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Vollständige Version anzeigen : Der Manchesterliberalismus - Eine Ehrenrettung



Mark Mallokent
09.01.2006, 14:23
Den folgenden, sehr lesenswerten Text fand ich hier :lesma: :
http://polemiker.wordpress.com/2006/01/05/der-manchesterliberalismus-%e2%80%93-eine-ehrenrettung/
Wenn heute der Begriff „Manchesterliberalismus“ fällt, denken viele als erstes an ein pervertiertes Verständnis von Liberalismus. Es kommen einem die Not und die Ausbeutung in den Bergwerken und Textilfabriken in den Sinn, wo auch viele Kinder eine dreckige, gesundheitsschädigende und miserabel bezahlte Arbeit verrichten mussten, deren Mehrwert ausschliesslich den skrupellosen Besitzern zugute kam. Die Bezeichnung „Manchesterliberaler“ ist heute zu einem Schimpfwort verkommen, so dass sich mittlerweile bereits wirtschaftsliberale Politiker von der Manchester-Schule abgrenzen. Zu dieser Distanzierung besteht jedoch kein Anlass, denn dieses von der populären Geschichtsschreibung kolportierte Bild des Manchesterliberalismus ist schlicht falsch und würde die Menschen des 19. Jahrhunderts in Erstaunen versetzen.

Die grosse Misere
Die 1830er und 1840er Jahre in Grossbritannien waren gekennzeichnet durch Wirtschaftskrisen und Hungersnöte. Allein in Irland starben hunderttausende Menschen, nachdem die Kartoffelfäule mehrere Missernten verursachte. Das britische Getreide stand den Hungernden aber nicht zur Verfügung, da sie es sich nicht leisten konnten. Verantwortlich dafür waren die protektionistischen „Corn Laws“ aus der Zeit des Merkantilismus und der napoleonischen Kriege. Auf ausländisches Getreide wurde hohe Zölle erhoben und ein Mindestpreis festgesetzt, während gleichzeitig der Export des bereits knappen britischen Korns subventioniert wurde. Der Getreidepreis, und damit auch der Brotpreis, wurden hiermit künstlich zugunsten des grundbesitzenden Landadels hochgehalten. In dieser Situation traten die Manchesterliberalen, eine sozialpolitische Bewegung, auf den Plan, den vorherrschenden Protektionismus durch Freihandel zu ersetzen. Ihre Ideen wurzeln in den Schriften der schottischen Aufklärung von David Hume, John Stuart Mill und basieren vor allem auf der Nationalökonomie von Adam Smith.


Die Bewegung
Die verschiedenen Freihandelsvereinigungen wurden 1838 von Richard Cobden unter einem nationalen Dach, der Anti-Corn-Law-League (Anti-Korngesetz-Liga), vereint. Unterstützt wurde er dabei durch John Bright, einem gläubigen Quäker. Sie setzten sich für den Freihandel ein, da sie in ihm die grösste Möglichkeit nach mehr Wohlstand sahen. Protektionismus galt ihnen als Ursache für die Verelendung der Massen. Sie waren pazifistisch eingestellt und hegten die Hoffnung auf Frieden, da die internationale Arbeitsteilung Kriege unrentabel machen sollte. So wandten sie sich gegen jeglichen Militarismus und Kolonialismus, in denen sie nur die Ausnutzung der armen Schichten und ein teures Hobby der Upperclass sahen. Die Manchesterliberalen waren wirkliche Kosmopoliten, Weltbürger, die für einen freien Personen- und Warenverkehr eintraten. Besonders hervorzuheben ist ihr Engagement gegen die Sklaverei. 1861, beim Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges (Sezessionskrieg 1861-65), sprachen sie sich gegen eine Unterstützung der Südstaaten durch Grossbritannien aus. Die Ablehnung der Sklaverei liess Cobden und Bright hier sogar freihändlerische Prinzipien brechen. Schliesslich waren es die Südstaaten, die den Freihandel lebten und sogar in ihrer Verfassung festschrieben. Zudem war die britische Textilindustrie auf billige Importe aus dem amerikanischen Süden angewiesen. Der Krieg traf die englische Wirtschaft schwer, da nach der Blockade durch die Nordstaaten keine Baumwolle mehr nach Grossbritannien exportiert werden konnte. Die Textilindustrie konnte aber ohne die Lieferungen aus Übersee kaum mehr produzieren und kam zum erliegen. Die Massen der Arbeiter in den englischen Industriestädten standen nun plötzlich ohne Arbeit da. Die Arbeitslosigkeit stürzte viele noch weiter ins Elend. Cobden organisierte als Antwort eine Sammlung und konnte insgesamt die damals fast unglaubliche Summe von einer Million Pfund aufbringen.
Cobden und Bright schafften den Einzug ins Parlament, wo sie ihre liberalen Überzeugungen öffentlichkeitswirksam vertreten konnten. Weitaus bedeutender war aber die riesige Kampagne, die durch einen unermüdlichen Einsatz aller Kräfte lanciert wurde. Es wurden Journale gegründet, welche die freihändlerischen Ideen der breiten Masse vorstellen sollten. Von diesen Schriften hat eine, in Form der renommierten Zeitschrift ‚Economist’, bis heute bestand. Im ganzen Land fanden regelmässig Massenveranstaltungen statt und das Parlament wurde mit Petitionen überhäuft. Vielen Wählern wurde geholfen, sich registrieren zu lassen. Durch diesen Druck der öffentlichen Meinung war es schliesslich der konservative Premierminister Peel, welcher, verlassen durch einen Teil seiner Partei, die Korngesetze abschaffte. Mit der Machtübernahme der liberalen Regierung Russell folgten danach die Jahre des britischen Freihandels. 1860 schlossen England und Frankreich einen Freihandelsvertrag nach dem Prinzip der Meistbegünstigung, welcher auch Cobden-Vertrag genannt wird, da er an diesem Werk massgeblich beteiligt war. Dieser Vertrag hatte eine Vorbildfunktion für ganz Europa und leitete eine Zeit der Liberalisierung und Deregulierung ein.


Dem falschen Mythos auf der Spur
Wie kann nun erklärt werden, dass der Manchesterliberalismus trotz seiner Erfolge, besonders auf dem Kontinent ein derart schlechtes Image hat? Wahrscheinlich wurden sie Opfer ihres eigenen Erfolges. Die antiliberalen Kräfte erkannten, dass sie ihre Macht nur halten konnten, indem sie der Bevölkerung Zugeständnisse machten. Besonders deutlich war dies an Bismarcks Politik in Deutschland zu beobachten, welcher durch eine Klientelpolitik und ein staatlich verordnetes Sozialversicherungssystem viele Bürger vom Staat abhängig machte. Die Ideen der Manchesterliberalen konnten danach als schädlich und undeutsch diskreditiert werden.


Was lernen wir heute daraus?
Aus meiner Sicht können wir heute zwei essentielle Dinge lernen: Erstens, dass wir uns mit der Geschichte und den tatsächlichen Verhältnissen auseinandersetzen müssen, um darüber ein abschliessendes Urteil zu fällen. Der Pauperismus, die Verelendung der Massen mit all ihren Folgen, war damals eben gerade keine Folge des ungezügelten Kapitalismus, wie Marx später behaupten sollte. Vielmehr war es der Abgesang einer feudalen Gesellschaft, die mit den Herausforderungen einer industrialisierten Massengesellschaft nicht mehr zurechtkam. Verwechseln wir also nicht die damaligen gesellschaftlichen Zustände mit einer Weltanschauung, die genau auf die Verbesserung dieser Zustände hinarbeiten wollte. Das Manchestertum war eine Antwort auf die grossen Probleme des Landes und nicht ihre Ursache. Aber zweitens, was noch viel wichtiger ist, gibt es Parallelen zur heutigen politischen Situation. Wie damals, müssen wir uns heute mit der Frage des Freihandels auseinandersetzen. Eigentlich sollten sich heute die Globalisierungskritiker die Manchesterliberalen zum Vorbild nehmen, statt sie zu verteufeln. Aber noch heute werden die Motive der Vertreter des Freihandels oft missverstanden. Bekennen wir uns also wieder offen zu den Idealen der Manchester-Schule, denn Protektionismus schadet uns selbst und den Menschen, denen wir helfen wollen.

twoxego
09.01.2006, 16:58
was soll der kurze text.

stell doch alle 200 seiten hier rein oder wieviele es immer sind.

.

Difool
12.01.2006, 13:08
Interessanter Text. Ich fasse mal kurz zusammen:
1) Es ist besser durch die ungezügelte Marktwirtschaft ausgebeutet zu werden als durch den Protektionismus.
2) Der Freihandel hat nur das Wohl des Volkes im Sinn und nicht maximierte Gewinne von Produzenten und Händlern.
3) Ein staatliches Sozialsystem ist Zwang und schlecht für die ausgebeuteten Arbeiter.

Statt Ehrenrettung könnte man auch "Selbstbeweihräucherung" sagen. Ohne staatliche Regulation ist das Freihandelssystem nur unwesentlich besser als der Protektionismus.
Das Prinzip bzw. den Mechanismus, den Marx für die Verelendung der Massen verantwortlich macht ist die immer stärkere Konzentration des Kapitals und das geschieht im Freihandelssystem sogar noch schneller als im Protektionismus. "Kapitalistisch" sind beide Systeme.
Das Märchen von dem sich durch seine ihm innewohnenden Kräfte selbst regulierenden Markt wird heute wieder von den neoliberalen Globalisierern aufgewärmt.

Trotzdem, den Beitrag finde ich wirklich eine Bereicherung. Werde mir den ganzen Text mal anschaun bei Gelegenheit.