Renfield
17.10.2013, 18:36
Seit Jahrzehnten gehört es zu den unumstößlichen Weisheiten, dass sich die größten biologischen Unterschiede innerhalb von Populationen finden lassen, während die Differenzen zwischen den Gruppen nur zu ungefähr 15% an der Gesamtvariation teilhaben. Urheber dieses Lehrsatzes ist der US-amerikanische Genetiker Richard Lewontin, der Anfang der 70er weltweit Daten von erblichen Blutmerkmalen (AB0-Blutgruppen etc.) zusammentrug und statistisch auswertete.
Es zeigte sich, dass mehr oder minder alle Bevölkerungen dieselben Merkmale aufwiesen, wenn auch in wechselndem zahlenmäßigen Verhältnis. So haben 3% der Iren die Blutgruppe AB, in Südkorea liegt der Wert bei 11%. Insgesamt fielen die Überlappungen derart breit aus, dass informationsstatistisch gesehen die Zwischengruppenunterschiede nur mit 15% zu veranschlagen sind. Neuere Nachuntersuchungen mit einer Vielzahl von Merkmalen, die direkt an der DNA bestimmt wurden, führten zu fast identischen Resultaten. Der Mensch ist genetisch gesehen also ziemlich gleichförmig. Für rassistischen Blut-und-Boden-Mystizismus sollte da kaum noch Raum bleiben.
Nun lässt sich andererseits nicht leugnen, dass bestimmte – offensichtlich erbbedingte – Merkmale global gesehen so variabel sind, dass von breiter Überlappung kaum die Rede sein kann. Auch der dunkelhäutigste (ethnische) Deutsche dürfte immer noch heller ausfallen als der hellhäutigste subsaharische Afrikaner. Wie diesen Widerspruch auflösen?
Ein Argument könnte lauten: Mag sein, dass die 15% für den Durchschnitt aller Gene gelten, aber nicht für alle. Möglicherweise habe die Selektion zu einer stärker kontrastierenden Verteilung der Pigmentationsgene zwischen den Gruppen geführt. Daran kann ohne weiteres etwas dran sein. Denkbar aber auch, dass ein wesentlich fundamentalerer Unterschied zwischen Genfrequenzen und wahrnehmbaren Merkmalen besteht. Von den allermeisten körperlichen Merkmalen nimmt man an, dass sie polygen sind, dass also viele verschiedene Gensysteme gleichzeitig darauf Einfluss nehmen. Und hier nun habe ich meine eigenen kleinen Experimente durchgespielt. Stellen wir uns vor, es gibt einen Genort mit den Varianten a und b. Und stellen wir uns weiter vor, dass die Variante b ein bestimmtes Merkmal um den Wert 1 stärker ausprägt (eins kann beispielsweise 1% mehr Körperhöhe, Fettschichtdicke, Knochenstärke, Hautpigmentation etc. sein). Ein weiteres b-Gen fügt nochmal eine 1 dazu. Das ist die sogenannte additive Genwirkung, die in der quantitativen Genetik als anerkannte Standardvorstellung gilt. Jeder Mensch verfügt an einem einzelnen Genort über zwei Gene (doppelter Chromosomensatz). In unserem Beispiel kann er also Träger des Typs a-a, a-b oder b-b sein. Da sich b additiv verhält, ist beim Träger das entsprechende Merkmal mit 0 ausgeprägt, wenn nur a vorhanden ist, bei einem b mit 1 und bei doppeltem b mit 2. Als nächstes nehmen wir an, dass noch weitere Genorte Anteil an der Merkmalsbildung haben. An dieser Stelle nehmen wir zu einer massiven Vereinfachung Zuflucht. Und zwar gehen wir davon aus, dass alle diese Genorte immer in exakt zwei Varianten vorkommen und dass alle diese Varianten genau dieselbe Wirkung auf das Merkmal haben wie a und b: also 0 oder 1. Außerdem verhalten sie sich alle streng additiv. Gegeben sei ein Fall von 5 Genorten. Wie gesagt: Jeder Genort ist doppelt besetzt. Im Extremfall finden sich bei einem Individuum nur die "schwächeren" Gene: 10 x 0 = 0. Im anderen Extrem nur die starken: 10 x 1 = 10. Dazwischen sind alle Werte von 1 bis 9 möglich. Eine mehr oder minder stufenlose Variation also, die als typisch gilt für polygene Vererbung.
Und jetzt zum eigentlichen Gedankenexperiment: Gehen wir von zwei Populationen aus: In Gruppe 1 haben Gen a und seine übrigen "schwachen" Kollegen an den übrigen vier Genorten immer dieselbe Frequenz von 0,4 (=40%), die "starken" Gene liegen also bei 0,6. In Gruppe 2 liegen die Verhältnisse umgekehrt.
Wie sieht die Sache informationsstatistisch aus? Bei einem einzelnen Genort mit den Frequenzen 0,4:06 bzw. 0,6:0,4 dürfte der Zwischengruppenanteil an der Variation so ungefähr bei 8% liegen. Betrachten wir gleichzeitig fünf Systeme, die alle dieselbe Frequenzverteilung aufweisen, ändert sich an diesem Wert nichts, da der Durchschnitt über alle Genorte gebildet wird. Und der Durchschnitt von fünfmal 8% ist 8%. Wie aber liegt die Sache merkmalsstatistisch betrachtet? In beiden Gruppen finden wir alle Merkmalsausprägungen von 0-10. Allerdings in jeweils spezifischer Verteilung. Da, wo die "starken" Gene häufiger sind, liegt der Durchschnitt bei 6, in der anderen Gruppe bei 4. Eine Varianzanalyse (ANOVA) zeigt, dass hier die Zwischengruppenvarianz immerhin 27% der Gesamtvarianz ausmacht.
Im Ganzen heiß das: Wenn ein Merkmal von vielen verschiedenen Genen kontrolliert wird, können schon kleine Unterschiede in den Genfrequenzen zu erheblichen Merkmalsunterschieden führen, sofern sich die einzelnen Gensysteme additiv und gleichsinnig verhalten (was angesichts der Selektionstheorie alles andere als absurd sein dürfte). Informationsstatistik stellt nur eine Seite der Medaille dar. Es lohnt sich, auch weiterhin die Merkmale direkt zu betrachten. Dazu werde ich in den nächsten Tagen noch ein paar instruktive Beispiele bringen.
Es zeigte sich, dass mehr oder minder alle Bevölkerungen dieselben Merkmale aufwiesen, wenn auch in wechselndem zahlenmäßigen Verhältnis. So haben 3% der Iren die Blutgruppe AB, in Südkorea liegt der Wert bei 11%. Insgesamt fielen die Überlappungen derart breit aus, dass informationsstatistisch gesehen die Zwischengruppenunterschiede nur mit 15% zu veranschlagen sind. Neuere Nachuntersuchungen mit einer Vielzahl von Merkmalen, die direkt an der DNA bestimmt wurden, führten zu fast identischen Resultaten. Der Mensch ist genetisch gesehen also ziemlich gleichförmig. Für rassistischen Blut-und-Boden-Mystizismus sollte da kaum noch Raum bleiben.
Nun lässt sich andererseits nicht leugnen, dass bestimmte – offensichtlich erbbedingte – Merkmale global gesehen so variabel sind, dass von breiter Überlappung kaum die Rede sein kann. Auch der dunkelhäutigste (ethnische) Deutsche dürfte immer noch heller ausfallen als der hellhäutigste subsaharische Afrikaner. Wie diesen Widerspruch auflösen?
Ein Argument könnte lauten: Mag sein, dass die 15% für den Durchschnitt aller Gene gelten, aber nicht für alle. Möglicherweise habe die Selektion zu einer stärker kontrastierenden Verteilung der Pigmentationsgene zwischen den Gruppen geführt. Daran kann ohne weiteres etwas dran sein. Denkbar aber auch, dass ein wesentlich fundamentalerer Unterschied zwischen Genfrequenzen und wahrnehmbaren Merkmalen besteht. Von den allermeisten körperlichen Merkmalen nimmt man an, dass sie polygen sind, dass also viele verschiedene Gensysteme gleichzeitig darauf Einfluss nehmen. Und hier nun habe ich meine eigenen kleinen Experimente durchgespielt. Stellen wir uns vor, es gibt einen Genort mit den Varianten a und b. Und stellen wir uns weiter vor, dass die Variante b ein bestimmtes Merkmal um den Wert 1 stärker ausprägt (eins kann beispielsweise 1% mehr Körperhöhe, Fettschichtdicke, Knochenstärke, Hautpigmentation etc. sein). Ein weiteres b-Gen fügt nochmal eine 1 dazu. Das ist die sogenannte additive Genwirkung, die in der quantitativen Genetik als anerkannte Standardvorstellung gilt. Jeder Mensch verfügt an einem einzelnen Genort über zwei Gene (doppelter Chromosomensatz). In unserem Beispiel kann er also Träger des Typs a-a, a-b oder b-b sein. Da sich b additiv verhält, ist beim Träger das entsprechende Merkmal mit 0 ausgeprägt, wenn nur a vorhanden ist, bei einem b mit 1 und bei doppeltem b mit 2. Als nächstes nehmen wir an, dass noch weitere Genorte Anteil an der Merkmalsbildung haben. An dieser Stelle nehmen wir zu einer massiven Vereinfachung Zuflucht. Und zwar gehen wir davon aus, dass alle diese Genorte immer in exakt zwei Varianten vorkommen und dass alle diese Varianten genau dieselbe Wirkung auf das Merkmal haben wie a und b: also 0 oder 1. Außerdem verhalten sie sich alle streng additiv. Gegeben sei ein Fall von 5 Genorten. Wie gesagt: Jeder Genort ist doppelt besetzt. Im Extremfall finden sich bei einem Individuum nur die "schwächeren" Gene: 10 x 0 = 0. Im anderen Extrem nur die starken: 10 x 1 = 10. Dazwischen sind alle Werte von 1 bis 9 möglich. Eine mehr oder minder stufenlose Variation also, die als typisch gilt für polygene Vererbung.
Und jetzt zum eigentlichen Gedankenexperiment: Gehen wir von zwei Populationen aus: In Gruppe 1 haben Gen a und seine übrigen "schwachen" Kollegen an den übrigen vier Genorten immer dieselbe Frequenz von 0,4 (=40%), die "starken" Gene liegen also bei 0,6. In Gruppe 2 liegen die Verhältnisse umgekehrt.
Wie sieht die Sache informationsstatistisch aus? Bei einem einzelnen Genort mit den Frequenzen 0,4:06 bzw. 0,6:0,4 dürfte der Zwischengruppenanteil an der Variation so ungefähr bei 8% liegen. Betrachten wir gleichzeitig fünf Systeme, die alle dieselbe Frequenzverteilung aufweisen, ändert sich an diesem Wert nichts, da der Durchschnitt über alle Genorte gebildet wird. Und der Durchschnitt von fünfmal 8% ist 8%. Wie aber liegt die Sache merkmalsstatistisch betrachtet? In beiden Gruppen finden wir alle Merkmalsausprägungen von 0-10. Allerdings in jeweils spezifischer Verteilung. Da, wo die "starken" Gene häufiger sind, liegt der Durchschnitt bei 6, in der anderen Gruppe bei 4. Eine Varianzanalyse (ANOVA) zeigt, dass hier die Zwischengruppenvarianz immerhin 27% der Gesamtvarianz ausmacht.
Im Ganzen heiß das: Wenn ein Merkmal von vielen verschiedenen Genen kontrolliert wird, können schon kleine Unterschiede in den Genfrequenzen zu erheblichen Merkmalsunterschieden führen, sofern sich die einzelnen Gensysteme additiv und gleichsinnig verhalten (was angesichts der Selektionstheorie alles andere als absurd sein dürfte). Informationsstatistik stellt nur eine Seite der Medaille dar. Es lohnt sich, auch weiterhin die Merkmale direkt zu betrachten. Dazu werde ich in den nächsten Tagen noch ein paar instruktive Beispiele bringen.