PDA

Vollständige Version anzeigen : Die Moderne, der deutsche Nationalismus und der islamische Fundamentalismus



Falkenhayn
20.05.2006, 11:07
Liebe Forumsmitglieder,


erneut errichte ich einen Thread, dessen Ziel ein sachlicher Diskurs über die, in diesem Forum, bestimmenden Themen sein soll. Natürlich erwarte ich nicht eine derart große Resonanz, wie in den Pöbelthreads (bspw. Allah in Ehrenfeld), denn zur Sachlichkeit gehört ein gewisses Maß an Selbstdisziplinierung, das manche leider vermissen lassen. (Wobei es durchaus schwierig sein kann, wenn man ständig provoziert wird, deshalb soll hier gar nicht erst damit angefangen werden.)


Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist das Konzept der Moderne. Diese unterteile ich einmal in die technologisch-wissenschaftliche und die kulturelle Moderne. Erstere ist weitgehend unumstritten, viele Menschen stehen den technischen Errungenschaften positiv gegenüber und nutzen sie auch. Auch der islamische Fundamentalismus bejaht sie nachhaltig, so werden im Neo-Djihad moderne Waffen eingesetzt und die "Todespiloten" des 11. September studierten naturwiss./tech. Fächer bzw. waren in der Lage hochkomplexe Flugzeuge zu steuern.

Die kulturelle Moderne hingegen ist der Streitpunkt. Aus meiner Sicht stellen sowohl, der hier im Forum praktizierte Nationalismus (nicht zu verwechseln mit dem Nationalismus des 19. Jh.) als auch der islamische Fundamentalismus eine defensiv-kulturelle Reaktion auf die kulturelle Moderne dar. Was macht nun die kulturelle Moderne aus? Nach Habermas zeichnet sie sich durch das Subjektivitätsprinzip aus, d.h. einerseits trennt sich der Einzelne von den Kollektiven und andererseits wird das Subjekt zum erkennenden Wesen, d.h. es gewinnt alle Erkenntnisse nur noch durch rationale Überlegungen.

Sowohl der erwähnte Nationalismus als auch der islamische Fundamentalismus lehnen die Trennung von den Kollektiven ab, vielmehr betonen sie die Pflichten des Einzelnen (bspw. islamische Pflichtenlehre) gegenüber der muslimischen Umma bzw. gegenüber dem Dt. Volk.

Besonders kritisieren sie die Auswüchse der kulturellen Moderne, in Form von Alkoholismus, Pornografie etc.

Auch zeichnen sich beide durch Unbestimmtheit aus, weder das Nizam Islami/Islamisches System noch der Nationalismus stellen ein klar umrissenes Konzept für ein Regierungssystem dar. Deshalb bitte ich hier Abhilfe zu schaffen und fordere diejenigen auf, die hier den "Nationalismus" vertreten, doch einmal zu skizzieren, wie dieses System konkret aussehen soll. Ich bin mir sicher, es werden höchst unterschiedliche Vorstellungen dabei herauskommen, aber ich möchte es gerne wissen.


Nun zu den Unterschieden zwischen Nationalismus und islamischen Fundamentalismus:

Zwar lehnen beide weitgehend die kulturelle Moderne ab, dennoch besteht ein großer Unterschied: Während der islamische Fundamentalismus einer anderen Zivilisation entspringt, ist der Nationalismus aus der Zivilisation geboren, die die kulturelle Moderne hervorbrachte: die abendländische Zivilisation. Die kulturelle Moderne, die sich aus der Renaissance/Reformation über die Aufklärung und schließlich die Franz. Revolution entwickelte, verhalf dem Prinzip der Rationalität und damit auch den Naturwissenschaften zum Durchbruch gegenüber der kirchlichen Bevormundung. Damit einher ging eine Revolutionierung der Militärtechnik vor sich, diese ermöglichte das europäische Globalisierungsprojekt, was mit dem Kolonialismus begann. Die islamische Zivilisation, die noch im Mittelalter überlegen war, geriet nun ins Hintertreffen und musste ihr Welteroberungsprojekt aufgeben, was endgültig mit dem Zusammenfall des Osmanischen Reiches nach dem I. WK geschah. Die Welt wurde nun europäisiert, allerdings meist zur oberflächlich.

Auch ist der Welt des Islam die Trennung von Kirche und Staat fremd, wie sie endgültig durch die Franz. Rev. in Europa vollzogen wurde. Dies ist begründet mit dem Tauhid-Prinzip in der islamischen Welt, das besagt nichts anderes als die Einheit Gottes. Demnach sind alle Lebensbereiche in der Allmacht Allahs verschmolzen und auch nur Allah besitzt Souveränität, die Herrscher im Islam sind daher nur dafür da, die Gesetze Gottes auszuführen. Ein weltliches Souveränitätskonzept wie durch Jean Bodin mit der dynastischen Souveränität entwickelt und weiterentwickelt durch die Volkssouveränität von Rousseau existiert im Islam also nicht. Auch die heutigen nominellen Nationalstaaten in Arabien greifen oft auf eine religiöse Legitimierung der Herrschaft zurück und stehen damit in dieser Tradition (Bsp. Saudi-Arabien: "Hüter der heiligen Schreine"). Bereits in den 20er Jahren des 20. Jh. gab es Versuche in der islamischen Welt Politik und Religion zu trennen und den Islam auf eine persönliche Ethik zu reduzieren (vgl. Ali Abdelraziq) und zunächst waren auch säkulare Ideologien wie etwa der Panarabismus dominant. Nach der Niederlage im Sechs-Tage-Krieg 1967 verloren die arabischen Nationalstaaten aber ihre Glaubwürdigkeit und die Politisierung des Sakralen dominierte wieder. Dem Islam ist der Nationalstaat aber wie erwähnt fremd, denn Souveränität kann er nicht besitzen, sondern nur Allah.


Auch hat der Islamismus einen anderen Anspruch als der Nationalismus: er ist nämlich universell. Den Muslimen gilt der Islam als von Gott gewollte Urreligion. Zwar erkennt man Abraham, Moses und Jesus als Propheten an, aber sie konnten nur Teiloffenbarungen Gottes an bestimmte Menschen senden. Währenddessen gilt Mohammed als "Siegel der Propheten", der die endgültige und vollkommene Offenbarung Gottes aussenden soll und somit allen Menschen gesendet worden ist. Daher ergibt sich die Notwendigkeit zum Djihad und die Integration der gesamten Menschheit in die muslimische Umma/Gemeinschaft und somit ein Welteroberungsprojekt.


Dementsprechend sind Teile der muslimischen Migranten besonders in Europa mit dem Willen zum Djihad gekommen. Sie werden in den arabischen Staaten meist verfolgt, abgesehen von sog. Gottesstaaten wie Iran/Sudan, und nutzen das liberale Asylrecht in Europa aus, um hier ihre logistischen Basen zu errichten (Vgl. Hintergrund zum 11. Sep.). Besonders dafür geeignet, so hieß es kurz nach dem 11.09.2001 bei Sky News, sei Deutschland. Denn auf Grund seiner Geschichte habe es kein normales Verhältnis zu Fremden aufgebaut, es neigt zu den Extremen: entweder absoluter Fremdenhass oder eben unreflektierte Toleranz. Damit schützen sich die islamischen Fundamentalisten hierzulande mit den Instrumenten des Rechtsstaates zum Leidwesen der Amerikaner und auch zum Leidwesen der Deutschen. Ziel muss daher eine sicherheitspolitische Bekämpfung des Islamismus bei gleichzeitigem Dialog mit dem liberalen Islam sein.


Die zentralen Unterschiede zwischen Nationalismus und Islamismus sind also: ersteres ist eine säkulare Ideologie, während letzeres eine Politisierung des Sakralen bedeutet.
Und zweitens beansprucht der Nationalismus Geltung nur für eine bestimmte Gruppe, während der Islamismus einen universellen Anspruch hat.

Natürlich ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen der Moderne unumgänglich, dennoch neigen beide Ideologien dazu den Rechtsstaat als große Errungenschaft der abendländischen Zivilisation zu untergraben.

Gerade in Bezug auf einen Dialog mit dem Islam ist es wichtig, die eigenen Wurzeln nicht zu verhehlen, wer aus falsch verstandener Toleranz, Gesinnungsethik und Schuldgefühlen meint, er müsse alle Schuld dem europäischen Kolonialismus und der Globalisierung zuschreiben, geht fehl. Zum einen ist diese Analyse verkürzt, da sie die regionale Eigendynamik außer Acht lässt, außerdem gelingt es ehemaligen Kolonien sich wirtschaftlich positiv zu entwickeln (Bsp.: Indien) und zum anderen wird es den Europäern von Muslimen als Schwäche ausgelegt, wenn sie sich selbst verleugnen. Zudem sind die Werte des Rechtsstaates schützenswert und können gegenüber jeder Ideologie bestehen.

(Grundlage meiner Ausführungen sind: Habermas "Philosophischer Diskurs der Moderne"; Tibi: "Religiöser Fundamentalismus. Weltpolitik und Islam"/"Der wahre Imam", den Koran sowie Hattstein "Weltreligionen")


Für Diskussionsbeiträge, die ergänzen, eigene Argumentationen entwickeln, widersprechen oder kommentieren wollen, bin ich sehr dankbar. Ich bitte aber um Sachlichkeit und Anerkennung aller Diskussionsteilnehmer.

Pandulf
21.05.2006, 19:21
Was Habermas von sich gibt, dass der Mensch in der Moderne subjektiviert und sich vom Kollektiv löst ist wirklichkeitsfremd und typisches Intellektuellen-Gequatsche.

Man muss nur mal auf ein Fussballspiel gehen und mit Fans 90 Minuten lang singen, dann weiss man, dass man als Teil eines Kollektivs 1000 mal stärker ist als die blassen, individualisierten Intellektuellen, die "Gott" durch Kinderlosigkeit straft.

Das einzige, was in der Moderne individualisiert, ist die gesellschaftliche Elite, die sich dadurch ihrer Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft entzieht.

Ansonsten ist Dein Beitrag sehr lesenswert.

Gruss

pandulf