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Vollständige Version anzeigen : "Die unerträgliche Genauigkeit der Stereotypen"



Ben Richards
08.09.2014, 19:37
In den Bereichen soziale Psychologie, Soziologie und Soziologie hat sich ja seit den 60er Jahren immer verstärkt die Idee eingebürgert, dass sogenannte Stereotypen bzw. Vorurteile etwas ganz Schlimmes seien. Diese Meinung hat sich ja mittlerweile auch durch unsere Qualitätsmedien in weiten Teilen des Gesellschaft durchgesetzt. Schließlich seien Stereotypen ja grundsätzlich falsch und führen dann zu sogenannten "selbsterfüllenden Prophezeiungen". Wir kennen diese Idee: Der Lehrer denkt, ein Schüler ist dumm, weil seine Eltern Hartz-4 beziehen und als Folge dessen schneidet der Schüler dann auch notentechnisch schlecht ab, weil er unbewusst diese Erwartungen des Lehrers "übernimmt". Das ganze nannte man dann "Stereotype-Threat" und wurde als Begründung genommen, dass beispielsweise Schwarze in der Schule schlechter abschneiden oder Frauen schlecht in Mathe sind - alles Schuld der Gesellschaft und ihrer Stereotypen, die ihre Mitglieder annehmen, verbreiten und innerlich übernehmen!

Verknüpft damit war dann auch die Theorie der "sozialen Konstruktion": jeder Mensch sieht die Welt total subjektiv aufgrund eines Weltbilds das in ihm existiert. Die Kernaussage dieser dominanten These war quasi dass kein Mensch wirklich eine objektive Wahrnehmung hat. Unterpunkte dafür war der "bias", das Vorurteil, welches jeden dazu zwingt gezielt Informationen zu suchen, die sein Weltbild stützen (also wer denkt, dass Gruppe X sei kriminell der nimmt Zeitungsartikel die dies bestätigen verstärkt war und ignoriert Gegenbeweise).

Das ist alles schön und gut und klingt ja auch in einem gewissen Maße einleuchtent. Es gab zu diesem Thema auch Studien, die das in gewisser Weise bestätigt haben (auch wenn gewöhnlich nur moderate Effekte entdeckt wurden). "Vergessen" hat man dagegen bis in die frühen 90er Jahre folgendes: Man hat gar nicht geprüft ob diese Stereotypen und Erwartungen sich mit der Realität decken!

In Amerika hat insbesondere der Sozialpsychologe Lee J. Jussim angefangen, das ganze mal zu untersuchen. Und siehe da: relativ gesehen stimmen die Stereotypen mit der Wirklichkeit gut überein, in den meisten Fällen! Die oben genannten Effekte werden also nur zum Teil durch falsche Ansichten ausgelöst! Die Korrelation zwischen dem eigenen Stereotyp und der Realität lagen im Bezug auf ethnischen Gruppen bei 0,70 und bei Geschlechtsunterschieden bei 0,70 (basierend auf 25.000 ausgewerteten Studien)! Das sind relativ starke Ausprägungen.

Jetzt kommt das eigentliche: Der gesellschaftliche Durchschnittsstereotyp über eine Gruppe ist deutlich größer als der den einzelne Individuen hegen - man kann also sagen, dass sich Stereotypen aufgrund kummulierter Erfahrungen der Menschen bilden und sich dabei dynamisch(!) anpassen. Im Gegensatz zu dem was viele Leute glauben, sind sogenannte Stereotypen nämlich nicht sonderlich konstant! Menschen ändern diese aktiv, sobald sie mit neuen Erfahrungen konfrontiert sind. Wer z.B. denken würde, dass Deutsche gerne mit Pickelhaube rumlaufen, wird diese Meinung schnell ändern, sobald er mit echten Deutschen konfrontiert wird. Es wird also nicht stur an Stereotypen festgehalten die nicht der Wahrheit ensprechen. Dazu kommt, dass der allgemeine Stereotyp die Realität genauer(!) vorausagt, als alle anderen "wissenschaftlichen" Theorien (Freud, Behaviorismus etc.) tun. Der Großteil der Menschen hat also eine relativ genaue Vorstellung von der Wirklichkeit.

Man sieht also, dass die Fähigkeit realistische Stereotypen zu bilden, durchaus seinen Zweck hat. Wer dem Säbelzahntiger begegnet hält sich lieber an das "Vorurteil", dass einem sein Stamm übermittelt hat: schnell weg. Wer den Stereotyp ignoriert oder nicht hat stirbt dann eher.

Wer mehr wissen will, kann das Buch"Social perception and social reality: Why accuracy dominates bias and self-fulfilling prophecy" von Jussim lesen oder als Einführung den Artikel (etwas älter) "The Unbearable Accuray of Stereotypes" Klich (http://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=Oo55AgAAQBAJ&oi=fnd&pg=PA199&dq=the+unbearable+accuracy+of+stereotypes&ots=FaEG-WqaMG&sig=RPbV8vl5GSgNyRYYPmbAjTMKJ1k#v=onepage&q=the%20unbearable%20accuracy%20of%20stereotypes&f=false)

Eigentlich erstaunlich, natürlich haben die deutschen Wissenschaftler und Journalisten davon mal wieder nichts mitbekommen. :D

Denkt also dran, wenn auch das nächste Mal wieder einreden will, dass eure Wahrnehmung und Eindrücke nicht stimmen und auf Vorurteilen und/oder subjektiver Wahrnehmung basieren.

Hayden
08.09.2014, 19:55
Wer mehr wissen will, kann das Buch"Social perception and social reality: Why accuracy dominates bias and self-fulfilling prophecy" von Jussim lesen oder als Einführung den Artikel (etwas älter) "The Unbearable Accuray of Stereotypes" Klich (http://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=Oo55AgAAQBAJ&oi=fnd&pg=PA199&dq=the+unbearable+accuracy+of+stereotypes&ots=FaEG-WqaMG&sig=RPbV8vl5GSgNyRYYPmbAjTMKJ1k#v=onepage&q=the%20unbearable%20accuracy%20of%20stereotypes&f=false)



Interessant werde ich mir demnächst mal durchlesen.

-jmw-
08.09.2014, 21:14
Danke für den Hinweis!

Buchenholz
14.09.2014, 10:31
Wer mehr wissen will, kann das Buch"Social perception and social reality: Why accuracy dominates bias and self-fulfilling prophecy" von Jussim lesen oder als Einführung den Artikel (etwas älter) "The Unbearable Accuray of Stereotypes" Klich (http://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=Oo55AgAAQBAJ&oi=fnd&pg=PA199&dq=the+unbearable+accuracy+of+stereotypes&ots=FaEG-WqaMG&sig=RPbV8vl5GSgNyRYYPmbAjTMKJ1k#v=onepage&q=the%20unbearable%20accuracy%20of%20stereotypes&f=false)
Danke für den Tipp. Schade, daß ein Buch über so ein wichtiges Thema zwei Jahre nach Veröffentlichung nur so einen geringen verbreitungsgrad zu haben scheint. Bei amazon.com gibt es nämlich nur ganze drei Rezensionen. Das dürfte teilweise am mit 480 kleinbedruckten Seiten recht großen Umfang liegen und mehr noch am dem sehr hohen inhaltlichen Niveau. Bei kurzem Durchscrollen durch das PDF-ebook (nicht dein Link zum Artikel sondern tatsächlich das erstgenannte Buch, bißchen im Netz absichtslos auf einige links geklickt und plötzlich öffnete sich unbeabsichtigt ein PDF-ebook) kriege ich den Eindruck, daß es sich teilweise wie eine wissenschaftliche Studie liest. Sehr akademischer Stil mit Bezugnahme, Verweisen auf und Schilderungen zahlreicher wissenschaftlicher Studien. Also keine lockere populärwissenschaftliche Lektüre, die man mal zum Abschalten lesen kann sondern eher eine vielleicht etwas leichter verdaulich aufbereitete umfangreiche wissenschaftliche Arbeit.
Es wäre wünschenswert, wenn der Autor zusätzlich eine für's breitere Publikum bestimmte gekürzte Version herausgeben würde.

Commodus
14.09.2014, 10:41
Und als Beweis tritt dann wohl der Michel mit der Pickelhaube ins Rennen? Was? In Deutschland rennen die Deutschen nicht mit Pickelhauben rum? Da kann man mal sehen! Wir lassen uns von Vorurteilen leiten! Unsere Kanacken und Neger sind gar nicht dumm und hochgradig kriminell. Wenn man sich die Gefängnisse genauer anschaut dann stellt man fest, daß diese als Wohnheime umfuntioniert wurden.

Donnerwetter nochmal, wieder was gelernt.

Ben Richards
14.09.2014, 12:32
Und als Beweis tritt dann wohl der Michel mit der Pickelhaube ins Rennen? Was? In Deutschland rennen die Deutschen nicht mit Pickelhauben rum? Da kann man mal sehen! Wir lassen uns von Vorurteilen leiten! Unsere Kanacken und Neger sind gar nicht dumm und hochgradig kriminell. Wenn man sich die Gefängnisse genauer anschaut dann stellt man fest, daß diese als Wohnheime umfuntioniert wurden.

Donnerwetter nochmal, wieder was gelernt.

:crazy:

Ben Richards
14.09.2014, 12:41
Danke für den Tipp. Schade, daß ein Buch über so ein wichtiges Thema zwei Jahre nach Veröffentlichung nur so einen geringen verbreitungsgrad zu haben scheint. Bei amazon.com gibt es nämlich nur ganze drei Rezensionen. Das dürfte teilweise am mit 480 kleinbedruckten Seiten recht großen Umfang liegen und mehr noch am dem sehr hohen inhaltlichen Niveau. Bei kurzem Durchscrollen durch das PDF-ebook (nicht dein Link zum Artikel sondern tatsächlich das erstgenannte Buch, bißchen im Netz absichtslos auf einige links geklickt und plötzlich öffnete sich unbeabsichtigt ein PDF-ebook) kriege ich den Eindruck, daß es sich teilweise wie eine wissenschaftliche Studie liest. Sehr akademischer Stil mit Bezugnahme, Verweisen auf und Schilderungen zahlreicher wissenschaftlicher Studien. Also keine lockere populärwissenschaftliche Lektüre, die man mal zum Abschalten lesen kann sondern eher eine vielleicht etwas leichter verdaulich aufbereitete umfangreiche wissenschaftliche Arbeit.
Es wäre wünschenswert, wenn der Autor zusätzlich eine für's breitere Publikum bestimmte gekürzte Version herausgeben würde.

Ja, da hast du recht. Das Buch ist soweit es geht einsteigerfreundlich für Fachfremde gehalten (gibt Fußnoten, die gewisse Dinge erklären), trotz allem ist es ein akademisches Buch, welches nicht wirklich massentauglich ist (obwohl er stellenweise recht locker-flockig schreibt). Eine gekürzte Version wäre wirklich gut.

Das Buch wird tatsächlich nicht so stark beachtet, es geht halt auch gegen die orthodoxe Lehre innerhalb der Sozialpsychologie vor (was er sehr genau erklärt) und sowas hat halt immer einen schweren Stand. In Deutschland wäre so ein Buch aber bei einem renommierten Wissenschaftsverlag heute nicht mehr möglich, da herrscht in den USA einfach trotz allem eine größere Meinungspluralität. Eine deutsche Übersetzung wird wohl nicht kommen (die meisten Verlage wagen sich an sowas nicht ran und die "rechten" Verlage haben ja oft selber so ihre Probleme mit der Wissenschaft, da sie meistens aus der christlichen Ecke kommen...)

Bücher, die gerne noch auf Deutsch kommen sollten und müssten sind dann ja auch "Ancestral Journeys: The Peopling of Europe from the First Venturers to the Vikings"* (Jean Manco), "The Son Also Rises" (Gregory Clark), "A Troublesome Inheritance: Genes, Race and Human History" (Nicholas Wade), "The 10,000 Year Explosion" (Cochran & Harpening). Wir haben in Deutschland nämlich seit mindestens zwei Jahrzehnten ein deutliches Defizit in Bildung in vielen Bereichen...

*zu diesem Buch gibt es eine ausgezeichnete deutsche Alternative, "Anthropologie Europas" von Andreas Vonderach, allerdings in vielen Bereichen nicht so umfangreich, dafür schließt es auch die physische Entwicklung der Europäer mit ein. Jedoch ist es im genetischen Bereich leider nicht auf dem neusten Stand (2008 erschienen, Mancos Buch 2013).

Vonderach hat vor Kurzem auch noch das Buch "Völkerpsychologie" herausgebracht, in der er das Material über die Unterschiede der Völker im psychischen Bereich untersucht hat, angefangen von historischen Berichten bis hin zu Theorien dahinter (z.B. Sprachpsychologie, Verhaltensgenetik etc.). Gelesen hat das aber scheinbar keiner ;)

Tantalit
14.09.2014, 14:16
]Wir haben in Deutschland nämlich seit mindestens zwei Jahrzehnten ein deutliches Defizit in Bildung in vielen Bereichen...
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Klar, Deutschland und die Deutschen sind ja auch das Schlußlicht in der Welt wenn es um Wirtschftskraft, Kreativität, Fleiß, Zuverlässigkeit

Anständigkeit und Berufsausbildung geht. Kein Wunder das uns die ganze Welt retten will uns vernegert, überfremdet und bevormunden

möchte.

Als Vorbild taugen wir halt nix und da man uns auf keinem Gebiet das Wasser reichen kann will man uns halt zerstören.

Alles klar du Vollhorst. ;)

Ben Richards
14.09.2014, 14:18
Klar, Deutschland und die Deutschen sind ja auch das Schlußlicht in der Welt wenn es um Wirtschftskraft, Kreativität, Fleiß, Zuverlässigkeit

Anständigkeit und Berufsausbildung geht. Kein Wunder das uns die ganze Welt retten will uns vernegert, überfremdet und bevormunden

möchte.

Als Vorbild taugen wir halt nix und da man uns auf keinem Gebiet das Wasser reichen kann will man uns halt zerstören.

Alles klar du Vollhorst. ;)

Muss man auf so einen Schwachsinn antworten?

Tantalit
14.09.2014, 14:21
Muss man auf so einen Schwachsinn antworten?

Scheinbar must Du es, der kleine Ben möchte aus dem Bällebecken abgeholt werden! :D

Ben Richards
14.09.2014, 14:31
Du findest also, dass sich die deutschen Sozialwissenschaften und davon beeinflusste Journalisten durch ein besonders hohes Maß an zeitgemäßem, naturwissenschaftlichen Wissen auszeichnen? Gut. :D

Leila
15.09.2014, 22:44
Kaum angepflanzt, ist dieser Strang schon am Vertrocknen. Also begieße ich ihn schnell mit Wasser und dünge ihn mit meinen Worten, damit er doch noch Wurzeln schlägt, hochhinaufwächst, ausschlägt und dereinst an seinen Ästen schöne Blüten und alsdann nahrhafte Früchte trägt.

Seit meiner Jugendzeit beschäftigt mich die Ursache und Wirkung der Vorurteile. Als Erwachsene stellte ich fest, daß viele meiner Vorurteile vom Lesen und Hörensagen herkamen. Welche Vorurteile ich dank der Ermöglichung meiner Reiselust und zunehmenden Lebenserfahrung bald bestätigt sah oder für unberechtigt hielt, teile ich im Verlauf dieses Stranges noch mit.

Dort (http://www.gutzitiert.de/zitat_thema_vorurteil.html) ist eine Sammlung von Zitaten zu finden, die vom Vorurteil handeln. Über jedes einzelne Zitat könnte ich stundenlang nachdenken ohne dabei Langeweile zu empfinden. In meiner privaten Zitatsammlung fehlt Friedrich Nietzsches Wort zum Vorurteil (wahrscheinlich überlas ich’s beim Lesen). Es lautet wie folgt:


„Alle Vorurteile kommen aus den Eingeweiden.“

Meine zwei Kinder fremdelten, als sie Säuglinge waren. Sie fingen zu weinen, ja zu schreien an, wenn ihren Augen ein unbekanntes Gesicht zu nahe kam oder ein Mensch zu ihnen mit einer Stimme sprach, dessen Klang sie nicht kannten. – Leider kann ich meine seligen Eltern nicht mehr über diesen Sachverhalt befragen, da beide vor der Geburt meiner Kinder verstarben. Ich weiß aber noch, daß sie zu ihrer Lebzeit von mir behaupteten, ich sei von Geburt an ein unbekümmertes Mädchen gewesen, das sich weder vor Menschen noch vor Tieren fürchtete.