Elmo allein zu Hause
23.03.2013, 15:54
Nürnberger Prozeß: Streit unter den Richtern
Bisher unbekannte Dokumente belegen: Hinter den Kulissen des Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesses, der juristischen Abrechnung mit den Massenverbrechen und der Kriegsschuld des Dritten Reiches, spielte auch eine Justizkomödie. Sie verstrickte die alliierten Richter in ein Chaos von Rivalitäten und Mißverständnissen.
Als US-Richter Biddle den britischen Ankläger Sir David Maxwell Fyfe fragte: "Würden Sie ein Mitglied der SA, das 1921 beitrat und 1922 austrat (also 17 Jahre vor Kriegsbeginn), der Verschwörung zum Aggressionskrieg und der Begehung von Kriegsverbrechen für schuldig halten?", entging dem Briten Biddles sarkastischer Unterton. Unverzüglich antwortete er: "Ja."
Er bejahte ebenfalls die Frage. ob das auch auf einen SA-Mann zutreffe, der nach der politischen Ausschaltung der SA durch den sogenannten Röhm-Putsch im Juni 1934 beigetreten war. Sir Davids Begründung: Die SA habe damals immerhin "symbolisch" überlebt.
Jackson hatte sich jedoch auf die Rüstungsindustrie so kapriziert, daß er noch während des Prozesses das Tribunal bedrängte, statt des wegen Krankheit verhandlungsunfähigen Gustav Krupp dessen Sohn Alfried anzuklagen. Die Briten reagierten eisig. Ihr Hauptankläger Sir Hartley Shawcross bedeutete dem amerikanischen Kollegen: "Wir sind hier in einem Gericht und nicht im Fußballstadion, wo man einen Ersatzmann aufs Feld schickt, wenn jemand ausgefallen ist."
Angesichts solcher Differenzen und Ungereimtheiten mußte die Anklageschrift immer wieder redigiert, abgeändert, umgeschrieben und ergänzt werden. Am 3. Oktober 1945 -- die Delegierten waren von den vielen Debatten schon nahezu erschöpft -- schien die Anklageschrift endlich fertig zu sein.
So setzten schließlich die Richter der drei westlichen Länder Fritzsches Freispruch durch. Der Streit zwischen den Chefjuristen mochte freilich nicht enden: Erregt diskutierten sie, warum Briten und Franzosen umgefallen seien. Lordrichter Lawrence, Englands Vertreter und zugleich Vorsitzender des IMT, erklärte, daß sein Sinneswandel eigentlich nichts mit Fritzsche zu tun habe:,. Es wäre unzweckmäßig, (von den 22 Angeklagten) nur Papen freizusprechen." Und der britische Ersatzrichter Norman Birkett erläuterte. es sei "politisch wirkungsvoller", wenigstens in zwei Fällen freizusprechen. Niemand wußte, wann die Nazi-Verschwörung begann.
Solches Auf und Ab des größten Kriegsverbrecherprozesses der Geschichte haben jetzt zwei Historiker anhand neuer Dokumente beschrieben -- aus unterschiedlicher Sicht: Der renommierte Hitler-Forscher Werner Maser zeichnet das "Tribunal der Sieger" vorwiegend aus der Sicht der Angeklagten, während der Amerikaner Bradley F. Smith, auch er als Hitler-Kenner ausgewiesen, den "Jahrhundert-Prozeß" von der Richterbank aus rekonstruiert*.
Beiden Autoren ist freilich gemeinsam, daß sie einen besonders scharfen Blick für das Unzulängliche, ja Chaotische der Nürnberger Prozeßführung haben. Angesichts der Inkompetenz von Richtern und Anklägern findet es Maser "geradezu selbstverständlich, daß es zu Mißverständnissen, Pannen und gelegentlichen Ungereimtheiten kommen mußte", und auch Smith kritisiert, nicht selten hätten die Aktionen der Richter und Ankläger einer "Justizkomödie" geglichen.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41019359.html
Bisher unbekannte Dokumente belegen: Hinter den Kulissen des Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesses, der juristischen Abrechnung mit den Massenverbrechen und der Kriegsschuld des Dritten Reiches, spielte auch eine Justizkomödie. Sie verstrickte die alliierten Richter in ein Chaos von Rivalitäten und Mißverständnissen.
Als US-Richter Biddle den britischen Ankläger Sir David Maxwell Fyfe fragte: "Würden Sie ein Mitglied der SA, das 1921 beitrat und 1922 austrat (also 17 Jahre vor Kriegsbeginn), der Verschwörung zum Aggressionskrieg und der Begehung von Kriegsverbrechen für schuldig halten?", entging dem Briten Biddles sarkastischer Unterton. Unverzüglich antwortete er: "Ja."
Er bejahte ebenfalls die Frage. ob das auch auf einen SA-Mann zutreffe, der nach der politischen Ausschaltung der SA durch den sogenannten Röhm-Putsch im Juni 1934 beigetreten war. Sir Davids Begründung: Die SA habe damals immerhin "symbolisch" überlebt.
Jackson hatte sich jedoch auf die Rüstungsindustrie so kapriziert, daß er noch während des Prozesses das Tribunal bedrängte, statt des wegen Krankheit verhandlungsunfähigen Gustav Krupp dessen Sohn Alfried anzuklagen. Die Briten reagierten eisig. Ihr Hauptankläger Sir Hartley Shawcross bedeutete dem amerikanischen Kollegen: "Wir sind hier in einem Gericht und nicht im Fußballstadion, wo man einen Ersatzmann aufs Feld schickt, wenn jemand ausgefallen ist."
Angesichts solcher Differenzen und Ungereimtheiten mußte die Anklageschrift immer wieder redigiert, abgeändert, umgeschrieben und ergänzt werden. Am 3. Oktober 1945 -- die Delegierten waren von den vielen Debatten schon nahezu erschöpft -- schien die Anklageschrift endlich fertig zu sein.
So setzten schließlich die Richter der drei westlichen Länder Fritzsches Freispruch durch. Der Streit zwischen den Chefjuristen mochte freilich nicht enden: Erregt diskutierten sie, warum Briten und Franzosen umgefallen seien. Lordrichter Lawrence, Englands Vertreter und zugleich Vorsitzender des IMT, erklärte, daß sein Sinneswandel eigentlich nichts mit Fritzsche zu tun habe:,. Es wäre unzweckmäßig, (von den 22 Angeklagten) nur Papen freizusprechen." Und der britische Ersatzrichter Norman Birkett erläuterte. es sei "politisch wirkungsvoller", wenigstens in zwei Fällen freizusprechen. Niemand wußte, wann die Nazi-Verschwörung begann.
Solches Auf und Ab des größten Kriegsverbrecherprozesses der Geschichte haben jetzt zwei Historiker anhand neuer Dokumente beschrieben -- aus unterschiedlicher Sicht: Der renommierte Hitler-Forscher Werner Maser zeichnet das "Tribunal der Sieger" vorwiegend aus der Sicht der Angeklagten, während der Amerikaner Bradley F. Smith, auch er als Hitler-Kenner ausgewiesen, den "Jahrhundert-Prozeß" von der Richterbank aus rekonstruiert*.
Beiden Autoren ist freilich gemeinsam, daß sie einen besonders scharfen Blick für das Unzulängliche, ja Chaotische der Nürnberger Prozeßführung haben. Angesichts der Inkompetenz von Richtern und Anklägern findet es Maser "geradezu selbstverständlich, daß es zu Mißverständnissen, Pannen und gelegentlichen Ungereimtheiten kommen mußte", und auch Smith kritisiert, nicht selten hätten die Aktionen der Richter und Ankläger einer "Justizkomödie" geglichen.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41019359.html