Asyl
04.11.2013, 17:37
Die Kritik an Amerikanern wird immer lauter. Von der NSA bis zu den Ratingagenturen, von Google bis Facebook, von Goldman Sachs bis Apple und Amazon – überall wittert man dunkle Mächte. Die Wahrheit ist viel einfacher, und deprimierend zugleich.
In der Beliebtheitsrangliste Europas rangiert Amerika derzeit ganz weit hinten, irgendwo zwischen weißem Hai und Kettensägenmassaker. Monstergleich werden die USA verteufelt, und man traut ihnen alles zu: vom Abhören des Kanzlerhandys bis zum Ruinieren des Weltlklimas, vom Big-Data-Krakengriff bis zum wahllosen Drohnenkrieg.
Als ob Amerika aus brutalen Bankern (Goldman Sachs), dummen Cowboy-Reaktionären (Tea-Party-Bewegung) und fiesen Sklavenfabriken (Amazon) bestünde, so prügeln die Medien transatlantisch ein, dass es kein Halten mehr gibt. Selbst der bislang so smarte Präsident Obama mutiert nun zum Zerrbild eines düsteren Spitzel-Big-Brothers aus der Halbwelt, dessen Losung “Yes, we can” als “Yes, we scan” entlarvt sei.
Der neue Anti-Amerikanismus mag aktuell berechtigte Anläße der Kritik haben - Geheimdienste sind eben keine Rotaryclubs. In Art und Breite des Ressentiments verrät er aber etwas ganz anderes als die Sorge um Datenschutz: einen Minderwertigkeitskomplex. Mit jeder rotzigen Verbalattacke gegen die USA wirkt Europa mehr wie ein plärrendes Kind, das dem großen Bruder am anderen Ende des Teiches das Wasser einfach nicht reichen kann. Die Selbstverkleinerung Europas wird zusehends unser Markenzeichen.
Man kann die Windows-, Apple- und Facebook-Konzerne verteufeln, man könnte aber auch eigene Internetkonzerne als Gegengewicht aufgebaut haben. Von den 20 größten Internetkonzernen der Welt kommt aber keiner mehr von hier. Wo bleibt Europas Suchmaschine? Unsere Antwort auf Google? Man kann sich über die angeblich so dreiste Dominanz der US-Ratingsagenturen echauffieren, man könnte aber endlich einmal einen eigenen an den Start bringen. Seit Jahrzehnten scheitern die Europäer auch damit kläglich.
Man kann sich über die Arbeitsbedingungen bei Amazon und Starbucks ärgern und sich wundern, warum Europas Buchhändler und Cafehäuser sterben. Man könnte aber auch ein eigenes “Rheinazon” oder “Kaffee Sterntaler” hoch ziehen. Doch Europa kann einfach nicht.
Die Klage über die neue Macht Amerikas ist darum in Wahrheit die Selbstanklage der eigenen Ohnmacht. In der gesamten modernen Digitalindustrie haben wir gegenüber Amerika einfach jämmerlich verloren. Wir stehen da wie die Wilden vor Kolumbus und bestaunen die digitalen Glasperlenspiele mit großen und nun eben meckernden Mündern.
Anstatt über Amerika herzuziehen, sollten wir es einfach besser machen. Gegen das Abhören des Kanzlerhandys würde eine gute Spionageabwehr helfen (zumal auch Chinesen und Russen uns belauschen), oder auch nur ein sicheres Handy. Aber die können wir ja nicht einmal mehr bauen, seitdem Siemens als letzter dieses Geschäft aufgegeben hat.
Nun ist Bessermachen schwerer als Besserwissen, und also verlegen sich weite Teile unserer Öffentlichkeit aufs Besserwissen im Modus des kulturell Unterlegenen.
Dabei passt das zu Europa überhaupt nicht. Wir Europäer lebten seit 2000 Jahren in dem Bewusstsein kultureller und wirtschaftlicher Dominanz. Wir waren die Weltbestimmer. Dieses Grundgefühl der eigenen Suprematie [Überlegenheit, Vorherrschaft] wurde zunächst getragen vom Machtanspruch des römischen Imperiums, später vom mittelalterlichen Sendungsbewusstseins, schließlich vom kolonialen und am Ende vom technologischen Gestaltungsanspruch der Neuzeit.
Zu jeder Epoche fühlten sich Europäer allen anderen Zivilisationen überlegen. Es gab zwar Erschütterung in dieser langen Linie des gefühlten Eurozentrismus, und doch blieb das Selbstgefühl Europas als Avantgarde der Menschheit intakt.
Erst unsere Generation bekommt den verfestigten Eindruck, dass die Sache mit der Suprematie endgültig vorbei sein könnte. Wir verlieren das Selbst-Bewusstsein eines Europas, das die Welt denkt, kultiviert, verändert und ethisch definiert bis hin zum Bürgerrecht auf Datenschutz. Unser Europa ist ein erlischender Vulkan, er zischt noch hier und da und man kann an seiner imposanten Kraterlandschaft der Kultur seine einstige Größe erahnen. Seine vitale Kraft aber ist ihm abhanden gekommen.
Wir haben die niedrigsten Geburtenraten der Welt und die am schnellsten alternde Bevölkerung. Um 1900 war jeder dritte Erdenbürger Europäer. Heute ist es noch ein Achtel [12,5 %]. Um 2050 werden es noch sieben Prozent sein. An der Expansion der Menschheit sind die Europäer nicht mehr beteiligt.
Europa vermehrt sich auch nicht mehr räumlich. Das Zeitalter der europäischen Expanion, der manifesten oder latenten, der politischen oder kulturellen Kolonialisierung ist 1945 zu Ende gegangen. Seither werden die Räume, die von europäischem Denken geprägt werden, immer kleiner.
Und nun vermehrt sich Europa auch nicht mehr wirtschaftlich. Das ökonomische Gewicht Europas in der Welt nimmt laufend ab. Die Anteile am Weltsozialprodukt, am Handelsvolumen, am Kapitalstock, an den patentierten Erfindungen, auch an gesammelten Daten – welche Kennziffer man auch immer nimmt: Europa ist der Absteiger unter den Kontinenten.
Daraus folgt auch, dass Europa kuturell herabsinkt. Was immer die global Community [Weltbevölkerung?] an kultureller Massenprägung erlebt, vom Kino über die Popmusik bis zu technologiegetriebenen Kommunikationsformen Facebook & Co., kaum mehr etwas kommt aus Europa. Der alte Kontinent schafft es nicht einmal, seine kulinarische Überlegenheit in Expansionsformate zu übersetzen. Mc Donalds, Burger King, Pizza Hut, ja selbst die modernen Ausprägungen der Kaffeehauskultur übernehmen mit Starbucks & Co. die Amerikaner.
Wir haben das amerikanische Jahrhundert bislang noch überlebt wie ein verwundeter Großvater im Ledersessel der abendländischen Villa, die er einst selbst erbaut, nun aber nicht mehr beleben kann. Die Vitalität Amerikas hat uns einst belustigt wie arrogante Alte sich über die Kraft der Jugend erheben. Inzwischen haben wir kapituliert, denn wir wissen, ein Comeback Europas als Weltprägemacht wird es nicht mehr geben. Wir verfolgen mit großen Augen den Aufstieg Chinas, Indiens und anderer Mächte, die unsere Zukunft definieren, aber nicht mehr wir die ihrige. Uns ist inzwischen klar, dass das Kapital und die Intelligenz und die Macht sich woanders sammeln.
Und also fangen wir an, wie frustrierte Loser verbal um uns zu schlagen. Während die anderen die digitale Welt definieren, vermauert sich Europa in Staatsbürokratien, Verschuldungstürmen, Umverteilungsindustrien und Gattern politischer Korrektheiten – nur auf Amerika zu schimpfen, dazu reicht die Kraft gerade noch.
Handesblatt Online (http://tinyurl.com/nunmmft)
In der Beliebtheitsrangliste Europas rangiert Amerika derzeit ganz weit hinten, irgendwo zwischen weißem Hai und Kettensägenmassaker. Monstergleich werden die USA verteufelt, und man traut ihnen alles zu: vom Abhören des Kanzlerhandys bis zum Ruinieren des Weltlklimas, vom Big-Data-Krakengriff bis zum wahllosen Drohnenkrieg.
Als ob Amerika aus brutalen Bankern (Goldman Sachs), dummen Cowboy-Reaktionären (Tea-Party-Bewegung) und fiesen Sklavenfabriken (Amazon) bestünde, so prügeln die Medien transatlantisch ein, dass es kein Halten mehr gibt. Selbst der bislang so smarte Präsident Obama mutiert nun zum Zerrbild eines düsteren Spitzel-Big-Brothers aus der Halbwelt, dessen Losung “Yes, we can” als “Yes, we scan” entlarvt sei.
Der neue Anti-Amerikanismus mag aktuell berechtigte Anläße der Kritik haben - Geheimdienste sind eben keine Rotaryclubs. In Art und Breite des Ressentiments verrät er aber etwas ganz anderes als die Sorge um Datenschutz: einen Minderwertigkeitskomplex. Mit jeder rotzigen Verbalattacke gegen die USA wirkt Europa mehr wie ein plärrendes Kind, das dem großen Bruder am anderen Ende des Teiches das Wasser einfach nicht reichen kann. Die Selbstverkleinerung Europas wird zusehends unser Markenzeichen.
Man kann die Windows-, Apple- und Facebook-Konzerne verteufeln, man könnte aber auch eigene Internetkonzerne als Gegengewicht aufgebaut haben. Von den 20 größten Internetkonzernen der Welt kommt aber keiner mehr von hier. Wo bleibt Europas Suchmaschine? Unsere Antwort auf Google? Man kann sich über die angeblich so dreiste Dominanz der US-Ratingsagenturen echauffieren, man könnte aber endlich einmal einen eigenen an den Start bringen. Seit Jahrzehnten scheitern die Europäer auch damit kläglich.
Man kann sich über die Arbeitsbedingungen bei Amazon und Starbucks ärgern und sich wundern, warum Europas Buchhändler und Cafehäuser sterben. Man könnte aber auch ein eigenes “Rheinazon” oder “Kaffee Sterntaler” hoch ziehen. Doch Europa kann einfach nicht.
Die Klage über die neue Macht Amerikas ist darum in Wahrheit die Selbstanklage der eigenen Ohnmacht. In der gesamten modernen Digitalindustrie haben wir gegenüber Amerika einfach jämmerlich verloren. Wir stehen da wie die Wilden vor Kolumbus und bestaunen die digitalen Glasperlenspiele mit großen und nun eben meckernden Mündern.
Anstatt über Amerika herzuziehen, sollten wir es einfach besser machen. Gegen das Abhören des Kanzlerhandys würde eine gute Spionageabwehr helfen (zumal auch Chinesen und Russen uns belauschen), oder auch nur ein sicheres Handy. Aber die können wir ja nicht einmal mehr bauen, seitdem Siemens als letzter dieses Geschäft aufgegeben hat.
Nun ist Bessermachen schwerer als Besserwissen, und also verlegen sich weite Teile unserer Öffentlichkeit aufs Besserwissen im Modus des kulturell Unterlegenen.
Dabei passt das zu Europa überhaupt nicht. Wir Europäer lebten seit 2000 Jahren in dem Bewusstsein kultureller und wirtschaftlicher Dominanz. Wir waren die Weltbestimmer. Dieses Grundgefühl der eigenen Suprematie [Überlegenheit, Vorherrschaft] wurde zunächst getragen vom Machtanspruch des römischen Imperiums, später vom mittelalterlichen Sendungsbewusstseins, schließlich vom kolonialen und am Ende vom technologischen Gestaltungsanspruch der Neuzeit.
Zu jeder Epoche fühlten sich Europäer allen anderen Zivilisationen überlegen. Es gab zwar Erschütterung in dieser langen Linie des gefühlten Eurozentrismus, und doch blieb das Selbstgefühl Europas als Avantgarde der Menschheit intakt.
Erst unsere Generation bekommt den verfestigten Eindruck, dass die Sache mit der Suprematie endgültig vorbei sein könnte. Wir verlieren das Selbst-Bewusstsein eines Europas, das die Welt denkt, kultiviert, verändert und ethisch definiert bis hin zum Bürgerrecht auf Datenschutz. Unser Europa ist ein erlischender Vulkan, er zischt noch hier und da und man kann an seiner imposanten Kraterlandschaft der Kultur seine einstige Größe erahnen. Seine vitale Kraft aber ist ihm abhanden gekommen.
Wir haben die niedrigsten Geburtenraten der Welt und die am schnellsten alternde Bevölkerung. Um 1900 war jeder dritte Erdenbürger Europäer. Heute ist es noch ein Achtel [12,5 %]. Um 2050 werden es noch sieben Prozent sein. An der Expansion der Menschheit sind die Europäer nicht mehr beteiligt.
Europa vermehrt sich auch nicht mehr räumlich. Das Zeitalter der europäischen Expanion, der manifesten oder latenten, der politischen oder kulturellen Kolonialisierung ist 1945 zu Ende gegangen. Seither werden die Räume, die von europäischem Denken geprägt werden, immer kleiner.
Und nun vermehrt sich Europa auch nicht mehr wirtschaftlich. Das ökonomische Gewicht Europas in der Welt nimmt laufend ab. Die Anteile am Weltsozialprodukt, am Handelsvolumen, am Kapitalstock, an den patentierten Erfindungen, auch an gesammelten Daten – welche Kennziffer man auch immer nimmt: Europa ist der Absteiger unter den Kontinenten.
Daraus folgt auch, dass Europa kuturell herabsinkt. Was immer die global Community [Weltbevölkerung?] an kultureller Massenprägung erlebt, vom Kino über die Popmusik bis zu technologiegetriebenen Kommunikationsformen Facebook & Co., kaum mehr etwas kommt aus Europa. Der alte Kontinent schafft es nicht einmal, seine kulinarische Überlegenheit in Expansionsformate zu übersetzen. Mc Donalds, Burger King, Pizza Hut, ja selbst die modernen Ausprägungen der Kaffeehauskultur übernehmen mit Starbucks & Co. die Amerikaner.
Wir haben das amerikanische Jahrhundert bislang noch überlebt wie ein verwundeter Großvater im Ledersessel der abendländischen Villa, die er einst selbst erbaut, nun aber nicht mehr beleben kann. Die Vitalität Amerikas hat uns einst belustigt wie arrogante Alte sich über die Kraft der Jugend erheben. Inzwischen haben wir kapituliert, denn wir wissen, ein Comeback Europas als Weltprägemacht wird es nicht mehr geben. Wir verfolgen mit großen Augen den Aufstieg Chinas, Indiens und anderer Mächte, die unsere Zukunft definieren, aber nicht mehr wir die ihrige. Uns ist inzwischen klar, dass das Kapital und die Intelligenz und die Macht sich woanders sammeln.
Und also fangen wir an, wie frustrierte Loser verbal um uns zu schlagen. Während die anderen die digitale Welt definieren, vermauert sich Europa in Staatsbürokratien, Verschuldungstürmen, Umverteilungsindustrien und Gattern politischer Korrektheiten – nur auf Amerika zu schimpfen, dazu reicht die Kraft gerade noch.
Handesblatt Online (http://tinyurl.com/nunmmft)