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Vollständige Version anzeigen : Frage zum Wirtschaftsboom und Handesdefizit in den USA und GB



cego
08.02.2006, 22:04
Vielleicht könnt ihr mich mal schlau machen. Ich halte mich in Wirtschaftsfragen nicht für einen Fachmann, aber auch nicht für komplett dämlich, vielleicht verstehe ich's deshalb nicht:
Also: die robuste Konjunktur, verbunden mit steigendem Bruttoinlandsprodukt und niedriger Arbeitslosigkeit in den USA und Grossbritannien wird hier immer gelobt und uns auch oft genug als Vorbild präsentiert.

Auf der anderen Seite lese ich solche Informationen über ein riesiges Haushaltsdefizit (USA), eine negative Handelsbilanz (USA und GB), ein niedrige Produktivität in GB (minus 20% gegenüber Deutschland, minus 30% gegenüber Frankreich), ein überbewertetes Pfund (GB), Immobilienblasen (???, USA und GB), hohe private Verschuldung (USA und GB) mangels nicht standardsierter Industrieausbildung ein verhältnismäßig schlechtes Qualifikationsniveau (GB und USA).

Nun gibt es in Deutschland solche Sachen wie hohe öffentliche und private Verschuldung auch. Umgekehrt gelten die skandinavischen Länder als hoch produktiv mit großzügigen Sozialleistungen und dennoch niedriger Arbeitslosigkeit.

Was ist also dran am us-amerikanischen und britischen Wirtschaftswunder. Ich bekomme meine Einzelinformationen irgendwie nicht zu einem Gesamtbild zusammen, dass den Erfolg (oder ist es vielleicht gar kein Erfolg ?) erklärt ???

Mark Mallokent
08.02.2006, 22:12
In diesem Blog findest du sehr gute Infos zu dieser Frage. Mußt ein wenig suchen. :cool:
http://www.statler-and-waldorf.de/

Kalmit
09.02.2006, 12:39
Die Volkswirtschaften USA und GB verschulden sich z. Z. massiv im Ausland und betreiben auch im Inland teilweise massive Nachfragepolitik, siehe z. B. die Lohnsteigerungen in den USA im Vergleich zu D.

Unser Export lebt momentan noch davon, dass sich die Welt bei uns massiv verschuldet. In Deutschland jedoch gelten Schulden oder dadurch betriebene Konjunkturprogramme als nichts bringende Elemente wirtschaftspolitischer Maßnahmen, weil sie nicht zu den vorherrschenden angebotsorientierten Dogmen zählen! Weiter dienen diese Länder als Gegenargument derer, die behaupten große Wachstumsraten wären in Industieländern nicht mehr möglich!

Wobei in den USA und GB aber - und das ist das große Problem - nicht alle Menschen in gleichem Maße vom Wirtschafswachstum profitieren, siehe Working poor, Gesundheitssystem, Slumbildung und Kriminalitätsraten (besonders in Großstädten)!

Insgesamt zeigt es nur eins: Deutschland ist nicht ansatzweise so schlecht, wie es geredet wird, im Gegenteil! Unsere Probleme basieren auf einer skandalös finanzierten Wiedervereinigung und der hohen Massenarbeitslosigkeit, bedingt durch einseitiger Wirtschaftspolitik und Sozialabbau!

Ein guter Wirtschafts-Weblog von Herr Heusinger (die Zeit): http://blog.zeit.de/herdentrieb/

cego
09.02.2006, 18:42
Hallo Kalmit,
vielen Dank für deine Antwort. Du beschreibst für die USA und GB eigentlich eine klassische keynsianische Politik, nur dass sich diese Länder ihr Fremdkapital im Ausland, also auch bei uns leihen, was wiederum hohe Zinsen dort bedeuten müßte. Heißt das, dass z.B. Großbritanniens Wirtschaftswunder nur deshalb möglich ist, weil die anderen EU-Staaten aus der Euro-Zone sie lassen ?
Ich habe ein bißchen mehr zu GB gelesen. Dort läge allerdings das Haushaltsdefizit mittlerweile auch oberhalb der Maastricht-Kriterien, steht die Alterssicherung vor riesigen Problemen, ebenso das Gesundheitswesen. Die Arbeitszeiten sind lang, die Produktivität und durchschnittliche Qualifikationsstruktur niedrig. Und die "working poor" müssen mit öffentlichen Mittels auf's Existenzminimum hochsubventioniert werden. Das überbewertete Pfund macht die Exporte teuer.
Könnte es angesichts dieser Daten sein, dass möglicherweise in GB die Party sehr bald vorbei ist ? Energiepreise, Zinserhöhungen etc

Kalmit
10.02.2006, 13:12
Heißt das, dass z.B. Großbritanniens Wirtschaftswunder nur deshalb möglich ist, weil die anderen EU-Staaten aus der Euro-Zone sie lassen ?

Versteh die Frage nicht ganz, auch andere EU-Staaten haben recht frappierende Leistungsbilanzdefizite... Deutschland gleicht das insgesamt schon enorm aus!

Ich sehe momentan auch grundsätzlich kein wirkliches großbritannisches "Wirtschaftswunder", mehr wie "etwas über'm Durchschnitt" ist das auch nicht... Diess Land wird gerne von gewissen Kräften als Modellland hingestellt, wg. Maggie Thatcher und niedrigen sozialen Standards, längeren Arbeitszeiten und geringeren Löhnen. Dass die Briten nur z. B. deutlich weniger produktiv sind wie die Deutschen, nimmt auch keiner wahr: ein Brite arbeitet vielleicht >42h - erstellt in denen aber trotzdem weniger als ein Deutscher in 38,5!

Deswegen denke ich auch, dass dieser Boomerang (also hauptsächlich das gigantische Außenhandelsdefizit) in naher Zukunft auf diese Länder zurückschlagen wird. Es sei denn, man stabilisiert durch keynesianische Ansätze so stark die Binnennachfrage, dass dem Defizit durch eine angekurbelte Konjunktur ein dementsprechender Überschuss folgen kann. Wie man es nicht machen sollte, macht Deutschland schon seit Jahren vor: Radikales sparen im Inland, Sozialabbau und Lohnzurückhaltung bei gleichzeitig gewaltigen Exportüberschüssen (...bei angeblich fehlender internationaler Wettbewerbsfähigkeit)!

In den USA hat diese Form der expansiven WiPo schon desöfteren funktioniert, bei GB bin ich skeptischer... Die Frage ist letzten Endes (für Linke) aber, ob von diesem Aufschwung dann auch wirklich alle profitieren und das Geld nicht wieder nur auf den Konten einiger weniger (Kaptialeigner, Unternehmer) landet!

Giftzwerg
10.02.2006, 18:41
Versteh die Frage nicht ganz, auch andere EU-Staaten haben recht frappierende Leistungsbilanzdefizite... Deutschland gleicht das insgesamt schon enorm aus!Womit gleicht Deutschland das aus? Mit 0.5% Wirtschaftswachstum? :))


Diess Land wird gerne von gewissen Kräften als Modellland hingestellt, wg. Maggie Thatcher und niedrigen sozialen Standards, längeren Arbeitszeiten und geringeren Löhnen. Dass die Briten nur z. B. deutlich weniger produktiv sind wie die Deutschen, nimmt auch keiner wahr: ein Brite arbeitet vielleicht >42h - erstellt in denen aber trotzdem weniger als ein Deutscher in 38,5!Geringere Löhne? Sag mal, Du warst wohl noch nie in London..? Und ich sag nur was von 35-Stunden-Woche in Deutschland..


Deswegen denke ich auch, dass dieser Boomerang (also hauptsächlich das gigantische Außenhandelsdefizit) in naher Zukunft auf diese Länder zurückschlagen wird. Es sei denn, man stabilisiert durch keynesianische Ansätze so stark die Binnennachfrage, dass dem Defizit durch eine angekurbelte Konjunktur ein dementsprechender Überschuss folgen kann. Wie man es nicht machen sollte, macht Deutschland schon seit Jahren vor: Radikales sparen im Inland, Sozialabbau und Lohnzurückhaltung bei gleichzeitig gewaltigen Exportüberschüssen (...bei angeblich fehlender internationaler Wettbewerbsfähigkeit)!Radikales Sparen? Warum haben wir dann noch immer Defizite und horrende Staatsverschuldung? Und ich denke nicht, dass die gewaltigen Exportüberschüsse etwas sind, worauf Deutschland wirklich stolz sein kann - es ist eine Folge der lahmenden Wirtschaft.


In den USA hat diese Form der expansiven WiPo schon desöfteren funktioniert, bei GB bin ich skeptischer... Die Frage ist letzten Endes (für Linke) aber, ob von diesem Aufschwung dann auch wirklich alle profitieren und das Geld nicht wieder nur auf den Konten einiger weniger (Kaptialeigner, Unternehmer) landet!Expansive Wirtschaftspolitik? USA? So sehr ich auch gegen Defizite bin, sie sind immerhin noch besser als Deutschland mit seiner expansiven Wirtschaftspolitik.

Die einzige wirkliche Bedrohung für die britische Wirtschaft ist die Housing-Bubble. Die ist aber nicht durch Wirtschaftspolitik bedingt (sondern durch enorme Naturschutzgebiete in einem kleinen Land und eine Vorliebe, Häuser zu kaufen statt zu mieten).

cego
10.02.2006, 22:34
Geringere Löhne? Sag mal, Du warst wohl noch nie in London..? Und ich sag nur was von 35-Stunden-Woche in Deutschland..

Radikales Sparen? Warum haben wir dann noch immer Defizite und horrende Staatsverschuldung? Und ich denke nicht, dass die gewaltigen Exportüberschüsse etwas sind, worauf Deutschland wirklich stolz sein kann - es ist eine Folge der lahmenden Wirtschaft.

Expansive Wirtschaftspolitik? USA? So sehr ich auch gegen Defizite bin, sie sind immerhin noch besser als Deutschland mit seiner expansiven Wirtschaftspolitik.

Die einzige wirkliche Bedrohung für die britische Wirtschaft ist die Housing-Bubble. Die ist aber nicht durch Wirtschaftspolitik bedingt (sondern durch enorme Naturschutzgebiete in einem kleinen Land und eine Vorliebe, Häuser zu kaufen statt zu mieten).

London ist vielleicht nicht ganz England, angeblich gibt es im Norden des Landes große Gebiete, in denen die 60% aller Jobs direkt oder indirekt von der öffentlichen Hand abhängen.

Der letzte Haushalt 2004 von "Sparminator" Hans Eichel war von drastischen Sparmaßnahmen gekennzeichnet. Das Ergebnis waren drastische Steuerausfälle, die wieder mit höher Verschuldung kompensiert werden mußten. Kürzungen von Sozialleistungen ziehen eben auch Konsumeinschränkungen mit nachlassender Binnennachfrage nach sich. Ein Rückgang öffentlicher Investionen bedeutet auch weniger Aufträge - weniger Gewinn - weniger Steuereinnahmen.

Inzwischen verbreitet sich die Einsicht, dass eine schwache Binnennachfrage in D wesentlich für das schwache Wachstum mit verantwortlich ist. Ich bin nur skeptisch, ob man das mit einem Konjunkturprogramm à la Keynes wirklich nachhaltig beheben kann. Keynes ist da zu kurzfristig angelegt. Außerdem kann man so was nur machen, wenn man nicht von einem ohne hin hohen Schuldensockel startet.

Meine Frage, wie robust z.B. in GB das Wirtschaftswachstum ist kommt daher, weil britischen Zeitungen zufolge, die Zahl der privaten Pleiten einen Höchststand seit den 80er Jahren erreicht, trotz der "aktivierenden Sozialpolitik" die Arbeitslosigkeit leicht angestiegen ist (kein Vergleich zu D, ich weiß) und auch GB mit einem wachsenden Staatsdefizit zu kämpfen hat, obwohl noch viele Investitionen in den öffentlichen Sektor nötig wären. Sind das Anzeichen für eine Landung der Konjunktur oder wird nur ein Zwischenstopp eingelegt ?

Manfred_g
10.02.2006, 22:50
Tatsache ist nun einmal, daß Deutschland bezüglich des pro Kopf Bruttoszialproduktes in den 80-er jahren noch besser als die USA lag und wesentlich besser als Großbritannien. Heute liegen wir weit hinter den USA und auch etwas hinter Großbritannien. Deutschland ist im eropäischen, wie im internationalen Vergleich deutlich zurückgefallen. Daran ist tatsächlich die Wiedervereinigung zu einem Teil schuld, die Regierung Kohl war auch nicht unschuldig und Rot-Grün hat alles getoppt. Leider im negativen Sinn.

Giftzwerg
10.02.2006, 23:07
London ist vielleicht nicht ganz England, angeblich gibt es im Norden des Landes große Gebiete, in denen die 60% aller Jobs direkt oder indirekt von der öffentlichen Hand abhängen.Kleine solche Gebiete gibts überall. Große Gebiete eher nicht. Entweder ist es das Hauptquartier der öffentlichen Hand der Region, oder es ist ein eher schlecht aufgebauter Teil des Landes..

Ausserdem ging es hier um Löhne, die sind auch etwas weiter weg von London nicht gerade tief.


Der letzte Haushalt 2004 von "Sparminator" Hans Eichel war von drastischen Sparmaßnahmen gekennzeichnet. Das Ergebnis waren drastische Steuerausfälle, die wieder mit höher Verschuldung kompensiert werden mußten. Kürzungen von Sozialleistungen ziehen eben auch Konsumeinschränkungen mit nachlassender Binnennachfrage nach sich. Ein Rückgang öffentlicher Investionen bedeutet auch weniger Aufträge - weniger Gewinn - weniger Steuereinnahmen.Was sind Sparmaßnahmen? Hartz-IV? Reinmogeln einiger Löcher, die das Sozialhilfeprellen noch einfacher machen? Erhöhen der Tabaksteuer? Mehrwertsteuer? Ökosteuer? Großzügige Politikergehälter? Klär' mich auf.


Inzwischen verbreitet sich die Einsicht, dass eine schwache Binnennachfrage in D wesentlich für das schwache Wachstum mit verantwortlich ist. Ich bin nur skeptisch, ob man das mit einem Konjunkturprogramm à la Keynes wirklich nachhaltig beheben kann. Keynes ist da zu kurzfristig angelegt. Außerdem kann man so was nur machen, wenn man nicht von einem ohne hin hohen Schuldensockel startet.Nein, das Problem liegt m.E. am meisten an der Bürokratie und den Gewerkschaften.


Meine Frage, wie robust z.B. in GB das Wirtschaftswachstum ist kommt daher, weil britischen Zeitungen zufolge, die Zahl der privaten Pleiten einen Höchststand seit den 80er Jahren erreicht, trotz der "aktivierenden Sozialpolitik" die Arbeitslosigkeit leicht angestiegen ist (kein Vergleich zu D, ich weiß) und auch GB mit einem wachsenden Staatsdefizit zu kämpfen hat, obwohl noch viele Investitionen in den öffentlichen Sektor nötig wären. Sind das Anzeichen für eine Landung der Konjunktur oder wird nur ein Zwischenstopp eingelegt ?Arbeitslosigkeit leicht angestiegen.. Meine Güte, sie rangiert irgendwo zw. 4% und 5%, selbst 6% wären noch akzeptabel. EU-Durchschnitt ist 9%.

Das Defizit ist gestiegen, ja, und man sollte das beheben, aber es ist noch immer besser als in anderen EU-Staaten. Und der öffentliche Sektor sollte noch mehr privatisiert werden, angefangen beim Gesundheitssystem.

Giftzwerg
10.02.2006, 23:08
Tatsache ist nun einmal, daß Deutschland bezüglich des pro Kopf Bruttoszialproduktes in den 80-er jahren noch besser als die USA lag und wesentlich besser als Großbritannien. Heute liegen wir weit hinter den USA und auch etwas hinter Großbritannien. Deutschland ist im eropäischen, wie im internationalen Vergleich deutlich zurückgefallen. Daran ist tatsächlich die Wiedervereinigung zu einem Teil schuld, die Regierung Kohl war auch nicht unschuldig und Rot-Grün hat alles getoppt. Leider im negativen Sinn.Das kann ich unterschreiben.