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Vollständige Version anzeigen : Die postheroische Ära - Wie Demographie Kriege bestimmt



Nibelung
08.10.2005, 16:40
Die postheroische Ära

Gesellschaftliche Veränderungen, die dazu führen, daß Kriegsführung aus Angst vor Opfern vermieden wird, sind eher die Ausnahme. Sie sind Begleiterscheinungen des zunehmenden Wohlstands, der seinerseits ein Produkt des Friedens ist. In der Vergangenheit hat Wohlstand oft Kriege begünstigt.
Aber der heutige Fortschritt ist von anderer Art.
Er bereichert nicht nur Nationen, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerungen.

Nach der klassischen Definition waren Großmächte Staaten, die stark genug sind, um Kriege erfolgreich auf eigene Faust, das heißt ohne Verbündete, zu führen. Heute ist die Frage nicht mehr, ob ein Krieg mit oder ohne Verbündete geführt werden kann, sondern ob ein Krieg überhaupt geführt werden kann.

Früher war die Voraussetzung des Großmachtstatus die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, wenn es vorteilhaft schien und die unvermeidlichen Opfer hinzunehmen, zumindest so lange, wie ihre Zahl in einem angemessenen Verhältnis zu den Gewinnen stand. Man setzte natürlich in erster Linie auf eine Politik der Abschreckung, die aber nur funktionieren konnte, wenn man notfalls bereit war, Gewalt anzuwenden.

Den kleinen Mächten war es vorbehalten, nur für deren "vitale" Interessen Gewalt anzuwenden.
Die Großmächte hingegen zogen (um groß zu bleiben) wegen weit geringerer Interessen in Kriege (Territorien, Wirtschaft). Damals waren die Verluste von ein paar tausend Soldaten Routine.

Man erinnere sich an den abrupten Abzug der Amerikaner aus Somalia nach dem Verlust von 18 Soldaten.
Ebenso die zögerliche Haltung Englands, Frankreich und v.a. Deutschlands im Jugoslawischen Bürgerkrieg.
Früher hätte man die Intervention nicht als Risiko, sondern als Chance betrachtet, eigene Interessen unter einem netten Vorwand durchzusetzen.

Warum?
Niemand wollte seine Soldaten aufs Spiel setzen.
Warum nicht?

Die Weigerung eigene Soldaten zu opfern ist nicht nur auf funktionierende Demokratien beschränkt. Selbst der Sowjetunion erging es in Afghanistan nicht besser.
Trotz Diktatur und totaler Medienkontrolle beschränkte man sich auf die Verteidigung der großen Städte und deren Verbindungswege.
Man ging Feindkontakten nach Möglichkeit aus dem Weg. Alles aufgrund des Drucks aus Moskau, das wiederum dem Druck der Bevölkerung ausgesetzt war.

Fernsehbilder:

Diesen wird oftmals die größte Bedeutung beigemessen, warum moderne Kriege so schwierig durchzuführen seien. Ein toter Soldat in den Fernsehnachrichten sagt mehr als 1000 Worte. Es übt eine gewaltige demoralisierende Wirkung auf die Bevölkerung aus.
Doch in der Sowjetunion waren die TV-Bilder streng zensiert und kein toter russischer Soldat erreicht jemals die heimischen Bildschirme.
Trotzdem reagierte die Bevölkerung genauso wie die amerikanische im Vietnam-Krieg.
In beiden Fällen hatte die Höhe der Verluste traumatische Wirkungen, obwohl die Gesamtzahl der Opfer in 10 Jahren unter den Verlusten eines einzigen Gefechtstages früherer Kriege lagen!

Was ist also die Erklärung?
Die demographische Grundlage moderner postindustrieller Gesellschaften.
In den Familien, aus denen sich die Bevölkerungen der alten Großmächte zusammensetzen, waren vier bis sechs Kinder die Regel. Natürlich war auch die Kindersterblichkeit wesentlich höher.
Als es völlig normal war, ein Kind oder mehrere durch Krankheit zu verlieren, hatte der Verlust von einem oder mehreren Söhnen im Krieg eine ganz andere Bedeutung als heute.
In einer 1,4 Kinder-Gesellschaft erwarten die Eltern, daß ihre Kinder sie einmal begraben werden, nicht umgekehrt.

Amerikanische Eltern haben in der Regel nichts dagegen, wenn ihr Kind der Armee beitritt. Sie reagieren aber oft mit Bestürzung und Wut, wenn diese dann tatsächlich in Kampfgebiete geschickt werden.
Verletzungen und Todesfälle werden als Skandal, nicht Berufsrisiko empfunden.

Zensur führt auch eher zum Gegenteil. Die Verheimlichung der Opferzahlen im russischen Afghanistan-Krieg führte zu wilden Gerüchten, welche die Moral der Bevölkerung stärker untergruben als reale Zahlen.
1994 konnte die neue russische Demokratie schließlich keinen Kampfeinsatz gegen die tschetschenischen Separatisten durchsetzen, weil die Bevölkerung keine Opfer wollte.
Das System hatte sich grundlegend geändert, die Kriegsfähigkeit hingegen nicht. Die Bevölkerung blieb die gleiche.
1999 wurde Tschetschenien bewußt unter maximalem Einsatz von Artillerie, Bombern und schweren Waffen zurückerobert. Es kam nur zu wenigen Infanteriegefechten, so daß die Zahl der russischen Opfer auf ein absolutes Minimum begrenzt blieb.


Haben kulturelle oder demographische Faktoren einen größeren Einfluß auf die Kriegsfähigkeit?
Sicher war Preußen militaristischer als Russland, trotz ähnlicher Demographie. Doch wäre Preußen mit unserer heutigen Geburtenrate in der Lage gewesen Angriffskriege zu führen?
Es ist sicher eine Glaubensfrage, so könnte man beim behaupten:
Im NS hätte es mit 1,4 Kindern keinen Krieg gegeben.
Genau könnte man jedoch argumentieren:
NS mit 1,4 Kindern wäre ein Widerspruch in sich und steht somit nicht zur Debatte.

Lindenwirth
08.10.2005, 17:11
Sicher war Preußen militaristischer als Russland, trotz ähnlicher Demographie.Wie begründen Sie Ihre Aussage?

Der Anteil der Militärausgaben am Sozialprodukt und am Steueraufkommen sowie der absolute Betrag für Militär waren in Preussen deutlich niedriger, als in Rußland. Das war seit dem alten Fritz so.

Nibelung
08.10.2005, 17:22
Wie begründen Sie Ihre Aussage?

Der Anteil der Militärausgaben am Sozialprodukt und am Steueraufkommen sowie der absolute Betrag für Militär waren in Preussen deutlich niedriger, als in Rußland. Das war seit dem alten Fritz so.

Haben Sie überhaupt gedient? ;)

Man betrachte einfach einmal die geführten Kriege gegen Dänemark, Habsburg, Frankreich. Alles innerhalb von 20 Jahren.
Preußen hatte militärische Ambitionen, die durchaus gerechtfertigt waren. Ich wäre der letzte, der ihnen Gottes Recht absprechen würde auf einen Platz an der Sonne.

Lindenwirth
08.10.2005, 18:21
Haben Sie überhaupt gedient? ;)In die Wehrmacht wäre ich ja gegangen. Aber in die Bundeswehr?

Die Bundeswehr ist nur dazu dar, den Feind so lange an der Grenze hinzuhalten, bis die Wehrmacht kommt.


Man betrachte einfach einmal die geführten Kriege gegen Dänemark, Habsburg, Frankreich. Alles innerhalb von 20 Jahren.
Preußen hatte militärische Ambitionen, die durchaus gerechtfertigt waren. Ich wäre der letzte, der ihnen Gottes Recht absprechen würde auf einen Platz an der Sonne.Rußland hat dagegen ständig Krieg gefüht - gegen dieTürken ununterbrochen, in Zentralasien, gegen Japan und in China. Die waren wesentlich militaristischer als Preußen.

Preußen hatte zwischen 1870 und 1914 keinen Krieg am Bein. 44 Jahre lang. So eine Periode finden Sie weder in Frankreich noch England, USA und Rußland!

Wachmann
08.10.2005, 23:07
Ein teil der Feststellungen mag vielleicht im Kern ganz richtig sein, nur ist die Begründung monokausal und daher lächerlich.
Von den ganzen minderwertigen Bewertungen mal ganz abgesehen.
Denn: Die USA hatte zu Zeiten des Vietnamkrieges noch eien hohe Geburtenrate, bei der Sowjetunion war es letztlich ähnlich. Außerdem hatte sich im Vergleich zu früher mit sehr hohen Geburtenraten auch Medizin und Versorgung verbessert. So kommen nun meistens alle KInder durch, nicht wie früher, wo sie wie die Fliegen starben.
Ergo ist dies eine sinnfreie monokausale Erklärung.
Die wahren Gründe liegen eher in einer weiter entwickleten Gesellschaft usw...
An sich sicher ein interessantes Thema, abrer bei solch Gesprächspartner lohnt sich mehr an Erörterung nicht...