rechnet mit dem steten Vorhandensein des P a u p e r i s m u s und erklärt ihn zu einer öffentlichen Angelegenheit. Die Gewährung von Sozialhilfe soll ihren Empfänger befähigen, unabhängig von ihr zu leben; und weil man höheren Orts weiß, daß dieser Anstrengung wenig Erfolg beschieden ist, denkt man an die drohende Kriminalität, die ihr Mißerfolg mit sich bringt. Zum Empfang von Sozialhilfe ist nicht berechtigt, wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten, was aber nicht heißt, daß er überhaupt nichts bekommt: ihm winkt ein Platz in einer Anstalt, ein Gefängnisaufenthalt, der keinen Rechtsbruch voraussetzt. So macht der Staat seinen Bürgern auch an den Grenzfällen individueller Not deutlich, daß er nicht für sie da ist, sondern sie für den öffentlichen Nutzen dazusein haben, indem sie für sich selbst sorgen - was wiederum nur durch die Vermehrung des Nutzens anderer geht. Weil ihm schließlich selbst die Aufwendungen für Armenhäuser, Obdachlosenasyle und die spärlichen Gelder für Arme zuviel sind, hat er sich der moralischen Gesinnung seiner Bürger erinnert und den Grundsatz des "Nachrangs" der Sozialhilfe erfunden. Die Sozialbehörden beschränken ihre Wohltaten auf die Fälle, die nicht durch Familie oder Einrichtungen der "freien Wohlfahrtspflege" bewältigt werden - durch jene Vereine und Stiftungen also, die an die Moral der noch mit Arbeitsfähigkeit gesegneten Leute appellieren und ihnen beim Einkaufen, Spazierengehen, an der Haustür, in der Schule etc. eine Mark nach der anderen abluchsen. Der Staat fördert diese Körperschaften, so daß die Betätigung der Moral von der zufälligen Rührung einzelner loskommt: unabhängig von der Anschauung des Elends in der näheren Umgebung sieht sich jeder mit der organisierten Darstellung von Not konfrontiert, für die er sich verantwortlich sehen soll. So entdecken letztlich auch minder Gläubige die Funktion der Kirche, ihre Solidarität mit ihren Mitbürgern und ersparen dem Staat Auslagen, was dieser freudig zur Kenntnis
nimmt - und sein Geld zur Förderung des Eigentums verwendet.

5. Daß es dem Staat um die Erhaltung der Lohnarbeiterklasse zu tun ist, läßt sich nicht bestreiten; noch viel weniger aber, daß die Fürsorge, die er den auf ihre Arbeit angewiesenen Bürgern zuteil werden läßt, diesen nicht gut bekommt. Alle seine Leistungen laufen darauf hinaus, den Lohnabhängigen die wenig bewundernswerte Kunst aufzuherrschen, mit den Konsequenzen ihres Diensts am Eigentum fertigzuwerden; die Wirkungen des unmittelbaren Produktionsprozesses ebenso zu ertragen wie die Funktionalisierung ihres Privatlebens für ihre Tauglichkeit als Arbeitskräfte zu bewerkstelligen. So sieht er sich als Folge seines freiheitsstiftenden Wirkens mit dem Anspruch der Lohnarbeiter auf ihre E x i s t e n z konfrontiert, dem er seine Anerkennung nicht versagen kann; schließlich ist die Existenz seiner arbeitenden Bürger die Bedingung für ihren nützlichen Dienst, auf den es ihm ankommt. Deshalb schreitet er zur Festlegung von Schranken der Ausbeutung und betätigt sich als Beschützer der Arbeitskraft, wo ihre Verwendung ihre Vernichtung unmittelbar zur Folge hat. Die gesetzliche Festlegung eines Normalarbeitstages ist die Reaktion des Staates auf die Verhinderung jeglicher Reproduktion, die mit dem freien Spiel der Kräfte auf dem Arbeitsmarkt einhergeht:
weil jeder Lohnarbeiter zur Verbesserung seiner Reproduktion mehr arbeitet und sich dadurch das Angebot an Arbeit stets von seiten ihrer Käufer zur Senkung des Lohnes ausnützen läßt, führt die gelobte freie Konkurrenz unweigerlich zu einem Arbeitstag, dessen Länge die Lohnarbeiter nicht aushalten und dessen Ertrag nicht für ihre Erhaltung reicht. Der Staat verhindert mit dem Normalarbeitstag, daß die Unternehmer die Konkurrenz der Lohnarbeiter in einem Maße ausnützen, das den Arbeitsprozeß zur unmittelbaren Bedrohung des Lebens werden läßt. Freilich liegt ihm damit wie mit den übrigen Konsequenzen aus §$#167; 618 BGB - "Der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen von Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, daß der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet." - nichts an der Abschaffung der Gründe, die fiir die Lage der arbeitenden Klasse verantwortlich sind. Ganz Sozialstaat, nimmt er die Notwendigkeit der Dienstleistenden, über das normale Maß hinauszuarbeiten, zum Anlaß, auch dafür bestimmte Grenzen festzulegen und die Bedingungen anzugeben, unter denen er sie gestattet.

Die vielfältigen und als Fortschritt des Kapitalismus gepriesenen Schutzmaßnahmen tragen allesamt dem Kriterium der öffentlichen Macht Rechnung, das diese befolgt,wenn sie sich zu Sonderrechten für Lohnabhängige entschließt: die Auswirkungen der Lohnarbeit müssen dort ihre Grenze haben, wo sie als eine Weise
der Reproduktion unmöglich wird, ein "soziales Problem" darstellt, ohne daß sie Nutzen bringt. Marx hat den Witz der Gesetze, die das rücksichtslose Zugrunderichten der dem Kapitalisten unter worfenen Arbeiter so reglementieren, daß die Arbeiter für d a s Kapital tauglich bleiben, so zusammengefaßt:

"Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?"

Arbeitsschutz, der sich auch auf die "Wahrung von Sitte und Anstand" erstreckt, Unfallverhütungsvorschriften und besondere Auflagen für die Ausbeutung
Jugendlicher und schwangerer Frauen sind die trostlosen Zugeständnisse des Staates an die Menschenwürde, von der seine Agenten wissen, daß sie im Dienst am
Eigentum beständig zuschanden wird. Dabei geht aus der Notwendigkeit, die Ruinierung der Arbeiter im Produktionsprozeß durch staatliche Eingriffe zu bremsen, nicht nur hervor, daß die Eigentümer von Produktionsmitteln von sich aus nicht bereit sind, die verheerenden Wirkungen ihres Gewerbes auf Körper und Geist ihrer Produktionsinstrumente einzudämmen; auch die mit ihrem Eigentum verbundene Macht, ihren Zweck gegen die konkurrierenden Arbeiter durchzusetzen, ist nicht zu übersehen.

So erweisen sich die Regelungen, die der Staat gegen die Eigentümer zum Schutz der Lohnarbeiter erläßt, als Pendant zu den Bestimmungen, durch die er die Vermehrung von Eigentum sichert, indem er den anerkannten Zweck der Gewinnemacherei in Formen zwingt, die auch anderen Eigentümern ihr Geschäft ermöglichen (b 5.). Der kleine Unterschied zu den Bestimmungen, welche die Konkurrenz unter den Arbeitern fortzuführen gestatten, liegt in der Natur dessen, was
durch die Konkurrenz bedroht ist und ohne das Zutun des Staates keinen Bestand hat: während die Konkurrenz zwischen Eigentümern die produktive Nutzung des Eigentums gefährdet und der Staat Beschränkungen verordnet, welche die produktive Nutzung des Eigentums g e w ä h r l e i s t e n , führt die Konkurrenz der Lohnarbeiter zur Zerstörung ihrer Existenz, die dem Staat wegen der damit verbundenen U n b r a u c h b a r k e i t der Leute zum Problem wird. Und zwar deswegen, weil die Betroffenen - freie Anbieter ihres Arbeitsvermögens - sich ein Arbeitsverhältnis, das sie zum Zwecke ihres Lebensunterhalts eingehen, nicht mehr gefallen lassen, wenn es den Lebensunterhalt verunmöglicht. Sie setzen sich gegen die Wirkungen der Konkurrenz zur Wehr, innerhalb derer sie sich zu bewähren gezwungen sind, schließen sich zur gemeinsamen Arbeitsverweigerung zusammen, um bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen. Die bereits erwähnten Schutzmaßnahmen sind dem Staat durch Kämpfe der Arbeiterklasse abgerungen worden und bilden, einmal durchgesetzt, für die besitzende Klasse den Ausgangspunkt für allerlei Anstrengungen, sich für die verminderte Ausbeutbarkeit ihrer Arbeiter schadlos zu halten. Jedes durch vorübergehende Arbeitsniederlegung erreichte Resultat staatlich fixierter Arbeitsbedingungen eröffnet erneut die Konkurrenz zwischen den Arbeitern und damit die Möglichkeit für die Kapitalisten, das Verhältnis von Lohn und Leistung zu ihren Gunsten zu andern. So daß die periodische Gegenwehr der an ihrer Existenz gehinderten Arbeiter zum normalen Getriebe der bürgerlichen Gesellschaft gehört. Der Staat findet mit der U n v e r e i n b a r k e i t der Interessen von Lohnarbeit und Kapital auch den Klassenkampf vor, der sein soziales Wirken für Eigentum und Lohnarbeit beständig in Frage stellt, das Funktionieren der Gesellschaft stört. Keine seiner Leistungen für das Eigentum und für die Lohnarbeit schafft den sozialen Frieden, weil jede Maßnahme dem G e g e n s a t z , dem er seine Existenz verdankt, eine neue Verlaufsform und dem Kampf der Lohnabhängigen einen neuen Grund gibt.

So nimmt sich der demokratische Staat, der die Koalitionen der Arbeiter nicht verbieten will, weil die rücksichtslose Niederschlagung von Arbeitskämpfen die
Vermehrung des Eigentums ihres Mittels beraubt und Arbeiter zu Staatsfeinden werden läßt, des sozialen Konflikts an, indem er den Arbeitskampf gesetzlich regelt:
er toleriert ihn, indem er ihm Grenzen vorschreibt; bannt die von ihm ausgehende Gefahr für das Privateigentum, indem er ihn soweit zuläßt, wie er das Privateigentum
und seine Vermehrung als seine Schranke anerkennt. Den Arbeitern gewährt er die Koalitionsfreiheit und erläßt Gesetze über deren z u l ä s s i g e n G e b r a u c h . Aus den feindlichen Klassen werden S o z i a l p a r t n e r durch die Gewährung der Tarifautonomie, den Zwang, in Verhandlungen Tarifverträge abzuschließen, die der einen Seite die Möglichkeit geben, in Veränderungen des Produktionsprozesses die Konkurrenz der Arbeiter auf dem Markt und im Betrieb auszunützen, die andere Seite aber für die Laufzeit des Vertrages mit der Friedenspflicht beglücken. Damit nun nicht jeder neue Vertragsabschluß, in dem die Manteltarife - die Mindestbedingungen, unter denen die Arbeiter sich zu verkaufen berechtigt sind - festgesetzt werden, automatisch zu Arbeitsniederlegungen führt, macht der Staat aus seiner Abneigung gegen die unerwünschte Störung der Geschäfte sogleich Gesetze, die den Gewerkschaften Streikauflagen bescheren, ohne deren Erfüllung ein Streik zum Gesetzesbruch wird. Ein Streik muß s o z i a l a d ä q u a t sein, darf nicht auf Vernichtung des Sozialpartners abstellen (will heißen: seines Eigentums), und von der Rücksichtnahme auf Dritte die stets betroffen sind, muß er auch noch getragen sein. Wobei dem Rechtsstaat auch er selbst einfällt:
die Wirtschaftslage der Nation und überhaupt die FDGO setzen den Ansprüchen der Arbeiter auf die Veränderung des Verhältnisses von Lohn und Leistung Grenzen und lassen das Interesse an einem passablen Lebensunterhalt von vornherein nur b e d i n g t gelten. Während die ideologischen Fanatiker der Tarifautonomie in dieser den idyllischen Zustand einer N i c h t e i n m i s c h u n g der öffentlichen Macht in den Tarifkonflikt erblicken, zeigt das Tarifvertragsgesetz mit jedem Paragraphen, daß die vielgepriesene Tarifautonomie die Verrechtung des gewerkschaftlichen Kampfes darstellt, also die E i n m i s c h u n g des Staates in den vorgefundenen Klassenkampf ist, die seine Austragung zu einer Sammlung von Pflichten für die Koalitionen der Arbeiter macht.

aloute
06.02.2004, 13:49
(Ihre Nichteinhaltung hat das zur Folge, was das staatstreue bis faschistische Pack ohnehin bei jedem Arbeitskampf verlangt.) Nicht nur zur fairen Verhandlungsführung sind die Vertreter der Gewerkschaften gehalten, sie können auch bei Unzufriedenheit mit den Angeboten der Gegenseite nicht umstandslos zum Druckmittel des Streiks übergehen. Mit ihrem Gegner müssen sie in ein Schlichtungsverfahren eintreten, bei dem ein mit dem Standpunkt des öffentlichen Interesses gewappneter Neutraler vermittelnde Vorschläge macht und andeutet, was geduldet werden kann. Erst wenn bei dieser Veranstaltung keine Einigung erzielt wird, ist der Eintritt in den Arbeitskampf gestattet, ein Schritt, der in der Urabstimmung (75 %) die nächste Hürde des Gesetzgebers zu überwinden hat. Was sich vom Standpunkt der Koalition ganz harmlos ausnimmt - es gilt, sich der Kampfbereitschaft der Mitglieder zu versichern bzw. sie herzustellen -, ist für den Staat ein Mittel, die Differenzen unter den Arbeitern bezüglich ihrer Ansprüche und Opferbereitschaft zur Erschwerung des Kampfes auszunützen. Nur wenn es der Gewerkschaft gelingt, die Einheit ihrer Mitglieder herzustellen, ist deren Kampf berechtigt, duldet der Staat die u l t i m a r a t i o . Die während des Kampfes geführten Verhandlungen unterliegen ebenfalls dem Schlichtungszwang, so daß die aufgeregt verkündeten Positionen von Kapital, Gewerkschaften und Schlichter die unterschiedlichen Interessen der Arbeiter schnell in verschiedene Grade von K o m p r o m i ß b e r e i t s c h a f t verwandeln. Diesen Prozeß befördert noch die wegen der Gerechtigkeit erfundene Kampfmaßnahme der Aussperrung, durch die die Unternehmer vor allem die Organisierten und Nichtorganisierten gegeneinander ausspielen.

Das alles hindert die von der Tarifautonomie begeisterten Demokraten nicht, über dem Verzicht des Staates auf Z w a n g s s c h l i c h t u n g zu vergessen, daß er
sich im S c h l i c h t u n g s zwang eine Form des Eingreifens geschaffen hat, die aus jeder Tarifverhandlung ein Mittel zur Verhinderung des Kampfes, zur
kompromißlerischen Schonung des Eigentums gemacht hat. Selbst die ganz nebenbei erfolgte Definition des w i ld e n S t r e i k s , des ohne staatlich überwachtes
Ritual geführten Arbeitskampfes, kann sie nicht davon abhalten, nach einem wohlgeordneten S t r e i k r e c h t zu verlangen. Sie bemerken auch an den Urteilen
der diversen Arbeitsgerichte zu Tarifkonflikten nicht, daß jede Regelung durch den Staat e i n d e u t i g nur in dem Sinne ist, daß beschränkende Vorschriften für die Gewerkschaften zu Papier gebracht werden. Daß in dem juristischen, d.h. am Recht interessierten Gejammer über die mangelhafte Kodifizierung des Arbeits k a m p f r e c h t s nur die Sehnsucht nach Verboten steckt, ist ein schwieriger Gedanke für Staatsillusionisten, die in der Gewährung der Tarifautonomie die P a s s i v i t ä t des Staates entdecken (meist mit dem Hinweis auf die Nachteile illegaler Gewerkschaften), statt in der Verrechtung des Arbeitskampfes den staatlichen Zwang zum Kompromiß, zum sparsamen Gebrauch des Mittels Kampf und zur Loyalität anzugreifen.

Bei den westdeutschen Gewerkschaften ist diese Illusion so weit gediehen daß sie sich um die Mitwirkung bei der staatlichen Gestaltung des sozialen Friedens bemühen und mit ihren Gegnern um die gebührende Berücksichtigung der arbeitenden Staatsbürger bei diesem Geschäft streiten, ja selbst die Tarifkonflikte als Kampf um die Anerkennung der Gewerkschaft, der Tarifautonomie, der demokratischen Rechte etc. austragen - auf Kosten der Arbeiter.

Wenn der Staat den gewerkschaftlichen Kampf den Notwendigkeiten seiner Gegner entsprechend verrechtet, ihn s e i n e m Ziel der Aufrechterhaltung des Klassengegensatzes unterwirft, dann hat er nicht nur der Karnpforganisation der Arbeiter den Bruch des sozialen Friedens erschwert, sondern auch dem Eigentum die Möglichkeit eröffnet, die gewöhnlich ohne Kampfmaßnahmen zustandegekommenen Kompromisse während der Laufzeit der Tarifverträge kräftig auszunützen.
Die Unterwerfung der Arbeiter unter die tarifvertragliche Friedenspflicht fordert geradezu die Modifikation der Arbeitsbedingungen durch die Unternehmer heraus, so daß die Stätte der Produktion beständig Anlässe zu kämpferischen Vorhaben der Gewerkschaften liefert. Den Übergriffen des Kapitals auf die tarifvertraglich verbrieften Rechte der Arbeiter weiß der Staat dadurch zu begegnen, daß er ein Betriebsverfassungsgesetz erläßt, in dem niedergelegt ist, daß sich die Arbeiter die stete Störung des Betriebsfriedens durch ihren Herrn gefallen lassen müssen. Es wird ihnen das Recht auf eine betriebliche Interessenvertretung erteilt, die zur Erhaltung des Betriebsfriedens verpflichtet ist. Die Einrichtung des Betriebsrats, der gehört, informiert werden muß und gegen Gesetzesbrüche - die in der Fabrik offenbar ständig vorkommen - gerichtliche Schritte unternehmen darf (er darf auch darüber wachen, daß die Arbeiter nicht saufen, rauchen oder aus ihrem Interesse heraus Unfallverhütungsvorschriften übertreten), aber keinerlei Entscheidungsbefugnis besitzt, verlangt von den Arbeitern, die Konsequenz aus ihrer im Betrieb erfahrenen Unbill nicht im gewerkschaftlichen Kampf, sondern im vorgeschriebenen Beschwerdeweg zu ziehen. Der Betriebsrat ist der institutionalisierte Verzicht auf gewerkschaftlichen Druck am Arbeitsplatz, der den Lohnabhängigen mit der Ideologie verkauft wird, es gäbe die Möglichkeit des Ausgleichs im täglichen Kleinkrieg.

Da der Betriebsrat von den Angehörigen der Firma g e w ä h l t wird, steht für den demokratisch gesinnten Gewerkschaftler ebenso wie für den Revisionisten seine Qualität als Interessenvertretung außer Frage, weswegen sie sich heftig um diesen Posten bewerben und, statt etwas durchzusetzen - was die Institution nicht vorsieht -, für die entschiedene Unterstützung des gewerkschaftlichen bzw. revisionistischen Betriebsrats agitieren. Statt die spärlichen Mittel des Betriebsrates auszunutzen und ansonsten die Untauglichkeit solcher Organe für die Interessen der Arbeiter zu demonstrieren, verstärken sie noch die Propaganda des Gegners bezüglich der Überflüssigkeit des Kampfes, wobei sie den Beleg für ihre Bedeutung aus dem Vergleich mit korrupten, von der Unternehmensleitung vereinnahmten Betriebsräten ziehen, die ihrerseits ihr gutes Einvernehmen mit den Bossen als Grund für ihre Leistungen anpreisen. So hat der Staat mit dem Betriebsverfassungsgesetz den demokratischen Streit in die Produktion hineinzutragen verstanden, den Streit über die beste Art und Weise, ohne Arbeitskampf auszukommen, an dem sich ausgerechnet Gewerkschaftler mit Vorliebe beteiligen - ihr Traum heißt Mitbestimmung, die die Gegenseite mit dem fingierten Alptraum vom Gewerkschaftsstaat und einschlägigen Gerichtsurteilen in die Schranken weist.

d)

Mit seinen Maßnahmen zur Gewährleistung eines freien und damit beschränkten Lebens als einzelner Lohnarbeiter hat sich der Staat seiner Pflichten gegenüber den
berechtigten Ansprüchen der Bürger auf Reproduktion noch nicht vollständig entledigt. Da die Freiheit, zu lieben, wen man will, die Lohnarbeiter ihren tristen Alltag
vergessen lassen könnte, muß sie der Staat praktisch daran erinnern, daß ihr Wunsch nach Liebe und Kindern sich ihrer Funktion Für die Gesellschaft unterzuordnen hat. Da Kinder erst noch zu gesellschafts-, d.h. konkurrenzfähigen Individuen werden müssen und dafür der Pflege, der Erziehung und des Unterhalts bedürfen, unterwirft der Staat die Liebe den Notwendigkeiten der Selbsterhaltung seiner Bürger und verpflichtet den Mann darauf, die Kosten für Kind und Mutter zu tragen, und die Frau darauf, nicht nur Pflege und Erziehung der Kinder zu übernehmen, sondern auch als Reproduktionsgehilfin des Mannes zu fungieren. Durch die rechtliche Regelung des dem bürgerlichen Nützlichkeitsprinzip widersprechenden Verhältnisses von Mann und Frau als arbeitsteiliger Reproduktionszusammenhang befreit der Staat sich und das Eigentum von der Sorge um die gesellschaftliche Last der Nichtarbeiter und sorgt für einen Nutzen der Liebe, der die Beteiligten teuer zu stehen kommt. Die Institution der Bürgerlichen Familie, die denen wenig Schranken auferlegt, die ihr den Namen gegeben haben, vollendet für das niedere Volk die Trostlosigkeit des Lohnarbeiterdaseins durch die Alternative, sich rnimit Verzicht auf Liebe und Kinder ein paar Genüsse mehr leisten zu können - als Junggeselle, der "keine mitbekommen" hat - oder Zuneigung darin zu beweisen, daß man gestiegene Sorgen lebenslang teilen und Familienpflichten erfüllen muß.

Durch das Familienrecht macht der Staat die das bürgerliche Leben gefährdende Betätigung der Besonderheit zum Mittel der Reproduktion der Arbeiter k l a s s e . Es verbindet die Freiheit der Liebe mit ihrer Regelung als dauerndes Ehe- und Familienverhältnis, das Mann, Frau und Kind gewaltsam als Privatpersonen definiert und ihnen Rechte und Pflichten auferlegt, welche das Gefühl zur Grundlage eines Systems wechselseitiger Ansprüche und Einschränkungen machen und damit zerstören, weswegen auch nicht wenige erst heiraten, wenn ein Kind unterwegs ist. Der Staat erlaubt die Beziehung zwischen Mann und Frau nur gemäß den Bestimmungen eines familienrechtlichen V e r t r a g s , der Ehe, die Liebe und Treue in die Verpflichtung zur "ehelichen Lebensgemeinschaft" und zum Unterhalt verwandelt, und erklärt andere Beziehungen zum vor- oder außerehelichen Geschlechtsverkehr, aus dem ebenfalls Pflichten erwachsen können. Durch die Festlegung des Mannes auf die Sorge um den Verdienst, der Frau auf die Leitung des Haushalts und durch die ihnen gemeinsam zugesprochene elterliche Gewalt über das Kind sorgt er dafür, daß die zur Familie Zusamrnengeschlossenen durch ihre wechselseitige liebevolle Beschränkung den Anforderungen des Arbeitslebens genügen, das auf sie wenig Rücksicht nimmt.

Das K i n d , welches zu den notwendigen Unkosten der Gesellschaft zählt, wird der elterlichen Willkür unterworfen, bezahlt also seine Aufzucht und Erziehung zur Selbständigkeit in der Konkurrenz mit der jahrelangen unmittelbaren Abhängigkeit von Mitteln und Erwartungen der Eltern, denen es zur Last fällt und die daher von ihm Gehorsam und nützliches Konkurrenzstreben verlangen, um es schnell los zu werden, sowie mit der Beschneidung seines freien Willens bis zur Mündigkeit, weswegen es mit zunehmendem Alter immer weniger Grund zur erwarteten Dankbarkeit und Achtung vor den Eltern hat. Die Aufsässigkeit und der Drang nach Unabhängigkeit vom Elternhaus - nach einer "behüteten" Kindheit - gehören ebenso zur Jugend wie die erzwungen schnelle Ernüchterung über die Freiheit des eigenständigen Lebens in der Konkurrenz, das sie sich als Befreiung von den Vorschriften im Elternhaus, als Glück, endlich auf eigenen Beinen zu stehen, ausmalt.
Der M a n n erkauft sich mit der Schmälerung seines Verdienstes, der nicht mehr nur für ihn allein nicht reicht, ein beengtes häusliches Dasein neben seinem Berufsleben, das ihm, statt die erwünschte Entspannung vom außerhäuslichen Arbeitsleben zu verschaffen, mit den Sorgen und Nöten von Frau und Kind konfrontiert, die von ihm mehr als nur das Haushaltsgeld fordern. So wird die Sphäre der Familie zur zusätzlichen Belastung, deren wenige Annehmlichkeiten beständig durch die wechselseitigen unerfüllbaren Ansprüche versauert werden, weswegen der Mann neben Fernsehen und Kneipe sogar der Arbeit angenehme Seiten abgewinnt. Die F r a u wird durch die "Schlüsselgewalt" im Haushalt auf ein Dasein im Dienst von Mann und Kind festgelegt und zur eintönigen Ableistung bornierter und gleichwohl mühseliger Tätigkeiten verpflichtet. Sie findet ihre gesellschaftliche Funktion und damit Anerkennung im persönlichen Opfer für das Wohlergehen der Familienmitglieder, in der Plackerei mit den unvernünftigen Kindern, in der täglichen Sorge, mit wenig Geld dem von der Arbeit kaputten Mann einen bequemen Feierabend und brave Kinder zu verschaffen, ihm die häuslichen Nöte abzunehmen und sich zum Dank dafür auch noch für sein Entspannungsbedürfnis ansehnlich und bereit zu halten.

Weil sich die Familienmitglieder nun einmal umeinander kümmern müssen, erleichtert der Staat seine strapazierten Finanzen außerdem dadurch, daß er für alle
Wechselfälle des Arbeiterlebens, deren es ja festgestelltermaßen recht viele gibt, vor Inkrafttreten seiner segensreichen Sozial- und Fürsorgemaßnahmen die Familie zur Kasse bittet und dabei klarstellt, wofür die Förderung des Familiensparens nützlich ist.

Mit zusätzlichen Maßnahmen sorgt der Staat dafür, daß die mit dem Ehe- und Familienrecht für die Reproduktion der Lohnarbeiterklasse dienstbar gemachte Liebe
ihren Nutzen nicht verliert. Den gestiegenen Lebenshaltungskosten bei wenig höherem Lohn wirkt er durch Steuererleichterungen entgegen, die den Unternehmern höhere Lohnkosten ersparen und dem Staat durch den Mehrkonsum der Familie wieder zufließen. Die Bereitschaft, die Lasten von Kindern auf sich zu nehmen, befördert er durch Kinderfreibeträge und Kindergeld, welche wegen der staatlichen Gewißheit, daß die Freiheit der Liebe trotz aller unangenehmen Folgen für die Beteiligten zum Nachwuchs an Staatsbürgern führt, recht mager ausfallen. So honoriert er die Leistung der Eltern für die Gesellschaft, ohne sie der Sorgen zu entheben, und ergänzt diese Prämien durch Ausbildungsförderung, wo die Abhängigkeit der Kinder von den Mitteln der Familie ihre Brauchbarmachung auf weiterführenden Schulen beeinträchtigt. Und da Arbeiter weder weitläufige Wohnungen mit Garten noch Zeit zum Ausflug ins Grüne haben, errichtet er wenige und freudlose Spielghettos, in denen die Kinder abgestellt werden können.

Da solche Unterstützungen weder den Zweck noch das Ergebnis haben, den Familien ein annehmliches Leben zu verschaffen, muß sich die Arbeiterfamilie dadurch erhalten, daß auch die Frau, soweit irgend möglich, sie vernachlässigt und mit schlechtbezahlter Arbeit das Haushaltsgeld aufbessert, so daß die Institution Familie den Unternehmern billige und willige Arbeitskräfte und den Arbeitern eine preisdrückende Konkurrenz verschafft, den Arbeiterfrauen aber die Doppelbelastung von Lohnarbeit und häuslicher Arbeit aufbürdet - wenn sie nicht aus Liebe zum Kind sich und ihrer Familie das Notwendigste versagen wollen. Die Anforderungen der Familie, um deretwillen die Frauen mitverdienen, ,verkehren' sich dabei zum beständigen Hindernis ihrer Arbeitsfähigkeit, weswegen der Staat den Zwang zur Zerstörung der Familie durch Maßnahmen ergänzt, die die Belastung durch Kinder zugunsten der wirtschaftlichen Nützlichkeit der Frauen vermindert und durch die dafür der Familie erwachsenden zusätzlichen Kosten die erzwungene Bereitschaft der Frauen, alle Freizeit in Arbeitszeit zu verwandeln, verstärkt. Er begegnet dem Gegensatz der Anforderungen des Arbeitslebens zum unprofitablen Kinderkriegen durch Mutterschutzbestimmungen, die der Mutter ermöglichen, sich eine nicht zu lange Weile ausschließlich Kind und Mann zu widmen, ohne dadurch den Anspruch auf ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Diese Bemühung um die Verfügbarhaltung der Frauen komplettiert er durch die Anwendung der Bestimmung, daß Frauen nur dann arbeiten dürfen, wenn sie die Versorgung ihrer Kinder nachweisen können, in solchen Zeiten, wo wegen des Überschusses an Arbeitskräften die Frauen arbeitslos und für die Familie wieder nützlich zu machen sind und zwecks Einsparung von Arbeitslosengeld das Hausfrauendasein für den Staat wieder als ehrlicher Beruf gilt. Um den Frauen in Zeiten, wo das Kapital sie brauchen kann, die Arbeit auch dann zu ermöglichen, wenn sie zu Hause unabkömmlich sind, unterhält und unterstützt der Staat Kindergärten, die gegen ein erkleckliches Entgelt die Kinder in Verwahrung nehmen und für ihre spätere Aufgabe in der Gesellschaft zurichten helfen.

Da der Staat mit der Familie neue Lasten, also die beständige Gefährdung der Gefühlsbindung, die die Belastung aushaltbar macht, institutionalisiert hat, kümmert er sich auch darum, daß die nützlichen Seiten der Familie auch ohne das Gefühl erhalten bleiben. Er ergänzt die Freiheit des Privatlebens, also die Instituionalisierung der wechselseitigen Quälerei, durch Erziehungs- und Eheberatung in Medien und staatlichen Stellen, die mit Ratschlägen zum Zurechtkommen die kirchlichen Moralveranstaltungen ergänzen bzw. ersetzen, und regelt durch Bordellauflagen die familienfördernden Ersatzvergnügungen als zwielichtiges bürgerliches Gewerbe.
Damit die persönliche Bindung mit ihren Verpflichtungen auch dann fortbesteht, wenn sie keine Bindung mehr ist, machen die Scheidungsgesetze die Trennung von rechtlichen und finanziellen Kautelen abhängig, die die Minderbemittelten der Gesellschaft aneinanderketten, indem sie das Festhalten am Willen zur Aufgabe zerrütteter Verhältnisse die Familienmitglieder büßen lassen - jeden auf seine Weise. Wo der persönliche Zwang, den die Familienmitglieder sich antun, zu offener Gewalttätigkeit gegen die Kinder wird, fühlt sich der Staat im äußersten Fall zu Eingriffen in das Elternrecht bemüßigt und vollendet durch Jugendwohlfahrtsbehörden das in der Familie begonnene Verwahrlosungswerk. Auch denjenigen, die ihr Kind nicht nachträglich legalisieren und sich aneinander binden wollen, erlegt er die Verpflichtung auf, notdürftig für sie zu sorgen - Vaterschafts- und Unehelichengesetzgebung, Heime für ledige Mütter - und straft die Kinder, die keine Eltern oder mildtätigen Verwandten haben, mit der Obhut seiner Waisenhäuser.

Im übrigen ist die Familie - wie alle allgemeinen Einrichtungen des Staates - für diejenigen, die keine Reproduktionssorgen haben, auch keine Belastung, sondern ein Segen. Die Kinder, Garanten des Familieneigentums, fallen nicht der Mutter zur Last, sondern werden durch Dienstmädchen und gegebenenfalls Internat frühzeitig und bequem für die Eltern auf ihr Nachfolgerdasein vorbereitet; die Gattin dient und verhält sich als Repräsentationsobjekt in und außerhalb der Villa, die Scheidung ist eine Frage des Steuer- und Vermögensberaters und die sexuelle Entspannung selbstverständlich geduldete Begleiterscheinung der nützlichen häuslichen Idylle bzw. ein Posten auf dem Spesenkonto.

Wenn der Staat aus dem Verhältnis der Geschlechter s e i n e Keimzelle macht und den lebendigen Produktionsinstrumenten die Pflicht auferlegt, ihre menschlichen Regungen der Erhaltung der Rasse zu widmen, betreibt er vollends die Z e r s t ö r u n g des Materials, dessen Unterwerfung unter das Eigentum er zum Zwecke seiner V e r w e n d u n g befördert. Die Institution Familie verhindert beständig die Wiederherstellung des Arbeiters für die Lohnarbeit, sie macht die Produktion und Aufzucht potentieller Lohnarbeiter von der Willkür und dem Nutzendenken der Eltern abhängig und beeinträchtigt die Dienste der Frauen fürs Eigentum durch ihre gesellschaftliche Bornierung und Festlegung auf den häuslichen Wirkungskreis, in dem sie zugleich nicht aufgehen dürfen. Die Familiensphäre ist daher Gegenstand staatlicher Propaganda, die seine bevorzugten Bürger zur Unmöglichkeit eines familien- u n d gesellschaftsgerechten Verhaltens bewegen soll - wobei je nach Konjunkturlage mehr das eine oder andere verlangt wird. Die trostlose Realität des Familienverhältnisses, der Unterdrückung der Kinder durch ihre Eltern und der den Frauen aufgeherrschten spezifischen Ausbeutung, eine Realität, die wegen der Gefühlsbasis die Form persönlicher Quälerei hat, findet ihre Bestätigung in den öffentlichen Lobeshymnen über den höheren Wert des Familiendaseins für die Gemeinschaft. Mit den ideologischen Veranstaltungen zur Verherrlichung der Mutterliebe, zur Beschwörung des tieferen Sinns mitmenschlicher Aufopferung, zur Anpreisung eines erfüllten Daseins im Kreise der Lieben neben der unpersönlichen, technisierten Welt bekunden K o n s e r v a t i v e ihr Interesse an der freudigen Zustimmung und gesellschaftsdienlichen freiwilligen Unterwerfung der Betroffenen unter diese Brutalitäten - weswegen auch stets die Klage darüber auf dem Fuß folgt, daß die Familie heutzutage immer mehr vor die Hunde geht und dem Materialismus zum Opfer fällt. Mit kirchlicher Unterstützung verbreiten sie sich gegen die wachsende Unsittlichkeit, die überhandnehmende Berufstätigkeit der Frauen und Mütter, die Liberalisierung der geschlechtsspezifischen Erziehung, des Scheidungsrechts und des SS 218 und verlangen die Rettung der familiären Autoritätsstrukturen, auf denen der Staat beruhe, auf Kosten der Familienmitglieder. Nicht selten stellt sich hier auch noch die Überlegung ein, daß die Renten künftiger Generationen, die künftige Arbeit und die Bundeswehr auf dem Spiel stehen und keiner mehr Nachwuchs für Deutschland zeugen will. Und daß es die Frauenfrage in der bürgerlichen Gesellschaft gibt, weil der erzwungene Sonderdienst für die Konkurrenz die Frauen zu dieser in Gegensatz stellt, beweisen auch die staatlichen Propagandisten der modernen Frau und Familie, die im eigens dafür veranstalteten Jahr der Frau mit Partnerschafts-, Gleichberechtigungs- und Emanzipationsphrasen für die Doppelbelastung der Frau und für die bessere Unterordnung der Familie unter deren gesellschaftlichen Zweck agitieren. Die Agitation im Jahr des Kindes vollzieht die entsprechenden Korrekturen.

Solche Sprüche fallen nur bei denen auf fruchtbaren Boden, die - der unmittelbaren Existenzsorge enthoben - sich von der Familie wenig Lasten und viel Freuden versprechen können, als Frau die Wahl haben, das wenig anstrengende, aber langweilige Hausfrauendasein auch einmal zu verlassen, bzw. als Mann eine etwas "aufgeschlossenere" Frau wünschen und die gemeinsam - mit partnerschaftlich geduldeten oder geförderten Seitensprüngen nebst Ehekrächen und mit ein oder zwei verhätschelten und, wenn zu anstrengend, vernachlässigten Kindern - durchs Leben gehen, falls nicht die Langeweile der faden Befriedigung mit Scheidung endet.
Diese Leute, die sich diese leichten Formen des Zurechtkommens mit den Zerstörungen der Familie leisten und die zur Familie gehörende Unmoral als Familie praktizieren können, bilden auch das Rekrutierungsfeld der Frauenbewegung, die der Frauenfrage - der durch das nützlichgemachte Liebesverhältnis erzwungenen Abhängigkeit der Frau vom Mann - so begegnen, daß sie den Nutzen der Frauen als Frauen, die Ablösung der Gefühle von der Besonderheit einer anderen Person und damit die Unmoral geistiger Bedürfnisbefriedigung als Befreiung verkünden und dafür gleich die ganze Welt von Kapital und Staat zum Gegensatz von Schwanz und Loch verharmlosen und inzwischen Illustrierte machen, in denen sie für die Gleichberechtigung der Frau auf den Illustriertentitelseiten; und in der Bundeswehr Reklame machen. Die Rückkehr zur Eigentlichkeit der Frau, zum spontaneistisch erfüllten Mutterglück, hat der Frauenbewegung die Salonfähigkeit eingebracht.

Die Revisionisten dagegen bewähren sich auch hier als solche und reihen die Frauenfrage in die endlose Zahl der Ungleichheits- und Ungerechtigkeitsskandale ein, die der Demokratisierung harren. Diesen Nichteinsatz für die Interessen der Arbeiter vervollständigen sie mit dem hohen Lob der solidarischen Arbeiterfamilie - wofür sie Engels als Vorläufer reklamieren können - und mit dem spießbürgerlich moralisierenden Lamento über die Unsittlichkeit der höheren Schichten, das auffällig den faschistischen Gedanken von Volksgesundheit und Sittenreinheit ähnelt. Dadurch unterstützen sie auf ihre Weise die familiäre Einstellung derjenigen, die eine brauchen, weil sie sonst nichts haben.

Denn da die Arbeiter zum Erhalt der Familie dadurch beitragen, daß sie sich auch außerhalb ihrer Dienste für das Eigentum dessen Anforderungen unterwerfen und sich in den eigenen vier Wänden zusätzlich kaputtmachen, und da die Gleichberechtigung der Proletenfrau im Zwang zum schlechterbezahlten Arbeitsvertrag bei zusätzlicher häuslicher Plackerei verwirklicht ist, müssen diese Menschen auch auf dem Feld der Moral einiges leisten, um solche Selbstaufgabe zu vollbringen Sie träumen nur kurz von den Beglückungen der Liebe, die den grauen Arbeitsalltag verschönern sollen, und bereiten sich schon dabei auf ein entsagungsreiches Leben mit Familie vor, bei dem jeder entsprechend seinen Aufgaben wenig zu erwarten hat. Wenn es soweit ist, leistet sich der Arbeiter in begehrlichen Blicken auf dickbusige Frauen, in derben Witzen und im Wirtshaus wenig befriedigende Ersatzbefriedigungen und verlangt von seiner Frau Fleiß, Sparsamkeit, Sauberkeit, Anspruchslosigkeit, adrettes Aussehen usw. - kurz alle Tugenden, die ihm das häusliche Dasein erträglich gestalten sollen, von seinem Kind aber, daß es sich nützlich macht und nicht auffällt, bis es selbst - möglichst bald - nützlich ist. Die Frau, zur Mutter erzogen, nimmt um der Familie willen das Los doppelter Beschäftigung auf sich, erwartet für ihren Opfersinn Anerkennung von Mann und Kind und tröstet sich in den paar freien Minuten mit Fernsehen und Illustrierte. Da aber die Tugenden Erfordernisse der Not sind und daher weder Nutzen noch Zufriedenheit verschaffen, gibt es nicht wenige Arbeiter, die ihr Geld lieber in der Kneipe oder im Bordell statt zu Hause verjubeln, nicht wenige Arbeiterfrauen, die Wohnung und Kinder verkommen lassen, nicht wenige Arbeiterkinder, die nicht nur ihren Eltern Kummer machen - und neben bestimmten Sparten in der Kriminalstatistik, neben Familien- und Jugendserien der Medien das tägliche Gedudel der Schlager, in denen die Welt voller Liebe und sonst nichts ist.

e)

Die Untersuchung der Tätigkeiten, durch die der Rechtsstaat die Freiheit seiner Bürger herstellt, die ihm alle g l e i c h g e l t e n , hat den Begriff des Sozialstaats geklärt. Die Banalität, daß "sozial" nichts weiter bedeutet als "die Gesellschaft betreffend", daß ein Sozialstaat also d i e Gesellschaft zum Zweck und Inhalt seines
Wirkens macht, hat sich ebenso bestätigt wie der Verdacht, daß er es nicht auf das Funktionieren i r g e n d e i n e r Gesellschaft abgesehen hat, sondern sich eben redlich um die Erhaltung d e r Gesellschaft kümmert, die den G r u n d für seine Existenz darstellt, deren Mitglieder ihn wollen, weil sie ihn brauchen, und ihn deshalb mit Gewalt über sich ausstatten. Während der ideelle Gesamtkapitalist die Konkurrenz der Kapitalisten stets zu deren grundsätzlicher Zufriedenheit regelt, was ihm diese damit danken, daß sie ewig jammern, sind seine sozialstaatlichen Wohltaten Befriedungsinstrumente und als solche Organisationsformen der modernen Armut. Die Zufriedenheit, mit der für diese Organisation der Armut geworben wird, gibt sich daher auch immer den Ausdruck gebändigter, relativierter Unzufriedenheit, nämlich im Vergleich mit den alten Formen des Manchesterkapitalismus. Wenn - wie in Deutschland - die Durchführung der ersten bedeutenderen sozialstaatlichen Einrichtungen eine flankierende Maßnahme der Sozialistengesetze waren und ausdrücklich der alten Sozialdemokratie das Wasser abgraben sollten, so geht daraus nicht nur hervor, was ein Sozialstaat mit Klassenkampf zu tun hat, sondern auch, daß die Zugeständnisse in diesem Bereich für den Staat eine relative Angelegenheit sind. Vom Standpunkt seines demokratischen Grundauftrags aus (vgl. SS 8) ist den Politikern das Sparen beim Kompensieren immer wieder eine konjunkturbedingte Herzenssache. Daß dennoch immer wieder Bürger dieses Staates mit dem Ansinnen an ihn herantreten, er möchte sich um die Herstellung einer a n d e r e n Gesellschaft verdient machen, braucht uns nach seiner Erklärung noch weniger zu verwundern: Der Staatsbürger, der auf die neben die Gesellschaft getretene öffentliche Gewalt angewiesen ist, um sich in der Konkurrenz g e g e n andere durchzusetzen, wäre keiner, wenn er nicht den Nutzen des Staates für s e i n e Interessen als die eigentliche Aufgabe desselben ansähe. Daß er die Beschränkungen, die der Staat ihm als Pflicht auferlegt, wenn er anderen ihr Recht zubilligt, als u n s o z i a l e Maßnahmen geißelt und seine erwünschten V o r t e i l e zu einem Ideal des Sozialstaats formt, ist die notwendige Konsequenz seines Bezugs auf den Staat als p o s i t i v e s Mittel s e i n e r gesellschaftlichen Existenz, sooft ihm dieses Mittel die Dienste versagt und ihm praktisch beweist, daß es nicht sein Mittel ist. Und auch die moralische Überhöhung dieses falschen Bewußtseins, das Ideal der s o z i a l e n G e r e c h t i g k e i t , mit der entsprechenden Überzeugung, s e i n N u t z e n sei der a l l e r , kann bei dieser Stellung des Bürgers nicht ausbleiben.

- Solchen Konfrontationen staatlichen Wirkens mit seinem Ideal bzw. seinen Idealen ist, solange sie im Gerangel der bürgerlichen Parteien stattfinden, leicht nachzuweisen, daß sie streitenden Staatsmännern, die - jeder auf seine Weise effektiver als der andere - mit dem Gegensatz von Kapital und Arbeit sowie mit den kleineren Konflikten des bürgerlichen Lebens per Gewalt "fertig werden" wollen, gut zu Gesicht stehen. Ihr Streit darum, wer die meisten Maschen des sozialen Netzes gestrickt habe, ist allemal einer um die Frage, wer den Leuten auf die beste Weise aufs Haupt zu hauen versteht Anders liegt die Sache bei denen, die die Frage nach der Verwirklichung des Sozialstaats für eine eminent systemsprengende Angelegenheit halten und aus ihrem Ideal ein Kampfprogramm verfertigen, das den Kapitalismus aus den Angeln heben soll. Die revisionistischen Anstrengungen, Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen, erhalten ihren Adressaten die Illusion, der Staat sei für s i e da, leugnen seinen Charakter als Sicherung der Klassenverhältnisse und hetzen sich und ihre Anhänger in Auseinandersetzungen um soziale Rechte, die entweder mit furchtbaren Niederlagen enden oder - wo in schwachen Staaten den Revisionisten ein Erfolg beschieden ist - den Arbeiter- und Bauernstaat zur Konsequenz haben. Der Kampf um Recht stützt sich dabei auf den Hinweis daß er g e h t - und aus der Anwendung der Gewalt durch die Arbeiterklasse, die dem Feind Konzessionen in Sachen E x i s t e n z abrang, wird eine Geschichte der Verwirklichung von Rechtsidealen statt eine Geschichte von Klassenkämpfen. Die besondere Gemeinheit dieser Stellung zur Lage der arbeitenden Klasse besteht darin, all das, was diese sich e r k ä m p f e n mußte, zu feiern und das Prädikat 'erkämpft' als ein dickes Plus bei all dem Zeug zu vermerken, was der bürgerliche Staat den Proleten beschert.

- Die Übersetzung dieser falschen Kritik am Staat in die Sphäre des gelehrten Marxismus wirkt schon fast komisch: da gibt es "Schwierigkeiten" bei der Ableitung des Staats als Klassenstaat, deren Grund in der Vereinseitigung von Fehlern bürgerlicher Wissenschaft liegt, und die - unüberwundene - Zweifel an der Ableit b a r k e i t (= Erklärbarkeit) des Klassenstaates aufkommen lassen, die inzwischen zu Ge- und Verboten von Staatstheorie gereift sind: Einer will "die marxistische Diskussion aus der einseitigen Bahn der sogenannten korrekten Ableitung ökonomischer Prozesse und politischer Entwicklungen aus der ,Kapitalbewegungen so weit wie möglich entgleisen lassen"; ein anderer stellt folgende sinnige Frage, bevor er sich nicht mit dem Staat befaßt: "Wenn der Staat als Instrument der Klassenherrschaft begriffen wird, wie sind dann Maßnahmen zu interpretieren, die durch den oder mittels des Staates z u g u n s t e n der Arbeiterklasse durchgeführt werden?", meint: "Auch diese unter dem Schlagwort des ,Sozialstaats' geführte Debatte ist keineswegs abgeschlossen." Man sollte ihm und all den anderen, die dem Staat Funktionen andichten, die er nicht hat, und deswegen s e i n e Funktion nicht entdecken, darüber mit Marx ins Gedränge geraten und sich politologisch voranarbeiten, einen Brief schreiben, daß die Debatte abgeschlossen ist. Daß die marxistische Staats d i s k u s s i o n trotz aller Zitate von Marx kritische Politologie und sonst nichts ist, geht aus Resultate 1 hervor; daß sie deswegen auch in die bürgerliche Diskussion darüber gehört, ob denn der Klassenstaat des 19. Jahrhunderts n o c h existiere, ob denn bei der Zunahme der Staatstätigkeit in den letzten hundert Jahren nicht ein W a n d e l zum Sozialstaat zu vermerken sei, soll hier auch einmal gesagt werden: das Desinteresse am Gegenstand (theoretisch) und das Interesse an ihm (praktisch) vereinen sich zum reaktionärsten Mist, der seit der Heraufkunft des Revisionsimus geschrieben wurde. Gipfel: die Überlegung, ob denn angesichts sozialstaatlicher Fürsorge die Arbeiter noch Grund hätten, revolutionäres Subjekt zu spielen!

Deshalb sei der Begriff des Sozialstaats, die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit, noch einmal in den Worten des großen Propheten Martin Luther zusammengefaßt, der wußte, was Gleichheit mit Freiheit zu tun hat

"Was ist Gerechtigkeit anderes, als daß jeder tue in seinem Stand, was er schuldig ist."

§ 6

Steuern

Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben gegenüber seinen Bürgern verlangt der Staat von ihnen Steuern. Alle müssen sie mit einem Teil ihrer Mittel für den Unterhalt von Staatsagenten, für die Durchsetzung des Rechts, für die Unterstützung des Eigentums und für die Förderung der Lohnarbeit aufkommen. Dadurch, daß der Staat die Bürger gleichermaßen verpflichtet, Steuern zu entrichten, läßt er die einen für die Sicherheit ihres Eigentums, die anderen für die Unsicherheit ihrer Existenz bezahlen. Als B e d i n g u n g der kapitalistischen Produktionsweise b e s c h r ä n k t der Staat den Reichtum der konkurrierenden Privatsubjekte, er entzieht allen Klassen einen Teil ihrer Revenue und genügt nur so seiner heiligen Pflicht; als faux frais der kapitalistischen Produktion dient er der Vermehrung des Privateigentums ebenso, wie er für die Reproduktion der Lohnarbeiter k l a s s e sorgt, die für diese Vermehrung zuständig ist. Wegen des privaten Reichtums zieht er gesellschaftliche Mittel an sich und gestaltet daher auch die Erhebung dieser Mittel entsprechend ihrem Zweck.


a)

Der Staat verfügt über die Steuerhoheit, womit ausgemacht ist, daß es sich beim Steuerzahlen nicht um ein Tauschgeschäft handelt. Steuern sind "Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen", (AO § l) und ihre Entrichtung erzwingt der Staat: P f l i c h t zur Steuererklärung und ausgedehnter Apparat der Steuerermittlung.

Bei seinen Steuergesetzen hat der Staat zunächst darauf zu achten, daß er auf seine Kosten kommt: das Maß seines Anteils am gesellschaftlichen Reichtum muß er so bestimmen, daß genügend Geld zur Verrichtung seiner Leistung vorhanden ist. Aufgrund der Gleichheit, die der demokratische Staat auch hier walten läßt, nimmt er sich vom E i n k o m m e n eines jeden Bürgers einen Teil. Hier stößt er insbesondere bei denen, die als einzigen ,Besitz' ihr zum Verzehr notwendiges Einkommen haben, auf wenig Begeisterung, weshalb er zu einer besonderen Erhebungsform der Einkommensteuer übergegangen ist: Steuerabzug an der Quelle. Da die proportionale Besteuerung des Einkommens bei weitem nicht der Vergrößerung des privaten Eigentums entspricht, deren Beförderung dem Staat immer mehr Leistungen aufnötigt, gibt es einerseits eine Steuerprogression, durch die der Staat die handfesten Einkommensunterschiede für sich ausnützt und beweist, wieviel Geld manche Leute übrig haben, andererseits auch noch andere Besitzsteuern: die Einkommen juristischer Personen werden in der Körperschaftssteuer erfaßt, und auch der nicht in den Konsum unmittelbar eingehende Besitz ist entsprechend seiner Größe steuerpflichtig: Ertrag- und Vermögenssteuer.

Mit den Verkehrsteuern partizipiert der Staat unmittelbar an der Vermehrung des Eigentums seiner Bürger, der sämtliche Transaktionen des Handels dienen. Die inzwischen in die Mehrwertsteuer verwandelte Umsatzsteuer macht deutlich, was Geschäftsleute mit der von Staats wegen vorgenommenen Schmälerung ihres Gewinns anstellen: alle steuerlichen Belastungen suchen sie als Kosten in ihre Kalkulationen aufzunehmen und zu einem Moment der Preisbildung zu machen:
Überwälzung, wodurch sie einem Teil der Steuern, die s i e z a h l e n , dieselbe Wirkung verleihen, welche die Verbrauchsteuern von vornherein besitzen: sie stellen eine Belastung des Einkommens der Käufer von Endprodukten dar. Jedoch hat die Überwälzung von Besitz- und Verkehrsteuern auf die Preise an der Konsumtionskraft der Gesellschaft ihre Grenzen, die in der Konkurrenz festgestellt werden, so daß die Steuergesetzgebung sich als ein Mittel erweist, dem Klassenkampf neue Impulse zu verleihen. Während den Industrie- und Handelsunternehmen das Überwälzen von Steuern eine kalkulatorische und marktbeobachtende Zusatztätigkeit verursacht, müssen die Lohnabhängigen die Schmälerung ihres Einkommens, die sie an den Warenpreisen bemerken, durch K a m p f m a ß n a h m e n ausgleichen.

b)

Doch muß der Staat auch darauf achten, daß er durch seine steuerlichen Maßnahmen seine dem Erhalt des Eigentums und der Lohnarbeit gewidmeten Anstrengungen nicht wirkungslos macht. Die Verteilung der Steuerlasten regelt er so,
- daß konkurrenzschwache Unternehmen nicht von vornherein zerstört werden (Vergünstigungen für Zonenrand- und andere förderungsbedürftige Gebiete, Freibeträge, weitgehende Steuerfreiheit für die Landwirtschaft etc.);
- daß die Reproduktion der arbeitenden Klasse nicht direkt gefährdet wird, wo er gleichzeitig bereits durch sein soziales Netz deren Schwierigkeiten anerkannt und auf ihre Bewältigung hingewirkt hat (Freibeträge, Werbungskosten, Bausparvergünstigungen, Altersfreibeträge, doppelte Haushaltsführung etc.);
- daß die in Unternehmensform geführten wohltätigen Vereine in ihrer Kompensationsbemühung für den notwendigen Pauperismus nicht behindert werden.
Dergleichen Rücksichtnahmen bilden stets den Hauptgegenstand der Steuerreformen, die begleitet werden von öffentlichen Auseinandersetzungen um die Billigkeit des einen oder anderen Steueränderungsgesetzes, an denen sich auch die Staatsmänner selbst beteiligen, um ihre Beschlüsse als Ausgeburt der G e r e c h t i g k e i t zu propagieren.

c)

Wenn die bürgerliche Klassengesellschaft einen Staat braucht, der sein ökonomisches Dasein aus einer permanenten Beschränkung der Gesellschaft bestreitet, für deren Zweck er da ist (faux frais), die Vermehrung des Eigentums also nicht geht ohne einen ökonomisch für seine Funktionen gerüsteten Staat, dann hat dieser Staat sich ökonomisch leistungsfähig machen müssen in Verhältnissen, in denen das Kapital und die Lohnarbeit noch nicht existiert haben, und zwar durch einen Einzug von Steuern, der ihm s e i n Fortbestehen sicherte und zugleich a u f d i e S c h e i d u n g v o n A r b e i t und Kapital hinwirkte. Der vorkapitalistische Staat war vom Handel und von der Verfügung über die abstrakte Form des Reichtums, vom Geld, abhängig und fand dennoch in seiner Gesellschaft keine ökonomischen Verhältnisse vor, die sich dem Zweck der Mehrwertschaffung verschrieben haben: Besteuerung der Bauern als Moment der ursprünglichen Akkumulation, welches ergänzt ward durch die in §7 zu behandelnde Verwandlung von Staatseigentum in Privateigentum, wobei der Staat, der Soldaten etc. brauchte, dies um seiner selbst willen tat, nicht weil er wußte, daß ein Kapitalismus her muß. Er hat sich erhalten - und sich verändern müssen !

d)

In diesen Auseinandersetzungen zeigen sich die Demokraten von ihrer materialistischen Seite: während sie sonst nicht davor zurückschrecken, ihren Nutzen in die moralische Parteinahme f ü r den Staat zu verwandeln, haben sie hier, wo der Staat sie den Beweis für ihre staatsbürgerliche Loyalität über den Geldbeutel antreten läßt, keine Hemmungen, auf ihn zu schimpfen. Der Staat, der ihnen bedeutet, daß seine Leistungen unmittelbar an Entbehrungen der Bürger geknüpft sind, also nicht nur Pflichten des demokratischen Wohlverhaltens, sondern ökonomische Opfer verlangt, wird an den Regeln des ökonomischen Lebens gemessen: jeder betrachtet seine Steuerzahlung als Preis für Dienste, die die Regierung ihm zukommen läßt - eine Auffassung, der der Staat dadurch Vorschub leistet, daß er seinen Bürgern die Gerechtigkeit der Besteuerung dadurch plausibel zu machen sucht, daß er seine Wohltaten verkündet, sooft er kassieren geht. Bisweilen geht er sogar so weit, zweckgebundene Steuern bei denen einzutreiben, die von ihrer Verwendung "profitieren" (Straßenverkehr) - und jeder entdeckt, daß er ein schlechtes Geschäft macht, also z u v i e l bezahlt. Mit dieser Kritik am ökonomischen Dasein behält der Staatsbürger sein falsches Bewußtsein, das ihm die Vorteil-/Nachteilrechnung des Konkurrierenden diktiert, bei und wird auf der Grundlage dieses Bewußtseins r a d i k a l . Und der "radikale Bourgeois", dessen Heimat Marx im Gefilde von Steuerstreitigkeiten entdeckt hat, ist derjenige, der nichts ändern will, sondern unter gleichbleibenden Umständen seinen Vorteil zu vergrößern sucht - so daß nach verabschiedeten Steuergesetzen die Mißbilligung der parlamentarischen Beschlüsse nicht zur Revolution fuhrt, sondern Anlaß zu Betrugsmanövern aller Art ist.
Jeder, der es kann, bescheißt den Staat um die Steuern und hat dabei keinerlei moralische Skrupel - im Gegenteil; sich in Steuersachen gut aus der Affäre zu ziehen, gilt als normales Geschäftsgebaren und liefert einem ganzen Berufsstand ein erkleckliches Auskommen: Steuerberater können bloß die meisten nicht ausnützen, und Schwarzarbeit taugt wegen des Versicherungsschwindels bestenfalls als Ergänzung zur ordentlichen Tätigkeit, deren Entlohnung den Haken hat. daß die Steuer schon abgezogen ist. Der Staat weiß um das Treiben seiner Bürger und begegnet ihrem schädlichen Verhalten mit Schnüfflern, Buchprüfern und einer Steuerstrafgesetzgebung, die vieles verzeiht. Faschisten teilen mit den Revis die Sorge um saubere Steuereintreibung und verlangen in Sachen Besteuerung kleine
Sonderbehandlungen der Parasiten, vor allem der "anonymen Kapitalgesellschaften" und Juden.

§ 7

Finanzpolitik - Haushalt - Staatsverschuldung

Weil der Einzug von Steuern, mit denen der Staat seinen Bürgern dient, ihr ökonomisches Fortkommen unmittelbar beeinträchtigt, haben seine Mittel und damit seine Dienste ihre Grenzen am wirtschaftlichen Erfolg der Leute, dessen Notwendigkeiten er nicht durch rücksichtslose Besteuerung in Frage stellen darf. Er muß seine Aufgaben erfüllen, aber mit begrenzten Mitteln. Im Haushaltsplan regelt der Staat die Bewältigung seiner Aufgaben (= Ausgaben), für die ihm nur begrenzte Einnahmen zur Verfügung stehen. Er entscheidet über die Verteilung seiner Mittel auf die verschiedenen Funktionen so, daß deren reduzierte Wahrnehmung zur Erhaltung der gegensätzlichen Produktionsweise genügt. Der Unumgänglichkeit seiner Tätigkeit trägt er dadurch Rechnung, daß er auf die tatsächlich vorhandenen Mittel keine Rücksicht nimmt. Er erhält seine Funktionstüchtigkeit durch Verschuldung.



a)

In den gesetzlichen Vorschriften, die der Staat gegen sich selbst erläßt, gesteht er die ö k o n o m i s c h e n Grenzen seiner Leistungen ein. Sie zielen auf die Erhaltung seiner Funktionsfähigkeit ab, die aufgrund der begrenzten Mittel, die ihm die Gesellschaft zur Verfügung stellt, beständig gefährdet ist. Diesem Zweck entsprechend hat der Staat den Grundsatz der Einheit der Kassenführung aufgestellt, der seine Ausgaben von bestimmten Rechtsansprüchen irgendwelcher Bürger löst: alle Einnahmen sind Mittel für prinzipiell alle Ausgaben, bei welchen wiederum ein Gebot der Zweckbindung besteht, sobald sie beschlossen sind. Mit dem Grundsatz der Non-Affektation verbunden ist das Verbot von Dispositionsfonds, die staatliche Gelder nicht auf gewisse Bereiche festlegen und unabhängig vom aktuellen Bedarf der Verfügbarkeit entziehen: Affektation und Grundsatz der Spezialität: Festlegung der Höhe einer Ausgabe für einen bestimmten Zweck in einer vorbestimmten Zeit. All diese schönen Grundsätze sollen die Regierung daran hindern, in der Haushaltsplanung sowohl Funktionen zu vernachlässigen, für die Mittel vorhanden wären (und diese Mittel für unnötiges Zeug zu verpulvern), als auch durch Manipulationen in der Rechnungsführung Defizite in einen geordneten Haushalt zu verwandeln.

Da der Staat bei der Aufstellung seines Finanzplans "Umfang und Zusammensetzung der voraussichtlichen Ausgaben und die Deckungsmöglichkeiten in ihren Wechselbeziehungen zu der mutmaßlichen Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Leistungsvermögens" (Bericht zur Lage der Nation, l972) berücksichtigen muß und ihm diese prognostische Tätigkeit aufgrund der Freiheit, die er den Wirtschaftssubjekten sichert, schwerfällt, verzeiht er sich Fehleinschätzungen von vornherein:
Mit Hilfe der Deckungsklausel (Ausgleich zwischen Überschuß und Mangel bei verschiedenen Titeln) und der Übertragungsklausel (Zahlung innerhalb des folgenden Etatjahres) umgeht er all die schönen Prinzipien, die er aufgestellt hat. Das Notwendige will auch getan sein, wenn sich die Regierenden über ihre künftigen
Ausgaben bei der Aufstellung des Haushalts getäuscht haben, weswegen sie auch mit "überplanmäßigen" und "außerplanmäßigen" Posten operieren dürfen. Und weil das nötige Geld nicht da ist, wenn das vorhandene Geld bereits verplant ist, steht gleich im GG Art. 115, welche Bedingungen erfüllt werden müssen, will man Schulden machen. Diese gehören deswegen zum Alltag der bürgerlichen Finanzpolitik, weil die staatlichen Funktionen auch und gerade dann wahrgenommen werden müssen, wenn die konkurrierenden Bürger aufgrund ihres Scheiterns der öffentlichen Hand weniger oder gar keine Mittel zur Verfügung stellen können und ihre Kollisionen zunehmend Schaden anrichten und Opfer fordern.

c)

Während der Staat in seinem Verhältnis zur Konkurrenz der Kapitalisten ("ideeller Gesamtkapitalist" §5b) darüber wacht, daß die Interessen des Bankkapitals die Funktion des Kreditwesens für die industrielle Akkumulation nicht gefährden und der Akkumulation des Geldkapitals durch Aufblähung der Kreditgeschäfte Grenzen gezogen werden, trägt er durch seine Verschuldung zur Vermehrung des Kredits bei. Wo es ihm um sich zu tun ist, stört es ihn nicht im geringsten, daß Schulden zirkulieren und zur fiktiven Realisierung von Kapital eingesetzt werden. Daß Staatsschulden durch ihre Zirkulation als Kreditgeld, das durch den Staat "gedeckt" ist, das Verhältnis von Nachfrage und Angebot beeinflussen, und zwar so, daß das Ergebnis Inflation heißt, wird in Kauf genommen. Auch die Folge der Inflation, die Verschärfung der Konflikte zwischen den in ihrer Kaufkraft geschwächten Klassen, läßt ihn nicht Abstand nehmen vom Defizit in der eigenen Kasse.

d)

Wenn Staatsschulden das Mittel des Staates sind, seine Funktionen für die Erhaltung der Klassengesellschaft wahrzunehmen, so gesteht der Staat ein, daß seine Rechte gegenüber den Bürgern mit seiner ökonomischen Abhängigkeit von diesen einhergehen. Seine Finanzhoheit beruht auf seinem V e r z i c h t a u f u n m i t t e l b a r ö k o n o m i s c h e P o t e n z e n und seiner Verwandlung in eine Gewalt, die den ökonomischen Zielen seiner Untertanen nützt. Der frühbürgerliche Staat war selbst ein Wirtschaftssubjekt, als solches aber in Abhängigkeit von Handel und Industrie geraten und zu einer Konzession nach der anderen gezwungen; Abtreten des Reichtutns und seine Verwendung durch Kapitalisten als Weg zum modernen Staat, der s e i n e r Gesellschaft dient, wenn er sie beherrscht. Rolle des Kredits in der ursprünglichen Akkumulation.

e)

Die flöten gegangene Preisstabilität interessiert jedoch die Bürger nur insoweit, als sie es an ihrem Konto bzw. Geldbeutel bemerken, daß alles, was s i e kaufen müssen, teurer wird. Prinzipiell sind sie scharf darauf, daß bei der Entscheidung über die Verwendung ihrer Steuern die Posten nicht zu kurz kommen, von denen de sich etwas erwarten. Ihre Diskussionsbeiträge zum Budget erschöpfen sich gewöhnlich in Bemerkungen bezüglich der Überflüssigkeit der Ausgaben für Notwendigkeiten, die nicht die ihren zu sein scheinen. Die Fortführung ihrer Privatgeschäfte ist ihnen wichtig, so daß mancher für den Sozialstaat und gegen die innere und äußere Sicherheit Stellung bezieht, bisweilen auch die hohen Gehälter von Beamten beklagt. Das Gegenargument mit Hinweis auf Schweden bemüht die hohen Kosten sozialstaatlicher Aktivitäten und entdeckt auch, daß die Bürger dieselben bezahlen müssen: gegen die Verwaltung des Individuums und seines Glücks durch den Versorgungsstaat! Den Gipfel der hierher gehörigen "Kritik" liefern wieder einmal die Revis: Forderungen wie "Bildung statt Rüstung" haben jedoch weniger Erfolg als die ihrer Gegner, die eine Senkung der Sozialausgaben zugunsten von direkten und indirekten Hilfen für ihre Gewinne verlangen. Die reine Form staatsbürgerlicher Lauterkeit läßt sich im Wunsch nach "geordneten Finanzen" überhaupt zur Darstellung bringen. Diesen Wunsch teilt jeder Faschist, der die "Schlamperei" demokratischer Amtsführung immer bemängelt. An die Macht gekommen, pflegen die Faschisten freilich einen großzügigeren Umgang mit den Geldern als jede demokratische Bürokratie. Die Politik eines von den ökonomischen Bedingungen der Gesellschaft "unabhängigen", "freien" Volksstaats führt zum hoheitlichen Gebrauch, zur Schaffung von Mitteln ohne ökonomische Grundlage. Die politische Macht bewährt sich in der kontinuierlichen Saldierung von Schulden auf der Haben-Seite.

§ 8

Allgemeinwohl - Wirtschaftspolitik

Wegen der Schranken, die der Staat bei der Erfüllung seiner Funktionen an den Mitteln der Gesellschaft hat, verfolgt er mit seinem Haushalt den Zweck, seine Aufgaben zu vermindern und seine Mittel zu vermehren. Es geht ihm also um den ökonomischen Erfolg aller Bürger und er reflektiert seine Tätigkeiten in bezug auf die Wirkung, die sie auf den Reichtum der Nation haben. Alle seine Maßnahmen gelten ihm als Mittel zur Steigerung des Allgemeinwohls, d.h. er unterwirft die notwendigen Funktionen seiner Gewalt für die Gesellschaft dem Kriterium des wirtschaftlichen Wachstums: Wirtschaftspolitik.

Weil das wirtschaftliche Wachstum mit der Vermehrung des Kapitals, mit der produktiven Nutzung des Privateigentums zusammenfällt, ist Wirtschaftspolitik eine einfache und einseitige Sache. Während der Staat in seinen Leistungen für die Eigentümer (§ 5b) recht brauchbare Instrumente für die Erzielung eines ,sozialökonomischen Optimums entdeckt, fällt ihm an seinen Maßnahmen zur Erhaltung der Lohnarbeiter auf ( § 5c) daß sie Kosten sind, die den nationalen Reichtum vermindern. Mit der Steigerung des Allgemeinwohls, jener noblen Abstraktion vom Gegensatz der Klassen, setzt der Staat das Interesse der Kapitalistenklasse durch. Er begnügt. sich nicht damit, die B e d i n g u n g e n für die Geschäfte dieser Klasse zu sichern, sondern geht dazu über, die Hindernisse zu beseitigen, die der Anwendung seiner Hilfen im Wege stehen. Den dazu nötigen Aufwand bestreitet er durch gekonnte Sparmaßnahmen in seiner sozialpolitischen Abteilung; die Gelder, welche die Arbeiterklasse freiwillig oder zwangsweise spart, befreit er aus den Fesseln ihrer Zweckbindung und macht sie d e r W i r t s c h a f t dienstbar.

Da die staatlichen Eingriffe in die Ökonomie die U n t e r w e r f u n g der öffentlichen Gewalt unter die Bedürfnisse des Kapitals darstellen, dienen sie auch den Gesetzmäßigkeiten, welche der Akkumulation des Kapitals immanent sind. Der Staat sorgt dafür, daß alles Geld der Gesellschaft in Kapital verwandelt wird, erlaubt den Kapitalisten die Akkumulation ohne Rücksicht auf die Schranken des Marktes und betreibt nach Kräften die Reduktion der Konsumtionsfähigkeit der Massen, so daß ihm die Krise die Durchführung seiner Wirtschaftspolitik als Konjunkturpolitik aufnötigt. Diese besteht darin, die störenden Wirkungen der Akkumulation zu deren Mitteln zu machen. Die Bewältigung der Krisen beruht darauf, das "wirtschaftspolitische Instrumentarium" so einzusetzen, daß es sich w i e d e r lohnt, zu investieren. Außer den hierfür erforderlichen Geschenken an die Kapitalisten bedarf es dazu des massiven Einsatzes von Moral und Gewalt für die entsprechende Zurichtung des geschädigten Ausbeutungsmaterials. Der O h n m a c h t gegenüber dem kritischen Verlauf der Akkumulation stellt der Staat also die M a c h t gegenüber ihren Opfern zur Seite.



a)

Wenn sich die Staatsgewalt für den Reichtum der Nation einsetzt, den Standpunkt des Allgemeinwohls g e g e n die Bürger vertritt, zwingt sie ihr Volk, dem es um p r i v a t e n Reichtum geht, sich in der Verfolgung dieses Zwecks zum Mittel des g e s e l l s c h a f t l i c h e n Reichtums zu machen, wodurch sich dieser als Abstraktion von den Bedürfnissen der Bürger ebenso erweist wie als Affirmation ihrer Anstrengung, andere vom produzierten Reichtum auszuschließen. Indem der Staat die Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums in privater Form zu seinem Anliegen macht, sind seine Maßnahmen eindeutige Akte der Unterstützung für die Bürger, die den Beruf haben, Reichtum zu akkumulieren. Dies schließt die praktische Kritik an den Vertretern der Kapitalistenklasse ein, die sich nicht behaupten können und - weil sie f ü r s i c h keine Profite herausschlagen - für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung Minus statt Plus bringen. Der Staat ist eben ideeller Gesamtkapitalist, d.h. er macht getrennt von der Kapitalistenklasse deren ökonomisches Interesse geltend, weil diese Klasse selbst ihr Interesse nur in der Konkurrenz wahrnimmt.

Den arbeitenden Teil seines Volkes behandelt der Staat wirtschaftspolitisch als das, was er ist: Material für diese Sorte gesellschaftlichen Reichtums. Zwar kann er sich den notwendigen Vorkehrungen für die Brauchbarkeit dieser Klasse und ihre Erhaltung nicht entziehen, doch sind ihm einerseits die Leistungen des Arbeitsvolkes stets zu gering und ihre Ansprüche an den Staat immer zu hoch. Vom Standpunkt der Wirtschaftspolitik her wird klar, warum noch die an allerlei disziplinierende Bedingungen geknüpften sozialpolitischen Aktivitäten dem Staat von den Arbeitern mühsam abgerungen werden müssen: Das Kriterium für ihre Wahrnehmung liegt in ihrem Nutzen für das Wachstum, ist also ein n e g a t i v e s . Alles, was der Staat hier tut, gilt der Vermeidung von Störungen, die dem Akkumulationsprozeß von seiten unbrauchbarer Arbeiter drohen. Weil diese Störungen den einzelnen Kapitalisten, solange sie auf ihre Kosten kommen, gleichgültig sind, sieht sich der Staat gezwungen, die Erhaltung dieser wichtigsten Bedingung für ihr Geschäft selbst der Bourgeoisklasse gegenüber gewaltsam durchzusetzen. Die Konkurrenz der Kapitalisten kritisiert der Staat vom Standpunkt der gesamten Klasse aus, beschränkt sie, wenn sie sich rücksichtslos gegen ihre Mittel verhält; das Klasseninteresse der Arbeiter kritisiert er vom Standpunkt ihrer Konkurrenz und zwingt sie zur Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst, d.h. zur individuellen Bewältigung aller Konsequenzen der Lohnarbeit, die zu vermeiden nur durch die bewußte Aktion der Klasse, die von der Konkurrenz Abstand nimmt, gelingen kann.

In der Unterordnung aller Aufgaben, um deren Erfüllung willen er sich als politisches Subjektder Ökonomie betätigt, unter das Kriterium des wirtschaftlichen Wachstums, in der Relativierung aller Funktionen entsprechend dieser Zielsetzung der Wirtschaftspolitik fällt der G r u n d des bürgerlichen Staates - die freie Konkurrenz - unmittelbar zusammen mit s e i n e m Z w e c k : er ist bewußter Agent des I n h a l t s der Konkurrenz, die bekanntlich nicht die Individuen, sondern das Kapital in Freiheit setzt. Es gibt keine staatliche Entscheidung, die nicht in ihrem Bezug auf das wirtschaftliche Wachstum ihren letzten Maßstab findet, der auch den Idealen der Konkurrenz ihren staatlichen Sinn gibt.

Diese Ideale erhalten einen anderen Sinn, wenn sich die Bürger von ihrem Interesse her mit dem Reichtum der Nation herumschlagen. Jeder Bürger erwartet sich vom wirtschaftlichen Wachstum s e i n e n ökonomischen Nutzen. Er kehrt die Identität von gesellschaftlichem Reichtum und Privateigentum gegen den Staat und verlangt von ihm wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Vermehrung seiner Mittel - die eine Sorte Bürger in der Gewißheit, daß sie die Repräsentanten des Reichtums der Nation s i n d , die andere Sorte mit der defensiven Moral, ihr Einsatz für das Florieren der Wirtschaft solle auch einmal anders als durch den Zwang zur Entsagung entgolten werden.

Die Enttäuschung solcher Erwartungen der vom Reichtum Ausgeschlossenen ist das Prinzip r e v i s i o n i s t i s c h e r Kritik, die den Reichtum der Nation gegen seine gesellschaftliche Form, das Privateigentum, hochhält und dem Staat vorwirft, mit der einseitigen Verteilung der Effektivität der Volkswirtschaft zu schaden. Sie propagiert das Ideal eines Staates, der durch die Konzentration der ökonomischen Entscheidungen in seiner Hand die Ausbeutung der Proleten effektivieren will.

Der Revisionismus trifft sich darin mit der Kritik der F a s c h i s t e n , die dem unbeschränkten Wachstum des nationalen Reichtums nicht nur die unnützen Arbeiter, sondern auch die unnützen Kapitalisten opfern wollen. Sie wollen die Gesellschaft durch den Staat zur Akkumulation ohne Rücksicht auf ihre negativen Begleiterscheinungen zwingen.

b)

Der Staat, der sich mit seiner Wirtschaftspolitik zum ,Motor' der wirtschaftlichen Entwicklung macht, ist nicht bereit, die N o t w e n d i g k e i t seiner Funktionen für die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer N ü t z l i c h k e i t gleichzusetzen. Er entdeckt an seinen allein der Erhaltung des Kapitals gewidmeten Anstrengungen, daß de faux frais darstellen, also die Vermehrung des Privateigentums nur dadurch sichern, daß sie ihm Mittel entziehen. So geht er dazu über, die Leistungen, die er mit der Anwendung der vergesellschafteten Teile des Reichtums vollbringt, an ihren positiven Wirkungen auf die Geschäfte der Privateigentümer zu messen. Er behandelt seine Tätigkeiten als F a k t o r e n der Wirtschaft und gestaltet ihren Einsatz entsprechend ihrem Nutzen für den G e w i n n . Durch die Verwandlung der einen in wirtschaftspolitische Instrumente und die Reduktion der anderen auf eine nur widerwillig übernommene notwendige Last verleiht der Staat seinen Funktionen nicht nur die Unterschiede, auf die es ihm ankommt, sondern stellt auch sicher, daß er in keinem Fall als Mittel d e r Bürger mißbraucht wird.

Wenn der Staat in der Organisation von Wissenschaft und Ausbildung den aktuellen Bedürfnissen von Unternehmerverbänden Rechnung trägt; wenn er sich beim Verkehr und Nachrichtenwesen an den finanziellen Belastungen der Geschäftswelt orientiert und sämtliche Vorschriften bezüglich eines rücksichtsvollen Wettbewerbs nur bedingt durchsetzen will, so relativiert er zwar nicht seine S e l b s t ä n d i g k e i t gegenüber den konkurrierenden Kapitalisten, wohl aber die S c h r a n k e n , die s e i n e r F u n k t i o n a l i t ä t durch die Trennung der Politik von der Ökonomie gesetzt sind. Die Vorsicht, mit der er seine Gewalt gegen das Privateigentum einsetzt, hat ihren Grund im Zweck seiner Maßnahmen, den er als wirtschaftspolitisches Subjekt bewußt verfolgt: Wer auf die Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums in Form des P r i v a t e i g e n t u m s aus ist, setzt seine Gewalt eben nur dann gegen Privateigentümer ein, wenn es die Vermehrung des Privateigentums begünstigt. Auch der Zwangscharakter der kompensatorischen Maßnahmen, welche die Arbeiter gebrauchen müssen, verdankt sich den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen des Staates. Der Staat unterwirft jedes Zugeständnis an die arbeitende Klasse seinem Ziel, das Wachstum des privaten Eigentums durchzusetzen. Während Sparsamkeit bei seinen Diensten an der besitzenden Klasse nur soweit gefragt ist, wie sie deren Nutzen befördert, ist sie hier das herrschende Prinzip und die Garantie dafür, daß der S o z i a l s t a a t , auf den die Arbeiter angewiesen sind, Mittel des K a p i t a l s ist. Weshalb er sich nicht
nur bei der Verwendung von Zwangsersparnissen für die Sparpflichtigen zurückhält, sondern sich zusätzlich seine anderen Segnungen teuer bezahlen läßt.

c)

l. An der Versorgung der Gesellschaft mit Geld bemerkt der Staat nicht nur, daß er ihr einen Teil des privaten Reichtums für die notwendigen Funktionen e n t z i e h t ,sondern auch, daß die durch ihn bereitgestellte Voraussetzung der Geschäfte allerhand K o s t e n verursacht. Deshalb ökonomisiert er den Geldumlauf, indem er sich des Kredits bedient und ihn generell die Funktionen des Geldes verrichten läßt, die er im Privatgeschäft begrenzt übernimmt. Die Einrichtung einer Zentralbank bezweckt die von privaten Interessen unbehelligte Verwendung des Kreditgelds. Die durch die staatliche Ausgabe von Banknoten erzielte Ersparnis wird ergänzt durch die Vereinfachung des Zahlungsverkehrs zwischen den Banken, welche weitere Geldmittel überflüssig macht.

2. Die Ersparnis an Zirkulationskosten, die der Staat durch die Garantie für zirkulierende Kreditzeichen zustandebringt, bewirkt zwar eine Senkung seiner Ausgaben und damit der unproduktiven Kosten des Kapitals, trägt aber nichts positiv zum wirtschaftlichen Wachstum bei, sich hat der Staat sogar eine neue Institution eingehandelt, die Zentralbank, die zwar außer der Zusammenfassung der gesamten Geld- und Kreditoperationen der Gesellschaft auch die technische Verwaltung des Haushalts übernimmt, aber selbst kein Instrument der Unterstützung des wirtschaftlichen Wachstums ist. Das Geld, das sich in ihrer Verfügungsgewalt befindet, verwendet er daher so, daß seine Anwendung in privater Hand d e r W i r t s c h a f t dient und er als Kreditgeber an der Vermehrung privaten Reichtums partizipiert. Als Verleiher von Kapital bestreitet aber die Zentralbank selbst der durch die Form des Kredits bereits fraglichen Identität des ö k o n o m i s c h e n Nutzens von Kapitalisten mit dem des Staates ihren Realismus, weil sie sich aus wirtschafts p o l i t i s c h e n Erwägungen heraus zu Krediten bequemt (die kein Privatbankier von seinen Geschäftsbedingungen her geben würde ! ). Ob der Staat nun bei einer Aktiengesellschaft einsteigt oder über die Vermittlung der Zentralbank den Privatbanken Garantien für außergewöhnliches Kreditgebaren verschafft - stets relativiert er seinen ökonomischen Nutzen vom Standpunkt des Gesamtkapitalisten, der sich der Wirtschaft nur bedient, um ihr zu dienen. Ebenso wie er durch seine Beteiligung an einem Unternehmen dasselbe für v o l k s wirtschaftlich unentbehrlich erklärt, r e a g i e r t er mit Diskontbestimmungen auf das B e d ü r f n i s des Kapitals nach Krediten. Im Umgang mit seinen Finanzen bemüht sich der Staat also nach Kräften, die Schwierigkeiten, die ihm von seiten der Kapitalisten zu Gehör gebracht werden, zu bereinigen. Er unterstützt aus seiner Sorge um das Wachstum das Privateigentum noch dann, wenn es sich selbst im Geld- und Kapitalmarkt Schranken geschaffen hat, wobei ihm die Mittel der arbeitenden Klasse sehr gelegen kommen.

3. Die privaten Unternehmen verwenden freudig den gesellschaftlichen Reichtum, den ihnen der Staat zur Verfügung stellt, um ihr Vermögen zu vermehren. Sie erweitern die Produktion bis zu dem Punkt, an dem die Rückflüsse ihres Kapitals stocken und die Beschäftigung von Arbeitern nicht mehr rentabel ist. Am Auftragsmangel und an fehlender Liquidität seiner Lieblingsbürger gewahrt der Staat, daß z u v i e l K a p i t a l akkumuliert worden ist - er hütet sich aber, die Zahlungsunfähigkeit als das zu nehmen, was sie ist. Ganz dem Standpunkt der Geschäftswelt verpflichtet, stellt er sich der K r i s e d e s K a p i t a l s als einem Problem des G e l d m a n g e l s , das sich auch als zu geringe Anwendungsfreudigkeit z u t e u r e r Kredite deuten läßt. Daß die theoretische Fassung, das Aussprechen dieses Standpunkts eine Unzahl von Tautologien hervorbringt, stört das Pflichtbewußtsein des Wirtschaftspolitikers keineswegs - im Gegenteil: die Tautologien von Ursache und Wirkung beflügeln ihn zu konjunkturpolitischen Taten. Weil der Staat also die Hindernisse, die der Investitions n e i g u n g der Kapitalisten auf dem Geldmarkt entgegenstehen, beseitigen will (nicht aber ihren Grund), offeriert er ihnen durch den Gebrauch von Mindestreservesatz, Diskontsatz und Staatspapieren als w i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e I n s t r u m e n t e billiges Geld. Des weiteren verstärkt er besagte Neigung durch Sonderangebote (die von Investitionsbeihilfen bis zu Aufträgen reichen) und Steuergeschenke.

4. Die dazu nötigen Mittel stellt er auch dann zur Verfügung, wenn e r sie nicht hat. Das Interesse am Wachstum zerstört alle Bedenken gegen die inflationären Wirkungen gesteigerter Staatsschulden, zumal er seinen Willen zum Sparen an den sozialpolitischen Haushaltsposten genügend unter Beweis stellen kann. Der Wirtschaftspolitiker macht also einen Unterschied zwischen ,konsumtiven' Staatsausgaben und solchen, die dem Kapital Fortschritte ermöglichen, wobei er die Senkung der ,konsumtiven' Ausgaben gleich doppelt zu bewerkstelligen weiß: Die in der Krise wachsenden Rechtsansprüche auf die Auszahlung von Sozialleistungen (Arbeitslosengeld, Renten) nimmt er zum Anlaß, den Beitragspflichtigen eine Erhöhung ihrer Zwangsersparnisse zu verordnen - den rechtmäßigen Empfängern von staatlicher Unterstützung diktiert er neue Bedingungen für ihre Anwartschaft. Wenn er den Betroffenen erzählt, ihre Gelder seien produktiv angelegt, so sagt er durchaus die Wahrheit, wenngleich es nicht stimmt, daß ihr Geld nur ,zeitweise' nicht flüssig ist. Es ist zu Kapital geworden und wird nie mehr für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, was auch für ihre künftigen Beiträge gilt. Die bereits im Grundgesetz weise vorgesehene Verschuldung des Haushalts gebeut, daß sich der Staat stets solcher Sparsamkeit befleißigt. Die andere Seite dieser Zweckentfremdung zweckgebundener Einnahmen besteht in der Anstrengung, das arbeitende Volk dahin zu bringen, durch kontinuierlich gesteigertes Beitragszahlen die unvermeidlichen Unkosten des sozialen Netzes zu decken. Deswegen hat der Staat auch ein Interesse an Vollbeschäftigung, die ihm ein probates Mittel für die Stabilität des Geldwerts resp. der Preise zu sein scheint, welche er durch seine Wachstumspolitik zerstört.

5. Da die Vollbeschäftigung nur Mittel für die wachstumsfördernden Maßnahmen ist, rangiert sie auch weder als absolutes Ziel der Wirtschaftspolitik, noch steht sie im Gegensatz zur Arbeitslosigkeit (Deren staatliche Definition besteht gerade in der Festlegung eines Prozentsatzes Arbeitsloser!). Zunächst einmal verwandelt der realistische Wirtschaftspolitiker die Vollbeschäftigung in ein Ideal, dem man sich über den Umweg der Vollbeschäftigung des Kapitals zu nähern hat. Arbeitsplätze gibt es, wenn die Unternehmen sie sich leisten können, womit aus den Hilfen des Staates für die nötigen Investitionen einerseits die unerläßlichen Voraussetzungen für Arbeitsplätze werden; andererseits bedürfen diese Hilfen der zusätzlichen Beseitigung von Schranken, welche die Investitionsneigung an der Höhe der Lohnkosten findet. Den Unternehmen muß nicht nur Geld gegeben werden; es kommt auch darauf an, daß sie ihre Produktion durch den sparsamen Umgang mit der Arbeit rentabel gestalten können. Ihre Kostenrechnung muß sich j e t z t verbessern, damit sie k ü n f t i g Arbeitsplätze schaffen; die Investitionen von heute sind der Beitrag der Arbeiterklasse zu ihrer Vollbeschäftigung. Die Unterwerfung der Arbeiter unter die R a t i o n a l i s i e r u n g , den. Gebrauch von mehr Arbeit, aber weniger Arbeitskräften, welcher die ersten Investitionen des Kapitals zur Bewältigung der Krise gelten, macht die Arbeitslosigkeit zur Vorfreude auf die ,Erweiterungsinvestitionen', die sich dann einstellen, wenn die Veränderung des Verhältnisses von Lohn und Leistung die Absorption von Teilen der Reservearmee als Mittel weiteren Wachstums empfiehlt. Der Staat ergänzt daher die durch seine Verschuldung erreichte Rationalisierungshilfe durch das Bemühen, den sozialen Frieden zu erhalten, den er stets gefährdet. Der Grund für die Verrechtung des Arbeitskampfes erscheint ihm als Gebot der konjunkturpolitischen Vernunft.

6. Wenn der Staat Wirtschaftspolitik als Konjunkturpolitik betreibt, so hat er sich darauf eingerichtet, daß sein Einsatz Krisen nicht vermeidet, sondern durchsetzt.
Er spielt seinen Part als Diener der Wirtschaft, die f r e i ist, b e w u ß t und setzt seine Maßnahmen als Unterwerfung unter den Zyklus des Kapitals ein. Es geht ihm um das Funktionieren der freien Marktwirtschaft mit ihren an Gegensätzen reichen Verlaufsformen. Er weiß, daß seine Bewältigung der Krise nicht nur dem Aufschwung den Weg bereitet, sondern auch der nächsten Depression. Deshalb ist ihm die Sanierung seines Haushalts nicht S e l b s t z w e c k , sondern Erhaltung seiner F u n k t i o n : er s t e u e r t auch im Boom die Konkurrenz entsprechend i h r e n Notwendigkeiten, von welcher contradicitio in adiecto er in allen konjunkturpolitischen Maßnahmen in dieser Phase des Zyklus Zeugnis ablegt:

- Die steigende Nachfrage des Kapitals nach Kredit in der Periode seiner Expansion nimmt der Staat zum Anlaß, den Geldmarkt zu beschränken, sobald er.nicht nur Preissteigerungen, sondern am Kreditvolumen der Banken einen, Schwund der Geldwertstabilität' als Wirkung seiner auf schwungfördernden Unterstützung bemerkt. Die Freude an seinem aufgebesserten Haushalt vergeht ihm angesichts der Folgen des Aufschwungs, die sein Ende ankündigen (wobei er hier über das Verhältnis der Wirtschaft nach außen sein viertes konjunkturpolitisches Ziel entdeckt). So besinnt er sich im Unterschied zu den Kapitalisten, die aus den leichten Geschäftsbedingungen noch manches für sich herausschlagen möchten, auf die unerläßliche Funktionsfähigkeit des Finanzwesens, das die industriellen Kapitalisten zu ruinieren drohen. Er verlangt von letzteren, daß sie einen Teil ihres Reichtums opfern zugunsten der Bewahrung der Geldwertstabilität, d.h. er zwingt sie im Interesse der Fortführung ihres Geschäfts, Rücksicht zu nehmen auf dessen Voraus setzung: Die Aufkündigung der ,Politik des leichten Geldes' leitet zwar auch nur die Krise ein, sorgt aber dafür, daß sie so verläuft, wie es sich für ein Mittel des Kapitals gehört. Beschränkung derAkkumulation ist das Gebot des Staates, weil sie - unbeschränkt fortgeführt - ihre Unterbrechung mit der Ruinierung ihrer Bedingungen verbindet.

- Weil der Staat es sich also zur Pflicht macht, den Kapitalisten praktisch mitzuteilen, daß sie die nächste Krise vorbereitet haben, verlangt er auch von ihnen, im Boom einen Teil ihres Gewinns zusätzlich zu den gewöhnlichen Steuern zum Zweck der fälligen Krisenbewältigung abzutreten. Konjunkturausgleichsrücklagen und ähnliches anderswo stellen die Zwangsversicherung für das künftige Geschäft der Kapitalisten dar, die im Unterschied zum Versicherungswesen bei den Arbeitern wirklich eine Sicherheit bietet, weil dieses Geld auch zweckgebunden bleibt.

- Die Arbeiter hält der Staat an, die mit dem Aufschwung einhergehende Nachfrage nach Arbeitskräften nicht f ü r s i c h auszunützen, also die bösen Konsequenzen der Rationalisierung nicht rückgängig zu machen. Da die Konkurrenz der Kapitalisten der wirtschaftspolitischen Unvernunft der Arbeiter jedoch Vorschub leistet, geht es dem Staat darum, daß Löhne nicht umstandslos für den persönlichen Verbrauch verpulvert werden. Die Steigerung der Kaufkraft ist in den Zeiten, wo es um sie etwas besser steht, unerwünscht; sie soll der individuellen Vorsorge für schlechbre Zeiten Platz machen, die vorauszusehen sind. Sparen erscheint dem Konjunkturpolitiker als die Tugend des Kaufens, und das einzige Problem besteht darin, daß sich diese Tugend nicht wie der Rücklageneinzug als Vorteil der Betroffenen darstellen läßt: Sparförderung.

7. Jeder bürgerliche Staat betreibt also Konjunkturpolitik, d.h. er ist bestrebt, die Störungen im Wachstum des privaten Reichtums als notwendige Verlaufsform dieses Wachstums anzuerkennen und sie zur positiven Grundlage seiner Sicherung zu machen. Da die ,antizyklischen' Maßnahmen R e a k t i o n e n des Staates auf die Gefährdung der freien Konkurrenz darstellen, die aus dieser selbst entspringt, offenbart der wirtschaftspolitisch agierende Staat auch, daß seine abstrakten Prinzipien die der gewaltsamen Absicherung der F o r m der Konkurrenz dienen, Mittel sind, durch die der bürgerliche Staat den Z w e c k der Konkurrenz gegen die ihm immanenten Schranken durchsetzt. Getrennt von der Gesellschaft herrscht er ihr die A k k u m u l a t i o n d e s K a p i t a l s auf, macht also mit seiner Gewalt den Agenten der kapitalistischen Produktionsweise gegenüber den Zweck i h r e s Handelns geltend, den sie nicht wissen.

Das Ziel der Politik ist die Verwertung des Kapitals: Der Staat zwingt sowohl die Privateigentümer wie die vom Privateigentum Ausgeschlossenen, sich durch die wechselseitige Benützung in der Konkurrenz ihr Einkommen zu verschaffen, so daß sie im Gebrauch ihrer Revenuequellen, in der Verfolgung ihrer Interessen, das Privateigentum vermehren. Er verhält sich also p o s i t i v zu den Gegensätzen der Konkurrenz und der Klassen, daher aber auch n e g a t i v zu allen Anstrengungen der Konkurrenten, die das produktive Zusammenwirken der Produktionsagenten verhindern. So wenig er die Austragung der Gegensätze im Verlauf des Zyklus unterbindet, so sehr liegt ihm daran, daß sich der Schaden, den sich die konkurrierenden Privatsubjekte aller Klassen zufügen, auch lohnt. Der Staat regelt die Zerstörung von Arbeitskraft und Kapital in einer Weise, die ihren produktiven Gebrauch garantiert:

- Ob er seine Wirtschaftsgesetzgebung so einrichtet, daß sich die Konkurrenz zwischen Bank- und Industriekapital in für beide nützlichen Formen abspielt, oder sich per Globalsteuerung u.ä. zum regulierenden Anwalt des jeweils gefährdeten Kapitalistenhaufens macht, stets nimmt er sich der Risiken an, denen sich das ,System der freien Marktwirtschaft' aussetzt, wenn sich die Konkurrenzinteressen der einen oder anderen Seite hemmungslos betätigen. In jedem Falle zeigt er Einsicht in ein Grundgesetz kapitalistischer Akkumulation, welches besagt, daß die Vermehrung des Reichtums regelmäßig Opfer für die F o r m dieses Reichtums verlangt.

- Ob er seine Verrechtung des Arbeitskampfes so einrichtet, daß die Gewerkschaften als Mittel der Konkurrenz zwischen den Arbeitern fungieren, oder sich per konzertierter Aktion der Gewerkschafter als Anwalt der Wirtschaftspolitik versichert; ob er die Selbsthilfe den Organisationen der Opfer überläßt und Sozialstaat spielt, stets spricht er das Geheimnis aller Konjunkturpolitik aus. Die Gegensätze im Kapitalistenlager lassen sich nur dann lösen, wenn es dem Staat gelingt, die Besitzer der Revenuequelle Arbeitskraft an die Unbrauchbarkeit ihrer Revenuequelle zu gewöhnen. Die moralischen Geschütze wie Maßhalten, Lebensrisiko, Abschied vom Materialismus, Hallo Sozialpartner, wirtschaftliche Vernunft, also viel arbeiten, kaufen und sparen, haben Erfolg gehabt, wenn es Mitbestimmung, Vermögensbildung, konjunkturgerechte Tarifabschlüsse und Kämpfe um die politische Anerkennung der Gewerkschaft gibt. In anderen Ländern sind solche Konjunkturprogramme Auftakt zu ökonomischen Abwehrkämpfen.

d)

Wenn die Abhängigkeit des Staates vom Reichtum der Nation ihn zum Einsatz seiner Mittel für die Vermehrung des Privateigentums zwingt, entwickelte sich die Wirtschaftspolitik aus den Bestrebungen des Staates, den Verlust s e i n e r ökonomischen Potenz durch den ökonomischen Fortschritt der G e s e l l s c h a f t
auszugleichen, an dem er partizipiert. Er mußte die überkommenen Funktionen seiner Machterhaltung dem Kriterium der Reichtumsvermehrung unterwerfen und nicht nur die der Gesellschaft entzogenen Staatsmittel, die Steuern, für die Beförderung des produktiven Eigentums verwenden, sondern auch seine sonstigen Tätigkeiten ihrer ökonomischen Wirkung gemäß einrichten. Der Verlust seiner Rolle als Wirtschaftssubjekt brachte den Staat mit den negativen Wirkungen seiner rücksichtslosen Bereicherungsbemühungen zur praktischen Einsicht, daß die Verschwendung seiner Gelder, die Verschuldung seines Haushalts, sich der Akkumulation von Kapital unterzuordnen hat, und die zyklischen Konvulsionen der Konjunkturbewegung geboten ihm, sich um seiner Selbsterhaltung willen als p o l i t i s c h e s Subjekt der W i r t s c h a f t zu betätigen und sich mit seinen Reaktionen zum Anwalt d e r Akkumulation zu machen.

Das wachsende Bedürfnis der produktiven Kapitalisten nach Kredit (Industrialisierung) gewöhnte den Staat an die Notwendigkeit rechtlicher Hilfestellungen für Aktien- und Börsenspekulationen und an die Unumgänglichkeit direkter und indirekter Bereitstellung seines Geldes für gewinnversprechende Wirtschaftsunternehmungen, auf deren Erträge er selbst spekulierte. Die Auseinandersetzungen zwischen produktivem und Geldkapital, die in der Verfolgung ihres jeweiligen ökonomischen Vorteils sich gegenseitig und damit der Wirtschaft schadeten, veranlaßten ihn frühzeitig, den Streit zugunsten des produktiven Kapitals zu entscheiden und seine Bank als Mittel der Aufrechterhaltung der Kreditfunktionen einzusetzen. Durch die Erfahrung der periodischen Zyklen und der permanenten Wirkungen seiner Verschuldung wurde er auch damit vertraut gemacht, daß die Opferung von gesellschaftlichem und eigenem Reichtum als Mittel des Wachstums unerläßlich ist und daß sich die Mittel der Arbeiter dazu vortrefflich eignen. Deswegen wußte er die Zugeständnisse an sie so einzurichten, daß sie der Wirtschaft dienen und die Arbeiter zum sozialen Frieden verpflichten, den er nicht erst seit l929 als Grundvoraussetzung ungehinderten zyklischen Wachstums begriffen hat.

e)

l. Die praktischen Schwierigkeiten, die der Staat bei der Bemeisterung der ökonomischen Gegensätze seiner Gesellschaft erfährt, haben die Wissenschaft der Nationalökonomie ins Leben gerufen. Sie ist d i e bürgerliche Wissenschaft, logisch wie historisch erste Staatswissenschaft. Deshalb läßt sich an ihr studieren, wie das staatliche Interesse an gesellschaftlichen Vorgängen das Interesse an ihrer Erklärung hervorruft u n d zerstört.

Weil der Staat nichts mehr schätzt als das wirtschaftliche Wachstum, welches zwar stattfindet, aber eben nicht immer und unter Begleitung von regelmäßigen Erschütterungen, weil also das kapitalistische Wachstum die Zerstörung von Reichtum zu seiner Bedingung hat, gehen Volkswirtschaftler nicht vom Reichtum, sondern von der K n a p p h e i t d e r G ü t e r aus. Das staatliche Bestreben, diese Knappheit zu überwinden oder wenigstens in erträglichen Maßen zu halten, übersetzen die ,gelehrten Dolmetscher des Alltagsverstandes' in die Suche nach den P r o d u k t i o n s f a k t o r e n , die außer der Eigenschaft, begrenzt vorhanden zu sein, auch noch die fragwürdige Eigentümlichkeit aufweisen, daß sie zusammenpassen wie ,Notariatsgebühren, rote Rüben und Musik'. Das stört die Nationalökonomen nicht, weil sie nur erkunden wollen, was sich mit den schönen Faktoren erstens von ihren Repräsentanten und zweitens für das Wachstum anfangen läßt, was drittens immer wieder zu der Frage führt, was der Staat für ihren Nutzen tun kann. Die ersten beiden ,Fragenkomplexe' sind zwar nicht klein, heißen aber in Anbetracht der Größe des Staates, dessen Standpunkt M a k r o ö k o n o m i e genannt wird, M i k r o ö k o n o m i e . Diese befleißigt sich der Gleichsetzung jeder ökonomischen Kategorie mit dem N u t z e n , den ihre Repräsentanten resp. Besitzer aus dem Umgang mit ihr zu ziehen vermögen. Geld ist, wenn man was kauft, und zwar soviel, wie man dafür kaufen kann, was ohne das Geld nicht geht, weil alles einen Preis hat, der ohne Geld schwierig zu schätzen wäre und umständlich. Boden ist nicht beliebig vermehrbar, Kapital dagegen schon, wenn man es nicht ausgibt. Wieviel Güter, ein Quadratmeter und Kapital kosten, hängt davon ab, welchen Preis sie erzielen. Die Makroökonomie betrachtet dies alles noch einmal unter dem Gesichtspunkt, inwiefern alles Kleine im ökonomischen Leben zu Resultaten führt, die dem staatlichen Wunsch nach Wachstum entsprechen. Die W a c h s t u m s t h e o r i e denkt sich Modelle aus, in denen die Faktoren des Wachstums so kombiniert sind, daß Störungen ausbleiben, weshalb sie Modelle bleiben, deren mangelnder Realismus mit der Unberechenbarkeit menschlicher Konsum-, Spar- und Investitionsneigungen entschuldigt wird.
Die G l e i c h g e w i c h t s t h e o r i e betrachtet dasselbe Zeug explizit vom Standpunkt des Ideals der unangenehmen Disproportionen und holt sich bei der E i n k o m m e n s t h e o r i e Rat, weil sie die Erreichung ihres Ideals für ein Verteilungsproblem hält. So ist es nicht verwunderlich, daß die Suche nach den Ursachen der Krisen, die den Ökonomen an der sonst über alles geschätzten kapitalistischen Produktionsweise nicht passen, ihren krönenden Abschluß in der K o n j u n k t u r t h e o r i e erhält. Diese beruft sich zurecht auf alle anderen Leistungen der Ökonomen, wenn sie zu dem Schluß gelangt, daß das widerliche Auf und Ab der Wirtschaft seinen Grund in der Wirtschaft nicht haben kann: von der unzuverlässigen Natur des Menschen bis zu den Sonnenflecken reicht die Liste der Schuldigen, welche die den Menschen angemessene Gestaltung seiner ökonomischen Probleme durcheinanderbringen. Da bleibt nur eines: der Staat muß Wirtschaftspolitik machen, also Preise, das Geld, das Gleichgewicht usw. Vor ihrer Zerstörung retten. Keine Unterabteilung der VWL versäumt diesen wichtigen Schluß, daß noch die kleinste Belanglosigkeit im ökonomischen Leben, nachdem sie aus der Konkurrenz tautologisch erklärt worden ist, die schützende Hand von Vater Staat in Anspruch nehmen muß. Ökonomen sprechen in ihrer Dummheit die Wahrheit ihrer Existenzbedingung aus. Sie sagen, daß ihre Theorien nichts gelten, wenn der Staat nicht praktisch für die Fortexistenz der von ihnen nicht erklärten, sondern beweihräucherten Gegenstände sorgt.

Die Leistungen nationalökonomischer Denker gehören vergangenen Tagen an, nämlich denen der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise. Damals hat sich das Interesse am Kapitalismus, das polemisch gegen die herrschenden Klassen der vorkapitalistischen Gesellschaft auftrat, noch der Wahrheit bedient. Smith und Ricardo haben mit E r k l ä r u n g e n des Werts, des Kapitals etc. den Kapitalismus hochgehalten, und Ricardo ist in t h e o r e t i s c h e Schwierigkeiten geraten, sooft er bemerkt hat, daß seine Hochachtung vor der neuen Produktionsweise mit ihrer Erklärung unvereinbar war. Weil er die Erklärung nicht einfach zugunsten seiner Vorliebe für die praktische Bewährung des Kapitals aufgegeben hat, konnte der Kommunismusvorwurf nicht ausbleiben (Vgl. TüM, passim und KI/l9ff!). Die Durchsetzung der Vulgärökonomie hat also eine Wissenschaft ihrem Begriff adäquat gemacht;

2. Weil der Staat in seinen wirtschaftspolitischen Aktivitäten gegen alle Bürger vorgeht, d.h. die Interessen derer, denen er nützt, ebenso praktisch kritisiert wie die
Ansprüche der Arbeiter, legitimiert er sein Treiben in ideologischen Verbrämungen seines Wirkens, die zwar Grundlage für alle möglichen staatsbürgerlichen Einwände sind, aber in keinem Fall mit der rücksichtslosen Billigung in einem der feindlichen Burgerlager rechnen können. Was in den Auseinandersetzungen zwischen Staat und Bürgern, wenn sie abstrakte Sphären betreffen, noch möglich ist, prinzipielle Übereinstimmung, gibt es hier nicht. Es geht nämlich nicht um Prinzipien, sondern um ihre aktuelle Anwendung, mithin um die Einschränkungen des jeweiligen m a t e r i e l l e n Interesses. Während der Staat alles daran setzt, durch seine Agenten die Weisheit verkünden zu lassen, daß seine Maßnahmen nur scheinbar gegen die Bürger gerichtet sind, wollen die Bürger partout nicht einsehen, daß er f ü r sie eintritt.

S t a a t s a g e n t e n betonen zunächst einmal, daß die Wirtschaftspolitik eine schwierige Sache ist, weil sie mit Z i e l k o n f l i k t e n zu ringen hat. Sie jammern darüber, daß seine Wirtschaftspolitik "im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen" soll (Stabilitätsgesetz), sie sich also in einem Viereck bewegen, das schon als Dreieck magisch ist. Die ungeliebten Wirkungen seines machtvollen Einsatzes für die Konkurrenz erklärt der Staat zur Folge seiner Ohnmacht. Er besinnt sich darauf, daß er auf die Willkür nur reagieren will, und lastet je nach Konjunkturlage verschiedenen Teilen seines Volkes volkswirtschaftliche Unvernunft an, wobei eine Gruppe immer vorkommt. Stets findet er Schuldige dafür, daß das Volk nicht alles kriegt, was es haben will. Sich selbst stellt er als den einzigen weit und breit dar, dem es um einen Interessen a u s g l e i c h zu tun ist, und die Notwendigkeit, genauso weiterzumachen wie bisher, läßt er durch die Autorität der Wissenschaft verkünden, die - längst mit seinem Standpunkt ausgerüstet - seine Maßnahmen durch Prognosen begründet. So wird aus den Bedingungen, unter denen er sein Ziel erreicht zu guter Letzt ein Gesetz, dessen Gewaltcharakter sich mit dem Mantel des Wissens tarnt.

Die B ü r g e r lassen den Vorwurf des Staates nicht auf sich sitzen und beweisen den Nationalökonomen, daß sie ihre Argumentationsweise auch beherrschen.
Freilich hat die Metamorphose des Bürgers in einen wirtschaftspolitischen Berater, die Darstellung seines Interesses als allgemeines ganz unterschiedliche praktische Bedeutung für die Durchsetzung des jeweiligen Interesses. Während der Staat den mannigfaltigen Beweisen der Kapitalistenseite dafür, daß die Ansprüche der Arbeiter ein einziges Hindernis für das Wachstum darstellen, ihre prinzipielle Stichhaltigkeit nicht absprechen kann, will er den Gewerkschaften einfach nicht glauben, wenn sie ausgerechnet die Unternehmer für die Zerstörung der Harmonie verantwortlich machen.

- Den U n t e r n e h m e r n und ihren Verbänden erscheinen die S t e u e r n , die sie zahlen müssen, immer zu h o c h . Deshalb rechnen sie dem Staat auch stets vor, wie schlecht ihre Steuern der Konkurrenzfähigkeit mit dem Ausland bekommen und welch unheilvolle Wirkungen von ihnen auf die Preisstabilität ausgehen.
Selbstverständlich können sie auch deswegen keine Arbeitsplätze bereitstellen (was ihr eigentlicher sozialer Beruf ist), weil der Staat mit Geld und Kredit wie bei den Steuern immer genau a n d e r s h e r u m verfährt, wie es ihnen recht gewesen wäre. Jeder diesbezüglichen Maßnahme halten sie ihr falsches Timing vor:
In der jeweils entgegengesetzten Phase des Zyklus wäre es richtig gewesen für die Volkswirtschaft, jetzt schadet es.
Schließlich fassen sie ihre Kritik noch dahingehend zusammen, daß der Staat die beste Wirtschaftspolitik dadurch betreibt, daß er sich r a u s h ä l t , womit sie meinen, daß er ihre Geschäfte am besten dadurch befördert, daß er sie nicht stört, sondern bedingungslos unterstützt. Denn im Verhältnis zu den Arbeitern sehen sie Steuerungsbemühungen nicht ungern. Außer daß er immer z u v i e l Geld für s o z i a l e n K r a m ausgibt, wird ihm vorgeworfen, daß er die Gewerkschaften nicht zur Ordnung ruft und ihnen immerzu erlaubt, die L o h n - P r e i s - S p i r a l e in Gang zu setzen, einen der Wirtschaft äußerst schädlichen Mechanismus, dem der Staat manchmal sogar durch Anschläge auf die Preisfreiheit statt auf die Löhne zu begegnen sucht. Statt allein mit den berufenen Repräsentanten des Allgemeinwohls, den Unternehmerverbänden, die Richtlinien der wirtschaftlichen Entwicklung sachgerecht festzulegen, gestattet er sich sogar die Unverschämtheit, die Gewerkschaften zu fragen, wie sie denn das Wachstum haben möchten, wird darüber zum G e w e r k s c h a f t s s t a a t , der die wirtschaftliche Vernunft den Erpressern von der Klassenkampffront opfert. Darüberhinaus beläßt er es nicht beim Zugeständnis der Tarifautonomie, aus der dem Wachstum ungezählte Gefahren drohen - er scheut auch nicht vor der D e m o k r a t i s i e r u n g d e r W i r t s c h a f t zurück, einem durch und durch marxistischen Vorhaben, und setzt den Eigentümern der Fabriken M i t b e s t i m m u n g s g r e m i e n ins Haus, die, ohne selbst Verantwortung zu tragen, über die Verwendung des Eigentums anderer entscheiden wollen.

- Dagegen nimmt sich die Stellung der G e w e r k s c h a f t e n zu den Alternativen der Wirtschaftspolitik äußerst positiv aus. Wenn die Unternehmerverbände die Identität des Allgemeinwohls mit ihren Interessen vorführen, dann kritisieren sie den Staat, weil er den Kapitalisten nicht genug Gutes tut und d a m i t die Wirtschaft nicht ordentlich gestaltet. Wenn die Gewerkschaften kritisch werden, werfen sie dem Staat vor, daß er die Arbeiterinteressen nicht richtig für die Wirtschaft a u s n ü t z t : Sie nehmen den Standpunkt der Wirtschaftspolitiker ein und erklären sich mit ihnen e i n v e r s t a n d e n und fangen von der G e m e i n s a m k e i t staatlicher und gewerkschaftlicher Absichten her an, Verbesserungsvorschläge einzureichen. Den interessierten Prognosen der staatlich bestellten Gutachter setzen sie optimistischere ihres gewerkschaftlichen Wirtschaftsgutachterteams entgegen, für das sie die Streikkassen verpulvern. Am Lohn ihrer Mitglieder entdecken sie seine Eigenschaft, K a u f k r a f t zu sein, weshalb sie für ein optimale Einkommensverteilung plädieren, den Gegensatz der Lohnkosten zum Wachstum glatt bestreiten und am laufenden Band die mögliche Harmonie der Sozialpartner beschwören, die der Staat mit seinem Programm des sozialen Friedens doch auch anstrebe. Diese Lüge ist die Grundlage für die ,Drohungen' der Art, daß die Gewerkschaft ihre Loyalität gegenüber der Wirtschaftsentwicklung nicht bewahren könne, wenn ihre Warnungen stets übergangen würden. Um zur eigenen Unvernunft von Lohnforderungen nicht mehr gezwungen zu sein, bittet sie um M i t b e s t i m m u n g in möglichst allen Entscheidungen des Staates, mit denen dieser das Allgemeinwohl durchsetzt, und ergeht sich in Offerten des Inhalts, wie sich durch gewerkschaftliche Regelungen der für das Allgemeinwohl unerläßliche Schaden ihrer Mitglieder dosieren läßt. Sie bittet den Staat um Gesetze, die den Arbeitern den Sinn des S p a r e n s mit gewerkschaftlicher Anleitung nahebringen, weil dergleichen Löhne sparen hilft, und versteigt sich im Interesse des kontinuierlichen Wachstums, welches sie als Bedingung der Vollbeschäftigung anerkennt, sogar zu leichten Verstößen in Sachen I n v e s t i t i o n s l e n k u n g .
Dabei wehrt sie sich zurecht, aber vergeblich gegen den Kommunismusverdacht, dem sie sich mit ihrer Bereitschaft zur M i t w i r k u n g a m W a c h s t u m aussetzt. Das Ideal der Harmonie, dem sie huldigt, unterschiedet sich n i c h t von dem, das der Staat hat, doch gebraucht es dieser für sich und die Kapitalisten, während die Gewerkschaften dasselbe' für Interessen propagieren, für die es nicht da ist. Ihr Verlangen nach g e r e c h t e r B e h a n d l u n g der Arbeiter ist identisch mit einer Kritik, die sich den Notwendigkeiten der Politik nicht nur unterwirft, sondern um diese Unterwerfung nachsucht: Gemeinsame D u r c h s e t z u n g der wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten als Grundlage des gewerkschaftlichen Nationalismus .

Die F a s c h i s t e n zeichnen sich dadurch aus, daß sie den i d e a l e n K l a s s e n s t a a t - der die Geschäfte der verschiedenen Klassen grundsätzlich für gleich 'wertvoll' erachtet, soweit sie als Dienst am Volksganzen ordentlich verrichtet werden - verwirklichen wollen. Sie kritisieren die Konkurrenz wegen der Störungen, die sie dem Wachstum des nationalen Reichtums bereitet, und sehen die Aufgabe des Staates darin, den Reichtum dadurch zu sichern, daß der Staat die Harmonie, die dem Privateigentum abgeht, gewaltsam herstellt; daß er a n s t e l l e der Konkurrenz entscheidet und das Wachstum selbst dann noch befiehlt, wenn sich die Ausbeutung für das Privateigentum nicht mehr lohnt.

Die R e v i s i o n i s t e n haben es dagegen auf die Verwirklichung des i d e a l e n S o z i a l s t a a t s abgesehen und wollen das Privateigentum zugunsten der Opfer der Ausbeutung vergesellschaften. Sie verpflichten den Staat auf die Kontrolle der Konkurrenz: Konkurriert soll für den S t a a t werden, was zwar die Beseitigung der Kapitalisten erfordert, deren Funktionen durch staatliche Lohnarbeiter wahrgenommen werden, aber auf der Ausbeutung der Arbeiter beruht. Die revisionistische Revolution, die bekanntlich in der antimonopolistischen Demokratie ihren Auftakt nimmt, benützt zunächst das Kapital für den Staat, um den Arbeitern zu nutzen - und am Schluß nur noch die Arbeiter, deren Existenz der Staat garantiert. Die Volkswirtschafts l e h r e haben die Vertreter des Revisionismus um die Ideologie des Stamokap bereichert; wirtschafts p o l i t i s c h vertreten den staatsmonopolistischen Proletarismus.

§ 9

Demokratisches Procedere: Wahlen - Parlament - Regierung

Der bürgerliche Staat kann seine ökonomischen Ziele nur dann verwirklichen, wenn sieh seine Bürger bei der Verfolgung ihrer materiellen Interessen innerhalb der Grenzen bewegen, die er ihnen setzt. Er ist darauf angewiesen, daß alle die staatlichen Praktiken als n o t w e n d i g e F u n k t i o n e n für ihr Interesse anerkennen. Die einen müssen sich zu der schlichten Einsicht bequemen, daß gewisse Einschränkungen ihres Gewinnstrebens unerläßlich sind bei der staatlichen Garantie der produktiven Verwendung ihres Eigentums. Die anderen müssen sieh damit abfinden, daß gewisse Einschränkungen ihrer Reproduktion unerläßlich sind für die staatliche Garantie ihrer Lohnarbeit.

Der Verzicht der Bürger auf die Anwendung von Gewalt bei der Austragung ihrer Gegensätze, positiv: die Zustimmung zum staatlichen Gewaltmonopol, ist das Mittel des Staates, die konkurrierenden, daher freien Bürger seinem Zweck, der Vermehrung des
Privateigentums, zu unterwerfen. Weil ihr Materialismus diesem Zweck nur dient, wenn er sich durch den staatsidealistischen Gehorsam gegenüber seinen Gesetzen relativiert, wenn sieh also die Klassen zum I n s t r u m e n t d e s A l l g e m e i n w o h l s machen, versichert er sich des Funktionierens seiner Gewalt dadurch, daß er sich beim Volk die Einwilligung zu seinen Maßnahmen einholt.

Dabei stellt er selbstverständlich nicht seine notwendigen Geschäfte in die Disposition der Bürger, sondern läßt sie darüber entscheiden, welche Alternativen staatlicher Gewaltausübung eingeschlagen werden. Sie bestimmen in Wahlen diejenigen Repräsentanten, die sie für die Verrichtung der staatlichen Aufgaben für am besten geeignet halten. Da es in der Wahl nur um die Zustimmung zu den Staatsmaßnahmen geht, sind alle Stimmen gleich wichtig. Die Wahl wird durch Mehrheit entschieden und der bleibenden Notwendigkeit dieser Willenskundgabe durch periodische Abhaltung Rechnung getragen. Die Bürger, die sich für das politische Amt zur Verfügung stellen wollen, erhalten von Staats wegen die Möglichkeit, ihr Programm, durch das sie sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen, zu propagieren: die Parteien konkurrieren durch politische Willensbildung um die Stimmen der Wähler und damit um die Führung der Staatsgeschäfte.

Diese besteht einerseits in der Tätigkeit des Parlaments, in dem die gewählten und nur ihrem staatsmännischen Gewissen verantwortlichen Repräsentanten mehrheitlich die anfallenden Kollisionen durch gesetzliche Vorschriften so regeln, wie es das Allgemeinwohl gebietet. Andererseits in dem Wirken der Regierung, die diese Vorschriften mit Hilfe des Gewaltapparats durchsetzt. Schließlich in der konstruktiven Kritik der Opposition, welche als repräsentative Minderheit der Wähler deren Unzufriedenheit die einzig erwünschte Form gibt, die einer politischen Alternative.

Der beständig beschworenen Gefahr, daß die institutionalisierte Rücksichtnahme auf den Bürgerwillen für die praktische Kritik am Staatszweck mißbraucht wird, begegnet die Demokratie durch den Zwang zur Grundgesetztreue (Parteienverbot u.ä.) sowie durch die gesetzlich fixierte Bereitschaft der Staatsmänner, auf die Demokratie zu verzichten, wenn es um die Rettung des Staates geht.

Mit den gefeierten demokratischen Prozeduren gesteht der moderne bürgerliche Staat ein, daß seine politische Herrschaft vom Willen der Unterworfenen abhängt, die Bürger also über alle Mittel verfügen, ihn überflüssig zu machen. Zugleich nimmt dieser Staat auf den freien Willen nur so Rücksicht, wie dieser als Abstraktion von den materiellen Interessen auftritt. Damit liegt der Fortschritt der Demokratie gegenüber allen früheren Staatsformen darin, daß sie den Willen der Untertanen für die Vermehrung des Reichtums, von dem sie nichts haben, einsetzt. Deshalb führt der ökonomische Kampf der Lohnarbeiter zum politischen Kampf g e g e n den Staat, während der politische Kampf um staatliche A l t e r n a t i v e n den ökonomischen verhindert und mit dem Staat die Ausbeutung erhält - so oder so !



a)

Vom Standpunkt des Staates bzw. seiner Agenten, die die Konkurrenz entsprechend den Bedürfnissen des Privateigentums verwalten, stellt sich die abstrakte Bestimmung der Demokratie, daß die Staatsgewalt auf dem Willen des Volkes beruht, in einem etwas anderen Licht dar: Demokratie gilt ihnen als "die schlechteste
aller Staatsformen, außer allen anderen", womit sie klar zum Ausdruck bringen, daß der Staat nicht seinen Endzweck darin hat, s i c h dem W i l l e n d e r B ü r g e r anzubequemen. Umgekehrt: er wird mit seinen Aufgaben am besten fertig, wenn er sich die Zustimmung der Bürger zu seinen Werken verschafft. In ihrer positiven Unterstützung seiner Gewalt (die es nicht schon deshalb nicht mehr gibt, weil sie unterstützt wird) beweisen sie ihm, daß sie den Willen haben, sich in der Konkurrenz durchzuschlagen, also ihre Freiheit so zu gebrauchen, wie es ihm gefällt.
Die N o t w e n d i g k e i t demokratischer Legitimation besteht also für den bürgerlichen Staat insofern, als die Abstraktion der arbeitenden Bürger von ihrem besonderen Willen identisch ist mit der Fortführung ihrer ökonomischen Funktion und Pflicht, mithin das F u n k t i o n i e r e n der Produktionsweise garantiert. Wenn die geschädigte Mehrheit des Volkes i h m die Loyalität verweigert, will sie ihre Freiheit nicht mehr, denkt an minder hohe Güter der menschlichen Existenz, so daß er sich bemüßigt fühlt, die Freiheit gegen die niederen Kräfte hochzuhalten.
Im Votum für den Staat bekundet das Volk, daß es bereit ist, den Staat f ü r s i c h auszunutzen, solange es ihn braucht - und der Staat antwortet auf diese Bereitschaft mit all den Gesetzen, die jene unselige Zweideutigkeit des Wortes ,brauchen' beseitigen: er wird gebraucht, ohne für sie brauchbar zu sein. Die demokratische Wahl, die nicht mit den Stimmen der Kapitalisten entschieden wird, gestattet also dem Staat die Verwendung der Arbeiterklasse, nicht umgekehrt, weil sie Index des sozialen Friedens ist. Eine Tatsache, die jeder Staatsmann ausspricht, wenn er öffentlich die Stimmen radikaler Parteien und anderes zählt; als T e s t bewußt durchgeführt bei allen w e r d e n d e n Demokratien!

b)

Die Leistung des demokratischen Zirkus besteht also durchaus nicht darin, daß sich der Staat durch Wahlen vom Willen seiner Bürger abhängig m a c h t , er weiß vielmehr die vorhandene Abhängigkeit so zu gestalten, daß die Bürger selbst ihren Willen aufgeben. Wenn der Staat sie nur darüber abstimmen läßt, wer von den Politikern die staatlichen Ämter verwalten darf, so läßt er keinen Zweifel darüber, daß neben den nicht gewählten Organen von Recht, Verwaltung etc. auch die Institutionen der politischen Entscheidungen sich nicht den Wünschen der Bürger anbequemen, geschweige denn ihre Existenznotwendigkeit in Frage steht. Er regelt die Willenskundgabe so, daß seine Untertanen keine andere Wahl haben, als ihre Unterwerfung unter den Staatswillen zu bekunden.

Die höchste demokratische Errungenschaft zeichnet sich dadurch aus, daß sie die gewaltsame Abstraktion des "freien Menschen" zur Leistung seines eigenen Willens macht. Das Kreuz hinter dem Kandidaten ist die zur Anschauung gebrachte Gleichgültigkeit gegen die Überlegungen der Wähler, die auf das Votum für einen Repräsentanten und damit auf das Ja zum Staat zusammenschrumpfen. Der Staat kann daher den Wählerwillen m e s s e n und mit dem Mehrheitsprinzip auch offen die Rücksichtslosigkeit gegen den besonderen Willen und seine Gründe demonstrieren. Durch diesen demokratischen Grundsatz wird weder die Minderheit der Stimmen. vergewaltigt noch die Regierung der Besten verunmöglicht, wie reaktionäre Kritiker monieren - die M e h r h e i t d e s V o l k e s gibt sich für den
Staat auf, weswegen Mehrheit, Minderheit und Nichtwähler g l e i c h e r m a ß e n je nach K l a s s e n zugehörigkeit die Staatsgewalt zu spüren bekommen. Weil die Wahl den Gegensatz zu seiner Basis institutionalisiert, die Bürger von der Herrschaft ausschließt, indem de ihr zustimmen, weiß der Staat auch den bleibenden Konflikt zwischen seinen Maßnahmen und den Interessen seiner Bürger zu bewältigen: die periodische Abhaltung von Wahlen gewährleistet den Bestand des Gewaltverzichts. Sie macht mit der regelmäßigen Ausnahme des Bürgervotums seine Rücksichtslosigkeit zum Alltag der Untertanen.

Deren erzwungene Unterordnung unter die staatlichen Zwecke wird also durch die Wahl als das beständige Werk ihrer eigenen staatsbürgerlichen Vernunft besiegelt.
Die ihnen abverlangte Willensleistung, sich zum willfährigen Objekt der Staatsgeschäfte zu machen, bewerkstelligen sie dadurch, daß sie alle paar Jahre das zum alleinigen Inhalt einer p o l i t i s c h e n E n t s c h e i d u n g machen, was sie ansonsten als tägliche politische E n t h a l t s a m k e i t praktizieren: die Mehrheit der Bürger verrät ihr Interesse an dem Staatszweck durch den vorab entschiedenen Vergleich ihrer Wünsche mit politischen Alternativen ihrer Nichterfüllung. Der einzelne Bürger schafft es, freiwillig von seinen Interessen zu abstrahieren und in der Wahl sich aufgrund seines Vergleichs für eine Weise der Durchführung des Staatsprogramms auszusprechen, in der kaum verhüllten Gewißheit, daß er damit die Fortdauer seines Schadens beschließt. Die mangelnde Wahlmüdigkeit des Volkes zeigt, daß auf der subjektiven Seite des angestellten Vergleichs nur Bedürfnisse in die Waagschale geworfen werden, die schon in Staatsillusionen verwandelt sind. Nicht erst im Akt der Wahl nimmt also der Prolet von sich Abstand; in ihr vollzieht er nur die a u s d r ü c k l i c h e Zustimmung zu der Gewalt, die er erträgt, weil er sie - als Lohnarbeiter auf sie angewiesen - zum Mittel seiner Reproduktion verklärt. Dazu gehört nicht zuletzt der schöne Trost, die Regierung selbst gewählt zu haben, mit der man unzufrieden ist, und eine Alternative zu haben, die man das nächste Mal wählen kann.

c)

Wenn der demokratische Staat die Abhängigkeit seines Erfolges vom Willen der Bürger in ein Mittel seines Gewaltgeschäfts verwandelt, macht er mit der Sicherung seiner politischen Existenz die seiner Repräsentanten zu einer unsicheren Sache. Zwar kann heute jeder beschließen, Politiker zu werden (und die Demokratie hat nie über den Mangel an Politikernachwuchs klagen müssen, weil die herrschenden Klassen noch immer der Wille ausgezeichnet hat, den Staat für ihre Interessen zu bewahren), doch hängt sein Zugang zu den politischen Ämtern davon ab, ob er die Gunst der Wähler zu gewinnen und zu erhalten vermag; den Charaktermasken der Staatsnotwendigkeiten fällt also die demokratische Pflicht zu, um ihrer Karriere willen den Bürgern all die Sauereien in rosigem Lichte auszumalen, die sie ihnen anzutun gewillt sind, falls sie sie zum Zuge kommen lassen. Die Rücksichtnahme, die ansteht, ist die Übersetzung der Staatsentscheidungen in das Interesse der Betroffenen am Staat.

Die politische Willensbildung des Volkes durch die Parteien besteht in dem einfachen Trick, dem eigennützigen Staatsidealismus des einfachen Mannes, der auf die Leistungen des Staates für sich spekuliert, das zuteil werden zu lassen, was er verlangt: den Betrug. Die Politiker verwenden ihre ganze beschränkte Phantasie, die ihr praktisches Geschäft nicht erfordert, darauf, die Bürger, denen der Staat im gesellschaftlichen Alltag die Segnungen ihrer jeweiligen Klasse zuteil werden läßt, mit dem Versprechen zu beglücken, dies alles werde nur zu seinem Besten fortgesetzt. So vielfältig die Konkurrenz der Kandidaten sich gestaltet, so simpel sind die Grundprinzipien, derer sie sich dabei bedienen. Man muß allen gesellschaftlichen Gruppen unbekümmert um ihre Gegensätze, deren Erhaltung der Staat besorgt, versprechen, nur die staatlichen Maßnahmen aus dem Repertoire auszuwählen, von denen sie sich etwas versprechen, wobei die Sammlung der verschiedenenorts geäußerten Versprechungen das bekannte, weil notwendige Staatsprogramm ergibt - allerdings in der verhimmelten Gestalt des Nutzens für alle. Die hohe Kunst, jedem gerade das anzukündigen, was er sich jeweils erwartet, stößt notwendig auf Schranken. Die Staatsbürger wissen nicht nur durch die öffentliche Kenntnisnahme sich widersprechender Ankündigungen, sondern auch durch die vergangenen vier Regierungsjahre, daß der Staat nur wenige zufriedenstellt. Die Politikerangebote enthalten daher auch stets zusätzliche Hinweise auf den Charakter ihrer Absichten: Einschränkungen werden gemacht, die Ohnmacht des Staates ins Feld geführt und an die staatsbürgerliche Einsicht appelliert, daß die divergierenden Ansprüche nur dann zur Geltung kommen können, wenn alle den Rahmen des Möglichen berücksichtigen. Wem dabei die Möglichkeiten, und wem dabei die Notwendigkeiten zufallen, bleibt nicht verborgen, weswegen die Parteienkontroversen am liebsten auf dem Feld der I d e a l e geführt werden, die noch jeder Bürger mit seinem Vorteil gleichsetzt, obwohl sie ihm mit der verklärten Form der ersten Staatsparagraphen die Gewalt sämtlicher Paragraphen ankündigen. Es sind die heiligsten Güter der Demokratie, die Ideale des Gegensatzes von Staat und Bürger, um die die Parteien im "Grundwertestreit" rangeln: Freiheit, Würde des Menschen, Gleichheit und Gerechtigkeit etc. Wenn sich die Parteien gegenseitig die Befähigung zur Vertretung der gemeinsamen Ideale absprechen, dann demonstrieren sie wozu diese taugen: die Wirkungen der alle Politiker einenden Staatsnotwendigkeiten lassen sich in die Folge von Unfähigkeit und in den Verrat an den höheren Zielen des Staates verwandeln. Um Ideale läßt sich munter streiten, vor allem, wenn es darum geht, die Sorgen der Betroffenen in Zustimmung zu verwandeln. Deswegen kämpft die eine Partei für persönliche Freiheit, christliche Verantwortung und soziale Marktwirtschaft gegen Sozialismus, die andere um Freiheit. soziale Gerechtigkeit und Reformsolidarität gegen die ewig Gestrigen und die dritte für Freiheit und persönliche Würde gegen den Rest der Parteienwelt. Was sich nicht nur hierzulande als klassische Parteienlandschaft tummelt - Konservative, Reformer und Liberale -, das sind die notwendigen Ausgestaltungen der staatsmännischen Reflexion auf die Konflikte zwischen Staat und Bürgern, deren Unzufriedenheit der Politiker als Gefährdung der wirtschaftspolitischen und sonstigen Maßnahmen und vor allem seines Postens fürchtet, weswegen er sie nicht aus der Welt schaffen, sondern in Zustimmung verwandeln will. Die Reformer lassen es sich angelegen sein, die Unzufriedenheit der Untätigkeit des Staates anzulasten und demokratische Politik in das Wagnis zu mehr Demokratie zu übersetzen. Dagegen knüpfen Konservative an der anderen Seite des Gegensatzes, dem Bewußtsein des Bürgers von der Notwendigkeit des Staates an und machen aus Politik ein dauerndes Geschäft zur Rettung des Staates, dem der einzelne zu seinem eigenen Besten nicht beständig anspruchsvoll in die Quere kommen dürfe. Die Liberalen schließlich - nicht ganz auf der Höhe der Zeit - setzen auf die Säuernis des Privatsubjekts, das den Staat als Mittel und Hindernis zugleich begreift. Deswegen erklären sie die Allgegenwart des Staates zur Ursache aller Übel, stellen garantiert die Freiheiten an die erste Stelle und den Staatsbürger als den idealen Menschen des § 1 in Gegensatz zum Staat der späteren §§ und verkünden, um an die Macht zu kommen, die Einschränkung des Staates zum staatlichen Endzweck.

Weil Parteien diesen Streit veranstalten, um von a l l e n gewählt zu werden, ,Weltanschauungsparteien', wie der Name schon sagt, in funktionierenden Demokratien verpönte Minderheiten sind, sind auch die Grundattribute der existierenden Alternativen wenig mehr als das variierte Versprechen, Staat für alle zu machen - sozialdemokratisch die soziale Frage zu lösen, christdemokratisch die gemeinsamen Ideale zu bewahren und liberaldemokratisch säkularisierter Christenmensch und negativer Sozialdemokrat zu sein. Demokratische Parteien sind Volksparteien, die den einseitigen Interessenausgleich des Staates in ihren eigenen Reihen vorwegnehmen, indem sie durch innerparteiliche Demokratie und sonstigen Zirkus dafür sorgen, daß die Interessen der gesellschaftlichen Gruppen, die nach Einflußnahme auf den Staat streben, sich in der Partei ausklüngeln können und zugleich alle auf die Vertretung der Parteilinie nach außen verpflichtet sind.

Deswegen hat der beständige Kleinkrieg mit großen Idealen mit den praktischen Entscheidungen der Politiker auch wenig zu schaffen. Wenn es um das Regieren Geht, demonstrieren sie noch jedesmal, daß ihre Auseinandersetzungen um die beste Politik in der Erhaltung der besten aller möglichen Welten endet - und in der gibt es keine Alternativen, zumindest nicht für das materielle Interesse der Mehrheit. Regierungswechsel erschüttern die Kontinuität der staatlichen Gewaltmaschinerie nicht, sie dienen ihr; und alle Gegensätze, die beim Geschäft, an die Regierung zu kommen, nicht ausgetragen, aber demonstriert werden und das Herz aufrechter Demokraten höher schlagen lassen, weil seine Staatsform so lebendig ist, verschwinden, wenn keine Partei die Mehrheit gewinnt: große und kleine Koalitionen.

Die praktischen Alternativen aber sind eben die in den früheren SSSS dargestellten - und finden Befürworter und Gegner quer durch die Parteien bzw. je nachdem, wer sie gerade als Regierung zu beschließen und wer als Opposition anzugreifen hat. Daß die Kontinuität der Politik, die sich hierzulande über die immer wieder mühsam aufgepäppelten Differenzen der Parteien vermittelt durchsetzt, auch umstandsloser vonstatten gehen kann, zeigt sich dort, wo sich Volksparteien nicht aus politischen Organisationen gesellschaftlicher Interessengegensätze gebildet haben, sondern von Haus aus gemeinsame Mittel der konkurrierenden Interessengruppen gewesen sind. In den USA ist Politik p r a g m a t i s c h , Parteien sind W a h l k a m p f m a s c h i n e n , Kandidaten Erfolgsmenschen und ihre Konkurrenz die um die überzeugendste Darstellung der nackten Staatsmoral und ihrer eigenen Person.

Die beständige Konkurrenz der Parteien um die Bürgerstimme konstituiert neben der politischen Praxis die Agitation als bleibende Einrichtung des politischen Lebens, in der all die Weisheiten verkündet werden, die in den Ideologiezusätzen die Staatsseite charakterisieren. Was vor der Wahl als Wahlkampf ausgefochten wird, bildet nur einen selbständigen und staatlich finanzierten Teil dessen, was die Parteien täglich an politischer Bildungsarbeit zu leisten haben - dem Staatsinteresse der Bürger ihre Variante von Politik als Material seines Vergleichs zu präsentieren und seinem staatsbürgerlichen Idealismus beständig neue Nahrung zu geben, weil sie sich seiner bedienen wollen. Weil die P a r t e i e n die S t a a t s geschäfte vollziehen u n d als Parteipolitik kritisieren, sind s i e der Gegenstand der Zustimmung, Enttäuschung und Kritik von seiten des Volkes und bereichern dessen Opfer um die Freiheit der Wahl von Alternativen seiner Durchsetzung - die Staatsgewalt aber um die relative Sicherheit, der Kritik entzogen zu sein. Indem die Parteien alles, was im Staat passiert, zum Mittel i h r e r Durchsetzung machen, machen sie sich zum Mittel s e i n e r Erhaltung und werden als solches in der Verfassung gewürdigt - auch wenn ihre Konkurrenz ab und an das ,Vertrauen in den
Staat' erschüttert.

Die Konkretisierung des willentlichen Gewaltverhältnisses, als das der demokratische Staat in SS3 erklärt wurde, ergibt auch nähere Bestimmungen der Spezies von Repräsentanten, die für die Sphäre politischer Entscheidungen zuständig sind. Sie haben nicht nur die Aufgabe, über die Gewaltausübung zu entscheiden, die Ärmsten müssen dies Geschäft auch dem Bürger als seinem Interesse dienend nahebringen und dem politischen Gegner all das vorwerfen, was sie selbst sind und tun. Gewalt und Moral gehören auch bei ihnen zusammen: die eine p r a k t i z i e r e n sie, wenn man sie läßt, die andere d e m o n s t r i e r e n sie, damit man sie läßt. Heuchelei ist ihre Profession und daher auch ihr Charakter, Korruption und Lüge ihre politische Existenznotwendigkeit. Auch sie sind beschränkte Demokraten: das Volk führen sie beständig im Munde, weil es ihnen überall in die Quere kommt. - Kurz, sie sind das getreue Spiegelbild ihrer Opfer!

d)

Durch die Wahl ist die Erledigung der Staatsgeschäfte von den Repräsentanten abhängig, die das Volk mit der Ausübung der Staatsgeschäfte betraut hat. Damit die
gewählten Volksvertreter ihre Entscheidungen über die Kollisionen der bürgerlichen Gesellschaft im Staatsinteresse fällen können, die Wahl also nicht dazu mißbraucht werden kann, von den Repräsentanten Konzessionen gegenüber partikularen Interessen zu erzwingen, sind die Gewählten vom Willen ihrer Wähler unabhängig: indirekte Demokratie (Gewissensfreiheit der Abgeordneten und Nichtverantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Volk). Auf der anderen Seite darf die Erfüllung der Staatsfunktionen, soll sich der Staat erhalten, nicht der Willkür einer unabhängigen Regierung überlassen bleiben. Es muß gewährleistet sein, daß die Erfordernisse der Konkurrenz, um deretwillen die Bürger den Staat brauchen und wollen, den gültigen Maßstab bilden, nach dem sich alle Maßnahmen richten. Die Anerkennung des Bürgerwillens bleibt darin erhalten, daß die Anwendung der Staatsgewalt von der Entscheidung aller gewählten Repräsentanten über die effizienteste Bewältigung der entstehenden Aufgaben abhängig ist: die Exekutive ist den Beschlüssen des Parlaments unterworfen, in dem die Volksvertreter die Prinzipien festlegen, nach denen die anfallenden Kollisionen zu behandeln sind, und sie der Regierung in Gesetzesform zur Ausführung vorschreiben. Die Beratung und Gesetzgebung des Parlaments sorgt dafür, daß die Ansprüche an die Staatsleitung gemäß der Gesamtheit der Staatsleistungen relativiert und ihre (Nicht-) Erfüllung dementsprechend verbindlich festgelegt wird. Die parlamentarischeDemokratie gibt sich damit als eine Regelung der Staatsgewalt zu erkennen, die den Staat als Mittel der nationalen Reichtumsvermehrung erhält, indem sie die Regierungsgewalt verpflichtet, von der rücksichtslosen Erfüllung aktueller Bedürfnisse Abstand zu nehmen, und in Gesetzen die einzelnen Probleme dem staatlichen Gesamtinteresse, das er mit seinen begrenzten finanziellen Mitteln verfolgt, unterordnet: Das Parlament entscheidet nicht nur über alle Maßnahmen des Staates und fixiert ihre Ausführung durch Gesetze, es beschließt auch durch die Bewilligung des jährlichen Staatshaushalts und der staatlichen Kreditvergabe die Verteilung der Mittel für die Ausführung der Gesetze.

Die Arbeit des Parlaments besteht also darin, den sich wandelnden Erfordernissen nach rechtlichen, sozial- und wirtschaftspolitischen Aktivitäten der Regierung durch G e s e t z e nachzukommen, die mit der Verpflichtung des Staates die Rechtmäßigkeit von Ansprüchen an ihn und die Verpflichtung der Bürger gegen ihn allgemeingültig festlegt. Als gesetzgebendeGewalt stößt das Parlament dabei die Gesetze, die für die Bürger unumstößlich sind, beständig um: sie werden ergänzt, geändert, aufgehoben, womit der Gesellschaft das Recht zuteil wird, das sie braucht. Damit gesetzliche Neuregelungen nicht dem in den bestehenden Gesetzen existenten Staatszweck zuwiderlaufen, sind sie dem Gebot der Verfassungsmäßigkeit unterworfen, die durch das Verfassungsgericht festgestellt wird.

Die gesetzlichen Entscheidungen über die beste Regelung der anfallenden Kollisionen werden von den im Parlament versammelten Volksvertretern gemeinsam,
wegen ihrer differierenden Vorstellungen über die beste Staats führung aber mehrheitlich gefällt. Damit der in den verschiedenen Parteien zum Programm erhobene Weg, die Bürger Mores zu lehren, anläßlich einzelner Beschlüsse nicht der Freiheit des Abgeordneten zum Opfer fällt, unterwerfen die Parteien ihre Abgeordneten dem Zwang, der den Wählern verboten ist: Durch den Fraktionszwang und die geschäftsordnungsmäßige Übertragung aller parlamentarischen Initiativen an die zu Fraktionen zusammengeschlossenen Parteien wird der einzelne Abgeordnete zum Erfüllungsgehilfen des Parteiwillens, weswegen neben die Berufung auf die Gewissensfreiheit der Abgeordnete gegenüber dem Wähler die Berufung der Parteien auf den Wählerauftrag gegenüber dem einzelnen Abgeordneten tritt. (Dagegen wird in solchen Ländern, wo die Parteien die in ihnen sich geltendmachenden politischen Ansprüche der diversen Interessengruppen nicht zu einer gemeinsamen politischen Programmatik ausgestaltet haben, wo der einzelne Abgeordnete also als Interessenvertreter bestimmter Gesellschaftsgruppen im Parlament sitzt, die Konkurrenz der Anforderungen an den Staat durch jeweils aktuell sich bildende Mehrheiten von Befürwortern oder Gegnern der jeweiligen Gesetzesvorlage entschieden, also im Parlament selbst ausgetragen.)

Um zu gewährleisten, daß die regierende Partei die Gesetzesbeschlüsse nicht ohne Rücksichtnahme auf die gesellschaftlichen Interessengruppen, auf die der Staat
angewiesen ist, fällt, ist das Gesetzgebungsverfahren zumeist als Zweikammersystem organisiert, wobei die zweite Kammer nur als Instanz moralischer Einflußnahme
durch ein gewisses Beratungs- oder Einspruchsrecht bei Gesetzesbeschlüssen oder aber als Kontrollorgan des Parlaments durch die Instanzen ausgestaltet sein kann,
denen die Ausführung der Gesetze mit zufällt.

Da die Gesetze der Parlamentarier die Erwartungen der Wählermehrheit beständig enttäuschen - sie werden dem Allgemeinwohl geopfert -, dient die Beratung der Gesetze zugleich der Agitation der Bevölkerung für seine Repräsentanten/Alternativen: Öffentlichkeit des Parlaments. Während die für die Festlegung der Gesetzesvorlagen notwendigen juristischen, ökonomischen und politischen Erörterungen den von Sachberatern und Regierungsexperten unterstützten, nach Fraktionsstärke besetzten Ausschüssen zufällt, dienen die öffentlichen Debatten der Demonstration der konkurrierenden im Parlament vertretenen Parteien; sie zeigen, daß sie mit der Beschließung bzw. Ablehnung des jeweiligen Gesetzes das Staatswohl im Auge haben und damit den Wählerauftrag erfüllen. Die Größen der Parteien bewähren sich dabei stellvertretend als gewählte Repräsentanten, indem sie auf der Grundlage der falschen Gleichung von Staats- und Bürgerinteresse sich wechselseitig die Befähigung zur Erledigung der Staatsgeschäfte absprechen, sich die Ideale der staatlichen Gewalt unter die Nase reiben und so im formellen Gewande des Streits über faktisch schon entschiedene Gesetze den Staatsidealismus der Bevölkerung für sich zu vereinnahmen suchen. Anwesenheit der Abgeordneten und Intensität der Plenumsdebatten richten sich daher weniger nach der Wichtigkeit des behandelten Gesetzes für den Staat als nach dem Demonstrationseffekt, den sie erlauben, d.h. danach, wieweit sich an der behandelten Entscheidung Alternativen herausstreichen lassen, weil es im Volk Affinitäten zur einen oder anderen Seite gibt. Neben Haushaltsdebatten, in denen die Funktionstüchtigkeit des Staates am Ensemble seiner Maßnahmen diskutiert wird, firmieren daher Entscheidungen, an denen die nationale Moral der Wähler für Regierung oder Opposition mobilisiert werden kann, oder andere, gerade die Öffentlichkeit bewegende Regelungen (Reform des § 218, Energie) als bevorzugte Gegenstände ausgedehnter, öffentlich verfolgbarer Parlamentssitzungen.

Während die Regierungspartei in diesen Debatten ihre für alle verbindlichen Entscheidungen rechtfertigt, bewährt sich in ihnen die Opposition als konstruktive Kritik der Staatsmaßnahmen im Rahmen des Staates und erfüllt damit ihre demokratische Aufgabe, den sicheren Schaden der Bevölkerungsmehrheit, den sie ihr statt der Regierung antun möchte, der Regierungspartei anzulasten und so die bleibende Unzufriedenheit in Form einer möglichen Regierungsalternative zu repräsentieren.

Gesetzen, die auch ohne ihre Zustimmung zustandekommen, stimmt sie deshalb zu oder lehnt sie ab, je nachdem ob sie sich davon Anklang bei den Wählern verspricht, und nutzt so den Vorteil, nicht regieren zu müssen, dazu aus, die staatsbürgerliche Unzufriedenheit mit der Regierung gehörig zu schüren, um selbst an die Macht zu kommen.

Eigentlicher Angriffspunkt der Bürger und damit der Opposition ist die Regierung, der Exekutivausschuß der Mehrheitspartei, also das Ausführungsorgan der Gesetze. Den Schranken parlamentarischer Beschlüsse unterworfen, setzt sie diese in die Tat um und zeichnet sich gegenüber dem' im Parlament organisierten Streit der Repräsentanten durch die Einheitlichkeit ihrer Handlungen aus (Richtlinienkompetenz, Ministerverantwortlichkeit gegenüber dem Kanzler). Sie bildet die politische Spitze der Verwaltung, modifiziert die bleibenden Staatsaufgaben, die von der verbeamteten Bürokratie kontinuierlich und unbeschadet aller politischen Wechsel erledigt werden, gemäß den jeweiligen politischen Entscheidungen über ihren besten Vollzug und findet am bürokratischen Sachverstand ihren willfährigen Diener ebenso wie ihr Korrektiv. Die verschiedenen verfassungsrechtlichen Formen der Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit von Parlament und Regierung sind dabei nichts weiter als Modi die parlamentarischen Entscheidungen und ihre Ausführung nicht in einen prinzipiellen Widerspruch geraten zu lassen, die Regierung nicht gegen die gemäß seinen Aufgaben und Mitteln in Gesetze verwandelten Kompromisse gesellschaftlicher Anforderungen an den Staat handeln zu lassen und das Parlament nicht gegen die konkreten Erfordernisse der staatlichen Gewaltausübung Gesetze erlassen zu lassen. Je nach den Modi der Abhängigkeit oder Einflußnahme von Parlament und Regierung hat die wechselseitige Korrektur den Charakter friedlicher Zusammenarbeit von Parlamentsmehrheit und Regierung gegen die Opposition oder dauernder Konfrontation der verschiedenen Staatsorgane. Dabei ist verfassungsrechtlich oder praktisch dafür gesorgt, daß die Regierung auf die Gesetzgebung genügend einwirken kann, um die in der Verwaltung des Staates bemerkten Notwendigkeiten gesetzlich fixieren zu lassen. Deswegen steht der Regierung bzw. der Verwaltung auch das Recht zu, im Rahmen der Gesetze die Ausführung selbst rechtsverbindlich zu konkretisieren.

In allen Fällen dient der demokratische Gewalten"teilungs"zirkus, zu dem auch die "Überschneidung" der Gewalten gehört, der Funktionalität der Staatsmaßnahmen für die Kollisionen der Konkurrenzgesellschaft, der Effektivität der von seinen Repräsentanten durchgesetzten Entscheidungen für den Erhalt von Staat und Ökonomie, also der Bewahrung der Zustimmung der von ihnen Betroffenen, die Bedingung und Kriterium des politischen Erfolgs ist.

Deswegen ist das demokratische Staatsinstrumentarium einerseits durch das Verbot der Änderung von Verfassungsgrundsätzen und durch die Erschwerung von Verfassungsänderungen geschützt. Andererseits ist für den Fall des "Staatsnotstands", unter den gleichermaßen Naturkatastrophen, äußere Bedrohung und innerer Aufruhr gegen die Staatsgewalt fallen, für den Fall also, wo die demokratischen Prozeduren und Rücksichtnahmen die Staatsfunktionen gefährden, ihre Fortführung ohne den Umweg der repräsentativen Zustimmung des Volkes und die offene Rücksichtslosigkeit gegen Willen, Person und Leben der Bürger gesetzlich fixiert:

Notstandsgesetze.

Zur Erhaltung der Demokratie bedarf es im Notfall ihrer verfassungsrechtlich sanktionierten Aufhebung.

e)

Wenn die parlamentarische Demokratie die Ausübung der Staatsgewalt mit Hilfe der Zustimmung ihrer Bürger organisiert, dann ist sie Produkt des gesellschaftlichen Bedürfnisses nach einer souveränen Gewalt u n d nach Funktionalität dieser Gewalt für, d.h. Unterwerfung ihrer Entscheidungen unter die Interessen, welche ohne diese Gewalt keinen Bestand haben. Der demokratische Staat konstituierte sich also durch die Korrektur einer Staatsgewalt durch gesellschaftliche Interessen, die sich gegen einen Souverän durchsetzten, der von ihnen abhängig geworden war, ohne ihnen zu dienen. Denn eine Gewalt beugt sich denen, die sie unterwirft, nur dann, wenn sie sich anders nicht mehr erhalten kann; umgekehrt stimmt eine gesellschaftliche Klasse einer ihr übergeordneten Gewalt nur dann zu (statt sie zu beseitigen), wenn sie ihrer bedarf. Das Verdienst. eine demokratische Entwicklung eingeleitet zu haben, kommt also der Bourgeoisie zu; Ihre Vollendung ist das Werk der Arbeiterklasse.

Seine wachsende ökonomische Macht benutzte das Bürgertum dazu, den Souverän am ökonomischen Mißbrauch seiner politischen Macht zu hindern und ihm den rechten Gebrauch seiner Gewalt, die man anerkannte, vorzuschreiben: Steuerbewilligungsrecht durch ein Ständeparlament, in dem sich das Bürgertum mit dem Staat der Grundbesitzer auseinandersetzte. Die ökonomische Kontrolle über die Entscheidungen des Souveräns benützte das Bürgertum als Mittel, dem absoluten Fürsten das Gesetzgebungsrecht aus der Hand zu nehmen und ihn auf die Ausführung der von den Parlamentsvertretern der herrschenden Klassen getroffenen
Entscheidungen zu beschränken oder durch eine gewählte Regierung zu ersetzen: konstitutionelle Monarchie bzw. Republik. Die Indienstnahme der Staatsgewalt durch die besitzenden Klassen erlaubte diesen mit der rücksichtslosen Durchsetzung der großen Industrie eine immer größere Zahl von Lohnarbeitern zu schaffen, die von ihrer Lohnarbeit nicht leben konnten und mit jeder Anstrengung, ihre Existenz zu sichern, in Gegensatz zur Staatsgewalt gerieten. So machten die staatsgefährdenden Bemühungen der Proleten um ihre Existenz als Lohnarbeiter dem Staat klar daß er ohne die Berücksichtigung dieses sich ständig vergrößernden Standes, also ohne die Aufhebung der Rechtlosigkeit der Arbeiterklasse, keinen dauerhaften Bestand haben konnte. Umgekehrt bemerkten die Arbeiter an den Reaktionen des Staates, daß sie ihn als Mittel im Kampf gegen ihre Ausbeuter gebrauchen mußten: die Durchsetzung ihrer materiellen Interessen war gleichbedeutend mit ihrer Durchsetzung im Staat, erforderte die Veränderung der öffentlichen Gewalt, die sich als Instrument der Kapitalisten ohne Rücksicht auf die Erhaltung ihres Ausbeutungsmaterials betätigte. Der Kampf um das allgemeine Wahlrecht, die Durchsetzung der Demokratie w a r also Klassenkampf, freilich nicht
in der ersten Demokratie, in Amerika.

f)

l. Die demokratische Organisation der Staatsgewalt verdankt sich der Abhängigkeit ihres Erfolgs von der Zustimmung ihrer Bürger und institutionalisiert sie als Grundlage der politischen Maßnahmen gegen sie. Der darin enthaltene Widerspruch, der sich in der beständigen Gefährdung des staatsbürgerlichen Vertrauens in den Nutzen seines Staates niederschlägt, ist dem Staat ein Problem - nicht hinsichtlich seiner E x i s t e n z , die er auch ohne Zustimmung zu erhalten gewillt ist, wohl aber hinsichtlich seines d e m o k r a t i s c h e n Fortbestandes. Die unvermeidliche Kritik an seinem Tun stellt für den Staat die Drohung dar, d e r Grundlage verlustig zu gehen, die beständig offene Gewaltausübung überflüssig macht und daher seine Durchsetzung am effektivsten sichert. Die Wissenschaft der Politologie widmet sich daher der bürgerlichen Unzufriedenheit, um ihre demokratische Praktizierung durch das entsprechende Demokratielob zu befördern. Als solche ist sie die d e m o k r a t i s c h e W i s s e n s c h a f t par excellence und daher auch a n t i k r i t i s c h : Sie bespricht alle Momente des institutionalisierten Gegensatzes von Staat und Bürger als Willensverhältnis, d.h. unter dem Aspekt, inwieweit sie die Staatsgewalt durch die Zustimmung der ihr Unterworfenen festigen, und bekämpft durch die propagandistische Darstellung staatlicher Institutionen und Ideale jede Unmutsäußerung gegenüber dem Staat unabhängig von ihrem konkreten Inhalt.

In der demokratischen I n s t i t u t i o n e n l e h r e werden die Wahlsysteme nach den Kriterien Wahlgerechtigkeit contra Regierungsfähigkeit verglichen, die Parteien als vermittelnde Instanz zwischen Bürgerinteresse und Staatsgewalt begrüßt, Zwei- und Mehrparteiensysteme, Volks- und Weltanschauungsparteien nach den Gesichtspunkten Einheitlichkeit der Staatsführung, Wahlalternativen, Interessenartikulation = innerparteiliche Demokratie abgewogen, die repräsentative Demokratie gegen Vorstellungen direkter Einflußnahme des Volkes auf die Staatsentscheidungen verteidigt und die Funktionalität der Gewaltenteilungsmodi und ihrer notwendigen Grenzen für den Machtgebrauch im Sinne der Bürger gepriesen.

Das Eingeständnis der Gewalt der Staatsverhältnisse und des Unterwerfungscharakters der bürgerlichen Willenskundgabe wird mit dem Hinweis auf den rechtsstaatlichen, nicht willkürlichen Charakter dieser Gewalt verlängert und im Lob der demokratischen Grundsätze von Freiheit, die durch ihre staatliche Beschränkung verwirklicht wird, und politischer und rechtlicher Gleichheit, die keine soziale sein darf, zum reinen Staatsidealismus verklärt, dessen Grundlage in der Konkurrenz in den legitimatorischen Sprüchen über die Notwendigkeit des Staates zur Bändigung und Erfüllung der Menschennatur aufscheint. Der Blick in die Vergangenheit der Staaten- und ' p o l i t i s c h I d e e n welt' dient mit den entsprechenden Vergewaltigungen früherer, keineswegs politologischer Denker als Beleg, daß die heutige Demokratie alle Menschen - sprich Staatsbürgersehnsüchte verwirklicht hat, und enthebt mit seinen Tautologien den Politologen der Antwort auf die Frage nach dem Nutzen von Freiheit und Gleichheit.
(Die i n t e r n a t i o n a l e P o l i t i k ergänzt die Verwandlung der Staatsgewalt in eine gemütliche Bürgersache durch die Proklamation der nützlichen Gewalt nach außen und benutzt den Staatsidealismus der Bürger zur Relativierung seiner demokratischen Ideale, bzw. als Grundlage des Lobs, wieweit wir es gebracht haben).

Das regelmäßige Resultat dieser wissenschaftlichen Anstrengungen, daß die Labilität der Demokratie die Stärke der besten aller schlechten Staatsformen ist, der Staat also als Gewalt am besten funktioniert, wenn er nicht beständig den Bürgern seinen Willen erst aufzwingen muß, beweist die Politologie durch die vierte Abteilung ihres wissenschaftlichen Treibens: den - in der Totalitarismusforschung zum selbständigen Zweig ausgebauten - Pseudovergleich zwischen Demokratie und Diktatur, deren Notwendigkeit im Falle einer e r n s t h a f t e n ,Krise der Demokratie damit eingestanden und bedauert wird. In der Abwägung der diversen Vor- und Nachteile von Diktatur und Demokratie, der stets zugunsten letzterer ausfällt, wird die Demokratie als Mittel der Verhinderung der Diktatur besprochen, ihr damit das unvermeidliche Armutszeugnis ausgestellt (das sich hierzulande in das Lob kleidet, daß die BRD es bisher im Unterschied zu Weimar geschafft hat, die Demokratie ohne Faschismus zu retten, und die DDR beständig beschämt). Das gibt den Übergang zur Beschwörung der notwendigen Grenzen der Demokratie und zum direkten Angriff auf die bürgerliche "Staatsverdrossenheit" ab. Schuld an der Gefährdung der Demokratie sind ihre Kritiker, die den Bürger immer noch freier und gleicher, die Demokratie immer direkter und zum Prinzip des gesamten gesellschaftlichen Lebens machen wollen (ein Vorwurf, dem die Kritiker normalerweise recht geben): D e m o k r a t i s i e r u n g s d e b a t t e.
Das eigentliche Problem der Demokratie aber ist der Bürger als solcher, der sich zu wenig, zu viel, zu unsachverständig an ihr beteiligt, zu wenig demokratische Bildung besitzt und seinen Egoismus nicht staatstreu relativieren will, weil ihm die Mündigkeit fehlt.

Mit dem Eingeständnis, daß sie nur ein Problem quält, die willentliche Unterstützung der Staatsgewalt, löst sich die Politologie in die offene Propaganda der Staatsgewalt g e g e n die Bürger auf und kann als solche ihre Nützlichkeit für die staatsbürgerliche Zurichtung im Deutsch-, Geschichts-, Heimatkunde- und Sozialkundeunterricht beweisen. Da sie sich aber die bleibende Kritik am Staat als ihren eigenen Mißerfolg ankreidet, hat sie sich inzwischen um die e m p i r i s c h e Abteilung erweitert, die durch Wahlanalysen usw. dem Staat praktische Hilfestellung bei der Beurteilung bzw. Verbesserung seiner Bestandsaussichten geben will, ferner eine k r i t i s c h e Politologie hervorgebracht, die - wie immer in schöpferischer Abwandlung amerikanischer Vorschläge, den Bürger mehr für den Staat zu interessieren - mit der Soziologisierung aller politologischen Probleme dem Staat empfiehlt, durch mehr Zufriedenheit unter seinen
Bürgern seine Legitimität zu erhalten; schließlich fehlen auch nicht die in allen Wissenschaften üblichen m e t h o d o l o g i s c h e n Verrenkungen, die das Scheitern in Form wissenschaftlicher Vorschriften für eine nützliche Politologie besprechen und auch Marx zu einem Gehilfen für diese degradieren.

2. Da es das parlamentarische Hin und Her nur gibt, wenn die Bürger ihr Interesse am Staat soweit entwickelt haben, daß sie wählen gehen, also auch der Dialektik von Erwartung und Enttäuschung regelmäßig Pflege angedeihen lassen, stellen sie mit ihrer Enttäuschung auch nicht ihre Erwartungen infrage, sondern widmen sich der intensiven Suche nach den Mängeln in den demokratischen P r o z e d u r e n , denen sie die Nichterfüllung ihrer Erwartungen zur Last legen können. Am procedere der Demokratie bewähren sich die kritischen Staatsbürger in ihrer armseligen Unterwürfigkeit - ihr vernachlässigtes Interesse bemäkeln sie als politologische Amateure, die ihre nicht vorhandene Aufmüpfigkeit durch die Anerkennung der professionellen Agitatoren die sie in die Schranken weisen, nur allzu bereitwillig eingestehen. Die Politiker sind ihnen Gegenstand persönlicher Sym- oder Antipathie, ihre Propaganda z u unsachlich, zu wenig auf ihre Interessen bezogen, zu elitär, eine Stilfrage. Die Tätigkeit der Parteien im Parlament ist ihnen nicht verständlich genug, zu wenig transparent, läßt zu wenig Alternativen erkennen und erschüttert ihr Vertrauen in die Würde des hohen Hauses. Auf der einen Seite vermissen sie die echte Konkurrenz zwischen den Volksvertretungsvereinen, auf der andern fürchten sie sie. Im Wahlkampf fühlt sich der Demokrat wohl, weil er das, was von seiner Stimme abhängt, überschätzt; Unwohlsein bereitet ihm die Agitation, die ihn in den von der großen Politik getrennten privaten Geschäften stört und ihn, statt seinen individuellen Interessen und Ansprüchen an den Staat konkrete Entscheidungshilfen zu liefern, mit Grundwertedebatten bombardiert. Manche bedauern die Entgleisungen des Wahlkampfs, die eigentlich dem ernsten Geschäft der Politik fremd sind, und sind deshalb froh, wenn endlich wieder normal regiert wird. Die Kritik an der Agitation einschließlich ihrer Fortsetzung in der Gewaltausübung nimmt bei den konsequent enttäuschten Demokraten die Form resignativ-schlauer Verharmlosung des ,Schwindels' an, bei dem sie nicht mitspielen, so daß die Enttäuschung als Täuschung sinnfällig wird. Der aufrechte Demokrat bemäkelt dagegen immer erst nach der Wahl, daß sich die Regierung nun aber endgültig unglaubwürdig macht, was ihn bisweilen zur Teilnahme an den Debatten bewegt, wie das Verhältnis des Volkes zu seinen Repräsentanten enger gestaltet werden könne.

Es ist also nicht überflüssig, den demokratischen Zirkus ausführlich zu kritisieren, obwohl noch jeder Bürger ihn in- und auswendig kennt, so gut wie kein gutes Haar
an ihm läßt und von den Medien ganz und gar nicht manipuliert, sondern laufend mit den brutalen Berechnungen und Techniken seiner Repräsentanten bezüglich der
Stimmenfängerei konfrontiert wird. Zwar handelt es sich bei den vielgepriesenen demokratischen Prozeduren um alles andere als den Betrug an den fortschrittlichen
Hoffnungen des Volkes; aber die Kenntnis des demokratischen Getriebes und des Charakters seiner politischen Agenten, die Unzufriedenheit über die periodischen
Bemühungen um sein politisches Bekenntnis hindern den Bürger nicht daran, es periodisch abzulegen. Die Moral seines allmächtigen Staatsbürgerverstandes besteht
nämlich nicht darin, sich Illusionen über die Rücksichtslosigkeit des politischen Geschäfts zu machen, sondern an sie Erwartungen zu knüpfen, also mit ihr zu r e c h n e n . Zu dieser Rechnung gehört das Bewußtsein, daß es beim Kampf um die Macht zugeht wie im Leben, mit dem kleinen Unterschied, daß hier die Inhaber der Macht am Werk sind und er ihr Hilfsmittel ist. Deswegen paart sich auf diesem Feld die staatsbürgerliche Kritik ohne Umschweife mit dem umstandslosen Verständnis für die Notwendigkeiten und Zwänge des politischen Geschäfts, und die kritischen Stimmen zur Wahl sind weder mehr als eine Pflichtübung in Sachen idealer Demokratie, noch wollen sie mehr sein.

Auch die revisionistische bzw. faschistische Kritik bildet keine Ausnahme von dieser allgemein bekannten demokratischen Heuchelei - nur ist sie weniger anerkannt.

Für die R e v i s i o n i s t e n ist die Volksvertretung keine wahre, weil nicht unabhängig von den Interessen und Einflüssen der mächtigen Monopole und ihrer Verbände (Stamokap), dafür aber zu wenig abhängig von den Interessen der Mehrheit des Volkes, der sie schaden, was das imperative Mandat als Alternative einer wirklichen Demokratie wünschenswert erscheinen läßt nebst Wahl aller Beamten durch das Volk. Wahlen sind wegen ihres zweifelhaften Nutzens für die Wählermehrheit ein Betrug, es sei denn man wählt die wahre Alternative, die revisionistische Partei, die sich schon durch die Klassenherkunft ihrer Kandidaten gegenüber den abgenutzten Lakaien der Herrschenden auszeichnet. Einmal an die Macht gekommen, schaffen sie deshalb auch die Demokratie im Namen der Demokratie ab. Für die verstaatlichte Ausbeutung sind Wahlen zwar nicht mehr Mittel der Zustimmung und Repräsentation, aber dennoch nicht ganz unbrauchbar:
demokratische Prozeduren als erzwungene Akklamation.

Als einzige Alternative zu den verbrauchten bürgerlichen Parteien preisen sich auch die F a s c h i s t e n an. Sie haben jedoch die Schwächung des Staates im Auge, die sie im Konkurrenzkampf der Parteien, im Opportunismus der Repräsentanten und in der Orientierung der Politiker an den Launen der Bürger, die mehr an sich als an den Staat denken, entdecken. Die demokratischen Parteien und ihre Führer sowie die parlamentarischen Prozeduren halten sie für eine einzige Gefährdung des Staats, der Einheit des Volkes, des Bestands der Nation. Die Notwendigkeit des Staats spielen sie konsequent gegen ihren Grund, die Konkurrenzinteressen und ihre Äußerungen im politischen Getriebe, aus; alle Verlautbarungen des Bürgerwillens, welche die Bedingungen zum Vorschein kommen lassen, unter denen er ein Wille zum Staat ist, gelten dem Faschisten als Element des Kommunismus. Seine Ideale sind Saubermann und Opfermut, ihre Praktizierung rettet das Volk; Demokraten sind Staatsfeinde. Wenn es Faschisten gelingt, mit Hilfe der Mehrheit der enttäuschten Staatsbürger die Macht zu ergreifen, präsentieren sie dem Volk die Inkarnation seines einheitlichen, weil von seinen Interessen absehenden Willens. Der Führer läßt sich ebenfalls akklamieren, allerdings nicht als Vollstrecker von Interessen - er ist das personifizierte Ideal, die Nation. Das unterstellt freilich, daß der Materialismus aus der Politik verschwunden ist, weswegen nicht nur Juden in den KZs verschwanden.

§ 10

Bürgerliche Öffentlichkeit - Meinungspluralismus - Toleranz

Da der Staat periodisch von seinen Bürgern die Entscheidung verlangt, auf die Führung der Staatsgeschäfte keinen Einfluß nehmen zu wollen, dafür aber die Konsequenzen dieser Geschäfte widerstandslos zu ertragen, ist sein demokratisches Funktionieren davon abhängig, daß die Enttäuschung der regierten Bürger als positive Grundlage, als Willen zum demokratischen Staat, erhalten bleibt. Dem unausbleiblichen Vergleich zwischen Erwartungen an den Staat und seinen Leistungen bricht er dadurch die Spitze ab, daß er die Artikulation jedes gesellschaftlichen Interesses zuläßt, um die gegensätzlichen Ansprüche der Bürger an ihn sich relativieren zu lassen und als nicht gleichzeitig realisierbar abzuweisen. Das Interesse des Bürgers wird zur Meinung, weil ihm der Staat durch die Konfrontation mit den konkurrierenden Interessen anderer die P a r t i k u l a r i t ä t seines Standpunkts zur Last legt und nur noch den Wunsch, aber nicht seine Berechtigung anerkennt.
Er begrüßt den besagten Vergleich als t h e o r e t i s c h e n , um an ihm seine Ideologie des Interessenausgleichs in die Propaganda der Toleranz und des Meinungspluralismus zu verlängern.

Die Praktizierung dieser Ideale erreicht er, indem er die für die Information seiner Bürger notwendigen Institutionen darauf festlegt, daß sie alle zur Sprache gebrachten Interessen im Hinblick aufs Allgemeinwohl relativieren. Er verpflichtet diejenigen, die das Interesse an Information und Kritik zu ihrem Beruf gemacht haben, auf die Verwandlung sämtlicher Staatsaktionen in mehr oder weniger gelungene Wohltaten fürs Volk - und auf die Umdeutung aller Opfer in alternative Staatsprogramme. Zusätzlich schaltet er sich selbst als Agitator in seine Öffentlichkeit ein, wobei er sich mit gewissen Sonderrechten ausstattet, oder nimmt sie als öffentlich-rechtliche Anstalten unmittelbar in seine Pflicht.

Das Prinzip der bürgerlichen Öffentlichkeit, die der demokratische Staat mit einigem Aufwand institutionalisiert und benutzt, besteht also darin, daß die Opfer der Staatsgewalt ihre Interessen auf Meinungen herunterbringen lassen, dieselben von ihrem Handeln trennen und in der Gegenüberstellung beider die Wahrheit ihrer Bedürfnisse zugunsten von Staatsillusionen aufgeben, um den Trost zu genießen, daß wenigstens ihre falschen Gedanken frei sind.



a)

Die gar nicht geringe Leistung, die der demokratische Staat der Mehrheit seines Volkes abverlangt, erschöpft sich also nicht darin, daß es sich als Material der Ausbeutung dienstbar macht. Es soll sich darüber hinaus positiv um die Ausgestaltung der Gewalt kümmern, die seiner Ausbeutung den würdigen Rahmen verleiht, den sie nicht entbehren kann. Die Demokratie begnügt sich nicht mit der schlichten Unterordnung des Willens unter die Staatsgewalt, sie erinnert ihn ständig daran, daß diese Unterordnung s e i n e e i g e n e Selbstaufgabe zu sein hat. Diejenigen Bürger, die den Staat w o l l e n m ü s s e n und beständig e n t t ä u s c h t werden in ihrem erzwungenen Kalkül, daß sie dem Staat, den sie brauchen, auch g e brauchen können, erfreuen sich der besonderen Pflege ihrer Enttäuschung: die Unzufriedenheit wird zu ihrem Recht, der Mißerfolg zum Bestandteil des freien Willens. Er gilt trotz staatlich verordneten Beschränkungen, indem er die o b j e k t i v e n Hindernisse seiner Betätigung zu s e i n e r ureigensten Q u a l i t ä t erhebt. "Schlaf ein, mein Liebling, alles was man will, das kann man nicht haben!"

Der Staat benützt den Anspruch seiner gebeutelten Untertanen an sich so, daß er das Einverständnis mit seiner E x i s t e n z , welches im Anspruch liegt, gegen die U n z u f r i e d e n h e i t mit seiner Verwaltung des Allgemeinwohls kehrt und die Erwartung mit der Faktizität seiner Entscheidungen widerlegt.
Er blamiert alle unerfüllten Wünsche mit seiner Realität, wobei er nicht versäumt, seine eindeutigen Zielsetzungen wieder und wieder in Ohnmacht gegenüber den ganz verständlichen Anliegen zu übersetzen - und verlangt von denen, die ja als Bü rger zu ihm kommen, daß sie ihren freien Willen behalten: als r e l a t i v i e r t e r
i s t e r g e r e t t e t !



b)

Der sich selbst relativierende freie Wille zeichnet den Staatsbürger aus, der trotz aller Enttäuschungen durch seinen Staat einer bleiben will. Sein Interesse hat er nicht einfach aufgegeben, sondern sich zu einer t h e o r e t i s c h e S t e l l u n g zu ihm durchgearbeitet: die Anliegen, die er hat, will er nicht realisieren, er möchte, daß sie im Rahmen der demokratischen Ordnung und ihrer Notwendigkeiten r e a l i s i e r b a r sind. Die Antizipation der negativen Bescheide von seiten der Staatsgewalt sowie der resignativen Hinnahme desselben verwandelt nicht nur seinen Willen in einen nicht praktizierten, also theoretischen, so daß in der bürgerlichen Gesellschaft noch jedem Blödmann die Gleichsetzung von "theoretisch" und "nicht möglich" eine ausgemachte Sache scheint - auch die G e w i ß h e i t s e i n e s B e d ü r f n i s s e s , sein Bewußtsein von dem, was er nötig hat, wird ein n u r b e d i n g t g ü l t i g e s : der Bürger hat eine Meinung von dem, was ihm von Staats wegen zusteht. Wenn er es in seinen Äußerungen nicht schafft, alles über seine Interessen Gesagte mit den Insignien der Relativierung zu versehen, werden ihn seine Mitmenschen zurechtweisen, daß er n u r s e i n e Meinung vertrete. Nimmt man die Form des Argumentierens ernst, dann besteht das Hin und Her in der bürgerlichen Öffentlichkeit nur in e i n e m Argument, nämlich dem, daß keine Meinung etwas gilt, da ( ! ) es auch noch andere gibt. Der Staat spielt in diesem Getue die erste Geige; er relativiert alle Meinungen und demonstriert, weshalb seine eigene immer gilt: er hat die M a c h t , allen zu beweisen, daß ihr o b j e k t i v e s I n t e r e s s e darin besteht, daß sie von ihrem "bloß" subjektiven Bedarf Abstand nehmen.

c)

Die Toleranz ist das vom Staat gegen alle verkündete Ideal der Gewalt, an der jedem etwas liegt - negativ zu den anderen. Während in den wohlbehüteten Sphären bürgerlicher Öffentlichkeit der Staat für den Meinungspluralismus zu sorgen weiß, Polemik also ausgestorben ist und nur dem Schein nach als Streit um die Frage "Wer ist der bessere Demokrat?" u.ä. vorkommt, merken die Leute unter Umständen, in denen der Staat nicht präsent ist, sehr schnell, daß sie keine M e i n u n g s verschiedenheiten haben - im trauten Kreise von Familie und Wirtshaus ist die Kundgabe eines Interesses noch immer der Auftakt für Schlägereien.

An ihnen kann man sehen, was der Staat mit der Meinungsfreiheit kodifiziert: das Verbot, Interessengegensätze anders zu behandeln als in der Form von differierenden Ansichten. Meinungen müssen v o r g e b r a c h t werden können um welche zu b l e i b e n . Die Gefahr, daß seine Bürger Meinungsäußerungen als Argumente ernstnehmen und gegen den Staat gerichtete Meinungen zum Anlaß nehmen, etwas gegen ihn zu unternehmen, bringt noch jeden demokratischen Staat zu der Überlegung, wo die Freiheit der Meinungsäußerung und die Pressefreiheit ihre Grenze haben muß (GG Art. 18), eine Überlegung, die bei uns durch § 88a und andere fortgesetzt ist. Aus gegebenem Anlaß wird es sich also keine Demokratie nehmen lassen, v o n s i c h a u s Meinung mit Willen gleichzusetzen, und sie handelt sich von seiten der Demokraten sicherlich in all diesen Fällen die Kritik ein, dergleichen störe die Botmäßigkeit der Bürger empfindlich - womit sie das Geheimnis der demokratischen Öffentlichkeit aussprechen.

d )

Dem demokratischen Staat gilt die freie Meinungsäußerung als etwas Positives, weil sie seine Bürger p o l i t i s i e r t :
die Presseorgane und Medien nehmen eine ö f f e n t l i c h e A u f g a b e wahr, wenn sie an den Bürgern die Gewohnheit ausbilden, die Korrektur ihres Materialismus durch die Unterwerfung unter den Staat an sich selbst vorzunehmen, so daß sie schon als Staatsidealisten zu streiten anfangen. Weil jedoch auch staatsbürgerliche Interessen den ihnen zugrundeliegenden Gegensatz nicht zum Verschwinden bringen, spielt sich zwischen professionellen Verfechtern von Sonderinteressen nicht nur das wechselseitige Bestreiten ihrer Anliegen an den Staat ab: es verallgemeinert sich auch die K r i t i k a n R e g i e r u n g u n d P a r l a m e n t , zu der die Herren Journalisten noch von jedem Standpunkt aus gelangen. Gerade die Verwandlung jedes nicht berücksichtigten Bedürfnisses in eine Unterlassung der Herren von der Politik bringt diese in Gegensatz zu den Agitatoren des Staats. Deshalb spielt sich die Konkurrenz der Parteien außer in i h r e n Organen vor allem als Kampf um die Möglichkeit der Selbstdarstellung, als Medienpolitik ab, die besonders in den öffentlich-rechtlichen Anstalten in Streitereien um Sendeminuten und dergleichen ausartet. Auf der Basis des gemeinsamen Interesses am Staat suchen Journalisten Politiker auf und laden Politiker Joumalisten ein, um sich wechselseitig die Meinung zu sagen - und diese langweilige Praxis wird regelmäßig durch einstweilige Verfügungen, Beleidungsklagen und Schadenersatzprozesse mit hohem Streitwert (es geht um die Ehre!) unterbrochen. Und weil manchmal schon die Verbreitung eines Sachverhalts so gut wie eine interessierte Interpretation politischer Untaten das Ansehen eines Staatsmannes ramponiert, das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat erschüttert oder gar dem äußeren Feind die Spionage zu billig macht, erscheint manchem Politiker die freie Presse als eine staatszersetzende Mafia, was umgekehrt dazu führt, daß Journalisten jeden Staat und seine Vertreter daran messen wieviel sie für die Pressefreiheit übrig haben.
Vor einiger Zeit galt die höchste Sorge eines solchen Schreibers mitten im "vom Krieg" zerstörten SO-Asien seiner Schreibmaschine !

Die Auseinandersetzungen zwischen Politik und Journalismus beruhen auf ihrem gemeinsamen Anliegen, auf Kosten der unzufriedenen Bürger die H a r m o n i e zwischen Staat und Bürger herzustellen. Die Politiker sähen es am liebsten, wenn sich ihre Propagandatrupps bei ihnen selbst auf die Beweihräucherung ihrer Verantwortung, ihres schweren Amtes, des Dilemmas, der schmalen Grate zwischen allem und jedem, ihrer Energie, des Sachverstandes, der Leidenschaft, der Sachlichkeit, der Integrität etc. etc. beschränkten, kurz: sie möchten dafür gelobt werden, d a ß sie Staatsmänner sind und die undankbare Aufgabe übernommen haben, die so vielen Ansprüchen gegenüber bekannte Ohnmacht des Staates auf ihre Schultern zu laden. Dem agitierten Publikum gegenüber vermissen sie die Reduktion der Staatspropaganda auf moralische Ermahnungen und die Belehrung über die Pflichten des Staatsbürgers. Obgleich die Journalisten all das tun, was ihre öffentliche Aufgabe ist (in schweren Stunden pflegen sie einhellig die freie Meinung des Bundespressesprechers wiederzukäuen!), können sie nicht umhin, den Grund ihres Berufes: den Gegensatz zwischen Staat und der Mehrzahl seiner Bürger, zu erwähnen, und zwar so, wie sich das für jemanden gehört, der sich um den effektivsten Staat bemüht. Sie tadeln nämlich ihre Adressaten immer und die Staatsmänner nur dafür, daß sie ihr Zeug nicht geschickt genug, nicht rechtzeitig, nicht im richtigen Stil usw. machen, daß also die Unannehmlichkeiten, die sie den Bürgern bereiten, auf Kosten von deren Vertrauen in den Staat gehen. Sie beherrschen alle von §§ 1 bis §§ 9 erwähnten Formen der staatstreuen Kritik und ergreifen innerhalb der darin angelegten Alternativen Partei für eine Parteilinie, die sie - ob diese sich nun in der "Regierungsverantwortung" oder in der Opposition befindet - in ihren Vor- und Nachteilserwägungen vom Standpunkt des Staats dann eben hochleben lassen. Ihr Bezug auf die Parteienkonkurrenz erscheint so als Quelle für die Unzufriedenheit von Politikern mit den Elaboraten ihrer Agitatoren, die sie deshalb so gerne durch eigenes Auftreten in den Medien ergänzen (man läßt sich zitieren) oder ersetzen (Parlamentsdebatten in Funk und Fernsehen, Wahlkampf) -
wenn sie nicht der freien Presse insgesamt skeptisch gegenüberstehen.

Das ungemein lebhafte Hickhack zwischen den berufenen Repräsentanten der Öffentlichkeit und denen, die sie brauchen, ist also nicht zufällig ein immerzu breitgetretenes Thema der Zeitungen und Funkanstalten. Die methodischen Diskussionen über das eigene Handwerk gehört zu diesem, weil es beständig sein Scheitern befürchten muß: die Information, das was den Leuten verkauft wird, ist zwar stets die demokratisch zugerichtete Interpretation der Opfer, die die letzten Staatsmaßnahmen fordern - a l s A b s t r a k t i o n von den materiellen Interessen der Mehrheit hat sie aber den agitatorischen Mangel, das stets e r w ä h n e n zu müssen, worauf es ihr n i c h t a n k o m m t . Nicht, daß demokratische Journalisten deshalb die Revolution befürchten - solange sie vor der Radikalisierung
des Pöbels anläßlich ungeschickter politischer Entscheidungen warnen, ist die Gefahr nicht groß - sie stehen vor einem ganz anderen Problem. Ihre Kommentare zum Für und Wider politischer Alternativen finden nicht genug Anklang bei den Geschädigten, die andere Sorgen haben, als die Abstraktion von ihren Bedürfnissen zum politischen Engagement werden zu lassen. Bereitschaft zum Gehorsam, auch zur Wahl eines kernigen Burschen zum Regierungsoberhaupt ist noch nicht dasselbe wie die hingebungsvolle Beschäftigung mit den Finessen demokratischer Effizienz. Aber auch dem wird in der bürgerlichen Öffentlichkeit Rechnung getragen. Schließlich ist der "einfache Mann" deswegen, weil er nicht so tut, als wäre Politik oder die Werbung für sie sein Beruf, noch lange kein u n p o l i t i s c h e r Mensch. Er heißt ja deswegen einfach, weil er sich alle Accessoires des Durchkommens in seiner Scheiße angeeignet hat, und zwar ohne alle Schnörkel. Er kann sehr wohl unterscheiden, wann er den Hut in der Hand zu halten hat und wann er sich von einem dahergelaufenen Messerstecher nichts sagen lassen darf; er kennt die Anlässe, in denen er sich als deutscher Arbeiter zu behaupten hat, und auch die Situationen, in denen er mit dem Schnaps prahlen muß, den ihm ein Studierter bezahlt hat.
Wer sich so benimmt, bedarf gar nicht der komplizierten Agitation der SZ und der politischen Magazine. Sein Gemüt i s t politisiert, so daß es bestätigt werden kann - jede Störung würde Schaden anrichten. Diesen Grundsatz beherzigt die Abteilung "Massenbetreuung" der bürgerlichen Öffentlichkeitsarbeit - sie ist ihrer Natur nach f a s c h i s t i s c h , weil sie jede Regung d e m o k r a t i s c h e r Ideale auf ihren staatspolitischen Kern, auf die N o t w e n d i g k e i t staatlicher Ordnung überhaupt, reduziert. Hier wird nie über die Problematik eines Verfahrens gehandelt, das Politiker einschlagen, nie über das Verhältnis eines neuen Gesetzes zum Sozial- oder Rechtsstaat (es sei denn, die "ex-DDR" oder andere Satelliten sind das Thema), und Flügelkämpfe in den Parteien sind entweder Zeichen der Gesundheit oder des Kommunismus - nichts dazwischen. Es regieren der gesunde Menschenverstand und der gute Geschmack, der Gelegenheit bekommt, sich zu entlarven, denn dem faschistischen Gerechtigkeitswahn ist gerade die Unterhaltung eine Gelegenheit, den öffentlichen Auftrag der Meinungsbildung zu erfüllen:

l.
Wenn die Massen p o s i t i v zur staatlichen Gewalt stehen und zugleich unzufrie den mit der praktizierten Politik sind, dann liegen sie richtig. Die Aufgabe der Massenblätter besteht darin, ihnen die Schuldigen zu nennen. Sowohl innerhalb der Politik treiben sich Leute herum, die nur den Schaden des Ganzen wollen (also Kredite verschenken, sich mit Kommunisten einlassen, den Haushalt in Unordnung bringen, den Gewerkschaften Zucker in den Arsch blasen, Verbrecher mit Stipendien versorgen etc.), als auch in den verschiedensten Winkeln der Gesellschaft. Die Entlarvung dieses Gesindels fordert geradezu den Trost heraus, den wertvolle Bürger verkörpern - die es eben auch überall gibt. Die Moral dieser politischen Berichterstattung läuft darauf hinaus, daß jeder anständige Bürger noch anständiger bleibt, mit dem Staat zufriedener und seinen Schädlingen und Schmarotzern gegenüber unversöhnlich.

2. Zur Pflege dieser Staatsbürgermoral gehört die ausführliche Kenntnisnahme von Verbrechen aller Art, die jedermann beweisen, wieviel Schwierigkeiten der Staat bei der Zähmung von Unmenschen hat, die den guten Bürger bedrohen, wieviel Unterstützung er dabei verdient. Dieser Beweis und der andere, daß sich Verbrechen
nicht lohnen, reichen jedoch dem nicht aus, der den Gerechtigkeitssinn seiner Adressaten schärfen will - daß man mit bestimmten Verhaltensweisen Verbrechen gegen sich herausfordert, muß ebenfalls gesagt werden: Differenzierungen hinsichtlich der Verständlichkeit der Motive; Opfer, denen es recht geschieht, neben völlig Unschuldigen.

3. So kann eine Ehegattin nicht mit Verständnis rechnen, wenn sie wegen dauernder Fremdgeherei von ihrem Mann, der eine Zahnarztpraxis hat und bei allen Patienten sehr beliebt ist, erstochen wird. Weil der Frust des Familienlebens allzuviele auf krumme Gedanken bringt, ist die Liebe auch außerhalb von Justizhämmern eine wichtige Sache - das Thema rückt wegen der staatlichen Gebote mit ihrer demolierenden Wirkung auf einigen Seiten der Boulevardzeitungen ganz in den Mittelpunkt des Lebens. Nackte Weiber inklusive Tips für den Umgang mit dem Hänger daheim.

4. Daß die Massenkultur eine Anstalt der Moral ist, deshalb die Dialektik von Liebe und Heimat, Verbrechen und Hula Hula ausschöpft, ist aus § 5 bekannt. Die Herren Kulturproduzenten brauchen nichts davon zu wissen, wie sehr sie sich dem Begriff des Staates verdanken. Sie müssen sich nur an den Geschmack des Publikums, also an ihren eignen anlehnen - und schon haben sie die Ideale der bürgerlichen Welt bebildert, samt der ihnen einbeschriebenen Enttäuschungen. Daß die diesbezüglichen Kunstwerke keine mehr sind, obgleich sie denselben Inhalt haben wie die große bürgerliche Kunst, zeigt nur, daß Schönheit ohne Wahrheit nicht zu machen ist.

5. Gemeinsam ist den beiden Ebenen politischer und kultureller Agitation, daß sie die Affirmation allen Ü b e l s und aller O p f e r darstellen, die sie zum Gegenstand haben. So deckt sich das Interesse dieser Leute mit dem Grund ihrer Existenz; ihre moralische Agitation begrüßt den Schaden, dessen Hinnahme sie bewirkt; sie sind Virtuosen in der Anwendung des soziologischen und psychologischen Denkens.

e)

Wenn das Prinzip der bürgerlichen Öffentlichkeit darin besteht, daß bei allen Kontroversen zwischen Privaten und Staat die K r i t i k des Publikums Z u s t i m m u n g zum Staatszweck unterstellt, dann hat es Pressefreiheit und dergl. solange nicht gegeben, wie die Kritik bestimmter Interessengruppen die V e r ä n d e r u n g des Staates, d.h. seines Verhältnisses zu den Klassen implizierte. Begrifflich u n d historisch letztes Moment in der demokratischen Apparatur - anders in Amerika, wo freie Konkurrenz der Ausgangspunkt war und nicht der Feudalstaat!

f)

Das soziologische Denken ist deswegen ebensowenig uralt wie das psychologische, auch wenn beide Abteilungen bürgerlicher Wissenschaft sich auf Platon und Aristoteles berufen. Es ist nämlich etwas anderes, ein Buch über den Staat oder über die Seele zu schreiben, als das zu tun, was die beiden modernen Disziplinen sich in ihren Rezepten für die Erhaltung der bürgerlichen Gegensätze ausdenken.

Die Soziologie hat es mit den Schwierigkeiten, die sich dem Staat darbieten, wenn er der bürgerlichen Gesellschaft ihr gegensätzliches F u n k t i o n i e r e n aufherrscht. Die Erfahrung, daß im Kapitalismus manches nicht klappt, solange das ganze S y s t e m klappt, drängt sie zur Frage, welche B e d i n g u n g e n erfüllt werden müssen, damit nichts kaputt geht am Ganzen. So nimmt es nicht wunder, daß sie auf die I n s t i t u t i o n e n des Staates als die Möglichkeiten für die unangenehmen Pflichterfüllungen seitens der Individuen stößt, die R o l l e n zu spielen haben, welche sich aus den N o r m e n ergeben, die sich tautologisch aus den Rollenerwartungen entspinnen. Alle Bestimmungen der ökonomischen Subjekte, also auch ihre staatsbürgerlichen Taten, werden auf ihren Beitrag zum Ablauf des sozialen Systems hin abgeklopft, avancieren zu Unterabteilungen sozialen V e r h a l t e n s , was die gelungene (oder auch nicht) Bezugnahme der Rollenträger auf die Notwendigkeiten des Systems meint. Diese Bezugnahme spielt sich fast nur im Verhältnis zu anderen Typen ab, ist I n t e r a k t i o n und hängt enorm davon ab, ob die sozialen Atome sich ordentlich verständigen. K o m m u n i k a t i o n muß her, wenn Christen und Lehrlinge, Oberschüler und Kaufleute ihren Beitrag zur Erhaltung des Normengefüges leisten sollen, das ohnehin durch abweichendes Verhalten häufig genug gestört wird. In ihrer Betrachtung aller gesellschaftlichen Vorgänge vom Standpunkt des idealen Kapitalismus leistet diese Wissenschaft nun zwar einen Beitrag zum Arsenal von Einstellungen, den die Ausbildung den werdenden Bürgern beizubringen hat, setzt sich aber im übrigen dem Verdacht aus, dem Staat nur unnütze bis revolutionäre Theorien zu präsentieren, weswegen sich soziologische Denker um einen echten Nutzen für die praktischen Belange des Staates bemühen: e m p i r i s c h e S o z i a l f o r s c h u n g , ungeheuer praxisnah.

Die Psychologie hat das Odium der Weltfremdheit, der Gleichgültigkeit gegenüber den praktischen Notwendigkeiten der bürgerlichen Welt von vornherein vermieden. Sie stellt die Probleme, deren sich der Staat in der öffentlichen Agitation annimmt - der W i l l e der Staatsbürger soll s i c h aufgeben -, als menschliche Fürsorge dar. Sie denkt an nichts anderes als an die L e i s t u n g e n , die bürgerliche Individuen immer wieder n i c h t bringen, und verspricht Abhilfe qua Therapie. Das Individuum gilt ihr als ein Bündel von F ä h i g k e i t e n , die es einsetzen muß, um zurechtzukommen, und all denen, die nicht zurechtkommen, macht der Psychologe weis, es läge an i h n e n . Wer es nicht schafft - nicht arbeits-, denk-, lern-, liebes f ä h i g ist -, den fordert er auf, sich zu n o r m a l i s i e r e n , und seine Theorien, ob von Freud oder von Skinner, sind Programme zur Domestizierung des widerspenstigen Willens. Wohlgemerkt: Dies alles betreibt die Psychologengattung unter dem Vorwand, den Leuten zu helfen, und der Staat gestattet ihnen diese Hilfestellung in Schulen und Gefängnissen, Gerichtssälen etc. In den Medien hat der psychologische Angriff auf die Individualität längst als beinharte Agitation seine Bewährungsprobe hinter sich: kollektive Analyse für den kleinen Mann.

g)

Die öffentliche Agitation des Staates, sein unablässiges Drängen auf "konstruktive Kritik", auf das Engagement seiner Bürger für die Institution, die sie wählen müssen, ruft bei all denen, d i e sich engagieren, konstruktive Kritik hervor. Dem alltäglichen Lob der Meinungs- und Gedankenfreiheit setzen Bürger, bisweilen auch gemaßregelte Journalisten, den armseligen Einwand entgegen, daß die freie Meinung keiner Zensur bedürfe, vielmehr eine Sache des verantwortungsvollen, mündigen Gebrauchs zu sein habe. Mit Inhalt und Zweck der öffentlichen Meinungsbildung einverstanden, erhitzen sie sich nur allzu gerne über formelle Beschränkungen der Massen- und anderer Kommunikation. Man kommt in der Diskussion nicht oft genug dran, obwohl man den Finger oben hat; dem Springer gehören alle Zeitungen; die Meinungsvielfalt ist keine richtige; nur (!) vor den Wahlen wird man gehört; die Kommunikation ist einwegig, jeder müßte zugleich Sender und Empfänger sein; Informationen werden verfälscht und verschwiegen, unterdrückt, kurzum: Manipulation allenthalben, Irreführung der Menschheit, ein Vorwurf, der an Dummheit nicht überboten werden kann angesichts der Deutlichkeit, mit der gesagt wird, was man vom Volk will.

Die Rechten entdecken in jedem engagierten Diskutierer einen Kommunisten, der sich anmaßt, in den ohnehin umständlich demokratisch ablaufenden Gang der Staatsgeschäfte einzugreifen. Ganze Redaktionen sind unterwandert, und die Diskussion mit dem Pöbel geht schon viel zu lange vor den Sachverstand.

Der bürgerliche Staat bleibt bei alledem kalt: er weist rechte wie linke Angriffe zurück, indem er den in Demokratien herrschenden Meinungspluralismus herausstreicht und mit den Staaten vergleicht, in denen seine Kritiker das Sagen haben. Manipulation läßt er sich nicht nachsagen, und ihre Kritik ist ein heißer Renner im Erziehungsprogramm zum mündigen Bürger. Er sorgt sogar dafür, daß die Medien mit ihren Adressaten über s i c h und ihren staatlichen Auftrag diskutieren, wobei jede Seite mit der Wunschliste der anderen fertig gemacht wird. Leserbriefe und Wunschkonzerte sind darüber hinaus prima Demonstrationen.

Das einzige, womit er Probleme bekommt, sind die Bürgerinitiativen, die sich aus Leuten zusammensetzen, die nicht nur gehört werden wollen, sondern meinen, der Staat müsse auf das hören, was er sich anhört. Hier ist für Staatsmänner der Moment gekommen zu sagen, daß sie sich dem "Druck der Straße" nicht beugen wollen, auch gar nicht dürfen. Die Erfolge, die Bürgerinitiativen erzielen, sind keine des Drucks, sondern des Urnstands, daß sie die Vertrauensfrage heraufbeschwören und bisweilen den Opportunismus einer Partei herausfordern. Wenn sie meinen, ihr Protest sei nicht Ohnmachtsdemonstration, sondern d e r Weg des Erfolgs im Kampf um Leistungen gegen den Staat, fordern sie ihre Widerlegung durch die Bullen heraus. Den Kindergarten im Umstands haben sie bekommen (die Stadtsparkasse hat auch dafür gespendet), aus den besetzten Häusern kommen sie im Sommer mit blutigen Köpfen. Ihrer politischen Einvernahme für bürgernahe Politik, ihrer Umwandlung in Hearingspartner legen sie kaum etwas in den Weg - nicht einmal dort, wo der Staat unmittelbar ihr Leben ruiniert (Kernkraftwerke).

Der Staatsbürger, der "seine Meinung" sagt und stolz darauf ist, daß er - wenn schon sein Interesse nicht zum Zug kommt - zumindest eben seine unmaßgebliche Meinung sich nicht nehmen läßt, ist m ü n d i g . Dieses Gütesiegel wird ihm von höchster Stelle attestiert, weil er s i c h der demokratischen Gewaltausübung gemäß gemacht hat, mit der Gleichung Freiheit = Selbstbeschränkung ernst macht. Er hat gelernt, jede Zumutung und Auflage seitens des Staates auch als Notwendigkeit zu akzeptieren, und im Umgang mit der unzufriedenen Meinung anderer läßt er sein Einverständnis mit der politischen Herrschaft heraushängen: daß sich die Politik der Nation nicht von irgendeiner besonderen Meinung abhängig machen darf, gilt ihm als selbstverständlich - ebenso wie das Faktum, daß diese Politik "der Wirtschaft", von der alle abhängig sind, zu dienen hat. Was in §1 noch als Arrangement des Privatinteresses mit einem äußeren Zwang erscheint, findet seine Verlaufsform im verantwortungsbewußten Umgang mit den eigenen Ansprüchen - und die Illusion vom Staat als Mittel d e s Bürgers nimmt die gar nicht rätselhafte Gestalt der Vorstellung an, daß man sich dieses Mittel eben nur durch Zurückhaltung erhalten kann. Alles andere zahlt sich nicht aus!

Wem der demokratische Staat diese Selbstbeherrschung lohnt, für wen sie also keine ist, bedarf keines Kommentars, ebensowenig wie die Bereitschaft des mündigen Staatsbürgers, "sein" Gemeinwesen gegen alle Schranken, die es bei seinen ökonomischen Vorhaben außerhalb seines Herrschaftsbereiches antrifft, zu unterstützen. (Dabei ist übrigens von vornherein das Opfer des Lebens einkalkuliert) Demokratie und Nationalismus (samt den zugehörigen kosmopolitischen, inter-nationalistischen Idealen) schließen sich n i c h t aus - Demokratie und Kommunismus schon. An jedem Argument von Kommunisten entdeckt der unzufriedene, aber meinungsstarke Bürger das kompromißlose Beharren auf dem Interesse e i n e r Klasse und die Folgen, die dessen Durchsetzung fürs Ganze zeitigt, selbst dort noch, wo der moderne Kommunismus dieses Interesse in das Verlangen nach einem besseren, wirklich funktionierenden, echten Gemeinwesen verwandelt.

Daß die Presse - und Meinungsfreiheit von Kommunisten praktisch in Anspruch genommen werden, heißt eben auch nicht, daß die öffentliche Meinung i h r Mittel ist - im Gegenteil: sie werden mit den Prinzipien des meinenden Wohlverhaltens fertiggemacht, was nicht erst im KPD-Verbotsurteil bemerkbar wird.

Eine Meinungsäußerung, die sich nicht im Augenblick ihres Vorbringens selbst relativiert, erfreut sich also gleich der herzlichsten Feindseligkeit - was auch im demokratisch verbildeten linken Lager zur festen Institution ausgebaut worden ist: Vorwurf des Dogmatismus, der keine Widerlegung nötig hat.

aloute
06.02.2004, 13:52
Der bürgerliche Staat - Deutsche Ausgabe - German Edition
Ausgabe Juni 2000
Alle Rechte Reserviert 2001, Pegasus Edition Gibraltar

aloute
06.02.2004, 14:14
EDN: El pueblo. Los derechos fundamentals
Friday February 06, 2004 at 02:06 PM
El Estado democrático Crítica de la soberanía burguesa


http://212.100.232.170/news/2004/02/990.php

aloute
07.02.2004, 22:01
Na? Keiner kann hat Zeit? Macht nichts. kann man drucken und dann auf der Toilette lesen