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Vollständige Version anzeigen : Der Fraktionszwang-Stufendemokratie



Sonsee
07.04.2016, 19:55
Hier eine Seite aus dem Demokratischen Manifest von Gerd Breitenfeld, der seine Form der Demokratie, Stufendemokratie nennt. Ein großes Problem bei unserer heutigen "Demokratie" ist der Fraktionszwang.


Vor wenigen Jahren noch hätte es jeder Politiker hartnäckig geleugnet, dass es einen Fraktionszwang gibt. Er musste das auch, denn in den Verfassungen vieler Länder, in Deutschland durch den Art. 38 GG, ist ausdrücklich geregelt, dass Abgeordnete „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen” sind. Jeder Druck von außen, sei es von Partei, Fraktion oder einem „Förderer” ist eindeutig verfassungswidrig.
Inzwischen hat sich aber die Realität des Fraktionszwanges so eingebürgert, dass ein Bundeskanzler Kohl ohne jede Hemmung in aller Öffentlichkeit im Bundestag vor einer Abstimmung ausnahmsweise einmal den Fraktionszwang aufheben konnte. Und später drohte der damalige Geschäftsführer der SPD, Herr Müntefering, sogar vor den laufenden Fernsehkameras allen Abgeordneten der Regierungskoalition mit harten Strafen, falls sie gegen den Regierungsentwurf über den Einsatz deutscher Soldaten außerhalb Deutschlands abstimmen.
Natürlich ist es nicht nur peinlich, sondern es erschwert die Regierungsarbeit, wenn – insbesondere bei knappen Mehrheiten im Parlament – nicht einmal die Abgeordneten der eigenen Partei für einen Antrag der Regierung stimmen. So liegt es nahe, dass die regierende Partei Druck auf das Abstimmungsverhalten ihrer Abgeordneten ausübt. Da ja die Partei auch über die Listenplätze für die nächste Wahl entscheidet, ist es für sie leicht, damit zu drohen, die Abweichler nicht wieder kandidieren zu lassen. Selbst unausgesprochen hängt diese Drohung mit dem Verlust aller Privilegien wie ein Damoklesschwert über den Abgeordneten.
Dieser real vorhandene Druck auf die Abgeordneten ist nicht nur selbst eine Todsünde gegen die Demokratie, sondern zieht eine Reihe weiterer schwerwiegender Verstöße nach sich:
1. Das Verhalten der Regierungsfraktion führt logischerweise auch zu einem gleichen Verhalten der Opposition.
2. Um den Fraktionszwang kontrollierbar zu machen, erfordert er – allen demokratischen Prinzipien zum Trotz – offene Abstimmungen.
3. Offene Abstimmungen eröffnen die Möglichkeit, Abgeordnete zu bestechen. Wirklich geheime Abstimmungen würden sowohl dem Fraktionszwang als auch der Korruption die Kontrollmöglichkeit und damit den Boden entziehen.
4. Die Existenz des Fraktionszwanges auch bei der Opposition macht ein Regieren durch die stärkste Partei allein (Minderheitsregierung) unmöglich, wenn sie nicht die absolute Mehrheit erreicht. Diese Erkenntnis wiederum führt zu zwei undemokratischen Tendenzen:
a) Es werden Zwei-Parteien-Systeme angestrebt, weil dann immer eine Partei die absolute Mehrheit hätte. Das geschieht durch die Ausgrenzung und Benachteiligung kleinerer Parteien – z. B. durch die 5 %-Klausel – und die Erschwerung von Neugründungen. Bestimmte Interessengruppen der Bürger werden dadurch von vornherein von einem Einfluss auf die Regierung ausgeschlossen.
b) Gelingt es nicht, das Zwei-Parteien-System vollständig oder wenigstens weitgehend durchzusetzen, ist die Regierungspartei gezwungen, eine Koalition mit einer oder mehreren der anderen kleineren Parteien zu bilden. Dabei muss die Regierungspartei Kompromisse schließen, in denen sie Programmziele aufgeben muss, für deren Verwirklichung sie eigentlich gewählt wurde. Andererseits werden Vertreter kleiner Parteien, die nur einen unbedeutenden Wählerkreis hinter sich haben, Minister und sogar Vizekanzler. Sie gewinnen dadurch einen unangemessen hohen Einfluss auf die Politik, was natürlich den sich aus der Wahl ergebenden demokratischen Mehrheitsverhältnissen krass widerspricht.
5. Wenn die Abgeordneten ohnehin nicht nach ihrer persönlichen Überzeugung und ihrer Lebenserfahrung abstimmen dürfen, besteht auch keine Notwendigkeit, die Fähigsten als Kandidaten aufzustellen. In der Praxis werden brave, disziplinierte Parteisoldaten ausgewählt, die in langjähriger Arbeit im Parteiapparat ihre Parteidisziplin unter Beweis gestellt haben.
6. Diese Kriterien für die Auswahl der Kandidaten lassen es letztendlich unangebracht erscheinen, die demokratische Öffentlichkeit an der Auswahl teilhaben zu lassen. Die Kandidaten bleiben weitgehend unbekannt, gelten aber als Repräsentanten des ganzen Volkes.
7. Wenn die Regierungspartei, bzw. die Regierungskoalition einen derartigen Einfluss auf die Abgeordneten nehmen kann, ist eine wichtige Funktion des Parlaments, nämlich die Kontrolle der Regierung, völlig ausgeschlossen.
Alles in allem: wesentliche Prinzipien der schwer erkämpften Demokratie werden auf diese und auf andere Weise ausgehöhlt und zum Teil ad absurdum geführt.
Es erhebt sich die Frage, warum ein Volk mit großen demokratischen Traditionen wie das deutsche so widerstandslos die Einschränkung seiner mühsam erworbenen Rechte hinnimmt. Warum erfolgt auch kein Aufschrei der sonst so kritischen Massenmedien?
Man kann sicher nicht ausschließen, dass es in dieser Hinsicht noch Nachwirkungen der Nazidiktatur gibt. Allerdings ist seit dem Untergang des „Dritten Reiches” immerhin ein halbes Jahrhundert vergangen, und selbst die treuesten Hitleranhänger haben erlebt, wohin die totale, unkontrollierbare Willkür des antidemokratischen „Führerprinzips” führen kann. Nein, die wichtigsten Ursachen dieses merkwürdigen Verhaltens liegen in den vielen Jahren des kalten Krieges.
Quelle: Druckschrift Das demokratische Manifest von Dr.Gerd Breitenfeld (https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwjIlZTlmP3LAhXJiywKHTWeALcQFggcMAA&url=http%3A%2F%2Fwww.better-face.de%2Ft36f9-Das-demokratische-Manifest-von-Dr-Gerd-Breitenfeld-quot-Kann-das-drohende-Chaos-noch-verhindert-werden-quot-von-Dr-Gerd-Breitenfeld.html&usg=AFQjCNFJOhFyQIiVVFatsmFl569S1C_scw&sig2=ggQgLKqe8p9u4dFa2LOvnA&bvm=bv.118817766,d.bGg)

navy
08.04.2016, 19:25
Europa hat wie die USA keine Demokratie, wo Deutschland mit der Weisungs gebundenen Justiz eine Bananen Republik ist

Baummensch
09.04.2016, 21:42
Das kommt immer auch ein bisschen auf die Rolle des Parlamentes aber auch die abzustimmenden Inhalte an.

Bei stärker auf die Regierung/den Regierungschef ausgerichteten Systemen wäre ein Parlament vermutlich stärker als Korrektiv und Kontrollorgan zu betrachten und damit ein stärkerer Fraktionszwang hoch problematisch, wenn Regierungsbeschlüsse nur abgenickt werden dürfen von der mit der Regierung in den meisten Fällen identischen Parlamentsmehrheit. Haben Parlamente hingegen selber starke Befugnisse, dann sind Regierungen und Staatswesen auf stabile Mehrheiten angewiesen, um handlungsfähig zu bleiben - für jede keine Sachfrage mit jedem Abgeordneten einen Konsens zu finden, bis eine Mehrheit erreicht ist, ist eher Sand im Getriebe - wer einmal einen Betriebsausflug oder eine Weihnachtsfeier organisieren musste, die auch wirklich allen gefällt, kann das nachvollziehen.

Von daher ist meiner Meinung nach Fraktionszwang per se nichts Schlechtes - wer in entscheidenen Sachfragen nicht überzeugt von seiner Fraktion ist, kann ja theoretisch aus Partei und Fraktion austreten und als Einzelkämpfer im Parlament weitermachen, wenn er sich selbst nicht so sehr um eigenen Machterhalt schert.