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Vollständige Version anzeigen : Israil Lasarewitsch Helphand alias Alexander Parvus



Zaitsev
18.10.2005, 08:55
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.04.2001, S. 11
Weltgeschichte als Agentenstory
Parvus-Helphand, Lenin und die angeblich gekaufte russische Revolution
Elisabeth Heresch: Geheimakte Parvus. Die gekaufte Revolution. Biographie. Mit 37 Abbildungen und Dokumenten. Langen Müller Verlag, München 2000. 400 Seiten, 49,90 Mark.

Die deutsche Reichsleitung unterstützte während des Ersten Weltkriegs die revolutionäre Bewegung in Rußland mit Millionenbeträgen. Als Mittelsmann diente ihr dabei eine Person von durchaus zweifelhaftem Ruf. Mit bürgerlichem Namen hieß er Israil Lasarewitsch Helphand, in der Szene besser bekannt unter dem Pseudonym Alexander Parvus. Die Kontakte liefen über ein Export-Import-Unternehmen, das Parvus mit tatkräftiger Unterstützung deutscher Stellen im neutralen Dänemark aufgebaut hatte. So konnten neben Waren auch Waffen, Zeitungen, Flugblätter und beträchtliche Geldbeträge über die finnische Grenze nach Rußland gebracht werden. Parvus hatte die Hände im Spiel, als Lenin im Frühjahr 1917 - im "plombierten Waggon" - mit Hilfe der deutschen Reichsleitung aus dem Schweizer Exil ins revolutionäre Petrograd zurückkehrte.

Parvus brachte für die politische wie die ökonomische Seite seines subversiven Auftrags beste Voraussetzungen mit. 1867 im Gouvernement Minsk geboren und in Odessa zur Schule gegangen, war er in Basel in Nationalökonomie promoviert worden. Er wurde Journalist, blieb im Westen und schrieb für sozialdemokratische Zeitschriften. Er profilierte sich dabei zunächst als bissiger Kritiker Bernsteins und jener "revisionistischen" Kreise in der SPD, die nicht so recht an das baldige Ende des Kapitalismus glauben mochten.

Daß sich Parvus bald ein üppiges Leben in wechselnder weiblicher Begleitung - mit Champagner und dicken Zigarren - leisten konnte, hing allerdings nicht mit Lenin zusammen. Parvus hatte den Schriftsteller Maxim Gorki dazu gebracht, ihm die Verwertungsrechte seiner Werke für Westeuropa anzuvertrauen. Er gründete daraufhin einen eigenen Verlag und profitierte von Gorkis Welterfolg "Nachtasyl". Doch der Geschäftserfolg war nicht von Dauer, und so kamen Parvus die turbulenten Ereignisse der ersten russischen Revolution (1905) gerade recht, um sich nach Sankt Petersburg aufzumachen.

Parvus sah sich durch die Petersburger Ereignisse in seiner Auffassung bestätigt, daß der Zarismus nach der Niederlage im Krieg gegen Japan vor dem Zusammenbruch stehe, das russische Proletariat dabei - mit dem politischen Massenstreik als Waffe - eine Schlüsselrolle spielen werde und zur Avantgarde der Weltentwicklung werden könne. Den Kerngedanken griff Leo Trotzki, der neue Weggefährte, auf und führte ihn weiter: Stehe das russische Proletariat erst einmal an der Spitze der revolutionären Bewegung, werde es sich nicht mit dem Sturz des Zarismus begnügen, sondern eigene Forderungen stellen und der "bürgerlichen" Phase der Revolution unmittelbar die "sozialistische" folgen lassen. Damit war die Leitidee einer "Revolution in Permanenz" oder "permanenten Revolution" formuliert, an der sich später auch Lenin orientierte.

Doch die Theorie eilte der Wirklichkeit voraus, die Unruhen wurden niedergeschlagen, wie Trotzki so auch Parvus verhaftet; zu drei Jahren Sibirien verurteilt, gelang es ihm, von dort zu fliehen. Ende 1906 war Parvus wieder in Deutschland. Auch hier erwartete ihn Ungemach. Gorki warf ihm vor, sämtliche Tantiemen unterschlagen zu haben. So viel Kleinbürgerlichkeit vergällte dem Eben-noch-Revolutionär das Leben in Deutschland. Er zog sich erst nach Wien, dann in die Türkei zurück. Als Vermittler von Holz und Getreide, Eisen und Maschinen, Waffen und Munition machte er binnen weniger Jahre ein Millionenvermögen.

Der Weltkrieg belebte die alten Phantasien neu. Dabei verband sich die Überzeugung, daß der Krieg Folge von Kapitalismus und Imperialismus sei, für Parvus wie selbstverständlich mit der Forderung, ihn zum Kampf gegen den Zarismus zu nutzen. Dazu bot er der deutschen Reichsleitung im Frühjahr 1915 seine Hilfe an. In einem Memorandum vom 9. März 1915 legte er dar, wie unter der Leitung der russischen Sozialdemokratie ein politischer Massenstreik vorbereitet, nationale Bewegungen in Finnland, der Ukraine, im Kaukasus unterstützt, durch Pressekampagnen in den Nachbarstaaten und in Nordamerika flankiert werden sollten. Er fand damit erst beim deutschen Botschafter in Konstantinopel, dann im Berliner Auswärtigen Amt aufmerksame Zuhörer. Sie versorgten ihn mit all dem, was er zur Durchführung seines Planes für nötig hielt.

Kopenhagen wurde zum Operationszentrum des Unternehmens, die dortige deutsche Botschaft zur politischen Leitstelle. Der zunächst avisierte Zeitpunkt - Januar 1916 - verstrich, ohne daß es in Rußland zum großen Knall gekommen wäre. Als der Eventualfall ein Jahr später dann eintrat, war nicht so recht ersichtlich, daß die Unruhen auf das Konto von Parvus gingen. Immerhin trug Parvus das Seine dazu bei, damit Lenin ins revolutionäre Petrograd zurückkehren und die Fortführung der Revolution predigen konnte. Im Winter 1917/18 war das angestrebte Ziel erreicht, auf die "bürgerliche" die "sozialistische Oktoberrevolution" gefolgt und die Allianz gesprengt: Das bolschewistische Rußland schloß Frieden mit den Mittelmächten in Brest-Litowsk.

Parvus-Helphand - ein turbulentes Leben und eine spannende Geschichte. Nur, neu ist die Geschichte nicht. Die Fäden, die von der deutschen Reichsleitung über Parvus zur revolutionären Bewegung liefen, waren der russischen Geheimpolizei nicht verborgen geblieben. Schon im Sommer 1917 hatten die Gegner Lenins die Umstände seiner Rückkehr enthüllt und ihn als "deutschen Agenten" bloßzustellen versucht. Selbst wenn die Bolschewiki alles abstritten, von bloßer Hetze sprachen und das Thema nach der Oktoberrevolution in Rußland tabu wurde, blieb es im Westen präsent und führte in den sechziger Jahren zwei Historiker erneut auf die Spur jener dubiosen Figur, die dabei eine Schlüsselrolle spielte (Winfried B. Scharlau/Zbynek A. Zeman: Freibeuter der Revolution. Parvus-Helphand. Köln 1964). Wer nach präziser Information und politischer Einordnung sucht, wird noch immer zu dieser Biographie greifen.

Dabei ist das Quellenverzeichnis der Darstellung von Elisabeth Heresch beeindruckend. Es führt 14 Archive in acht Ländern auf. Doch die Verfasserin nennt nur die Namen der Archive und beschreibt nicht, welche Aktenbestände sie durchgesehen hat. Auf Anmerkungen und Belege wird generell verzichtet. Man mag einwenden, daß sich die Darstellung an einen breiteren Leserkreis wendet, sich entsprechend stärker auf "das Erzählen" konzentriert. Doch irgendwie fragt man sich, ob das vermittelte Gesamtbild "stimmt".

Heresch beschränkt sich ganz auf Parvus und seine Machenschaften. Wie stark eine solche Fixierung das Sichtfeld einengt, zeigt die Schilderung der Revolution von 1917 und ihrer Vorgeschichte: Hier reduziert sich Politik auf dunkle Geschäfte, sind Unruhen allein das Ergebnis von Subversion und Propaganda, schrumpft Weltgeschichte zur Agentenstory und Lenin zur Figur in einem Schachspiel, dessen Regeln sich andere ausgedacht hatten. Daß bei der russischen Revolution mehr im Spiel war als jene Millionenbeträge, mit denen sie - wie der Untertitel suggeriert - angeblich "gekauft" wurde, wird ernsthaft kaum zu bestreiten sein. Daß Lenin mehr war als eine Schachfigur, mußten bald auch jene einsehen, die ihn gefördert hatten. Schon eher glich er jenem Zauberlehrling, den man nicht mehr los wurde, nachdem man ihn erst einmal gerufen hatte.

HELMUT ALTRICHTER

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http://www.buecher.de/verteiler.asp?site=artikel_faz.asp&wea=1100485&artikelnummer=000000281295


Meiner Ansicht nach ist die Kritik an dem Buch unangemessen, das Buch soll die Aktivitäten des A.Parvus beleuchten und nicht den 1.WK erklären. D.h. man sollte schon die Hintergründe des 1.WK kennen, auch die Situation im im Russischen Reich und dann das Buch lesen.
So läßt das Buch in den richtigen historischen Kontext einordnen.

In Deutschland will man den Mann nicht "zu" kritisch sehen, schließlich verdankt man ihm so einiges in bezug auf den Ausgang des 1.WK, hier muß man etwas mitdenken: wäre Deutschland im 1.WK so einfach davongekommen, wenn Rußland im Krieg geblieben wäre???

Außerdem soll Parvus bei der Ausschaltung der Spitze der KPD mitgewirkt haben, schließlich wollte er in Deutschland mit seinem Reichtum das Leben genießen.

Zaitsev
18.10.2005, 08:58
Der Mann, der Lenin half


Stehle


Immer schon waren unter jenen legendären "Männern, die Geschichte machen", auch zwielichtige Abenteurer. Doch kaum einer von ihnen hatte so ungeheure historische Wirkung und geriet dennoch so in Vergessenheit wie jener Israil Lasarewitsch Helphand, der unter dem Decknamen "Alexander Parvus" in der zweiten Hälfte seines kurzen Lebens (1867 bis 1924) ein epochales Ereignis organisierte: Lenins bolschewistische Oktoberrevolution von 1917. Besessen von der Idee, die Zarenherrschaft in seiner russischen Heimat zu Fall zu bringen - und dadurch selbst viel Geld zu machen -, nutzt der Emigrant Parvus den Ersten Weltkrieg, um die Reise des Emigranten Lenin aus der Schweiz zu ermöglichen: im versiegelten 3.-Klasse-Eisenbahnwagen quer durch Deutschland, Schweden, Finnland bis Sankt Petersburg, aus dem Leningrad wird. Und Parvus, den Lenin lieber nicht mehr sehen will, kassiert Millionen Rubel und Goldmark vom kaiserlichen Deutschland, das sich von den russischen Revoluzzern vergebens eine gute Wirkung erhofft: Sieg im Westen durch Entlastung der Ostfront.


Die Lebensgeschichte des großen Drahtziehers Parvus hatte vor 36 Jahren zum ersten Mal Winfried Scharlau zusammen mit dem Oxford- Historiker Zbynek Zeman bis in kleinste Details erforscht und dargestellt. Leichter lesbar, bereichert durch inzwischen zugänglich gewordene Quellen und viele in Faksimile gedruckte Dokumente, folgt das Buch der Slawistin und Publizistin Elisabeth Heresch den verschlungenen Lebenswegen eines Mannes, der "vom enfant terrible zum politischen Souffleur" wurde. Schon im Frühjahr 1915 entwarf er handschriftlich für das deutsche Außenministerium ein 20-seitiges Aktionsprogramm für eine Revolution in Russland; der Plan (dessen Text in diesem Buch gedruckt ist) reicht von der "Vorbereitung eines politischen Massenstreiks" bis zur Entsendung einer "Spezialmission" zur Sprengung von Eisenbahnbrücken in Sibirien. Nachdem es Parvus geglückt war, Lenins Machtergreifung einzufädeln, zerschlug sich seine Hoffnung, selbst eine Moskauer Karriere zu machen; er fühlte sich von den Genossen verraten. Auch die deutsche Niederlage traf ihn so hart, dass er - fast prophetisch - den Siegern vorwarf, durch den Frieden von Versailles "das deutsche Volk zum Organisator des kommenden Weltkrieges zu machen". Rastlos reisend, organisierte er weiter seine Geschäfte, politische wie private, mit Devisen wie mit Damen, bis er sich in die Schweiz "rettete" und dann nach - Berlin. Hier kaufte sich Helphand-Parvus eine Luxusvilla am Wannsee und träumte als Zeitungsverleger vom "Zusammenschluß Westeuropas". Bis zu seinem plötzlichen Tod im Alter von erst 57 Jahren.

"Er wurde als Russe geboren und starb als Deutscher ... Was immer er vergötterte, wurde auch ihm zum Fluch." So lautet der fast sentimental klingende Nachruf seiner Biografin. Fasziniert von der Tragik (oder Tragikomik?) der Figur, fällt es ihr nicht immer leicht, das Chaotische in einer solchen - oft diplomatisch verschlüsselten - Welt der Agenten und Intrigen zu entwirren. Dennoch ist eine nicht nur für Fachhistoriker spannende Lektüre entstanden.


http://www.zeit.de/archiv/2001/20/200120_p-heresch.xml


Wenn der gewußt hätte, wie Deutschlands Dank später ausfällt. :rolleyes: