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Vollständige Version anzeigen : Zu dem Gemeinspruch "Das Taugt zwar in der Theorie, aber nicht in der Praxis"



roterRebel
07.01.2004, 20:49
Jeder von uns hat ihn schon hundertmal gehört und mindestens einmal selbst gesagt. "Das klingt ja schön und gut, aber das ist doch in wirklichkeit nie möglich."
Doch schon Kant hat erkannt, das dies nur ein Gemeinspruch ist, hinter dem weder große Gedanken noch viele Gedanken überhaupt stecken. Die Theroie ist nur unter einer Bedingung nicht Praxistauglich, und das ist die, das nicht alle Faktoren berügsichtigt wurden. Wenn man sagt, du springts vom Eifelturm und du überlebst das Teoretisch, und du springst und endest als hübscher Fleck in Frankreich, dann hast du in deiner Theorie leider, du bedauerst es bestimmt am meisten, die Schwerkraft vergessen. Und nicht anders geht es den "Linken", den "zu theoretischen". Alles was wir, die Linke, oder auch die Rechte, denn auch sie haben teilweiße! Theoretische Systeme, in unserem Geist aufbauen, muss hundertmal getestet werden, und von allen Seiten betrachtet werden. Also rettet euch nicht mit diesem Gemeinspruch, den er besagt nur das wir angeblich einen fehler oder einen Faktor noch nicht gefunden bzw. noch nicht berrücksichtigt haben. Wenn ihr euch für intelligent genug halten, oder meint ihr habt genügend Fachwissen, dann sagt was an der Theorie falsch ist, aber nur zu sagen, dass etwas falsch ist, ist unnütze und zeugt von unwissenheit.
In diesem Sinne, gute nacht Genossen.

Siran
07.01.2004, 21:27
Das Problem ist, dass der Mensch gar nicht in der Lage ist, alle Faktoren, die komplexe Gebiete betreffen, in eine Theorie einzubauen. Er kennt sie ganz einfach nicht.

opus111
08.01.2004, 16:09
Roter Rebel hat meines Erachtens Recht, und Siran hat ebenso Recht.

Kant weist in der berühmten Schrift „Über den Gemeinspruch“ auf den trivialen Sachverhalt hin, dass eine Theorie nicht richtig sein könne, welche die von ihr intendierte Praxis verfehlt. Folglich ist es Unsinn, zu behaupten, etwas sei theoretisch gültig, jedoch in der Praxis unrichtig.

Wissenschaftslogisch stellt sich das Modell wie folgt dar:

Eine Semantik S wird auf eine Ebene von Aussagen bezogen. Diese Aussagen A seien dabei unmittelbare Beschreibungen von Praxissachverhalten und werden per Definition auf „wahr“ gesetzt. Wird nun S ebenfalls der Wahrheitswert „W“ zugeordnet, gibt es exakt zwei Möglichkeiten: Entweder ist S eine auf A bezogene Semantik oder aber nicht. Wenn S eine Semantik über A ist, dann können zwischen A und S keine Widersprüche existieren. Existieren jedoch Widersprüche, dann ist entweder S keine auf A bezogene Semantik oder aber die Annahme „S ist wahr“ ist falsch. Folglich liegt dann entweder eine fehlerhafte Theorie oder aber eine Theorie für eine ganz andere imaginäre oder „reale“ Praxis – etwa diejenige der Marsmenschen – oder aber eine Theorie außerhalb jedweder externalisierbarer Praxis vor (z.B. bestimmte Gebilde der mathematischen Logik, für die es keinerlei Anwendung außerhalb ihres Geltungsbereiches gibt und deren „Praxis“ insofern selbstbezüglich ist).

Richtig ist aber ebenso Siraks Feststellung, dass jede empirische Theorie notwendigerweise unvollständig sein und bleiben und insofern die Praxis zumindest teilweise verfehlen muss. Auch dieser Sachverhalt ist für einen Denker vom Range Kants trivial: Die Unabschließbarkeit empirischer Forschung ist nicht erst eine Erfindung des 20. Jh.: Daher zitiert Karl R. Popper in seiner „Logik der Forschung“ diesbezüglich auch Kant.

Daher empfiehlt sich folgende Formulierung:

In dem Umfang, in welchem eine empirische Theorie als abgesichert und vollständig gelten kann, ist ein Widerspruch zu der von ihr intendierten Praxis nicht denkbar. Sofern sie vollständig und allgemeingültig wäre, würde sie auch exakt auf die intendierte Praxis zutreffen, sonst ist sie eben unvollständig und nicht allgemeingültig. Richtig hingegen ist ebenfalls, dass alle empirische Forschung stets unabgeschlossen ist und insofern niemals die Dignität absoluter Vollständigkeit und Allgemeingültigkeit erreicht. Folglich kann man durchaus sagen: Was Theorien behaupten, ist oft in der Praxis untauglich, nicht jedoch, dass es sich um „richtige“ Theorien handele, obgleich sich die Praxis anders verhält.

Übrigens, es ist blanker Unfug, dass Hegel jemals behauptet haben soll: Wenn sich die Praxis anders verhalte als die Theorie, dann sei dies um so schlimmer für die Praxis. Ein hübsches Bonmot, mehr nicht.

Halteverbot
08.01.2004, 20:00
Na das wäre ja alles schön und gut, wenn man eben die Möglichkeit hätte Versuche, die in der Theorie zwar funktionieren, allerdings sich noch nicht in der Praxis als geeignet erwiesen haben, sooft, bis sie eben ihr Ziel erreichen durchzuführen. Aber ganz knapp gesagt: Diese Möglichkeit haben wir nun einmal nicht!
Falls in ferner Zukunft einmal jemand die Macht über die Zeit besitzen sollte, kann er ja die marxistischen Theorien vor der Geburt Jesu veröffentlichen und sagen: 'Immer schön fleissig probieren, auch wenns bei den ersten hundert Malen nicht funktioniert!'
Dann stellt sich heraus, ob man einen Traum mancher ideologischen Träumer denn auch wirklich durchsetzen kann und in diesem funktionierend leben kann, oder ob es ein Traum bleibt.
Theoretisch kann Anarchie auch funktionieren, wenn jeder so wäre wie man selbst! Allerdings hätte man nur einmal in der Praxis die Möglichkeit festzustellen, ob diese 'Ideologie' wirklich funktionieren kann, denn nach diesem Versuch besteht die Welt aus von mir geschätzten tausend Menschen, die sich alles andere als wohl fühlen können und somit nicht mehr diesen Anarchieversuch starten wollen.
Ergo: Wir bräuchten wieder millionen von Jahre um an den Standpunkt anzulegen, an dem wir uns in der Gegenwart befinden.
Ich denke nicht, dass im Jahr 19000 irgendjemand auf die Idee kommt die Anarchie praktisch wiedereinmal zu testen.
Ich vergleiche Anarchismus gerne mit Kommunismus, da das Endziel vom Kommunismus, soviel ich weiss auch eine staatenlose Gesellschaft, sprich eine anarchische darstellen soll. Nur der Weg dorthin unterscheidet diese beiden Ideologien, der Traum bleibt aber für viele derselbe.
Man kann noch soviele praktische Versuche starten, sobald sich die Theorie auch nicht ändert, wird die Praxis auch nicht besser aussehen.

Wir vergleichen das Ganze einmal mit einem chemischen Versuch, der durchaus Parallelen darstellt:
Meine Idee ist, mal einfach und ohne chemische Fachbegriffe:
Wenn man Kaliumnitrat mit Schwefel in Verbindung bringt, sollte das ganze stark reagieren, näher erklären will ich das hier nicht, da diese Erklärung nichts weiter zur Sache tut.
Ich habe also einen Traum; eine Theorie, für die ich auch meine Gründe habe. Nun versuche ich das Ganze in der Praxis. Ergebnis: Nichts passiert! Ich frage mich also nach dem Grund. Ich kann jetzt noch 1000 Versuche starten, es würde sich an dem obigen Ergebnis rein gar nichts ändern. Deshalb sollte ich meine Theorie einmal überdenken und mich fragen, warum dieser Versuch denn nicht funktioniert. Nach reichlichen Überlegungen komme ich theoretisch zu einem Fazit;
Die Umgebungstemperatur reicht nicht aus um die Reaktion zu starten, das bedeutet ich muss erhitzen!
Siehe da! Mein Versuch funktioniert, wie theoretisch vorgestellt.
Fein, dh nun, dass mein Versuch in der Theorie bearbeitet wurde, und in der Praxis erfolgreich umgesetzt wurde!

Was schließen wir nun daraus?
In der Praxis kann unter Umständen rein gar nichts funktionieren, selbst wenn die Theorie stimmen sollte!
Wer jetzt nicht Parallelen zum Kommunismus und meinem Chemieversuch erkennt, sollte noch einmal nachlesen.

opus111
09.01.2004, 10:52
zwar Zustimmung, aber mit einer wesentlichen wissenschaftslogischen Einschränkung:

und zwar deshalb weil die Theorie eben unvollständig ist (z.B. Fehlen der Randbedingungen wie z.B. Umgebungstemperatur) und daher nicht als "richtig" gelten kann.

Das Problem des Kommunismus besteht nicht darin, dass eine "richtige" Theorie keine Anwendung in der Praxis findet, sondern in der Unvollständigkeit der Theorie und - viel wesentlicher - in ideologisch-metaphysischen Voraussetzungen, die ohnehin nicht empirisch verifiziert oder falsifiziert werden können!

Der historische Materialismus ist bereits theoretisch unhaltbar!!! Daran ändert auch nichts, dass gebetsmühlenartig immer wieder von den Protagonisten die angebliche Wissenschaftlichkeit unterstrichen wird.

Wer sich einmal auf philosophischer und wissenschaftstheoretischer Ebene mit dem HistoMat beschäftigt, wird - falls er über die entsprechenden Grundlagen verfügt - sehr leicht erkennen, dass die Theorie in einer absolut willkürlichen Weise formal sinnvolle Prinzipien auf die Empirie der Historie bezieht.

Kommissär
09.01.2004, 12:34
@Rudolf
Bei Deinem Vergleich chemischer Versuch mit Kommunismus hast Du einen Paramater verändert, also beim chem. Versuch die Umgebungstemparatur verändert um eine Reaktion zu bewirken. Die Aussage bzw. Theorie, zusammenbringen von KNO^3 + S soll eine Reaktion bewirken ist demnach unvollständig. Es fehlt der Temperatur Parameter. Ich schliesse daraus, wenn die Praxis nach der Theorie nicht funktioniert, dann muss nicht umbedingt die Theorie falsch sein, sondern sie ist lückenhaft.

Ausserdem sind philosophische Theorien mit "wenn" Bedingungen zum Scheitern verurteilt, besonders wenn diese an den menschlichen Charakter gebunden sind.

opus111
09.01.2004, 13:05
Der Streit, wie der Terminus „richtig“ auf Theorien (und nicht nur einzelne Aussagen) anzuwenden ist, ist teilweise müßig. Beispielsweise ist unklar, ob eine unvollständige Theorie dennoch „richtig“ sein könne.
Auch der Terminus „wahr“ oder „falsch“ ist bezogen auf Theorien (und nicht nur einzelne Aussagen) leicht missverständlich. Ich schlage daher im Anschluss an die Tradition die Begriffe „gültig“/“ungültig“ vor.

Eine Theorie ist gewiss nicht einfach deshalb ungültig, weil sie teilweise unvollständig ist. ABER: Die Theorien, von denen wir hier sprechen, beinhalten SELBSBEZÜGLICHE AUSSAGEN. Daher habe ich weiter oben auch das Semantik-Beispiel gewäht und bin dabei von der Idee einer „vollständigen“ Semantik über empirische Aussagen ausgegangen.

Und jetzt zur Vereinfachung: Politisch-philosophische Theorien beinhalten solche Aussagen wie „Diese Theorie beschreibt den notwendigen Verlauf der Weltgeschichte“ (Historischer Materialismus) oder „Diese Theorie ist im Unterschied zu den bürgerlichen Ideologien als einzige wissenschaftlich“ etc.

Dies bedeutet, dass Aussagen über die Validität der Theorie Bestandteil dieser Theorien sind – sie sind daher auch immer selbstbezüglich! Genau hier liegt das entscheidende Problem: Wären diese Theorien nämlich nicht selbstbezüglich, würden wir gar nicht ernsthaft über sie diskutieren. Wir würden dann den „historischen Materialismus“ lediglich als ein Sammelsurium von Hypothesen mit einer unvollständiger Sammlung empirischer Fakten betrachten. Woran sich die Diskussion tatsächlich entzündet, ist daher der ABSOLUTHEITSGEDANKE und umfassende GELTUNGSANSPRUCH, der solchen Theorien selbstbezüglich anhaftet.

Wegen dieser Selbstbezüglichkeit, die ja Aussagen über den umfassenden Geltungsbereich der Theorie impliziert, können diese Theorien nicht gültig sein, wenn sie die von ihnen intendierte Praxis nicht vollständig erfassen.

Halteverbot
09.01.2004, 14:00
und zwar deshalb weil die Theorie eben unvollständig ist (z.B. Fehlen der Randbedingungen wie z.B. Umgebungstemperatur) und daher nicht als "richtig" gelten kann.


Wird denn diese Bedingung im Kommunisus, auch in der Theorie berechnet? Wohl kaum, sonst sollten sie kapiert, haben, dass es nicht funktionieren kann.


also beim chem. Versuch die Umgebungstemparatur verändert um eine Reaktion zu bewirken

Ja vergleichbar mit dem Erhaltungstrieb und Egoismus des Menschen!


Theorie, zusammenbringen von KNO^3 + S soll eine Reaktion bewirken ist demnach unvollständig

Ok, die Theorie wäre für mich, dass Schwefel schnell oxidiert und zwar egal wieviel wertig es sein soll. Das bedeutet ich muss ihm eine Verbindung mit viel Sauerstoff verwerfen(-ate oder -ade), damit der Schwefel oxidieren kann!
Dies mache ich mit dem KNO^3!


Es fehlt der Temperatur Parameter.

Genauso wie im Kommunismus der Menschparameter fehlt, der ähnlich wichtig sein sollte...

opus111
09.01.2004, 14:57
Das ist zwar alles richtig.

Es wird aber oft übersehen, dass weniger die anthropologischen Grundlagen (z.B. der Morgansche Evolutionismus des 19. Jh.), sondern die metaphysischen Voraussetzungen des historischen und des dialektischen Materialismus mehr als fragwürdig sind.

Das sogenannte dialektische Prinzip ist formal und anwendungsneutral. Es in marxistischer Weise inhaltlich zu füllen, führt zu unzulässigen metaphysischen Behauptungen, die nicht empirisch verifiziert werden können.

Ich halte diesen Hinweis aus folgendem Grund für wichtig:
Mit Marxisten über Empirisches zu streiten, ist müßig und führt lediglich zum Austausch von Standpunkten. Eine Theorie jedoch von innen her anzugreifen, ist etwas anderes. Daher weise ich immer darauf hin, dass das angeblich realistisch und empirisch Gesicherte in diesen Theorien in Wahrheit auf bloßen metaphysischen Unterstellungen beruht. Die Zugkraft des Marxismus besteht ja nicht darin, dass wir da ein paar nette anthropologische Behauptungen finden, die dann falsifizierbar und ideologiefrei diskutierbar sein müssten. Der Marxismus hatte deshalb soviel Einfluss, weil er ein geschlossenes, simples, pseudowissenschaftliches Weltbild bietet und weil er behauptet, den Gang der Weltgeschichte mit wissenschaftlichen Mitteln prognostizieren zu können. Daher kann man einem veritablen Marxisten auch nicht damit kommen, dies sei alles empirisch widerlegt oder die Menschen seien ganz anders. Er wird dann einfach behaupten, es habe eben noch keinen richtigen Kommunismus gegeben, dann wäre alles ganz anders.

Kommissär
09.01.2004, 16:07
Original von opus111
Der Streit, wie der Terminus „richtig“ auf Theorien (und nicht nur einzelne Aussagen) anzuwenden ist, ist teilweise müßig. Beispielsweise ist unklar, ob eine unvollständige Theorie dennoch „richtig“ sein könne.
Auch der Terminus „wahr“ oder „falsch“ ist bezogen auf Theorien (und nicht nur einzelne Aussagen) leicht missverständlich. Ich schlage daher im Anschluss an die Tradition die Begriffe „gültig“/“ungültig“ vor.

Eine Theorie ist gewiss nicht einfach deshalb ungültig, weil sie teilweise unvollständig ist. ABER: Die Theorien, von denen wir hier sprechen, beinhalten SELBSBEZÜGLICHE AUSSAGEN. Daher habe ich weiter oben auch das Semantik-Beispiel gewäht und bin dabei von der Idee einer „vollständigen“ Semantik über empirische Aussagen ausgegangen.Da stimme ich Dir zu, mit den Ausdrücken.
Die Frage ist aber, sind Theorien, die nur teilweise vollständig sind, auch gültig? Bzw. würden sie auch in unvollständiger Form realisierbar sein?

Da ich praxisbezogene Beispiele mag, nehme ich mal das simple Brot Rezept:
Für ein richtiges Brot braucht es:
Mehl
Wasser
Salz
Hefe

Diese 4 Komponenten gemischt + Temperatur Parameter ergeben Brot.
Für Brot sind diese 4 Zutaten unabdingbar.
Lassen wir mal in verschiedenen Variationen eine Komponente weg:
Mehl + Wasser + Hefe -> fades Brot
Mehl + Wasser + Salz -> ein steinhartes Gebäck, Brot-ähnlich
Mehl + Salz + Hefe -> irgendein Pulvergemisch
Wasser + Salz + Hefe -> gesalzte Hefe

Die erste Variante kommt dem konventionellen Brot am nächsten, kann man dieses als Brot bezeichnen? Sicher gibt es Leute, die das noch als Brot akzeptieren. Aber bei den anderen Variationen kann mit Sicherheit nicht mehr von Brot gesprochen werden = ungültig. Zu allen 4 Variationen kommt der Temperatur Parameter hinzu, ohne diesen kann diese chemische Reaktion nicht stattfinden. Das sinple Brotrezept ist in sich und durch physikalische Gesetze absolut.
Natürlich ist ein Vergleich Kommunismus mit Brot simpel, aber wenn man beim Brot gewisse Komponenten bzw. Parameter verändert oder weglässt, dann kommt je nachdem ganz etwas anderes heraus. Und der Kommunismus ist in seiner Theorie ein vielfaches komplexer und komplizierter aufgebaut als Brot, daher kann eine minimale Abweichung der Komponenten und der Paramter fatale Folgen haben.
Nun zum Kommunismus bzw. seiner Theorie, Marx hat sie aufgestellt und sie wurde von Lenin und Konsorten in die Tat umgesetzt.
Herausgekommen ist, wie wir heute wissen ganz etwas anderes.
Hat Marx also eine unvollständige Theorie bzw. ein Rezept verfasst und vergass entprechend einige Komponenten und/oder Parameter?
Oder haben seine Praktiker sie falsch oder unvollständig umgesetzt?

So wie ich das sehe, hat Marx zwar ein Resultat genannt, aber vergass einige Komponenten und Parameter. Marx geht ja von der Richtigkeit seiner Theorie aus, daher sollte man folgern, dass die Umsetzung fehlerhaft war. Da aber der Kommunismus in unserer Geschichte viele Chancen hatte sich zu realisieren, wieso hat es bis heute niemand geschaft ihn gemäss "Rezeptbuch" von Marx 1 zu 1 umzusetzen?
Ich schliese daraus, dass die Theorie unvollständig ist. Unter anderem vergleiche ich die kommunistische Theorie mit dem demokratischen Modell. Die Demokratie hatte wie der Kommunismus auch viele Gelegenheiten sich zu realisieren. Das Resultat heute:
Es gibt Länder, die der Demokratie sehr nahe sind bzw. mit der demokratischen Lehre übereinstimmen und andere Länder mit einer pseudo Demokratie. Ich schliese hier wiederum daraus, dass die demokratische Lehre pratisch vollständig ist, da sie in einigen Ländern tatsächlich funktioniert.

opus111
09.01.2004, 17:19
Hallo Baerlach,

ich stimme mit Dir weitestgehend überein.

Meines Erachtens ist die marxistische Theorie ungültig,

a.) weil sie empirisch unvollständig ist
b.) weil sie teilweise einfach empirisch falsch ist
c.) weil die metaphysischen Voraussetzungen - z.B. die Behauptung der strengen Prognostizierbarkeit historischer Entwicklung - ziemlich haltlos ist

Ob eine Theorie bereits deshalb ungültig ist, weil sie unvollständig ist oder nicht, ist vielleicht nur ein Streit um Worte. Man kann es so oder auch anders sehen - jedenfalls stimme ich Deinem Beispiel zu.

In jedem Fall sind unvollständige Theorien ungültig, wenn sie (selbstbezüglich) ihre eigene Vollständigkeit und universelle Gültigkeit behaupten. Dies tun alle Ideologien, die von einem absoluten Wahrheitsanspruch ausgehen.

Wenn man allerdings mit einem überzeugten Marxisten diskutiert, wird der sagen: man müsse das nur etwas ergänzen oder modifizieren, dann komme schon das Richtige heraus. Er wird also behaupten, dass der KERNBESTAND seiner Theorie weiterhin Gültigkeit hat, selbst wenn bestimmte Details fehlen oder sogar falsch sind. - Im übrigen ist es legitim, eine Theorie zu vervollständigen und zu verbessern. - Die Frage ist nur: Was ist der Kernbestand der marxistischen Theorie, und ist sie verbesserungsfähig?

Ich persönlich halte die metaphysischen Behauptungen dieser Theorie für das eigentliche "Grundübel". Unbeweisbare metaphysische Behauptungen dienen nur einem Zweck, der "Immunisierung" einer empirisch haltlosen Theorie. Der sogenannte wissenschaftliche Materialismus behauptet ja, das Prinzip aller Dinge bereits gefunden zu haben. Mit einer gewissen Flexibilität kann ich dann Fakten so uminterpretieren, dass sie doch wieder in meine Theorie passen. Daher kann man einem Marxisten leider auch nicht mit empirischen Fakten kommen. - Ein wunderbares Beispiel ist die Religion: Wenn die Fakten nicht passen, dann werden sie passend uminterpretiert. Wenn beispielsweise einst Darwins Evolutionslehre nichts ins Bild passte, dann hat die katholische Kirche spätestens seit Teilhard eine ideologische Lösung gefunden, Darwins Lehre mit der eigenen Schöpfungsideologie zu vereinbaren. So ähnlich verfahren auch Marxisten.

Daher konzentriere ich mich lieber auf die ideologisch-philosophischen Voraussetzungen des Marxismus: z.B. auf die ziemlich unreflektierte Anwendung des Prinzips der Dialektik und auf den historischen Materialismus. Nichts davon ist beweisbar. Es lässt sich vielmehr zeigen, dass der Wahrheitsanspruch des Marxismus auf pseudowissenschaftlichen formalen Hülsen beruht.

Das Prinzip der Dialektik wurde im übrigen nicht von Hegel, sondern von Kant konzipiert. Kant hatte dabei ein fundamentales, im Grunde sehr einfaches Prinzip im Sinn, welches von Hegel lediglich adaptiert und in einer teilweise fruchtbaren, teilweise unsinnigen Weise verwendet wurde. Kant wäre es jedoch niemals in den Sinn gekommen, dieses formale Prinzip mit geschichtsphilosophischen Inhalten zu verbinden - denn die Inhalte sind eben nicht a priori beweisbar.

Also noch mal: wir stimmen überein. Die anthropologischen Grundlagen des Marxismus (die alle aus dem 19. Jh. stammen und durch die Forschung auf der ganzen Linie widerlegt sind) sind unhaltbar.

Allerdings finde ich es manchmal doch ein wenig simpel, nur darauf hinzuweisen, dass der Marxismus funktionierte, wenn der Mensch weniger egoistisch wäre. Da könnte ja einer auf die Idee kommen, uns genetisch zu selbstlosen Wesen umfunktionieren zu wollen. Der würde dann auch behaupten, damit sei das vom Marxismus prognostizierte Endstadium der Geschichte endlich erreicht. Ein erschreckender Gedanke.