Prinz Adelbert
04.02.2004, 18:39
Kein Volksaufstand
13 Jahre nach der »Wende« stirbt der Osten fast geräuschlos vor sich hin
Heute jährt sich zum fünfzigsten Mal der 17.Juni 1953, und in den Medien der BRD wird das Thema mit missionarischem Eifer behandelt. Eine der angeblich bewegenden Fragen dabei ist die, inwiefern die »friedliche Revolution« von 1989 logische Konsequenz jenes Tages im Juni ’53 ist. Tatsächlich bewegend, weil für das Leben der knapp 17 Millionen ehemaligen Bewohner der DDR existentiell, ist jedoch die Tatsache, daß die Situation im Osten heute logische Konsequenz der »Wendezeit« ist.
Die Bilanz dieser 13 Jahre ist verheerend. Großflächige Enteignungen, dramatischer Bevölkerungsschwund, kaum Chancen auf einen Arbeitsplatz, politische und wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit prägen die Lage. »Die Ostdeutschen wurden seit 1990 zu der Bevölkerung Europas, der am wenigsten von dem Territorium, auf dem sie lebt, gehört«, heißt es in dem im vergangenen Monat vorgelegten »Memorandum 2003« von Wissenschaftlern des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden, einer Organisation, die mit Sachkenntnis und Akribie die Entwicklung auf dem Gebiet der ostdeutschen Bundesländer seit 1990 verfolgt. »Das ist das Ergebnis einer gigantischen Enteignung. Nach Grundgesetz hat die Bundesregierung die Verpflichtung, das Eigentum der Deutschen zu schützen. Gilt das schon für die Westdeutschen nur nach dem Motto, wo Tauben sind, fliegen noch welche zu, so hat es gegenüber den Ostdeutschen solche Anstrengungen gar nicht erst gegeben. Und das ist nicht im Trubel der Einheit untergegangen, sondern gezielte Strategie. Vielmehr waren die ersten Arbeitsstäbe, die die Bundesregierung zur Vorbereitung der staatlichen Einheit ankündigte, die zur Lösung von Eigentumsproblemen und Rechtsangleichung«, heißt es im Memorandum. Resultat: In den fünf »neuen« Bundesländern liegt die Eigentumsquote der Bewohner am Produktivvermögen bei drei Prozent.
Gern wird von den Medien über die Unsummen an Transferleistungen schwadroniert, die in das Gebiet zwischen Ostsee und Erzgebirge flössen. Abgesehen davon, daß ein Großteil dieser Gelder von den Lohnsteuerzahlern der gesamten BRD, und nicht etwa vom Großkapital und den Superreichen aufgebracht wird, verschweigt man eines gern: Einer »knappen halben Billion D-Mark tatsächlicher und spezieller Hilfen des Bundes für Ostdeutschland« stehen dem Memorandum zufolge »weit über eine Billion DM enteigneten Vermögens der Ostdeutschen gegenüber«. Tatsache sei zudem, daß die Zahl der westdeutschen Millionäre in keinem Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg so schnell wie in dem Jahrzehnt nach der »Vereinigung angestiegen ist«. Überhaupt nicht berücksichtigt sei dabei, daß der DDR-Bevölkerung für Reparationszahlungen, die sie für ganz Deutschland geleistet habe, durch die Transferleistungen gerade einmal die Hälfte eines gerechtfertigten Lastenausgleichs zugekommen sei.
Nach dem Beitritt und der flächendeckenden Enteignung von Volkseigentum ist der Osten jedoch schnell uninteressant für das Kapital geworden, sieht man einmal von der Konsumentenfunktion seiner Bewohner ab. »Heute ist Ostdeutschland die größte geschlossene Krisenregion der EU«, heißt es im Memorandum.
Die Erwerbslosigkeit in den sogenannten neuen Bundesländern bewegt sich laut offiziellen Statistiken seit der Abwicklung früherer Industrie- und Wirtschaftsstrukturen in einer Größenordnung um die zwanzig Prozent. Rechnet man die verdeckte Arbeitslosigkeit hinzu, dürfte etwa ein Drittel der erwachsenen Bewohner des Ostens unterhalb des Rentenalters von Erwerbslosigkeit betroffen sein. Obwohl die Bevölkerungszahl in den zurückliegenden 13 Jahren um zwei Millionen Wirtschaftsflüchtlinge geschrumpft ist, bleibt die Erwerbslosenquote hartnäckig auf diesem hohen Level.
Noch vor der Bundestagswahl 2002 sorgte Wolfgang Thierse für Aufregung, als er feststellte, daß die wirtschaftliche und soziale Lage in Ostdeutschland »auf der Kippe« stehe. »Das Bild suggeriert, es sei ein politischer Entscheidungspunkt erreicht, an dem man das ›Kippen‹, also das Schlimmste, noch verhindern könne. Doch es ist bereits geschehen«, so die Autoren des Memorandums.
Die Ostdeutschen haben »schlechte Karten für eine gleichberechtigte Teilhabe an den demokratischen Entscheidungsprozessen des Landes«, wird darin weiter konstatiert. Keine schlechteren allerdings, »als sie die arbeitslosen und ärmeren Schichten der westdeutschen Bevölkerung schon immer hatten«.
Keine Zukunft zu haben ist fatal. Es gab in der Geschichte schon weniger brisante Gründe für Volksaufstände. Doch der Osten scheint paralysiert, viele Menschen verharren in Resignation. Die Bereitschaft, für ihre Interessen zu kämpfen, ist allerdings nur gebremst, nicht verloren, wie die Streiks der IG Metall für Arbeitszeitverkürzungen im Osten andeuten.
* »Memorandum 2003« unter: www.gbmev.de/gbmonlin.htm
13 Jahre nach der »Wende« stirbt der Osten fast geräuschlos vor sich hin
Heute jährt sich zum fünfzigsten Mal der 17.Juni 1953, und in den Medien der BRD wird das Thema mit missionarischem Eifer behandelt. Eine der angeblich bewegenden Fragen dabei ist die, inwiefern die »friedliche Revolution« von 1989 logische Konsequenz jenes Tages im Juni ’53 ist. Tatsächlich bewegend, weil für das Leben der knapp 17 Millionen ehemaligen Bewohner der DDR existentiell, ist jedoch die Tatsache, daß die Situation im Osten heute logische Konsequenz der »Wendezeit« ist.
Die Bilanz dieser 13 Jahre ist verheerend. Großflächige Enteignungen, dramatischer Bevölkerungsschwund, kaum Chancen auf einen Arbeitsplatz, politische und wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit prägen die Lage. »Die Ostdeutschen wurden seit 1990 zu der Bevölkerung Europas, der am wenigsten von dem Territorium, auf dem sie lebt, gehört«, heißt es in dem im vergangenen Monat vorgelegten »Memorandum 2003« von Wissenschaftlern des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden, einer Organisation, die mit Sachkenntnis und Akribie die Entwicklung auf dem Gebiet der ostdeutschen Bundesländer seit 1990 verfolgt. »Das ist das Ergebnis einer gigantischen Enteignung. Nach Grundgesetz hat die Bundesregierung die Verpflichtung, das Eigentum der Deutschen zu schützen. Gilt das schon für die Westdeutschen nur nach dem Motto, wo Tauben sind, fliegen noch welche zu, so hat es gegenüber den Ostdeutschen solche Anstrengungen gar nicht erst gegeben. Und das ist nicht im Trubel der Einheit untergegangen, sondern gezielte Strategie. Vielmehr waren die ersten Arbeitsstäbe, die die Bundesregierung zur Vorbereitung der staatlichen Einheit ankündigte, die zur Lösung von Eigentumsproblemen und Rechtsangleichung«, heißt es im Memorandum. Resultat: In den fünf »neuen« Bundesländern liegt die Eigentumsquote der Bewohner am Produktivvermögen bei drei Prozent.
Gern wird von den Medien über die Unsummen an Transferleistungen schwadroniert, die in das Gebiet zwischen Ostsee und Erzgebirge flössen. Abgesehen davon, daß ein Großteil dieser Gelder von den Lohnsteuerzahlern der gesamten BRD, und nicht etwa vom Großkapital und den Superreichen aufgebracht wird, verschweigt man eines gern: Einer »knappen halben Billion D-Mark tatsächlicher und spezieller Hilfen des Bundes für Ostdeutschland« stehen dem Memorandum zufolge »weit über eine Billion DM enteigneten Vermögens der Ostdeutschen gegenüber«. Tatsache sei zudem, daß die Zahl der westdeutschen Millionäre in keinem Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg so schnell wie in dem Jahrzehnt nach der »Vereinigung angestiegen ist«. Überhaupt nicht berücksichtigt sei dabei, daß der DDR-Bevölkerung für Reparationszahlungen, die sie für ganz Deutschland geleistet habe, durch die Transferleistungen gerade einmal die Hälfte eines gerechtfertigten Lastenausgleichs zugekommen sei.
Nach dem Beitritt und der flächendeckenden Enteignung von Volkseigentum ist der Osten jedoch schnell uninteressant für das Kapital geworden, sieht man einmal von der Konsumentenfunktion seiner Bewohner ab. »Heute ist Ostdeutschland die größte geschlossene Krisenregion der EU«, heißt es im Memorandum.
Die Erwerbslosigkeit in den sogenannten neuen Bundesländern bewegt sich laut offiziellen Statistiken seit der Abwicklung früherer Industrie- und Wirtschaftsstrukturen in einer Größenordnung um die zwanzig Prozent. Rechnet man die verdeckte Arbeitslosigkeit hinzu, dürfte etwa ein Drittel der erwachsenen Bewohner des Ostens unterhalb des Rentenalters von Erwerbslosigkeit betroffen sein. Obwohl die Bevölkerungszahl in den zurückliegenden 13 Jahren um zwei Millionen Wirtschaftsflüchtlinge geschrumpft ist, bleibt die Erwerbslosenquote hartnäckig auf diesem hohen Level.
Noch vor der Bundestagswahl 2002 sorgte Wolfgang Thierse für Aufregung, als er feststellte, daß die wirtschaftliche und soziale Lage in Ostdeutschland »auf der Kippe« stehe. »Das Bild suggeriert, es sei ein politischer Entscheidungspunkt erreicht, an dem man das ›Kippen‹, also das Schlimmste, noch verhindern könne. Doch es ist bereits geschehen«, so die Autoren des Memorandums.
Die Ostdeutschen haben »schlechte Karten für eine gleichberechtigte Teilhabe an den demokratischen Entscheidungsprozessen des Landes«, wird darin weiter konstatiert. Keine schlechteren allerdings, »als sie die arbeitslosen und ärmeren Schichten der westdeutschen Bevölkerung schon immer hatten«.
Keine Zukunft zu haben ist fatal. Es gab in der Geschichte schon weniger brisante Gründe für Volksaufstände. Doch der Osten scheint paralysiert, viele Menschen verharren in Resignation. Die Bereitschaft, für ihre Interessen zu kämpfen, ist allerdings nur gebremst, nicht verloren, wie die Streiks der IG Metall für Arbeitszeitverkürzungen im Osten andeuten.
* »Memorandum 2003« unter: www.gbmev.de/gbmonlin.htm