deckard
15.04.2013, 17:47
Toxische Hinterlassenschaft des US-Angriffs auf Falludscha „schlimmer als Hiroshima“
Patrick Cockburn
29. März 2013
Übersetzung Remo Santini
Die schockierenden Sterbe- und Krebsraten bei Kindern in der irakischen Stadt
werfen neue Fragen zu der Schlacht auf.
http://www.independent.co.uk/migration_catalog/article5236216.ece/ALTERNATES/w460/p28-fallujah.jpeg
Der dramatische Anstieg der Sterbe-, Krebs- und Leukämieraten bei den Kindern in der irakischen Stadt Falludscha, welche 2004 von US-Marines bombardiert wurde, übersteigen laut einer neuen Studie jene, welche von Überlebenden der über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben berichtet wurden.
Seit 2005 haben sich die irakischen Ärzte in Falludscha darüber beklagt, von vielen Babys mit ernsthaften Geburtsschäden, von einem mit zwei Köpfen geborenen Mädchen bis zur Lähmung der unteren Gliedmaßen reichend, überschwemmt zu werden. Sie sagten, auch mehr Krebsfälle zu sehen, als dies vor dem Kampf um Falludscha zwischen US-Soldaten und Aufständischen der Fall gewesen war.
Ihre Klage wurde durch eine Studie untermauert, die einen vierfachen Anstieg aller Krebsarten und einen zwölffachen Anstieg der Krebserkrankungen bei Kindern unter 14 Jahren ausweist. Die Kindersterblichkeit in der Stadt ist mehr als viermal höher als im benachbarten Jordanien und achtmal höher als in Kuwait.
Dr. Chris Busby, ein auf Besuch weilender Professor der Universität Ulster und einer der Autoren der Studie über 4800 Personen in Falludscha, sagte,dass es schwierig sei, die genaue Ursache der Krebserkrankungen und der Geburtsschäden festzulegen. Er fügte bei: „Um Folgen wie diese hervorzurufen, müssen 2004, als die Angriffe geschahen, einige sehr stark mutagene Belastungen stattgefunden haben.“
Zuerst belagerten und bombardierten US-Marines im April 2004 Falludscha, 30 Meilen westlich von Bagdad gelegen, nachdem vier Angestellte der amerikanischen Sicherheitsfirma Blackwater getötet und ihre Leichen verbrannt worden waren. Nach einer achtmonatigen Pattsituation stürmten die Marines im November die Stadt, unter Einsatz von Artillerie und Bomben aus der Luft gegen Positionen der Aufständischen. Die US-Streitkräfte gaben später zu, weißen Phosphor und andere Munition eingesetzt zu haben.
Während des Angriffs behandelten die US-Kommandanten die Stadt als eine Zone, wo auf alles, was sich bewegte, geschossen werden durfte, um die Opfer unter ihren Truppen niedrig zu halten. Britische Offiziere waren entsetzt über den Mangel an Sorge für die Zivilbevölkerung. „Während der einleitenden Operationen der Räumungsoperation in Falludscha im November 2004 wurden in einer Nacht über 40 155-mm-Artillerie-Runden auf einen kleinen Sektor der Stadt gefeuert“, erinnerte sich Brigadier Nigel Aylwin-Foster, ein britischer Kommandant, der zusammen mit den amerikanischen Streitkräften in Bagdad diente.
Er sagte weiter, dass der US-Kommandeur, der den zerstörerischen Einsatz der Feuerkraft befahl, diesen nicht wichtig genug empfand, um ihn in seinem täglichen Rapport an den amerikanischen befehlhabenden General zu erwähnen. Dr. Busby sagte, dass während er die von den Marines verwendete Bewaffnung nicht identifizieren kann, so lege das Ausmaß des von den Bewohnern erlittenen genetischen Schadens doch den Einsatz von Uran in irgendeiner Form nahe. Er sagte: „Meine Vermutung ist es, dass sie eine neue Waffe gegen Gebäude einsetzten, um die Wände zu durchbrechen und die im Inneren Befindlichen zu töten.“
Die Studie wurde von einem Team von 11 Forschern im Januar und Februar dieses Jahres durchgeführt, wobei sie 711 Häuser in Falludscha aufsuchten. Ein Fragebogen wurde von den Haushaltsvorständen ausgefüllt, der Details über die Krebserkrankungen, den Ausgang von Geburten und die Kindersterblichkeit enthielt. Bisher war die irakische Regierung abgeneigt gewesen, auf Klagen von Zivilisten zu antworten, die während militärischen Operationen erlittene gesundheitliche Schäden zum Inhalt hatten.
Die Forscher wurden zu Beginn von den Einheimischen mit Argwohn betrachtet, besonders nachdem eine Bagdader Fernsehstation die Meldung sendete, dass durch Terroristen eine Studie durchgeführt werde und dass jedermann, der daran teilnähme und auf Fragen antworte, verhaftet werde. Die Organisatoren der Studie richteten es in der Folge ein, von einer in der Gemeinde angesehenen Person begleitet zu werden, um den Argwohn zu mindern.
Die Studie mit dem Titel „Krebs, Kindersterblichkeit und geschlechtsmäßiger Geburtenanteil in Falludscha, Irak, 2005-2009“ ist von Dr. Busby, Malak Hamdan und Entesar Ariabi verfasst worden und kommt zum Schluss, dass die Einzelberichte über einen steilen Anstieg von Krebs und erblich bedingten Geburtsschäden korrekt seien. Die Kindersterblichkeit betrug 80 auf 1000 Geburten, verglichen mit 19 in Ägypten, 17 in Jordanien und 9.7 in Kuwait. Der Bericht sagt, dass die Krebsarten „jenen gleichen, die Überlebende in Hiroshima erlitten, die den ionisierenden Strahlen der Bombe und des uranhaltigen Fallouts ausgesetzt waren“.
Die Forscher entdeckten bei den Erwachsenen eine 38-fache Zunahme von Leukämie, eine zehnfache Zunahme von weiblichem Brustkrebs und eine auffällige Zunahme von Lymphomen und Gehirntumoren. In Hiroshima wiesen Überlebende eine 17-fache Zunahme von Leukämie auf, aber in Falludscha, so sagt Dr. Busby, war nicht nur das stärkere Überhandnehmen von Krebs auffällig, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der er die Menschen befiel.
Von besonderem Interesse war die Erkenntnis, dass sich der geschlechtsmäßige Geburtenanteil zwischen den neugeborenen Knaben und Mädchen verändert hatte. In einer normalen Bevölkerung beträgt dieser unter den Neugeborenen 1050 Knaben auf 1000 Mädchen. Aber für jene nach 2005 Geborenen ergab sich ein Absinken von 18% bei den männlichen Neugeborenen, sodass das Verhältnis 850 männliche zu 1000 weibliche betrug. Der geschlechtsmäßige Geburtenanteil ist ein Hinweis auf genetische Schädigung und befällt Knaben mehr als Mädchen. Eine ähnliche Veränderung des geschlechtsmäßigen Geburtenanteils war nach Hiroshima entdeckt worden.
Von 2007 an schränkten die USA ihren Gebrauch der Feuerkraft im Irak ein, und zwar wegen der Wut, den diese unter den Zivilisten hervorrief. Aber gleichzeitig – und das schon seit 2003 – gab es im Irak eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung und der sanitären Bedingungen. Die Auswirkungen des Krieges auf Zivilisten waren in Falludscha schlimmer als anderswo im Irak, denn die Stadt wurde auch noch bis lange nach 2004 blockiert und vom Rest des Landes abgeschnitten. Kriegsschäden wurden nur langsam repariert, und wegen der militärischen Checkpoints auf der Straße nach der Hauptstadt hatten die Menschen der Stadt Angst davor, sich nach Bagdad ins Spital zu begeben.
http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/toxic-legacy-of-us-assault-on-fallujah-worse-than-hiroshima-2034065.html
Patrick Cockburn
29. März 2013
Übersetzung Remo Santini
Die schockierenden Sterbe- und Krebsraten bei Kindern in der irakischen Stadt
werfen neue Fragen zu der Schlacht auf.
http://www.independent.co.uk/migration_catalog/article5236216.ece/ALTERNATES/w460/p28-fallujah.jpeg
Der dramatische Anstieg der Sterbe-, Krebs- und Leukämieraten bei den Kindern in der irakischen Stadt Falludscha, welche 2004 von US-Marines bombardiert wurde, übersteigen laut einer neuen Studie jene, welche von Überlebenden der über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben berichtet wurden.
Seit 2005 haben sich die irakischen Ärzte in Falludscha darüber beklagt, von vielen Babys mit ernsthaften Geburtsschäden, von einem mit zwei Köpfen geborenen Mädchen bis zur Lähmung der unteren Gliedmaßen reichend, überschwemmt zu werden. Sie sagten, auch mehr Krebsfälle zu sehen, als dies vor dem Kampf um Falludscha zwischen US-Soldaten und Aufständischen der Fall gewesen war.
Ihre Klage wurde durch eine Studie untermauert, die einen vierfachen Anstieg aller Krebsarten und einen zwölffachen Anstieg der Krebserkrankungen bei Kindern unter 14 Jahren ausweist. Die Kindersterblichkeit in der Stadt ist mehr als viermal höher als im benachbarten Jordanien und achtmal höher als in Kuwait.
Dr. Chris Busby, ein auf Besuch weilender Professor der Universität Ulster und einer der Autoren der Studie über 4800 Personen in Falludscha, sagte,dass es schwierig sei, die genaue Ursache der Krebserkrankungen und der Geburtsschäden festzulegen. Er fügte bei: „Um Folgen wie diese hervorzurufen, müssen 2004, als die Angriffe geschahen, einige sehr stark mutagene Belastungen stattgefunden haben.“
Zuerst belagerten und bombardierten US-Marines im April 2004 Falludscha, 30 Meilen westlich von Bagdad gelegen, nachdem vier Angestellte der amerikanischen Sicherheitsfirma Blackwater getötet und ihre Leichen verbrannt worden waren. Nach einer achtmonatigen Pattsituation stürmten die Marines im November die Stadt, unter Einsatz von Artillerie und Bomben aus der Luft gegen Positionen der Aufständischen. Die US-Streitkräfte gaben später zu, weißen Phosphor und andere Munition eingesetzt zu haben.
Während des Angriffs behandelten die US-Kommandanten die Stadt als eine Zone, wo auf alles, was sich bewegte, geschossen werden durfte, um die Opfer unter ihren Truppen niedrig zu halten. Britische Offiziere waren entsetzt über den Mangel an Sorge für die Zivilbevölkerung. „Während der einleitenden Operationen der Räumungsoperation in Falludscha im November 2004 wurden in einer Nacht über 40 155-mm-Artillerie-Runden auf einen kleinen Sektor der Stadt gefeuert“, erinnerte sich Brigadier Nigel Aylwin-Foster, ein britischer Kommandant, der zusammen mit den amerikanischen Streitkräften in Bagdad diente.
Er sagte weiter, dass der US-Kommandeur, der den zerstörerischen Einsatz der Feuerkraft befahl, diesen nicht wichtig genug empfand, um ihn in seinem täglichen Rapport an den amerikanischen befehlhabenden General zu erwähnen. Dr. Busby sagte, dass während er die von den Marines verwendete Bewaffnung nicht identifizieren kann, so lege das Ausmaß des von den Bewohnern erlittenen genetischen Schadens doch den Einsatz von Uran in irgendeiner Form nahe. Er sagte: „Meine Vermutung ist es, dass sie eine neue Waffe gegen Gebäude einsetzten, um die Wände zu durchbrechen und die im Inneren Befindlichen zu töten.“
Die Studie wurde von einem Team von 11 Forschern im Januar und Februar dieses Jahres durchgeführt, wobei sie 711 Häuser in Falludscha aufsuchten. Ein Fragebogen wurde von den Haushaltsvorständen ausgefüllt, der Details über die Krebserkrankungen, den Ausgang von Geburten und die Kindersterblichkeit enthielt. Bisher war die irakische Regierung abgeneigt gewesen, auf Klagen von Zivilisten zu antworten, die während militärischen Operationen erlittene gesundheitliche Schäden zum Inhalt hatten.
Die Forscher wurden zu Beginn von den Einheimischen mit Argwohn betrachtet, besonders nachdem eine Bagdader Fernsehstation die Meldung sendete, dass durch Terroristen eine Studie durchgeführt werde und dass jedermann, der daran teilnähme und auf Fragen antworte, verhaftet werde. Die Organisatoren der Studie richteten es in der Folge ein, von einer in der Gemeinde angesehenen Person begleitet zu werden, um den Argwohn zu mindern.
Die Studie mit dem Titel „Krebs, Kindersterblichkeit und geschlechtsmäßiger Geburtenanteil in Falludscha, Irak, 2005-2009“ ist von Dr. Busby, Malak Hamdan und Entesar Ariabi verfasst worden und kommt zum Schluss, dass die Einzelberichte über einen steilen Anstieg von Krebs und erblich bedingten Geburtsschäden korrekt seien. Die Kindersterblichkeit betrug 80 auf 1000 Geburten, verglichen mit 19 in Ägypten, 17 in Jordanien und 9.7 in Kuwait. Der Bericht sagt, dass die Krebsarten „jenen gleichen, die Überlebende in Hiroshima erlitten, die den ionisierenden Strahlen der Bombe und des uranhaltigen Fallouts ausgesetzt waren“.
Die Forscher entdeckten bei den Erwachsenen eine 38-fache Zunahme von Leukämie, eine zehnfache Zunahme von weiblichem Brustkrebs und eine auffällige Zunahme von Lymphomen und Gehirntumoren. In Hiroshima wiesen Überlebende eine 17-fache Zunahme von Leukämie auf, aber in Falludscha, so sagt Dr. Busby, war nicht nur das stärkere Überhandnehmen von Krebs auffällig, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der er die Menschen befiel.
Von besonderem Interesse war die Erkenntnis, dass sich der geschlechtsmäßige Geburtenanteil zwischen den neugeborenen Knaben und Mädchen verändert hatte. In einer normalen Bevölkerung beträgt dieser unter den Neugeborenen 1050 Knaben auf 1000 Mädchen. Aber für jene nach 2005 Geborenen ergab sich ein Absinken von 18% bei den männlichen Neugeborenen, sodass das Verhältnis 850 männliche zu 1000 weibliche betrug. Der geschlechtsmäßige Geburtenanteil ist ein Hinweis auf genetische Schädigung und befällt Knaben mehr als Mädchen. Eine ähnliche Veränderung des geschlechtsmäßigen Geburtenanteils war nach Hiroshima entdeckt worden.
Von 2007 an schränkten die USA ihren Gebrauch der Feuerkraft im Irak ein, und zwar wegen der Wut, den diese unter den Zivilisten hervorrief. Aber gleichzeitig – und das schon seit 2003 – gab es im Irak eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung und der sanitären Bedingungen. Die Auswirkungen des Krieges auf Zivilisten waren in Falludscha schlimmer als anderswo im Irak, denn die Stadt wurde auch noch bis lange nach 2004 blockiert und vom Rest des Landes abgeschnitten. Kriegsschäden wurden nur langsam repariert, und wegen der militärischen Checkpoints auf der Straße nach der Hauptstadt hatten die Menschen der Stadt Angst davor, sich nach Bagdad ins Spital zu begeben.
http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/toxic-legacy-of-us-assault-on-fallujah-worse-than-hiroshima-2034065.html