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Vollständige Version anzeigen : Hobbes und Locke



cschmit4
21.12.2003, 14:01
Lasst uns doch mal diskutieren, welchen Nutzen und Wert die Gedanken klassische Theoretiker heute noch haben können.

Wäre eine Welt ohne den "Souverän" ein Krieg eines Jeden gegen Jeden, oder herrschte in einem solchen Naturzustand die absolute Freiheit? Ist es sinnvoller ein negatives Menschenbild zu verfechten oder sind die Menschen gar nicht so schlecht wie oft behauptet wird? Wurden sie gar erst durch kapitalistische Gesellschaftsformen vom ursprünglichen, guten Weg abgebracht?

Wie ließen sich die Vertragstheorien auf die internationale Staatenwelt übertragen? Kann es dort ohne einen Souverän zu einem friedlichen Nebeneinander kommen?

Großadmiral
21.12.2003, 23:46
Ich kenne diese Typen nicht...;)

pavement
22.12.2003, 02:59
wir hatten schon mal einen thread zu rousseau, in dem ähnliches (zum teil) behandelt wurde:

http://www.politikforen.de/thread.php?threadid=1260&sid=&threadview=0&hilight=&hilightuser=0&page=39

und hier:

http://www.politikforen.de/thread.php?threadid=1976&sid=&threadview=0&hilight=&hilightuser=0&page=6


Ist es sinnvoller ein negatives Menschenbild zu verfechten oder sind die Menschen gar nicht so schlecht wie oft behauptet wird?

mir erscheint rousseaus menschenbild pausibler als das von hobbes, da dieser hobbes in sich aufgenommen und weiterverarbeitet hat.
leider wird rousseaus quintessenz ´der mensch ist von natur aus gut´ oftmals so interpretiert, dass laut rousseau im naturzustand weder das recht des stärkeren noch natürlicher egoismus geherrscht hat. jeder, der die ´abhandlung über den ursprung und die grundlagen der ungleichheit unter den menschen´ liest, kann sich von dem gegenteil überzeugen.
ein grund für diese (meines erachtens) fehlerhafte interpretation ist die tatsache, dass der ursprüngliche naturzustand und die letzte stufe des naturzustands - in der schon der keim für die zukünftige gesellschaft liegt und von der aus es kein zurück mehr gibt - nicht genau auseinandergehalten wird.
der vorwurf, rousseau wollte die heutige gesellschaft in die steinzeit zurückbomben (den man oft zu hören bekomt!), ist ebenfalls nicht angebracht, da rousseau ja mit ´du contrat social´ einen gegenentwurf zur modernen gesellschaft (des 18. jhs.) entwarf.


Wie ließen sich die Vertragstheorien auf die internationale Staatenwelt übertragen? Kann es dort ohne einen Souverän zu einem friedlichen Nebeneinander kommen?

auch hier scheint mir rousseau plausibel zu sein: die staaten untereinander befinden sich noch auf der letzten stufe des naturzustandes (während in den staaten selber schon das bürgerliche recht zur allgemeinen regel wurde) und verspürten bald die missstände, die den einzelnen gezwungen hatten, aus dem naturzustand zu verlassen - vor allem, da dieser zustand zwischen den großen körpern noch unheilvoller war als vorher unter den individuen.
daraus ergibt sich bei konsequenter anwendung der staatsbildungstheorie rousseaus: die gründung supranationaler organisationen erfolgt nicht, um schwache staaten zu schützen, sondern ist ein trick der reichen staaten, um ihrer unrechtsmäßigen herrschaft den mantel der legitimität anzulegen.
die analogie zur diesjährigen wto-konferenz und der uno (vetorecht! welcher kleine, schwächere staat hat jemals mit hilfe der uno seine interessen gegen die der stärkeren staaten durchsetzten können?) liegt auf der hand.


Wäre eine Welt ohne den "Souverän" ein Krieg eines Jeden gegen Jeden, oder herrschte in einem solchen Naturzustand die absolute Freiheit?

das läuft auf die frage hinaus, ob anarchie möglich ist.



Wurden sie gar erst durch kapitalistische Gesellschaftsformen vom ursprünglichen, guten Weg abgebracht?

eine schwierige frage, ich mit einem zögernden und noch wenig begründbaren ´ja´ beantworten würde.

pavement
22.12.2003, 03:00
Ich kenne diese Typen nicht...

das hätte mich auch schwer gewundert...

Kommissär
22.12.2003, 07:50
Ich kenne diese Typen, möchte aber noch keine Stellung nehmen.

@GA
Beschäftige Dich mal mit Philosophie, Dein geistiger Horizont wird sich noch mehr erweitern.

Großadmiral
22.12.2003, 10:16
Danke für den Tipp, baerlach :rolleyes:
Auch dank an Pave! :rolleyes:

pavement
23.12.2003, 19:57
@cschmidt4:

noch da?

cschmit4
23.12.2003, 20:05
Ja, ich bin noch da. Danke Dir auch für eine der wenigen sinnvollen Antworten bisher hier.

Hatte leider noch nicht die Möglichkeit, mich eingehender damit zu beschäftigen.

Nur soviel: sicher hat Rousseau bereits weiterführende Gedanken, doch liegt dies auch ein wenig daran, dass er zeitlich deutlich nach Hobbes und Locke kam und damit auch von deren Gedanken bereits profitieren konnte.

Für mich sind Hobbes und Locke (abgesehen davon, dass sie Prüfungsthemen sind) interessant, da sie als die Anfangspunkte der neuzeitlichen Vertragstheorie gelten können, wenn wir mal den Herrn Macchiavelli außen vor lassen. Und trotz dieser primären Gedanken lassen sich doch bereits einige Aspekte finden, die auch durchaus heute noch einen gewissen Erklärunsgwert besitzen, oder findest Du nicht?

pavement
24.12.2003, 00:19
Für mich sind Hobbes und Locke (abgesehen davon, dass sie Prüfungsthemen sind) interessant, da sie als die Anfangspunkte der neuzeitlichen Vertragstheorie gelten können, wenn wir mal den Herrn Macchiavelli außen vor lassen. Und trotz dieser primären Gedanken lassen sich doch bereits einige Aspekte finden, die auch durchaus heute noch einen gewissen Erklärunsgwert besitzen, oder findest Du nicht?

da muss ich leider gestehen, dass ich von hobbes bisher nur ausschnitte aus dem ´leviathan´ gelesen hab (der gesamte ist jetzt irgendwann demnächst mal dran), locke hab ich mich bisher nur über sekundärtexte angenähert. ich werd aber wohl an den ´zwei abhandlungen über die regierung´ nicht vorbeikommen können (und wollen).

roterRebel
26.12.2003, 16:34
Von Hobbes, Locke und Rousseau habe ich zwar schon Ausschnitte gelesen, aber nie ein ganzes Buch. Könntet ihr mir vielleicht eine E-mail schreiben oder mir hier einfach antworten was ich von den Herren lesen sollte? Dankeschön im Vorraus

pavement
26.12.2003, 17:00
hobbes - ´leviathan´
rousseau - ´der gesellschaftsvertrag´ sowie ´abhandlung über die ungleichheit´ (von rousseau ist auch noch ´träumereien eines einsamen spaziergängers´ sehr witzig und etwas krank)
locke - ´zwei abhandlungen über die regierung´

roterRebel
26.12.2003, 17:03
Ich danke, und werde mir direkt nach den Feiertagen in der ZB die bücher besorgen. Wenn ich sie dann gelesen haben, werde ich diese Disskusion wiederbeleben, in etwa 2 bis 3 wochen, denke ich.

pavement
26.12.2003, 17:03
ich würd sie mir gleich kaufen, die gibts alle (bis auf locke glaub ich) als reclam & sind nicht ziemlich teuer.

roterRebel
26.12.2003, 17:06
Stimmt auch wieder, dann kann ich sie besser zitieren und Unterstreichen. Gibts eine Seite, bei der man sich Reclams bestellen kann? Währe nützlich, ich will das K. Manifest auch noch mal gerne als Reclam....

pavement
26.12.2003, 17:10
bei amazon.de kannst dus bestellen - aber soweit ich weiß, muss man jetzt auch innerhalb deutschlands versandkosten bezahlen (war vor weihnachten mal ne zeit lang ohne).
aber wenn du über 20€ kommst, dann dürften die versandkosten wieder wegfallen.
reclam kannst du aber auch in jeder buchhandlung bestellen, in universitätsbuchhandlungen dürften die genannten bücher so gar auf lager sein.

roterRebel
26.12.2003, 17:18
gut, danke schön.
roterRebell

opus111
06.01.2004, 09:52
Zu dem hier angeschnittenen Thema passt wenigstens teilweise ein Beitrag von mir (page 2 in diesem Forum), auf den es typischerweise keinerlei Reaktion gab: "Die Idee der Verfassungslegitimation (Staatskonstitution) nach dem Vernunftrecht der Aufklärung"

Polly
06.01.2004, 11:37
Was die Staatsphilosophie angeht, so kenne ich keinen Philosophen, dem ich bezügl. seiner Theorien uneigeschränkt zustimmen würde.

Wer sich einen Überblick über die Richtungen der Staatsphilosophie verschaffen will, dem empfehle ich:

"Klassische Texte der Staatsphilosophie" von Norbert Hoerster, dtv

Luciérnaga
06.01.2004, 12:00
Original von cschmit4
Wäre eine Welt ohne den "Souverän" ein Krieg eines Jeden gegen Jeden, oder herrschte in einem solchen Naturzustand die absolute Freiheit? Ist es sinnvoller ein negatives Menschenbild zu verfechten oder sind die Menschen gar nicht so schlecht wie oft behauptet wird? Wurden sie gar erst durch kapitalistische Gesellschaftsformen vom ursprünglichen, guten Weg abgebracht?

Ich halte mich an Hobbes Naturzustand. Jeder Mensch ist von Natur aus gleich, doch jeder Mensch will sich auch in erster Linie selbst erhalten. Sieht er nun die geringste Gefahr im Gegenüber, beginnt er, nach eigenem Recht zu handeln. Es könnte sicherlich weniger Konflikte geben, wenn wir nicht in einem den Egoismus fördernden System (Kapitalismus) lebten. Doch selbst, wenn wir in einem anarchischen Gebilde lebten, bin ich fest davon überzeugt, dass es schon bald zum Krieg eines Jeden gegen Jeden kommen würde. Der Mensch ist in seiner Natur kein Altruist.
Daher ja, die Welt ohne Souverän würde zum Krieg eines Jeden gegen Jeden führen.
Ich gehe davon aus, dass du mit "einem solchen Naturzustand" den Naturzustand von Hobbes meinst, ohne dass es einen Souverän gibt? Wenn ja, dann ist er vielleicht tatsächlich die "absolute Freiheit", da niemand in igendeiner Weise beschränkt ist, jedoch gibt es nicht nur einen Natur"zustand" des Menschen, sondern auch ein Natur"recht" desselben und dieses gebietet, dass es eine übergeordnete Gewalt geben muss, die zumindest dieses gewährleistet, wenn der Mensch es nicht von alleine tun kann. Wenn jeder gleich geboren ist, hat auch jeder zumindest das gleiche Recht auf Leben.

Vielleicht ist das Menschenbild zu negativ, aber bis mich etwas oder jemand von Gegenteil überzeugen kann, finde ich es sicherer, von einem negativen Menschenbild auszugehen und "jeden vor jedem zu schützen", als dass wir von einem zu positiven ausgehen und damit das Naturrecht des Menschen gefährden, oder?

Im Übrigen habe ich mein Wissen auch nur aus Sekundärtexten, also wenn etwas falsch ist, bitte darauf hinweisen... :D

opus111
06.01.2004, 15:25
Ich halte angesichts der üblichen privatphilosophisch-naiven Diskussionen in diesem Forum den Hinweis für erforderlich, dass es immerhin solche Disziplinen wie Kulturanthropologie („cultural anthropology“ im angelsächsischen Kontext), Ethnologie und Soziologie sowie angrenzende Wissensgebiete gibt: Auch wenn hier nicht jeder mit dem einschlägigen Schrifttum vertraut sein kann, sollte doch niemand glauben, einer mindestens 150 Jahre alten (allerdings kontroversen) Forschung einschließlich immensem Schrifttum mit ein paar Privatstatements Paroli bieten zu können. Ich füge ein paar eigene naive Statements hinzu, da es auf diesem diskursiven Niveau anders nicht geht.

Aus ethnographischer Sicht scheint es einige wenige Gesellschaften zu geben, die ohne Gewalt und Konflikte auskommen können: z.B. die Buschmänner. Dies ist aber nur insofern richtig, als es sich im strikten Sinne nicht um Gesellschaften, sondern um Horden mit maximal 50 Personen handelt, die unter sehr harten äußeren Lebensbedingungen (metaphorisch als eine Art „zusammengeschweißte Schicksalsgemeinschaft“) interagieren müssen: im übrigen ohne die Möglichkeit, auf Kosten von anderen zu expandieren oder sich „weiterzuentwickeln“. Sobald Buschmann-Horden mit anderen sozialen Entitäten zusammentreffen, kann es nach anfänglichem friedlichen Austausch durchaus zu massiven Konflikten kommen, welche die rudimentäre gesellschaftliche Organisation aufbrechen. – Die Dynamik kultureller, zivilisatorischer und technischer Entwicklung von Gesellschaften ist ein hochkomplexes Phänomen, welches in einem solchen Forum nicht einmal annäherungsweise behandelt werden kann. Die politische Entwicklung und die Ausbildung von Machtstrukturen steht in Korrelation zu jener Dynamik. Die Phänomene sind keineswegs unabhängig. Daher ist die hier in Beiträgen anzutreffende Bemerkung „negatives Menschenbild“ ein völlig unangebrachter Wertungstopos (gegen dessen Intentionen ich in einem anderen Diskussionskontext gar nichts einzuwenden hätte!). Die Ausbildung von Machtstrukturen und hierarchischer Interaktion hat nicht allein etwas mit angeborener menschlicher Bosheit, Aggressivität und Machtlust zu tun, sondern beginnt bereits mit der notwendigen Formierung etwas komplexerer Kommunikationsgebilde. Dass Gewaltherrschaften und Unterdrückung von Individuen oftmals Ergebnisse solcher Interaktionen sind, ist eine mögliche – aufgrund der brutal praktischen Einfachheit leider oft sehr effiziente – Formierungsvariante, aber keineswegs als zwingend erwiesen. – Gesellschaftskonstitution ist sowohl „egoistisch“ als auch „altruistisch“ interpretierbar: Denn in diesem Zusammenhang korrelieren die Begriffe und verlieren ihren unabhängigen Sinn.

Meines Erachtens kann als hervorragend abgesichertes und heutzutage kaum mehr kontrovers diskutiertes Resultat der anthropologischen Forschung gelten, dass die Bildung komplexerer Gesellschaftsformen (sofern die Organisation der idealtypischen „Urhorde“ aufgebrochen wird) ohne wenigstens rudimentäre Machthierarchien nicht möglich ist. Ich stimme Pavement zu, dass man Rousseau gründlich missversteht, wenn man ihm ein naives Bild von gesellschaftlicher Konstitution unterstellt. Der Topos des glücklichen Naturzustandes ist ein idealtypischer Gegenentwurf zur Gesellschaft des 18. Jh., dessen historische Faktizität von größter Belanglosigkeit ist.

In der Tat gelten heute alle Versuche der frühen Kulturanthropologie und Ethnologie als gescheitert, das Werden der menschlichen Gesellschaft „gesellschaftsevolutionär“ zu erklären. Friedrich Engels bezieht sich im „Urspung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ auf Lewis Henry Morgans „Evolutionismus“: aus heutiger Sicht eine zwar genialische, aber doch äußerst naive und seit bereits 100 Jahren durch die Forschung gründlich widerlegte Simplifizierung der Gesellschaftskonstitution. Die moderne Ethnologie geht davon aus, dass es „einfache und ursprüngliche Gesellschaften“ in strikter Bedeutung überhaupt nicht gibt oder gegeben hat. Sofern es sie zu geben scheint (z.B. die Buschmänner), handelt es sich eher um „Abspaltungen“ komplexerer Entwicklungslinien als um „ursprüngliche“ Entitäten. Dass dies vielleicht nicht sofort einleuchtet, liegt an unseren vorwissenschaftlichen Urteilen: erstens an der Neigung, soziale Evolutionen mit biologischen Evolutionen (vom Einzeller zum Säugetier) zu verwechseln, zweitens an den idealtypischen „Gegenentwürfen“ der europäischen Aufklärung, die wir alle – so ungebildet wir auch sein mögen – mit der Muttermilch eingesogen haben. Streng genommen ist daher auch der Topos „komplexe Gesellschaftsformen“ ebenfalls etwas unsinnig, weil es kein Gegenglied gibt: Es bliebe da nur das auf sich selbst zurückgeworfene Individuum, aber dieses stünde nur in einer – von mir bewusst absurd formulierten – „Kommunikationsgemeinschaft mit sich selbst“.

Allerdings schließt die Tatsache der „komplexen“ sozialen Interaktion in hierarchischen Gebilden mit spezialisierten Machtstrukturen (die es nach meiner Überzeugung letztendlich auch in einer sogenannten „anarchistischen“ Gesellschaft geben würde) keineswegs automatisch die Antwort auf die Frage nach der „Legitimation von Macht“ ein. Diese – in der europäischen Aufklärung geborene - Frage ist eine bleibende Herausforderung für unser Denken und Handeln: Bekanntlich ist eine lediglich positivistische Deskription der Wirklichkeit (etwa in dem Sinne: „Kriege, Gewalt, Herrscher und Polizisten hat es schon immer gegeben“) zur Lösung normativer Fragen völlig unzureichend. So unterschiedlich die Modelle der „Klassiker“ auch immer sein mögen, sie bieten immer noch wesentliche Denkanstöße für den „modernen Menschen“.

cschmit4
12.02.2004, 14:27
Da die Diskussion durch meinen Vorredner wohl erstickt wurde, nutze ich jetzt dieses Forum auch einmal dafür, einen längeren Monolog darzubieten. Gestern erschien mir Thomas Hobbes und äußerte sich zu aktueller gloabler Politik:

Was Thomas Hobbes zu den Perspektiven von Global Governance sagen würde

Wenn es nun darum ginge, eine adäquate Form kollektiven globalen Handelns zu etablieren, dürfen wir nicht darum herum reden, dass wir eine globale Sanktionsgewalt benötigen, welche die Einhaltung globaler Normen kontrolliert. Momentan gleich die internationale Staatenwelt meinem skizzierten Naturzustand. Die für sich selbst verantwortlichen und souveränen Staaten entsprechen dabei den Menschen, die im Naturzustand das Recht auf alles haben, was ihrer Selbsterhaltung dient. Dabei werden sie im Zweifel jegliche weitsichtige kooperative Handlungsweise ad acta legen, sobald grundlegende individuelle bzw. staatliche Interessen bedroht werden. Dies wird sich erst dann ändern, wenn die Kosten eines solchen Handelns den Nutzen der Freiheit bzw. der Souveränität im internationalen System übersteigen. Kosten sind dabei ein nicht funktionierender Wettbewerb ohne ein Minimum an sozialem Ausgleich und ohne bewusstere ökologische Vorsorge. Die Folgen dieser Handlungsweise werden durch die Vernetzung der Kommunikations- und Informationskanäle deutlicher, es wird den Menschen vor Augen geführt, welche Auswirkungen Armut hat, welche Schäden der Umwelt zugefügt werden. Wenn es dann soweit kommt, dass auch die stärkeren Staaten des Staatensystems bedroht werden von der Armut, dem unverträglichen Bevölkerungswachstum, den ökologischen Gefahren, dann ist ähnlich wie im Naturzustand, als jedem bewusst wurde, dass eine individuelle Sicherheit in diesem System der gegenseitigen Bedrohung nicht gewährleistet ist, ein kooperatives Verhalten denkbar. In Hinblick auf die Weltressourcen muss der Weg beinahe unabdingbar dorthin führen. Dies wiederum entspricht den von mir bereits vor beinahe 400 Jahren formulierten Knappheitsbedingungen. Allerdings wird es ohne sanktionsbewährte Maßnahmen weiterhin immer zu dem Phänomen des free-rider-Verhaltens kommen, das durchaus auch von Staaten, die sich eigentlich kooperativ verhalten wollen, aber in Voraussicht des unkooperativen Verhaltens anderer Staaten, ebenfalls hauptsächlich um ihre eigenen Vorteile bemühen. Und damit wird es weiterhin bei der Konkurrenz unter den Nationalstaaten bleiben, ja diese wird durch die Knappheitsbedingungen weiter verschärft. Damit lässt sich auch der Wettlauf vieler Staaten um den Zugang zu Energiequellen erklären. Dass dieses Verhalten basierend auf einem Konkurrenzdenken und dem entsprechenden Misstrauen gegenüber jeglichem Mitbewerber sehr kostenintensiv ist, zeigte nicht zuletzt die Phasen der Aufrüstung während des Kalten Krieges. Hierbei lässt sich auch meine Aussage über den Frieden unterstreichen, der nämlich nicht nur durch die Abwesenheit von Krieg definiert wird. Denn auch potenzielle Sicherheitsbedrohungen erhalten immer wieder globale Bedeutung.
Die Frage nach dem Ausgang aus diesem Zustand gegenseitiger Konkurrenz und Bedrohung wurde in Sachen Naturzustand von mir dem Leviathan beantwortet. Ein absoluter Staat, der alle Souveränität auf sich vereinigt und damit absolut handlungsfähig ist, wodurch er für die Sicherheit, aber auch für den Wohlstand des Staates sorgen kann.
Nun leuchtet auch mir bereits ein, dass auf internationaler Ebene ein solcher Leviathan keineswegs etablierbar wäre. Also will ich hier die momentan aktuellen Vorschläge diskutieren: Man sollte ja davon ausgehen, dass die Staaten gemäß der bekannten Bedürfnispyramide als erstes besorgt um ihre Sicherheit sein sollten. Und tatsächlich sind hier bezüglich der UN auch bereits die größten Erfolge zu verzeichnen. Dennoch kann das Organ des Sicherheitsrates nicht als wirklich handlungsfähig bzw. –relevant gelten, denn bevor es hier zu Beschlüssen kommt, müssen alle Mitglieder einstimmig zustimmen. Und dabei haben wir wiederum mein bereits vieldiskutiertes Problem der Entscheidungsblockade in demokratischen Systemen. Allerdings wird dies hier noch potenziert, da in einem internationalen Gremium gemeinsame Hintergründe, die eventuell zu einer einheitlichen Entscheidung beitragen könnten, noch viel schwerer auszumachen sein werden.
An diesem Beispiel kann im Grunde schon verdeutlicht werden, dass international handlungsfähige kooperative Politik ohne Zugeständnisse der Nationalstaaten in Sachen Souveränität keine wirkliche Bedeutung erlangen wird. Zwar hat der Prozess globaler Normengebung bereits zu gewisser Selbstbindung der Staaten in bestimmten Bereichen geführt, aber das letzte Wort wird doch immer noch auf nationaler bzw. eventuell noch regionaler Ebene gesprochen. Von einer globalen Staatlichkeit kann sicherlich in keinster Weise die Rede sein.
Es wird nun behauptet, dass eine angestrebte Weltrepublik aus einem System geteilter Souveränitäten bestehen müsste. Dies kann natürlich meiner Meinung nach nicht funktionieren. Eine Teilung der Souveränität wird jegliches staatliches Gebilde von vornherein zum Scheitern verurteilen. Eine Weltrepublik wäre nur dann denkbar, wenn sich die Nationalstaaten allesamt zur Abgabe ihrer Souveränität verpflichteten, diese einem absolut herrschenden Gremium überlassen würde. Dabei spielte eine nachträgliche Kontrolle des entstandenen Souveräns auch keine Rolle mehr, denn dieser würde im Sinne seiner Glieder, eben den vormaligen Nationalstaaten handeln. Selbstredend würde auch eine demokratische Verfassung dieses Weltstaates keine Fortschritte bringen, sondern früher oder später im Sand der Kompromisssuche versinken. Handlungsfähigkeit ist ein entscheidendes Wort für diesen Weltstaat, denn wenn diese nicht gegeben ist, kann er seine Funktionen nicht erfüllen. Der Weltstaat muss in der Lage sein, auch gegen Widerstände das globale Recht durchzusetzen. Diese Durchsetzungsmacht ist ohne entsprechende menschliche und sachliche Kompetenz, sowie ohne die Verfügung über eine unabhängige Quelle von Ressourcen in Form globaler Steuern nicht denkbar.
Als Grundlage eines solchen Weltstaates bedürfe es allerdings erst einmal eines weltbürgerlichen Bewusstseins. Hier werden immer wieder hehre Begriffe wie Toleranz, Multikulturalität, Menschenrecht und so weiter ins Feld geführt. Zentrale Kategorie für die Herstellung eines gemeinsamen Bewusstseins, nun kooperative Wege einzuschlagen, kann allerdings nur die Furcht sein. Diese Furcht, das Einsehen in die globalen Interdependenzen und damit die Einsicht, dass alle negativen globalen Auswirkungen auch irgendwann einmal auf alle Nationen zurückfallen werden, sie alleine kann zu kooperativem Handeln führen. Solange aber nicht den vermeintlich starken Nationalstaaten dieses Bewusstsein erwächst, dass auch die Probleme der kleinen und schwachen Staaten einst zu Problemen der gesamten Menschheit werden, solange ist eine Einigung auf dringend notwendiges kooperatives Verhalten nicht absehbar.