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Beverly
24.11.2005, 15:12
Anbei sind die ersten beiden Teile meines Science Fiction-Romans STERNE DER HEIMAT:

Teil 1 * Zu neuen Ufern!

Qalat Hosn 34 ... 35 ... 36!, zählte Tihama ab. Da war das Reisebüro mit der Leuchtreklame: Frachtversand - Tramptransfer - Passagierreisen. Im Schaufenster hing ein handgeschriebenes Schild aus Elektroplastik: 2 TRAMP! LETZTE FREIE FÄCHER NACH DRAKE'S POINT! Jetzt aber los, bevor es ihr wer anders wegschnappte! Tihama faltete ihren Regenschirm auf und rannte aus dem Unterstand quer über die Straße zum Reisebüro. Ein Windstoß fegte durch die Straße und durchnässte die rechte Seite von Tihamas Straßenanzug von der Schulter bis zu den Knöcheln. Sifft! Siff-hayy! Laut auf Arabisch und Taeni schimpfend kam sie ins Reisebüro und rief: »Ich nehme die beiden Tramptransfers nach Drake's Point!« Einen Tee, um ihre von der Begegnung mit dem Taen-Mistwetter gereizten Nerven zu beruhigen, bekam sie auch.
»Wollen Sie Taen für immer verlassen?«, fragte eine der Kooperativlerinnen, denen das Büro gehörte.
»Ich weiß nicht«, antwortete Tihama. »Auf Drake's Point gibt es jedenfalls noch massenhaft Geld und hier ...« Sie hob die Schultern. »In Kota ist nicht mehr viel los, die Männer haben kein Geld mehr.«
»Mit den Männern in Drake's Point ist das zweifellos anders«, sagte die Frau und schenkte ihr Tee nach. »Aber Taen ist die schönere Welt, trotz des Wetters. Obwohl ...« Sie schüttelte den Kopf. »Seitdem sie die Wirtschaftsbücher abgeschafft haben, geht es nur noch bergab. Also hier sind Ihre Tickets: Manal bint Tihama, Fonyu Yukawa. Normtag 23. November 2401, 20 Uhr Normzeit am Raumhafen, Abfertigung G 11.«
»Alles klar!«, sagte Tihama, faltete die Blätter aus Elektroplastik zusammen und stecke sie in eine Tasche ihres Anzugs.

»Drake's Point, wir kommen!« Fonyu hielt die Tickets in die Höhe, wedelte damit und sprang in die Luft.
Von ihrer afrikanischen Mutter hatte Fonyu die fast schwarze Hautfarbe und von ihrem japanischen Vater die schmalen Augen. Ihr Gesicht war oval und das lange und glatte, schwarz glänzende Haar fiel ihr bis zum Po. Sie hatte ihre Schwarzdiamanten angelegt und die Hänger, Ringe, Ketten und Netze waren ihre einzige Kleidung. »Auf Drake's Point kannst du darin baden«, meinte Piter, der Wirt des Tief Gesunken.
»Einer wird dir schon das Badewasser einlassen«, lachte Tihama. Sie hatte braune Haut, ein feines, dreieckiges Gesicht mit großen, dunklen Augen. Ihr schwarzes Haar schloss sich um ihren Oberkörper wie ein Schleier, der nur das Gesicht freiließ. Ihr Slip war so winzig, dass es aussah, als ob ihr Haar ihre einzige Kleidung war. ...
»Dir auch.« Fonyu fasste Tihama zwischen die nackten Schenkel. »Und wenn wir genug gepokst haben, kommen wir wieder und kaufen Piter seinen Saftladen ab.«
»Das sagen alle Pokse.« Piter lachte. »Ihr werdet einen Frisiersalon am Sommerhafen aufmachen, wenn ihr Glück habt.«
»Ach ne.« Fonyu setzte zu einer Entgegnung an, da war an der Tür Bewegung. »Wir haben ...«, begann Vilessa, doch Fonyu nickte: »Lass sie rein, die sehen nicht wie Kunden aus.«
Ein sehr junger Mann und eine ebenso junge Frau traten zögernd in den Barraum. Beide waren schlank und mittelgroß und sahen mit ihrer braunen Haut, den ebenmäßigen Gesichtern und den dunklen Augen wie Zwillinge aus. Die schulterlangen, schwarzen Haare waren bei der Frau glatt, während der Mann hübsche Locken hatte. Beide legten ihre Regenumhänge ab und bei der Frau kam darunter ein kurzer, roter Rock und ein schwarzes Top zum Vorschein. Der junge Mann trug nur rote Shorts und präsentierte seinen nackten, glatten Oberkörper.
»Wer seid ihr denn?«, fragte Fonyu und lächelte wohlwollend. »Wir feiern hier unseren Abschied von Taen. Übermorgen geht es nach Drake's Point.«
»Da fliegt ihr mit unserem Vater«, sagte der junge Mann. »Ich bin Steffa Miladera-Rohanian und sie ist meine Schwester Inai Rohanian-Miladera. Unser Vater ist Lademeister auf der Lee Burton.«
»Da hoffe ich, dass er gut auf unsere beiden Hübschen aufpasst«, meinte Piter. »Fonyu und Tihama wollen Drake's Point erobern.«
»Was trinkt ihr?«, fragte Tihama.
»Alkohol kriegen sie nicht, sind bestimmt noch keine Zwanzig!«, erklärte Piter, doch Tihama sagte: »Stell dich nicht so an, wenigstens einen Meereswein für jeden.«
»Na gut.« Der Wirt füllte zwei Schalen mit dem purpurroten Schaumwein und reichte sie den beiden. Die Frau holte ihren Fernreder hervor und fragte: »Kann ich noch jemanden holen? Eine Freundin, sie arbeitet auch auf der Lee Burton.«
»Gerne.« Fonyu lächelte. »Ich bin schon darauf gespannt, sie kennen zu lernen.«
»Uta, hier ist Inai, Inai Rohanian-Miladera«, sprach die junge Frau in den Fernreder. »Komm doch ins Tief Gesunken. Aber komm in was Schickem.« Sie hielt den Fernreder hoch und ließ seine Kamera über die Bar und ihre Gäste streichen. »Du verstehst?«
»Tanzen wir?« Ooops, die Frage galt ihm, begriff Steffa und gestellt hatte sie ein Poks, Mann oder Halbfrau. Er war schlank und braun, hatte ein schmales Gesicht und sein schwarzes Haar war zu einem weit über die Schultern reichenden runden Schopf frisiert, der bei jeder Bewegung wie ein großer Öltröpfen glänzte und schillerte.
»Ja, wir tanzen«, entschied er und schon legte er die Arme um Steffas Hüfte und zog ihn auf die Tanzfläche. Zu den sanften Klängen von Fummelmusik wiegten sie sich Arm in Arm. »Ich bin Imschi«, stellte sich der andere vor.
»Steffa. Bist du ...?« »Ja ich bin, was sonst?« Imschi lachte. »Du bist süß, wie einer von uns.«
»Danke«, sagte Steffa verlegen. »Aber ich will kein Poks werden.«
»Was denn?«
»Ich will Physik beginnen, obwohl alle sagen, dass man damit nichts werden kann.«
»Das ist doch ausgeforscht, seit wir den Durchstoßer haben.«
»Eben nicht ... ach dazu müsste man die Grundlagen kennen. Richtig verstehen das Durchstoßen nicht einmal die Raumfahrer, sagt Uta.«
Diese Uta kam und enthüllte unter ihrem Regenumhang ein Top, das wenige mehr als ein paar Fäden enthielt, welche nur den Bereich um ihre Brustwarzen blickdicht verhüllten, einen fransigen kurzen Rock und Netzstrümpfe. Plateaupumps machten sie noch größer und Piter lachte: »Du wärst ein guter Ersatz für Tihama und Fonyu.«
Uta hatte lange Arme und Beine, die sie schlaksig wirken ließen. Ihre Brüste waren klein und flach, doch der Rock spannt sich über einem prallen Hintern. Sie hatte ein markantes Gesicht mit breiter Stirn, hohen Wangenknochen und ausgeprägtem Kinn. Das lange und glatte, weißblonde Haar hob sich kaum von ihrer hellen Haut ab und große, grüne Augen waren die auffälligsten Farbtupfer in ihrem blassen Gesicht.
Interessiert betrachtete sie Tihama und Fonyu: »Ihr fliegt mit der Lee Burton?«
»Ja«, antwortete Tihama. »Auf Drake's Point ein bisschen Geld machen.«
»Und dann? Wollt ihr immer poksen?«
»Piter hat uns gesagt, mit Glück schaffen wir es, einen Frisiersalon im Sommerhafen-Viertel aufzumachen.« Tihama seufzte. »Dafür sind wir dann durch den halben Weltraum gezogen.«
Die drei Frauen tanzten zu Barrikaden-Rock mit dröhnendem »TA-HO! TA-HO!«, der die Gläser klirren ließ. Vilessa spielte danach Fummel-Blues und Uta setzte die Unterhaltung fort: »Habt ihr euch schon mal überlegt, richtig neu anzufangen?«
»Deswegen sind wir beide von der Erde nach Taen gekommen«, lachte Fonyu. »Neu war es, richtig auch, aber eben nicht 'richtig neu'. Und Drake's Point mag wegen dem Geld ganz gut sein, abern wenn dann nicht mehr bleibt als Conks zu machen ...«
»Ich habe mir sogar überlegt, zu studieren«, erzählte Tihama. »Als Pokse habe ich genug Zeit dafür, doch das ginge nur mit Wirtschaftsbuch, die Studiengebühren sind viel zu hoch. Und danach ... von den Freiern zwanzig Eurodollar mehr verlangen, weil sie eine Akademikerin poksen dürfen?«

Nach einem Brand war die Hoftreppe von Tihamas und Fonyus Wohnhaus unpassierbar. So nahmen die beiden Frauen am Tag ihrer Abreise ihren Reisesack zwischen sich und verließen ihre gemeinsame Wohnung über die Außentreppe. Nûr-Taen stieg über den Horizont, als sie durch leere Straßen zur Station der T-Tram gingen und der Gedanke, bald die beiden Sonnen von Drake's Point zu sehen, machte Tihama aufgeregt und euphorisch. Sie war von ihrem Heimatkaff am Roten Meer so weit gereist und würde noch weiter reisen!
Beschwingt stieg sie in den Tramzug und genoss das Gefühl des Unterwegs-sein.
»Fernbahnhof«, sagte die Tramführerin an. »Meine Damen, Sie müssen aussteigen. Wohin geht es denn?«
»Drake's Point!«, antwortete Fonyu. »Wo all die bunten Steine herkommen.«
»Na dann ... gute Reise!«
»Danke.«
»Werden Sie wiederkommen?«
Wie ein Blitz ging es durch Tihama und sie antwortete mechanisch: »Ja, wir werden wiederkommen.« Ihre Sinne klärten sich und sie sagte: »Also dann, auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen«, sagte die Tramführerin fröhlich. »Bringen Sie mir einen Schwarzdiamanten mit.«
»Das werde ich nicht können«, antwortete Tihama tonlos.
»Warum nicht? Die liegen da doch herum wie bei uns die Muschelsteine.«
'Weil wir nicht nach Drake's Point kommen werden', hätte Tihama fast geantwortet. Kaum waren sie aus der Tram, fragte Fonyu: »Tihama, was soll das? Natürlich können wir der Frau einen Schwarzdiamanten mitbringen, wenn wir das wollen. Vielleicht machen wir sogar einen Schmuckladen auf.«
»Wir werden nicht nach Drake's Point kommen!«
»Wieso nicht? Erzähl nichts von Fehlstößen, von denen kriegen wir in der Viehklasse sowieso nichts mit und erfahren dann hinterher, dass die Reise länger gedauert hat. Außer ...« Fonyu hielt die Hand an den Mund. »O Nein!«
»Uns wird nichts passieren, nur werden wir nicht nach Drake's Point kommen.«
»Dann brauchen wir erst gar nicht zum Raumhafen zu fahren.« Fonyu packte eine Schlaufe ihres Reisesacks und zerrte ihn hinter sich her zurück zur Tramstation. Tihama folgte ihr ... sie fand sich in Fonyus Armen wieder und Taen schien sich im Sekundentakt um sie zu drehen. »Tihama, was ist mit dir?«, fragte ihre Freundin. »Du bist doch nicht schwanger?«
»Nein«, lachte Tihama. »Schwanger nicht ... aber wir werden Kinder haben, viele Kinder.« Sie nahm eine Schlaufe des Reisesacks: »Wir müssen los, sonst fährt der Zug ohne uns ab.«
Im Magnetzug fragte Fonyu: »An was kannst du dich erinnern?«
»Ich ... ich habe mich gesehen«, erzählte Tihama. »Schon in einigen Jahren bin ich wieder hier. Vor dem Rathausplatz, am Burton-Turm. Nur etwas war total verrückt.«
»Was kann noch verrückter sein als sich an die Zukunft zu erinnern?«
»Ich habe gedacht, dass es vierhundert Jahre her war, dass ich das letzte Mal auf Taen war.«

Der Zug raste durch die Taen-Tiefebene, an Hügelland vorbei, in Tunnels und wieder heraus. Einige Male hielten sie in kleineren Städten, dann folgte auf Ackerland und Wald unberührter Landtang mit dunkelgrünen, viele Meter hohen Blättern und Stängeln. »Liebe Fahrgäste, wir nähern und Ringo's Corner«, sagte der Zugführer über die Sprechanlage an. »Dies ist unser letzter Halt vor dem Taen-Raumhafen.«
Tihama erwog, hier auszusteigen und eine Karriere als Provinzstadt-Pokse zu beginnen. Was dann wohl geschehen würde? Spaltete sich die Realität und die Erinnerung käme dann nicht aus ihrer Zukunft, sondern der einer anderen Tihama? Einer Tihama, die für eine befriedigende Zukunft ein Wagnis eingegangen war.
Der Zug hielt einige Minuten in Ringo's Corner und fuhr weiter, ohne dass Tihama mehr als einen flüchtigen Blick auf den Ort geworfen hatte. Immer höher ging es hinauf, über Schluchten und durch Berge, mitten in dicke weiße Wolkenfelder, um die Wolken endlich unter sich zu lassen und im Raumhafen zu halten.
Tihama und Fonyu zogen ihre Steppmäntel über ihre Kleider. Hier oben war es auch im Taen-Sommer nur wenig über Null Grad und der Atem bildete vor ihren Gesichtern kleine Wölkchen. An der Abfertigung G 11 gaben sie ihren Reisesack ab. Ein großer, bulliger Mann mit einem kantigen Gesicht und glatten, nach hinten gekämmten schwarzen Haaren nahm ihr Gepäck entgegen. Er trug einen Bordanzug mit der Aufschrift: »Lee Burton, Lademeister Jakob Miladera«. Er war der Vater von Steffa und Inai, der nicht wusste, dass er nie in Drake's Point ankommen würde. Fast hätte Tihama es ihm auf den Kopf zugesagt. Bei einer Todesahnung hätte sie entschieden, dass DAS in einer Parallelwelt stattfinden sollte. Doch eine Erinnerung an Zukünftiges kam nicht, so sehr sie sich auch darum bemühte.
»Ist etwas?«, fragte er. »Sie haben doch daran gedacht, nichts zu essen und zu trinken?«
»Ja, natürlich«, antwortete Tihama. »Wir haben Ihre Kinder getroffen.«
»Ja«, antwortete er. »Sie haben von der Feier erzählt. Danke, dass Sie sie eingeladen haben.«
»Gern geschehen, sie sind wirklich reizend.«
»Ja.« Jakob strahlte. »Steffa will Mathematik und Physik beginnen, das tun heutzutage nicht mehr viele.«
Eine Angestellte des Raumhafens führte Tihama und Fonyu in den Vorbereitungsraum für den Tramp-Transfer. Zuerst zog sich Fonyu aus, setze die Schlafmaske auf ihr Gesicht und stieg in die Salzlösung, die den länglichen Behälter füllte. Regungslos schwebte sie in der Flüssigkeit und die Anzeigen am Kopfende der Schlafkapsel zeigten, wie sie in Tiefschlaf fiel und sich ihr Stoffwechsel immer mehr verlangsamte. Die Angestellte klappten den Deckel herunter und schloss ihn. Fonyus Schlafmaske verband sich mit den Systemen der Kapsel und sie war bereit für den Transport.
»Jetzt Sie«, sagte die Angestellte zu Tihama. Tihama zog ihren Mantel, die Jacke, Rock, Bluse und Unterkleid aus und legte es zusammen mit Schuhen und Strümpfen in ihre Gepäcktasche. Die Angestellte setze ihr die Schlafmaske auf und fragte: »Sitzt sie richtig?«
»Ja, ich spüre sie gar nicht«, antwortete Tihama und stieg in ihre Kapsel. Sie schien frei und schwerelos in der Salzlösung zu schweben und dann war alles weg.

Beverly
24.11.2005, 15:13
Teil 2 * Durchstoß ins Ungewisse

'Bye, bye Taen! Bye, bye NAYU! Bye, bye Blockstaaten!', dachte Uta, als sie im Raumhafen ankam. Beschwingt lief sie zum Bodenmodul und der Anblick von Nilis hob ihre Stimmung noch weiter. »Zwei mehr?«, fragte er und deutete auf die Passagierliste in seinem Pad.
»Zwei mehr«, bestätigte Uta. »Tihama und Fonyu, zwei Frauen aus Taen-City auf der Suche nach neuen Herausforderungen.«
»Die werden sie bekommen!«
»Wenn du die beiden siehst, wirst du begeistert sein«, schwärmte Uta. »Sie haben mich auf ihre Abschiedsparty eingeladen ... einfach toll!«
»Noch haben wir es nicht geschafft!«
»Noch nicht, aber bald!«

Uta nahm den Platz eines Reservepiloten im Steuerraum des Moduls ein. Hauptpilot war Inann, die auch zu den Meuterern gehörte. Bis auf Lademeister Jakob Miladera und Captain Ector Perez hatten sie beinahe alle Schlüsselpositionen mit ihren Leuten besetzt. Wer nicht mitmachte, würde nach einer Gabe von Sperma oder Eizellen zurück geschickt werden, wenn sie sich als Freischiffer etabliert hatten.
Das Modul rollte zur Startbahn. Die Haken des Katapultes griffen in Ringe an seiner Unterseite und zogen es an. Inann zog die Räder ein und mit einem Ruck erhöhte das Katapult die Geschwindigkeit. »Schallmauer durchbrochen«, sagte Inann lakonisch. »Zweitausend Stundenkilometer ... Dreitausend ... ausgeklinkt!« Sie schaltete die Eigentriebwerke ein und zog das Modul nach oben. Der Raumhafen blieb tief unter ihnen zurück und aus dem strahlenden Blau und Weiß des Taen-Tags wurde die sternengesprenkelte Schwärze des Weltraums.
»Navigatorin Uta Decker, hier Captain Ector Perez, bitte bestätigen Sie.« Das faltige und weißhaarige Gesicht des Schiffsführers erschien auf dem Pult vor Uta und sie antwortete ebenso förmlich: »Captain Ector Perez, Navigatorin Uta Decker hier.«
»Gut. Sind die Flugdateien geschrieben?«
»Das habe ich noch vor meinen Freischichten gemacht. Wir können gleich durchstoßen.«
»Genau das habe ich vor, also kommen Sie unverzüglich in den Steuerraum.«
Da hatte es einer sehr eilig! Um so besser, je schneller sie es durchzogen, desto früher hatten sie den kritischen Teil hinter sich!
Rot leuchteten die Positionslichter der Lee Burton und die leeren Modulbuchten wurden weiß angestrahlt. Bodenmodul Eins wurde gerade vom Ausleger erfasst und in seine Bucht gezogen. Wenig später meldete Inann: »Ausleger eingeklinkt ... jetzt! Werden in Bucht gezogen ... sind eingelaufen ... Integration in Schiffssysteme wieder hergestellt!«
Uta tippte auf ihrem Pult »Rundruf« an und erklärte: »Hier spricht Navigatorin Uta Decker. Bitte bereitmachen für Durchstoß nach Drake's Point in Time minus hundert Minuten.«
Mit sich und dem All ganz eins löste sie die Gurte ihres Sitzes, schwebte schwerelos hinaus und zog sich durch die Tür in den Hauptteil der Lee Burton. Während sie durch den Korridor zum Steuerraum trieb überlegte Uta, dass sie nun seit einem Jahr das 25. Jahrhundert hatten, aber sich die Technik in den letzten Jahrhunderten nicht verbessert hatte. Es gab noch immer keine masselose Schwerkraft und Boden-Orbit-Reisen waren heute so umständlich wie vor dreihundert Jahren. Das Prinzip, aus winzigen Schwarzen Löchern Energie zu erzeugen, war seit vierhundert Jahren bekannt und wurde nach der Schaffung des ersten Small Black Hole schnell in die Praxis umgesetzt. Den Durchstoßer verdankten sie einem Zufall, als eine Teratonnen-Bombe der NAYU ein Stück der Raumzeit aufriss und dabei die Beobachtungsplattform um einige Billionen Kilometer versetzte.

Der Steuerraum der Lee Burton lag an der Spitze des riesigen, walzenförmigen Raumschiffs. Seine transparenten Wände vermittelten den Eindruck, direkt im Weltraum zu sein. Uta meinte, nach dem blau-grün-weiß-grauen Taen und seinem Mutterplaneten, dem blau-weiß gestreiften Gasriesen Umm-Taen, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um sie zu ergreifen. Sie schnallte sich vor ihrem Pult an und rief die Durchstoß-Dateien für Drake's Point auf. Navigation bedeutete in der Ort- und Zeitlosigkeit des Aufrisses, mittels Verlauf und Intensität der den Durchstoß bewirkenden Freisetzung von Energie die Übergänge zwischen der Aufriss-Singularität und der Raumzeit so zu beeinflussen, dass sie zum gewünschten Ziel führten.
»Uta, ich will es auf tausend Kilometer genau!«, erklärte Perez. »Wir haben einen engen Zeitrahmen.«
'Bald nicht mehr', dachte Uta, aber nickte eifrig: »Ja, Captain.«
Das Small Black Hole des Raumschiffes speiste die Durchstoß-Ringspeicher mit gewaltigen Mengen Energie, die es aus Hawking-Strahlung gewann. Zusammen mit der Zweiten Navigatorin Gira Cohen rechnete Uta bis kurz vor dem Durchstoß die Dateien noch einmal durch. Sie machten Korrekturen und sandten den fertigen Kurs an die Steuereinheit der Ringspeicher.
»Geschafft!« Uta lehnte sich zurück, wischte einige Strähnen aus dem Gesicht und entspannte sich. Gira sah sie bewundernd an. War wohl das letzte Mal, dachte Uta. Die junge Frau aus dem Splitterstaat Israel würde ihre Heimat nie für immer verlassen und sich den Meuterern anschließen. Uta räusperte sich und nickte Captain Perez und Pilot Gerat Luther zu: »Alles bereit, Countdown bei Time minus sechs Minuten.«
»Achtung! Hier spricht Captain Ector Perez«, sagte der Schiffsführer über die Rundruf-Anlange. »Bitte alle bereit halten für Durchstoß in sechs Minuten. Countdown läuft.«
»Habe Kursdaten, Ringspeicher sind aufgeladen und bereit zum Durchstoß«, ergänzte Gerat. »Wir sind jetzt bei ... Time minus fünf Minuten.« Die Minuten vergingen, dann die letzten Sekunden: 3 .. 2 ... 1 ..!
Die Ringspeicher entluden sich und ihre Energien ließen Raum und Zeit vor der Lee Burton verschwinden. Die Triebwerke jagten das Raumschiff mit mörderischer Beschleunigung in den Aufriss.
»Fehlstoß!«, schrie Stani Sevren, die Schiffsastronomin. »Wir haben einen Fehlstoß!«
Weltraum und Sterne waren verschwunden und vor der Lee Burton erstreckte sich eine gigantische Säule. Sie verjüngte sich, um dann wieder breiter zu werden und in einem weiß glühenden Ball zu münden. Manche Regionen der Säule glitzerten, über andere liefen weiße und wattige Strukturen. Die Oberfläche war von Falten und Kegeln, Rissen und Linien durchzogen. »Das sind Wolken!«, rief Gira. »Und das, was so glänzt, das muss ein Meer sein!«
»Dann ist das da ein Berg!«, rief Uta und deutete auf eine längliche Struktur, die aus den Wolken ragte. »Ein Gebirge, höher als Everest und Pik Taen!«
»Die Struktur hat einen Durchmesser von über zehntausend Kilometern«, erklärte Stani. »Groß genug, um Wasser und eine Atmosphäre zu halten.« Ratlos sah sie Uta an. Die sagte: »Weitermachen«, und überlegte. Ein Fehlstoß und sie waren an einem Ort, von dem weder das Space Security Council noch sonst jemand wusste, dass er existierte. Die Lee Burton war randvoll mit allem, was Neusiedler zum Überleben benötigten: Viehkloner, Maschinen, Selbstkonfiguratoren, Maschinen, die andere Maschinen bauten, Abbaugeräte, Technikdateien, Programmchips, medizinische Geräte, Sprühpaneele und Fahrzeuge. Zum Teil waren es reguläre Lieferungen, zum Teil hatten Utas Meuterer und Timothys Gang die Dinge zum Transport durch die Lee Burton bestellt, die sie für ihre Freischiffer-Clicque brauchten.
»Gira, geh noch einmal die Durchstoß-Dateien durch, ich möchte wissen, was schief gegangen ist«, ordnete Uta. an. »Stani, finde heraus, ob man auf diesem Himmelskörper frei atmen kann.«
»Wozu das?«, fragte Ector Perez.
»Weil wir vielleicht längere Zeit hier bleiben müssen«, antwortete Uta ungerührt.
»Ich kann in keinen Orbit eintreten«, klagte Gerat. »Diese Strukturen bieten keine stabilen Umlaufbahnen und dann sind da noch immer Störungen.«
»Stani, schalte das Gravitationsteleskop zu!«, sagte Uta. »Wir müssen wissen, was für eine Raumzeit wir hier haben ... uurrgghh!« Urplötzlich revoltierte ihr Magen als ob sie eine Beginnerin mit Raumkrankheit wäre.
»Die Gravimeter zeigen eine hohe Konzentration Dunkler Materie an«, erklärte die Astronomin. »Sie ist um viele Größenordnungen höher als normal. Ihre Anziehung ist für die Störungen verantwortlich, wegen der wir keinen Orbit halten können.«
Uta holte aus einer Tasche ihres Bordanzuges eine Pille gegen Raumkrankheit und schluckte sie herunter. Taubheit breitete sich in ihr aus, doch sie gab sich einen Ruck. »Gira, übernimm für mich!«, sagte sie. »Ich bin bei den Maschinen.«
Ehe Ector Perez etwas sagen konnte, war sie schon aus dem Steuerraum in den Korridor geflogen. Mit energischen Arm- und Beinstößen eilte sie zur Energieversorgung. Nora sah über die Schulter zu ihr, das schwarze Gesicht vor Entsetzen grau verfärbt. »Das SBH«, sagte sie. »Der Energieausstoß wird immer unregelmäßiger und wir können es nicht ausschalten.«
Wenn ein Small Black Hole keine Hawking-Strahlung abgeben sollte, hielten Magnetfelder virtuelle Teilchen von ihm fern. Doch der Pultmonitor vor der Energietechnikerin zeigte, wie immer neue Teilchenschauer in das SBH strömten, während die Partnerteilchen miteinander reagierten und zu Gammastahlung wurden. »Dass muss die Dunkle Materie hier sein.« Nora hob hilflos die Schultern. »Wir haben die Zufuhr an Reaktionsmasse eingestellt und es arbeitet trotzdem. Allerdings nimmt seine Masse zu. Entweder wird es doch noch zerstrahlen oder so massiv werden, dass es das Schiff zerreißt.«
»Ector, haben wir einen geeigneten Landeplatz?«, fragte Uta über die Gegensprechanlage.
»Uta, was ...?« »Du hast gehört, was Nora gesagt hat«, unterbrach sie ihn. »Jetzt geht es um Sekunden!«
»Ja, wir haben einen Ort für eine Notlandung.« Die Beschleunigungswarnung ertönte und Uta hielt sich fest. »Nora, halte das SBH so lange es geht, wir brauchen jedes Watt Energie!«, erklärte sie. »Aber wenn es noch kritischer wird, stoß es sofort aus und aktiviere seine Selbstvernichtung. Wir können es nicht in eine Parkbahn schießen und hoffen, es doch noch zu bergen, und ich will nicht, dass es sich durch die Materiestränge hier frisst.«
Obwohl in der hohen Beschleunigung jedes Gramm Masse an ihr zerrte, stieg Uta weiter zum Durchstoßer. »Wie sieht es aus?«, fragte sie Sjö, den Durchstoß-Techniker.
»Schlecht, sonst wären wir nicht mehr hier«, antwortete er. »Ich wollte gleich einen Rückstoß machen, egal wohin, aber sieh selbst.« Er deutete auf sein Pult, das verformte und verbrannte Ringspeicher zeigte. »Die Speichermasse ist durch die Dunkelmaterie gerast wie ein Schnellzug durch einen Wolkenkratzer.«
»Das lässt sich reparieren und anpassen«, meinte sie.
»Dann habe ich noch ein klitzekleines Problem: der Aufriss hat auf dieser Seite so viel Dunkelmaterie angesaugt, dass ich für einen zweiten Durchstoß nicht die Verantwortung übernehme. Wir können Glück haben, aber auch ganz draufgehen.«
»Dann lassen wir es bleiben!« Utas Blick wurde hart. »Wir machen es hier, Ector sucht schon einen geeigneten Landeplatz. Ti und seine Gang sind in der Viehklasse und da können wir sie jetzt nicht rausholen. Wir müssen allein entscheiden! Ti hätte es genauso gemacht, wenn er an unserer Stelle gewesen wäre.«
»Das stimmt wohl. Und ...«, er schüttelte den Kopf, »das SBH steht vorm Ausstoßen, die Ringspeicher sind im Eimer und ein Durchstoß wohl nicht möglich. OK, versuchen wir es hier!«
»Sehr gut!« Uta hob ihren Daumen. »Ein ganzes Universum wartet auf uns! Ich muss weiter, dafür sorgen, dass wir alles sicher auf Grund kriegen.«
Die Beschleunigung wechselte in Gegenrichtung, also bremsten sie ab. »Ector, wie sieht's aus?«, fragte Uta über die Sprechanlage.
»Wir nähern uns unserem Zielort.«
»Sehr gut. Du hast den Status von Energie und Durchstoßern?«
»Ja.«
»Dann weißt du, dass wir hier länger bleiben müssen.«
»Mir soll's Recht sein.« Das klang müde und resigniert. »Ich komme zur Frachtabteilung, dafür sorgen, dass alles sicher von Bord geht.«
»Ich werde auch da sein.«
»Zweifellos.«
Kurz bevor Uta in den Frachträumen ankam, setzte wieder freier Fall ein. Sie hörte die Stimmen von Ector und dem Frachtmeister Jakob Miladera schon von weitem. »Das Schiff aufgeben ist Unfug!«, rief Jakob. »Wenn wir das SBH ausstoßen müssen, holen wie die Energie aus den Batterien.«
Beide Männer schwebten im Kontrollraum für die in den Boden- und Frachtmodulen untergebrachten Güter und Trampreisenden. Jakob war mit seiner Tirade noch nicht zu Ende: »Ich werde jedenfalls keine Fracht in dieses abartige Universum aussetzen! Die mir anvertrauten Passagiere erst recht nicht!«
»Ich haben dir einen Befehl gegeben!«, entgegnete Ector.
»Einen Befehl, der Unsinn ist! Ich hatte mehr von die gehalten!«
»Wir werden die Fracht auf die Oberfläche schaffen und alle das Schiff verlassen, mit oder ohne deine Hilfe!«
Teil 2 * Durchstoß ins Ungewisse

'Bye, bye Taen! Bye, bye NAYU! Bye, bye Blockstaaten!', dachte Uta, als sie im Raumhafen ankam. Beschwingt lief sie zum Bodenmodul und der Anblick von Nilis hob ihre Stimmung noch weiter. »Zwei mehr?«, fragte er und deutete auf die Passagierliste in seinem Pad.
»Zwei mehr«, bestätigte Uta. »Tihama und Fonyu, zwei Frauen aus Taen-City auf der Suche nach neuen Herausforderungen.«
»Die werden sie bekommen!«
»Wenn du die beiden siehst, wirst du begeistert sein«, schwärmte Uta. »Sie haben mich auf ihre Abschiedsparty eingeladen ... einfach toll!«
»Noch haben wir es nicht geschafft!«
»Noch nicht, aber bald!«

Uta nahm den Platz eines Reservepiloten im Steuerraum des Moduls ein. Hauptpilot war Inann, die auch zu den Meuterern gehörte. Bis auf Lademeister Jakob Miladera und Captain Ector Perez hatten sie beinahe alle Schlüsselpositionen mit ihren Leuten besetzt. Wer nicht mitmachte, würde nach einer Gabe von Sperma oder Eizellen zurück geschickt werden, wenn sie sich als Freischiffer etabliert hatten.
Das Modul rollte zur Startbahn. Die Haken des Katapultes griffen in Ringe an seiner Unterseite und zogen es an. Inann zog die Räder ein und mit einem Ruck erhöhte das Katapult die Geschwindigkeit. »Schallmauer durchbrochen«, sagte Inann lakonisch. »Zweitausend Stundenkilometer ... Dreitausend ... ausgeklinkt!« Sie schaltete die Eigentriebwerke ein und zog das Modul nach oben. Der Raumhafen blieb tief unter ihnen zurück und aus dem strahlenden Blau und Weiß des Taen-Tags wurde die sternengesprenkelte Schwärze des Weltraums.
»Navigatorin Uta Decker, hier Captain Ector Perez, bitte bestätigen Sie.« Das faltige und weißhaarige Gesicht des Schiffsführers erschien auf dem Pult vor Uta und sie antwortete ebenso förmlich: »Captain Ector Perez, Navigatorin Uta Decker hier.«
»Gut. Sind die Flugdateien geschrieben?«
»Das habe ich noch vor meinen Freischichten gemacht. Wir können gleich durchstoßen.«
»Genau das habe ich vor, also kommen Sie unverzüglich in den Steuerraum.«
Da hatte es einer sehr eilig! Um so besser, je schneller sie es durchzogen, desto früher hatten sie den kritischen Teil hinter sich!
Rot leuchteten die Positionslichter der Lee Burton und die leeren Modulbuchten wurden weiß angestrahlt. Bodenmodul Eins wurde gerade vom Ausleger erfasst und in seine Bucht gezogen. Wenig später meldete Inann: »Ausleger eingeklinkt ... jetzt! Werden in Bucht gezogen ... sind eingelaufen ... Integration in Schiffssysteme wieder hergestellt!«
Uta tippte auf ihrem Pult »Rundruf« an und erklärte: »Hier spricht Navigatorin Uta Decker. Bitte bereitmachen für Durchstoß nach Drake's Point in Time minus hundert Minuten.«
Mit sich und dem All ganz eins löste sie die Gurte ihres Sitzes, schwebte schwerelos hinaus und zog sich durch die Tür in den Hauptteil der Lee Burton. Während sie durch den Korridor zum Steuerraum trieb überlegte Uta, dass sie nun seit einem Jahr das 25. Jahrhundert hatten, aber sich die Technik in den letzten Jahrhunderten nicht verbessert hatte. Es gab noch immer keine masselose Schwerkraft und Boden-Orbit-Reisen waren heute so umständlich wie vor dreihundert Jahren. Das Prinzip, aus winzigen Schwarzen Löchern Energie zu erzeugen, war seit vierhundert Jahren bekannt und wurde nach der Schaffung des ersten Small Black Hole schnell in die Praxis umgesetzt. Den Durchstoßer verdankten sie einem Zufall, als eine Teratonnen-Bombe der NAYU ein Stück der Raumzeit aufriss und dabei die Beobachtungsplattform um einige Billionen Kilometer versetzte.

Der Steuerraum der Lee Burton lag an der Spitze des riesigen, walzenförmigen Raumschiffs. Seine transparenten Wände vermittelten den Eindruck, direkt im Weltraum zu sein. Uta meinte, nach dem blau-grün-weiß-grauen Taen und seinem Mutterplaneten, dem blau-weiß gestreiften Gasriesen Umm-Taen, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um sie zu ergreifen. Sie schnallte sich vor ihrem Pult an und rief die Durchstoß-Dateien für Drake's Point auf. Navigation bedeutete in der Ort- und Zeitlosigkeit des Aufrisses, mittels Verlauf und Intensität der den Durchstoß bewirkenden Freisetzung von Energie die Übergänge zwischen der Aufriss-Singularität und der Raumzeit so zu beeinflussen, dass sie zum gewünschten Ziel führten.
»Uta, ich will es auf tausend Kilometer genau!«, erklärte Perez. »Wir haben einen engen Zeitrahmen.«
'Bald nicht mehr', dachte Uta, aber nickte eifrig: »Ja, Captain.«
Das Small Black Hole des Raumschiffes speiste die Durchstoß-Ringspeicher mit gewaltigen Mengen Energie, die es aus Hawking-Strahlung gewann. Zusammen mit der Zweiten Navigatorin Gira Cohen rechnete Uta bis kurz vor dem Durchstoß die Dateien noch einmal durch. Sie machten Korrekturen und sandten den fertigen Kurs an die Steuereinheit der Ringspeicher.
»Geschafft!« Uta lehnte sich zurück, wischte einige Strähnen aus dem Gesicht und entspannte sich. Gira sah sie bewundernd an. War wohl das letzte Mal, dachte Uta. Die junge Frau aus dem Splitterstaat Israel würde ihre Heimat nie für immer verlassen und sich den Meuterern anschließen. Uta räusperte sich und nickte Captain Perez und Pilot Gerat Luther zu: »Alles bereit, Countdown bei Time minus sechs Minuten.«
»Achtung! Hier spricht Captain Ector Perez«, sagte der Schiffsführer über die Rundruf-Anlange. »Bitte alle bereit halten für Durchstoß in sechs Minuten. Countdown läuft.«
»Habe Kursdaten, Ringspeicher sind aufgeladen und bereit zum Durchstoß«, ergänzte Gerat. »Wir sind jetzt bei ... Time minus fünf Minuten.« Die Minuten vergingen, dann die letzten Sekunden: 3 .. 2 ... 1 ..!
Die Ringspeicher entluden sich und ihre Energien ließen Raum und Zeit vor der Lee Burton verschwinden. Die Triebwerke jagten das Raumschiff mit mörderischer Beschleunigung in den Aufriss.
»Fehlstoß!«, schrie Stani Sevren, die Schiffsastronomin. »Wir haben einen Fehlstoß!«
Weltraum und Sterne waren verschwunden und vor der Lee Burton erstreckte sich eine gigantische Säule. Sie verjüngte sich, um dann wieder breiter zu werden und in einem weiß glühenden Ball zu münden. Manche Regionen der Säule glitzerten, über andere liefen weiße und wattige Strukturen. Die Oberfläche war von Falten und Kegeln, Rissen und Linien durchzogen. »Das sind Wolken!«, rief Gira. »Und das, was so glänzt, das muss ein Meer sein!«
»Dann ist das da ein Berg!«, rief Uta und deutete auf eine längliche Struktur, die aus den Wolken ragte. »Ein Gebirge, höher als Everest und Pik Taen!«
»Die Struktur hat einen Durchmesser von über zehntausend Kilometern«, erklärte Stani. »Groß genug, um Wasser und eine Atmosphäre zu halten.« Ratlos sah sie Uta an. Die sagte: »Weitermachen«, und überlegte. Ein Fehlstoß und sie waren an einem Ort, von dem weder das Space Security Council noch sonst jemand wusste, dass er existierte. Die Lee Burton war randvoll mit allem, was Neusiedler zum Überleben benötigten: Viehkloner, Maschinen, Selbstkonfiguratoren, Maschinen, die andere Maschinen bauten, Abbaugeräte, Technikdateien, Programmchips, medizinische Geräte, Sprühpaneele und Fahrzeuge. Zum Teil waren es reguläre Lieferungen, zum Teil hatten Utas Meuterer und Timothys Gang die Dinge zum Transport durch die Lee Burton bestellt, die sie für ihre Freischiffer-Clicque brauchten.
»Gira, geh noch einmal die Durchstoß-Dateien durch, ich möchte wissen, was schief gegangen ist«, ordnete Uta. an. »Stani, finde heraus, ob man auf diesem Himmelskörper frei atmen kann.«
»Wozu das?«, fragte Ector Perez.
»Weil wir vielleicht längere Zeit hier bleiben müssen«, antwortete Uta ungerührt.
»Ich kann in keinen Orbit eintreten«, klagte Gerat. »Diese Strukturen bieten keine stabilen Umlaufbahnen und dann sind da noch immer Störungen.«
»Stani, schalte das Gravitationsteleskop zu!«, sagte Uta. »Wir müssen wissen, was für eine Raumzeit wir hier haben ... uurrgghh!« Urplötzlich revoltierte ihr Magen als ob sie eine Beginnerin mit Raumkrankheit wäre.
»Die Gravimeter zeigen eine hohe Konzentration Dunkler Materie an«, erklärte die Astronomin. »Sie ist um viele Größenordnungen höher als normal. Ihre Anziehung ist für die Störungen verantwortlich, wegen der wir keinen Orbit halten können.«
Uta holte aus einer Tasche ihres Bordanzuges eine Pille gegen Raumkrankheit und schluckte sie herunter. Taubheit breitete sich in ihr aus, doch sie gab sich einen Ruck. »Gira, übernimm für mich!«, sagte sie. »Ich bin bei den Maschinen.«
Ehe Ector Perez etwas sagen konnte, war sie schon aus dem Steuerraum in den Korridor geflogen. Mit energischen Arm- und Beinstößen eilte sie zur Energieversorgung. Nora sah über die Schulter zu ihr, das schwarze Gesicht vor Entsetzen grau verfärbt. »Das SBH«, sagte sie. »Der Energieausstoß wird immer unregelmäßiger und wir können es nicht ausschalten.«
Wenn ein Small Black Hole keine Hawking-Strahlung abgeben sollte, hielten Magnetfelder virtuelle Teilchen von ihm fern. Doch der Pultmonitor vor der Energietechnikerin zeigte, wie immer neue Teilchenschauer in das SBH strömten, während die Partnerteilchen miteinander reagierten und zu Gammastahlung wurden. »Dass muss die Dunkle Materie hier sein.« Nora hob hilflos die Schultern. »Wir haben die Zufuhr an Reaktionsmasse eingestellt und es arbeitet trotzdem. Allerdings nimmt seine Masse zu. Entweder wird es doch noch zerstrahlen oder so massiv werden, dass es das Schiff zerreißt.«
»Ector, haben wir einen geeigneten Landeplatz?«, fragte Uta über die Gegensprechanlage.
»Uta, was ...?« »Du hast gehört, was Nora gesagt hat«, unterbrach sie ihn. »Jetzt geht es um Sekunden!«
»Ja, wir haben einen Ort für eine Notlandung.« Die Beschleunigungswarnung ertönte und Uta hielt sich fest. »Nora, halte das SBH so lange es geht, wir brauchen jedes Watt Energie!«, erklärte sie. »Aber wenn es noch kritischer wird, stoß es sofort aus und aktiviere seine Selbstvernichtung. Wir können es nicht in eine Parkbahn schießen und hoffen, es doch noch zu bergen, und ich will nicht, dass es sich durch die Materiestränge hier frisst.«
Obwohl in der hohen Beschleunigung jedes Gramm Masse an ihr zerrte, stieg Uta weiter zum Durchstoßer. »Wie sieht es aus?«, fragte sie Sjö, den Durchstoß-Techniker.
»Schlecht, sonst wären wir nicht mehr hier«, antwortete er. »Ich wollte gleich einen Rückstoß machen, egal wohin, aber sieh selbst.« Er deutete auf sein Pult, das verformte und verbrannte Ringspeicher zeigte. »Die Speichermasse ist durch die Dunkelmaterie gerast wie ein Schnellzug durch einen Wolkenkratzer.«
»Das lässt sich reparieren und anpassen«, meinte sie.
»Dann habe ich noch ein klitzekleines Problem: der Aufriss hat auf dieser Seite so viel Dunkelmaterie angesaugt, dass ich für einen zweiten Durchstoß nicht die Verantwortung übernehme. Wir können Glück haben, aber auch ganz draufgehen.«
»Dann lassen wir es bleiben!« Utas Blick wurde hart. »Wir machen es hier, Ector sucht schon einen geeigneten Landeplatz. Ti und seine Gang sind in der Viehklasse und da können wir sie jetzt nicht rausholen. Wir müssen allein entscheiden! Ti hätte es genauso gemacht, wenn er an unserer Stelle gewesen wäre.«
»Das stimmt wohl. Und ...«, er schüttelte den Kopf, »das SBH steht vorm Ausstoßen, die Ringspeicher sind im Eimer und ein Durchstoß wohl nicht möglich. OK, versuchen wir es hier!«
»Sehr gut!« Uta hob ihren Daumen. »Ein ganzes Universum wartet auf uns! Ich muss weiter, dafür sorgen, dass wir alles sicher auf Grund kriegen.«
Die Beschleunigung wechselte in Gegenrichtung, also bremsten sie ab. »Ector, wie sieht's aus?«, fragte Uta über die Sprechanlage.
»Wir nähern uns unserem Zielort.«
»Sehr gut. Du hast den Status von Energie und Durchstoßern?«
»Ja.«
»Dann weißt du, dass wir hier länger bleiben müssen.«
»Mir soll's Recht sein.« Das klang müde und resigniert. »Ich komme zur Frachtabteilung, dafür sorgen, dass alles sicher von Bord geht.«
»Ich werde auch da sein.«
»Zweifellos.«
Kurz bevor Uta in den Frachträumen ankam, setzte wieder freier Fall ein. Sie hörte die Stimmen von Ector und dem Frachtmeister Jakob Miladera schon von weitem. »Das Schiff aufgeben ist Unfug!«, rief Jakob. »Wenn wir das SBH ausstoßen müssen, holen wie die Energie aus den Batterien.«
Beide Männer schwebten im Kontrollraum für die in den Boden- und Frachtmodulen untergebrachten Güter und Trampreisenden. Jakob war mit seiner Tirade noch nicht zu Ende: »Ich werde jedenfalls keine Fracht in dieses abartige Universum aussetzen! Die mir anvertrauten Passagiere erst recht nicht!«
»Ich haben dir einen Befehl gegeben!«, entgegnete Ector.
»Einen Befehl, der Unsinn ist! Ich hatte mehr von die gehalten!«
»Wir werden die Fracht auf die Oberfläche schaffen und alle das Schiff verlassen, mit oder ohne deine Hilfe!«
»Tu es doch, aber mache es allein und erklär den Verlust auch selbst!«
Abrupt wandte sich Jakob ab und flog an Uta vorbei, ohne sie richtig zur Kenntnis zu nehmen. Noch einmal wandte er sich zu Ector: »Ich werde mit den anderen reden, mal sehen, ob sie diesen Unfug mitmachen. Du solltest also hier besser nichts anrühren!«
Dieses blöde Arschloch machte alles kaputt! Uta schloss die Tür zur Frachtkontrolle und wandte sich zu ihm: »Äh ... Jakob.«
Das Betäubungsgas aus der kleinen Pressflasche in ihrer Hand traf ihn voll ins Gesicht. Er schniefte und wurde schlaff. Uta bugsierte den bewusstlosen Mann in den Tiefschlaf-Raum für die Besatzungsmitglieder. Mühsam zog sie ihm den Bordanzug und die Unterwäsche aus, setzte ihm eine Schlafmaske auf und schob ihn in eine leere Tiefschlaf-Röhre.
»Achtung, hier spricht Captain Ector Perez«, kam über die Rundruf-Anlange. »Wir sehen uns leider gezwungen, das Schiff aufzugeben. Es besteht aber kein Grund zur Panik, wir haben einen sicheren Notlandeort ausgemacht. Ich beginne jetzt damit, die Frachtmodule auszuklinken und sie dort abzuwerfen. Die Besatzung und die Tramp-Paassagiere werden in den Bodenmodulen folgen!«
'Sehr schön!', dachte Uta. Jakob hatte mit seinem sinnlosen Widerstand den Captain dazu gebracht, um so mehr an der Evakuierung des Schiffes festzuhalten.
»Sie wollte einen Rückstoß machen«, erklärte Sjö und zog die bewusstlose Gira Cohen in den Tiefschlaf-Raum. »Es ginge theoretisch auch mit einer Blitzentladung der Batterien. Kursbestimmung wäre zwar nicht möglich, aber wir wären wieder im Sternen-Universum.«
Uta schluckte und sagte: »Wir müssen es hier versuchen, hier und jetzt! Hier steht uns ein ganzes Universum offen! Kehren wir ins Sternen-Universum zurück, teilen es sich die NAYU und die anderen Blockstaaten untereinander auf und wir können wieder von vorn anfangen!«
Sie entkleideten Gira und legten sie in eine Schlafröhre.
»Wir können sie nicht ewig dort drin lassen«, meinte Sjö.
»Nicht ewig, aber lange genug.« Sie verband sich mit Ector und sagte: »Captain, ist es in Ordnung wenn ich die Lee Burton sichere, währen Sie die Notlandung leiten? Ein paar weitere Besatzungsmitglieder reichen, wir stoßen dann mit dem Raumei zu Ihnen.«
»Einverstanden«, antwortete der Schiffsführer. »Aber was haben Sie vor?«
»Wir können die Lee Burton nicht in einem Gebiet mit Normal- oder Übernormschwerkraft landen. Aber vielleicht an einer Stelle, wo die Strukturen sehr dünn sind und die Schwerkraft niedriger.«
»Gut, versuchen Sie es.«
»Was hast du vor?«, fragte Sjö.
Uta deutete auf die Tiefschlaf-Röhren: »Denen ein passendes Refugium geben.«
Tu es doch, aber mache es allein und erklär den Verlust auch selbst!«
Abrupt wandte sich Jakob ab und flog an Uta vorbei, ohne sie richtig zur Kenntnis zu nehmen. Noch einmal wandte er sich zu Ector: »Ich werde mit den anderen reden, mal sehen, ob sie diesen Unfug mitmachen. Du solltest also hier besser nichts anrühren!«
Dieses blöde Arschloch machte alles kaputt! Uta schloss die Tür zur Frachtkontrolle und wandte sich zu ihm: »Äh ... Jakob.«
Das Betäubungsgas aus der kleinen Pressflasche in ihrer Hand traf ihn voll ins Gesicht. Er schniefte und wurde schlaff. Uta bugsierte den bewusstlosen Mann in den Tiefschlaf-Raum für die Besatzungsmitglieder. Mühsam zog sie ihm den Bordanzug und die Unterwäsche aus, setzte ihm eine Schlafmaske auf und schob ihn in eine leere Tiefschlaf-Röhre.
»Achtung, hier spricht Captain Ector Perez«, kam über die Rundruf-Anlange. »Wir sehen uns leider gezwungen, das Schiff aufzugeben. Es besteht aber kein Grund zur Panik, wir haben einen sicheren Notlandeort ausgemacht. Ich beginne jetzt damit, die Frachtmodule auszuklinken und sie dort abzuwerfen. Die Besatzung und die Tramp-Paassagiere werden in den Bodenmodulen folgen!«
'Sehr schön!', dachte Uta. Jakob hatte mit seinem sinnlosen Widerstand den Captain dazu gebracht, um so mehr an der Evakuierung des Schiffes festzuhalten.
»Sie wollte einen Rückstoß machen«, erklärte Sjö und zog die bewusstlose Gira Cohen in den Tiefschlaf-Raum. »Es ginge theoretisch auch mit einer Blitzentladung der Batterien. Kursbestimmung wäre zwar nicht möglich, aber wir wären wieder im Sternen-Universum.«
Uta schluckte und sagte: »Wir müssen es hier versuchen, hier und jetzt! Hier steht uns ein ganzes Universum offen! Kehren wir ins Sternen-Universum zurück, teilen es sich die NAYU und die anderen Blockstaaten untereinander auf und wir können wieder von vorn anfangen!«
Sie entkleideten Gira und legten sie in eine Schlafröhre.
»Wir können sie nicht ewig dort drin lassen«, meinte Sjö.
»Nicht ewig, aber lange genug.« Sie verband sich mit Ector und sagte: »Captain, ist es in Ordnung wenn ich die Lee Burton sichere, währen Sie die Notlandung leiten? Ein paar weitere Besatzungsmitglieder reichen, wir stoßen dann mit dem Raumei zu Ihnen.«
»Einverstanden«, antwortete der Schiffsführer. »Aber was haben Sie vor?«
»Wir können die Lee Burton nicht in einem Gebiet mit Normal- oder Übernormschwerkraft landen. Aber vielleicht an einer Stelle, wo die Strukturen sehr dünn sind und die Schwerkraft niedriger.«
»Gut, versuchen Sie es.«
»Was hast du vor?«, fragte Sjö.
Uta deutete auf die Tiefschlaf-Röhren: »Denen ein passendes Refugium geben.«

Beverly
24.11.2005, 15:18
STERNE DER HEIMAT spielt in einem recht bizarren Universum und auf dem Planeten Taen, der mitten in iner politischen und gesellschaftlichen Krise steckt.