Maggie
10.06.2014, 21:57
Kopp-exklusiv 19/14 – Alle Wanderarbeiter aus den anderen EU-Staaten haben in Deutschland Anspruch auf »Kindergeld Made in Germany«. Sogar dann, wenn der Nachwuchs nach wie vor in der Heimat lebt.
Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Seither sahnen vor allem polnische Gelegenheitsarbeiter mächtig ab. Es winken hohe Nachzahlungen. Manche finanzieren sich damit ihr neues Auto. Die deutschen Behörden werden unterdessen von der Antragsflut aus Polen und Tschechien teilweise lahmgelegt. Nicht einmal vier Monate – vom 20. August bis 7. Dezember 2007 – arbeitete der Pole Waldemar Hudzinski bei einem Gartenbauunternehmen am Niederrhein. Seine Frau und seine beiden Kinder lebten während dieser Zeit weiterhin zu Hause in Polen. Trotzdem beantragte Hudzinski, in Deutschland als »unbeschränkt einkommensteuerpflichtig« behandelt zu werden.
Ein Urteil mit verheerenden Folgen
Das war freilich keine solidarische Geste gegenüber seinem Gastland, zumal Hudzinski aufgrund seines geringen Lohns ohnehin kaum Steuern zahlte, sondern raffiniertes Kalkül, um sein Einkommen auf Kosten der deutschen Steuer- und Sozialabgabenzahler aufzubessern. Zu Hause in Polen bekam die Familie für jedes Kind lediglich zehn Euro Kindergeld. Das waren nicht einmal sieben Prozent des damals in Deutschland geltenden Satzes. Hudzinski beantragte daher bei der zuständigen Arbeitsagentur Wesel für seine beiden Kinder monatlich 304 Euro Kindergeld. Das wurde zunächst abgelehnt, weil der Nachwuchs ja schließlich nach wie vor in Polen lebte. Also seien die polnischen Kollegen zuständig, argumentierte die deutsche Behörde. Hudzinski gab sich damit nicht zufrieden und klagte vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die Europa-Richter befassten sich mit diesem sowie dem ähnlich gelagerten Fall des ebenfalls klagenden Wanderarbeiters Jaroslaw Wawrzyniak aus Mönchengladbach und sprachen ein Urteil, das den deutschen Steuerzahlern teuer zu stehen kommen wird. Der EuGH vertrat die Auffassung, dass jeder Bürger der Europäischen Union, der in Deutschland »unbeschränkt einkommensteuerpflichtig« sei, grundsätzlich Anspruch auf Kindergeld aus der deutschen Staatskasse habe. Das gelte sogar dann, wenn die Kinder im Herkunftsland des Wanderarbeiters lebten. Lediglich das in dem jeweiligen Heimatland gezahlte Kindergeld müsse von dem in Deutschland geltenden Satz abgezogen werden, im konkreten Fall also zehn Euro pro Kind. Zunächst sorgte das schon 2012 ergangene Urteil kaum für Aufsehen und wurde nur in der juristischen Fachliteratur behandelt. Doch innerhalb von wenigen Monaten machte diese neue Abzockmasche in den zur EU gehörenden Staaten Osteuropas Schule. Die fatale Folge: Die Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit werden von Kindergeldanträgen europäischer Wanderarbeiter regelrecht überflutet. Die Zahl der entsprechenden Anträge stieg in den vergangenen Monaten um rund 30 Prozent.
Experten schätzen, dass mittlerweile allein über 70.000 polnische Wanderarbeiter in Deutschland Kindergeld beziehen, ob-wohl ihre Töchter und Söhne größtenteils noch nie in der Bundesrepublik waren. Längst geht es nicht mehr um ein paar hundert Euro, für die der deutsche Steuer- und Sozialabgabenzahler auf-kommen muss, sondern insgesamt um Milliarden. Die in Deutschland »unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen« Wanderarbeiter aus der EU können nämlich bis vier Jahre rückwirkend Kindergeld beantragen. Bei großen Familien lohnt sich das. »Manchmal kommt auf diese Weise ein Kleinwagen zusammen«, berichtet eine Mitarbeiterin bei der Arbeitsagentur in Bautzen, wo die meisten der polnischen Anträge landen. In einem Fall habe die Familienkasse fast 25.000 Euro Kindergeld auf einen Schlag ausgezahlt. Derzeit werden in Deutschland für die ersten beiden Kinder jeweils 184 Euro pro Monat überwiesen, 190 Euro für das dritte und 215 Euro für jedes weitere Kind. Davon können die Bürger in vielen anderen EU-Staaten nur träumen. Sogar Dänemark, Schweden und Finnland – die Sozialstaaten des Nordens – zahlen weniger Kindergeld.
Legal geknackte Kindergeldkasse
Doch nicht nur die hohen Zahlungen an EU-Wanderarbeiter belasten den deutschen Steuerzahler. Weil die Familienkassen in grenznahen Regionen der Flut von Kindergeldanträgen aus Polen und Tschechien teilweise nicht mehr Herr werden, müssen neue Mitarbeiter her. Hinzu kommen die Kosten für die Übersetzung der Informationen. Schon hat die Arbeitsagentur Kindergeldanträge in polnischer und tschechischer Sprache aufgelegt. In den deutschen Behörden macht man sich keine Illusionen. »Es ist davon auszugehen, dass nach dem Abklingen dieser Antragswelle eine gegenüber dem Ausgangswert dauerhafte Steigerung der Anspruchsberechtigten eintreten wird«, heißt es in einer internen Mitteilung der Bundesagentur. Die Behörde rechnet mit einem »generellen Anstieg der Fallzahlen durch gestiegene Migration insbesondere aus Ost- und Südosteuropa«. Wie einfach die deutschen Kindergeldkassen legal zu knacken sind, das dürfte sich mittlerweile sicher auch in Rumänien und Bulgarien herumgesprochen haben. Ein einträgliches Geschäft: Die Kinder leben bei einem Elternteil billig in Osteuropa, während der Vater oder die Mutter in Deutschland ein gegenüber dem Heimatland mehr als 15-fach höheres Kindergeld absahnt.
Doch die deutschen Sozialkassen dürften bald noch stärker ausgeplündert werden. In Luxemburg könnte der EuGH schon im Herbst 2014 ein weiteres vor allem für Deutschland teures Urteil fällen. Konkret geht es darum, ob EU-Ausländer, die in Deutschland eine neue Arbeit suchen, sofort Hartz IV bekommen können. Laut EU-Recht dürfen Bürger der Europäischen Union in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in einem anderen EU-Land keine Sozialleistungen beanspruchen. Gleichzeitig heißt es im EU-Recht aber, dass EU-Bürger in einem anderen Land der Union »die gleichen Rechte und Pflichten« haben wie die Bürger dieses Staates. Wegen dieses Wirrwarrs hat das Bundessozialgericht im vergangenen Dezember den EuGH angerufen. Allgemein wird erwartet, dass die Europa-Richter zugunsten arbeitsloser EU-Bürger entscheiden, also für Hartz IV
(...) Alle Wanderarbeiter aus den anderen EU-Staaten haben in Deutschland
Anspruch auf »Kindergeld Made in Germany«. Sogar dann, wenn der Nachwuchs
nach wie vor in der Heimat lebt.
Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Seither sahnen vor allem polnische Gelegenheitsarbeiter mächtig ab. Es winken hohe Nachzahlungen. Manche finanzieren sich damit ihr neues Auto. Die deutschen Behörden werden unterdessen von der Antragsflut aus Polen und Tschechien teilweise lahmgelegt. Nicht einmal vier Monate – vom 20. August bis 7. Dezember 2007 – arbeitete der Pole Waldemar Hudzinski bei einem Gartenbauunternehmen am Niederrhein. Seine Frau und seine beiden Kinder lebten während dieser Zeit weiterhin zu Hause in Polen. Trotzdem beantragte Hudzinski, in Deutschland als »unbeschränkt einkommensteuerpflichtig« behandelt zu werden.
Ein Urteil mit verheerenden Folgen
Das war freilich keine solidarische Geste gegenüber seinem Gastland, zumal Hudzinski aufgrund seines geringen Lohns ohnehin kaum Steuern zahlte, sondern raffiniertes Kalkül, um sein Einkommen auf Kosten der deutschen Steuer- und Sozialabgabenzahler aufzubessern. Zu Hause in Polen bekam die Familie für jedes Kind lediglich zehn Euro Kindergeld. Das waren nicht einmal sieben Prozent des damals in Deutschland geltenden Satzes. Hudzinski beantragte daher bei der zuständigen Arbeitsagentur Wesel für seine beiden Kinder monatlich 304 Euro Kindergeld. Das wurde zunächst abgelehnt, weil der Nachwuchs ja schließlich nach wie vor in Polen lebte. Also seien die polnischen Kollegen zuständig, argumentierte die deutsche Behörde. Hudzinski gab sich damit nicht zufrieden und klagte vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die Europa-Richter befassten sich mit diesem sowie dem ähnlich gelagerten Fall des ebenfalls klagenden Wanderarbeiters Jaroslaw Wawrzyniak aus Mönchengladbach und sprachen ein Urteil, das den deutschen Steuerzahlern teuer zu stehen kommen wird. Der EuGH vertrat die Auffassung, dass jeder Bürger der Europäischen Union, der in Deutschland »unbeschränkt einkommensteuerpflichtig« sei, grundsätzlich Anspruch auf Kindergeld aus der deutschen Staatskasse habe. Das gelte sogar dann, wenn die Kinder im Herkunftsland des Wanderarbeiters lebten. Lediglich das in dem jeweiligen Heimatland gezahlte Kindergeld müsse von dem in Deutschland geltenden Satz abgezogen werden, im konkreten Fall also zehn Euro pro Kind. Zunächst sorgte das schon 2012 ergangene Urteil kaum für Aufsehen und wurde nur in der juristischen Fachliteratur behandelt. Doch innerhalb von wenigen Monaten machte diese neue Abzockmasche in den zur EU gehörenden Staaten Osteuropas Schule. Die fatale Folge: Die Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit werden von Kindergeldanträgen europäischer Wanderarbeiter regelrecht überflutet. Die Zahl der entsprechenden Anträge stieg in den vergangenen Monaten um rund 30 Prozent.
Experten schätzen, dass mittlerweile allein über 70.000 polnische Wanderarbeiter in Deutschland Kindergeld beziehen, ob-wohl ihre Töchter und Söhne größtenteils noch nie in der Bundesrepublik waren. Längst geht es nicht mehr um ein paar hundert Euro, für die der deutsche Steuer- und Sozialabgabenzahler auf-kommen muss, sondern insgesamt um Milliarden. Die in Deutschland »unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen« Wanderarbeiter aus der EU können nämlich bis vier Jahre rückwirkend Kindergeld beantragen. Bei großen Familien lohnt sich das. »Manchmal kommt auf diese Weise ein Kleinwagen zusammen«, berichtet eine Mitarbeiterin bei der Arbeitsagentur in Bautzen, wo die meisten der polnischen Anträge landen. In einem Fall habe die Familienkasse fast 25.000 Euro Kindergeld auf einen Schlag ausgezahlt. Derzeit werden in Deutschland für die ersten beiden Kinder jeweils 184 Euro pro Monat überwiesen, 190 Euro für das dritte und 215 Euro für jedes weitere Kind. Davon können die Bürger in vielen anderen EU-Staaten nur träumen. Sogar Dänemark, Schweden und Finnland – die Sozialstaaten des Nordens – zahlen weniger Kindergeld.
Legal geknackte Kindergeldkasse
Doch nicht nur die hohen Zahlungen an EU-Wanderarbeiter belasten den deutschen Steuerzahler. Weil die Familienkassen in grenznahen Regionen der Flut von Kindergeldanträgen aus Polen und Tschechien teilweise nicht mehr Herr werden, müssen neue Mitarbeiter her. Hinzu kommen die Kosten für die Übersetzung der Informationen. Schon hat die Arbeitsagentur Kindergeldanträge in polnischer und tschechischer Sprache aufgelegt. In den deutschen Behörden macht man sich keine Illusionen. »Es ist davon auszugehen, dass nach dem Abklingen dieser Antragswelle eine gegenüber dem Ausgangswert dauerhafte Steigerung der Anspruchsberechtigten eintreten wird«, heißt es in einer internen Mitteilung der Bundesagentur. Die Behörde rechnet mit einem »generellen Anstieg der Fallzahlen durch gestiegene Migration insbesondere aus Ost- und Südosteuropa«. Wie einfach die deutschen Kindergeldkassen legal zu knacken sind, das dürfte sich mittlerweile sicher auch in Rumänien und Bulgarien herumgesprochen haben. Ein einträgliches Geschäft: Die Kinder leben bei einem Elternteil billig in Osteuropa, während der Vater oder die Mutter in Deutschland ein gegenüber dem Heimatland mehr als 15-fach höheres Kindergeld absahnt.
Doch die deutschen Sozialkassen dürften bald noch stärker ausgeplündert werden. In Luxemburg könnte der EuGH schon im Herbst 2014 ein weiteres vor allem für Deutschland teures Urteil fällen. Konkret geht es darum, ob EU-Ausländer, die in Deutschland eine neue Arbeit suchen, sofort Hartz IV bekommen können. Laut EU-Recht dürfen Bürger der Europäischen Union in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in einem anderen EU-Land keine Sozialleistungen beanspruchen. Gleichzeitig heißt es im EU-Recht aber, dass EU-Bürger in einem anderen Land der Union »die gleichen Rechte und Pflichten« haben wie die Bürger dieses Staates. Wegen dieses Wirrwarrs hat das Bundessozialgericht im vergangenen Dezember den EuGH angerufen. Allgemein wird erwartet, dass die Europa-Richter zugunsten arbeitsloser EU-Bürger entscheiden, also für Hartz IV
(...) Alle Wanderarbeiter aus den anderen EU-Staaten haben in Deutschland
Anspruch auf »Kindergeld Made in Germany«. Sogar dann, wenn der Nachwuchs
nach wie vor in der Heimat lebt.