Deutscher Nationalist
25.09.2005, 12:45
Solschenizyn über die Kommissare des Roten Terrors
Wenn es stimmt, daß der Bolschewismus nicht wirklich durch die Planwirtschaft auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet ist, nicht an der Abwesenheit von Demokratie zugrunde gegangen ist, bleibt die Frage übrig, wann und durch wen die Weichenstellung in den Untergang erfolgt ist. Alexander Solschenizyn, laut Spann-Schüler Friedrich Romig der "größte konservative Schriftsteller unserer Zeit", nennt 1918 als Geburtsjahr des krassni terreur, des Roten Terrors. "Die Bourgeoisie kann einige Personen töten, wir aber bringen ganze Klassen um." Ein Terrorist namens Apfelbaum verkündete 1918 das Todesurteil. In jenem Jahr erblickte die nichtkommunistische Intelligenzija das Haupt der Medusa. In die Glutöfen des Klassenvernichtungskrieges wollte Apfelbaum (in die Geschichte eingegangen als "Sinowjew") zehn Millionen Russen schicken, zehn von hundert. Ernst Nolte meint, die Äußerung vom 17. September 1918 klinge in ihrer Ungeheuerlichkeit fast unglaubwürdig; dieser Apfelbaum formulierte das Verbrennungsurteil: "Von den hundert Millionen der Bevölkerung in Sowjetrußland müssen wir neunzig für uns gewinnen. Mit den übrigen haben wir nicht zu reden, wir müssen sie ausrotten." In seinem jüngsten Buch spricht Solschenizyn von den "duschiteli Rossii" ("Würger Rußlands"), den "palatschi grasnoi revoljuzii" ("Henker der schmutzigen Revolution"). Wer exakt ist gemeint? Auf Seite 89 heißt es: "Bolschewiki jewrej". Deutsch: "Bolschewiken-Juden". An anderer Stelle gebraucht Solschenizyn den Terminus "bolschewistische Juden". Übergeordnet dem allen ein Schlüsselbegriff: "Jewrejski wopros". Die "jüdische Frage". Diesen Begriff verbot die kommunistische Zensur nach 1918 keineswegs, auch für "Bolschewiken-Juden" war die "jüdische Frage" kein Tabu, ganz im Gegenteil, bildete doch die "jüdische Frage" ein Zentralthema der zur säkularen Religion gewordenen Parteiideologie. Lenin lieferte ein Beispiel; 1924 erschien im Moskauer Verlag Proletarii Lenins berühmte Lehrschrift "Über die jüdische Frage in Rußland" (von Solschenizyn auf S.79 zitiert).
Nach diesem Solschenizyn (Dwesti ljet wmestje. Tschast II. Deutsch: Zweihundert Jahre zusammen. Teil II. Russisch Dezember 2002 im Moskauer Verlag Russki Putj, 560 Seiten, ISBN 5-85887-151-8)* muß die Geschichte des 20. Jahrhunderts, im besonderen die der Sowjetunion, neu geschrieben werden, vor allem hinsichtlich des Zusammenbruchs der großen ideologischen Fronten in den prä-revisionistischen Epochen. Das Neue in diesem Solschenizyn ist die Demonstration eines vom (west)deutschen Historiker-Establishment totgeschwiegenen Phänomens. Die historisch beispiellose Grausamkeit der Machtergreifung, des Bürgerkrieges und des Kriegskommunismus hatte eine klar zu definierende Wurzel, im Ideologischen und Anthropologischen. Das Codewort lautet bei Solschenizyn, wie bereits erwähnt, "Bolschewiki-Jewrej".
"Bis zum Oktoberumsturz bildete der Bolschewismus nicht die zahlenmäßig stärkste Strömung unter den Juden", liest man auf S.73. Solschenizyn erinnert: Unmittelbar vor dem Umsturz haben die bolschewistischen Juden Trotzki und Kamenjew das militärische Bündnis mit drei jüdischen Linken Sozialrevolutionären geschlossen - Natanson, Steinberg, Kamkow. Solschenizyn will damit sagen, daß Lenins Oktoberputsch, rein militärisch betrachtet, an einem jüdischen Faden hing. Das Zustandekommen des Kampfbündnisses zwischen Trotzki und seinen Landsleuten in der Partei der Linken Sozialrevolutionäre sicherte Lenin den Sieg in der Palastrevolte vom Oktober 1917. Als Kronzeugen zitiert Solschenizyn den israelischen Historiker Aron Abramowitsch. Dieser schreibt in einem 1982 in Tel Aviv erschienenen Werk: "Eine schlachtentscheidende Rolle spielte das jüdische Soldatenkontingent bei Vorbereitung und Durchführung des bewaffneten bolschewistischen Aufstandes in Petrograd und anderen Städten während des Oktober 1917 wie auch in den folgenden Schlachten im Zuge der Niederschlagung von Rebellionen gegen die neue sowjetische Macht." Die berühmten lettischen Schützenregimenter der 12. Armee, Lenins Prätorianer, bekamen einen jüdischen Chefkommissar, Nachimson.
Es gibt Verbrechen, die die Nachkommen der Opfer nicht aushalten können. Verbrechen sind das, die den letzten Schutzraum durchbrechen - Verbrechen wie Psychozid an einem Kulturvolk. Die Mehrheit der Kulturrussen empfand im Oktober das Einbrechen eines zerstörerischen Umgestaltungs-Prinzips. "Oktober", ein Synonym für tödliche Daseinsbedrohung. 1924 notiert der jüdische Historiker Pasmanik: "Das Erscheinen des Bolschewismus war das Resultat von Besonderheiten in der russischen Geschichte, jedoch die Organisierung des Bolschewismus verdankt Sowjetrußland der Arbeit der jüdischen Kommissare." Solschenizyn zitiert den Schlüsselsatz auf Seite 80, wobei "Organisierung" im Buchtext gesperrt ist.
Erstaunlich die Fülle von Augenzeugenberichten aus der frühsowjetischen Zeit. Der Schriftsteiler Naschiwin beobachtet im think-tank des Rates der Volkskommissare (d. h. der Regierung) "Juden, Juden, Juden". Er sei niemals Antisemit gewesen, beteuert Naschiwin, doch im Kreml "schnitt die geballte Masse der Juden buchstäblich die Augen". Der berühmte Erzähler Wladimir Korolenko, der Sozialdemokratie nahestehend und ein Ankläger der Judenpogrome im zaristischen Rußland, schreibt 1919 ins Tagebuch: "Bei den Bolschewiki gibt es sehr viele Juden und Jüdinnen. Ihr Hauptcharakteristikum: das Rechthaberische, die aggressive Taktlosigkeit und Anmaßung, die schmerzhaft in die Augen springen. In der Ukraine trifft der Bolschewismus auf Verachtung. Das Überhandnehmen jüdischer Physiognomien, besonders bei der Tscheka, entfacht im Volk äußerst vitale Instinkte eines Judenhasses."
"Das ist wirklich kein neues Thema: die Juden bei den Bolschewiki, darüber ist schon viel geschrieben worden", beginnt Kapitel 15, in welchem Solschenizyn der Nachweis seiner Kardinalthese gelingt, nämlich die von der machtbildenden Unentbehrlichkeit der bolschewistischen Juden im siegreichen Bolschewismus, im Bürgerkrieg, im frühen Sowjetregime. "Wer die Meinung vertritt, die Revolution sei nicht eine russische, sondern die der Fremden gewesen: verweist auf jiddische Familiennamen oder Pseudonyme, um dadurch von den Russen die Schuld an der Revolution zu nehmen. Andere wiederum - bestrebt, die überproportionale Beteiligung der Juden an der bolschewistischen Machtergreifung abzustreiten - behaupten, es habe sich bei diesen nicht um gläubige Juden (jewrej po duchu) gehandelt, sondern um Abtrünnige, Renegaten, Gottlose (otschtschepenzi)."
Nach rabbinischem Gesetz ist Jude, wer von einer jüdischen Mutter geboren ist. Das orthodoxe Judentum verlangt aber mehr: die Anerkennung des hebräischen Regelbuches Halacha und die Befolgung der Religionsgesetze aus der Mischna, die ja die Grundlage des Talmuds bildet. Davon ausgehend, fragt Solschenizyn: Wie stark waren Einfluß, Macht, Faszination und Gefolgschaft der säkularen Juden in der jüdisch-gläubigen Bevölkerung? Und: "Wie viele der Gottlosen waren bei den Bolschewiki aktiv? Kann sich ein Volk von seinen Abtrünnigen überhaupt lossagen, gibt solch eine Lossagung Sinn?"
Solschenizyns Versuch, diese Frage anhand historischer Fakten zu beantworten, weist mehrere Schwerpunkte auf: Das Verhalten der orthodoxen Juden nach dem Oktober; Zahlenverhältnisse der bolschewistischen Juden vor und nach dem Oktober; Vormarsch der bolschewistischen Juden in die Kader von Roter Armee und Tscheka; Lenins Judenstrategie, schließlich Lenins Herkunft.
"Kaum an die Macht gelangt, appellierten die Bolschewiki an die Juden. Und sie kamen, kamen in Massen. Die einen dienten in der Exekutive, die anderen in Regierungsorganen. Sie kamen, vor allem aus den Schichten säkularisierter junger Juden, die keinswegs als Gottlose oder gar Gottesfeinde einzustufen waren. Dieses Phänomen trug Massencharakter." (S. 79)
Lenin hatte noch nicht den Smolny verlassen, Ende 1917, da arbeitete bereits in Petrograd ein "Jüdisches Kommissariat für Nationalitätenfragen". Im März 1919 beschäftigte sich der VIII. Parteikongreß der Russischen Kommunistischen Partei (Bolschewiki) mit dem Antrag, einen "Jüdischen Kommunistischen Bund Sowjetrußlands" zu etablieren.
Auch bei diesem Phänomen kann sich Solschenizyn auf Urteile jüdischer Historiker stützen. "Tausende von Juden strömten zu den Bolschewiken, in denen sie Beschützer der internationalistischen Revolution sahen", schreibt 1961 der in England lebende Leonard Schapiro. M. Chaifez kommentiert die jüdische Förderung des Bolschewismus so: "Für einen Juden, der weder von Aristokraten noch Popen abstammte, bedeutet der Bolschewismus eine erfolgversprechende Perspektive, einem neuen Clan anzugehören." Der Chaifez-Artikel erschien 1980 in einer israelischen Zeitschrift für die jüdische Intelligenz aus der UdSSR.
Der Zustrom der jüdischen Jugend in die bolschewistische Partei habe erst als Folge von Pogromen auf dem Territorium der Weißen Armeen 1919 eingesetzt, behauptet der Lenin-Biograph David Schub, ein jüdischer Menschewik. Dem widerspricht Solschenizyn: das sei ein Mythos. "Schubs Argument ist deshalb nicht stichhaltig, weil der Masseneintritt von Juden in den Sowjetapparat bereits 1917 einsetzte und das ganze Jahr 1918 andauerte. Doch zweifellos verstärkte die Bürgerkriegssituation von 1919 das Verschmelzen jüdischer Kader mit den Bolschewiki." (S. 80)
Die Steigerung von Judophobie führt Solschenizyn zurück unter anderem auf die Niederschlagung von Bauern- und Bürgeraufständen, die Abmetzelung von Popen und Bischöfen, insbesondere der Dorfgeistlichen, schließlich die Ausrottung des Adels mit dem Höhepunkt "Zarenmord".
In den Entscheidungsjahren der Bürgerkriegsepoche 1918-1920 befand sich die Geheimpolizei (Solschenizyn benutzt die damals gebräuchliche Abkürzung WTschK, daraus abgeleitet "Tscheka") in der Hand bolschewistischer Juden ("Gefängniskommandanten waren gewöhnlich Polen oder Letten").
In Odessa saßen in den Leitungsgremien von Partei, Armee, Tscheka ausschließlich Juden. Juden bildeten die Mehrheit des Präsidiums des Petrograder Stadtsowjets. Den Bügerkriegsterror in Nischni Nowgorod dirigierte Lasar Kaganowitsch, die Massenerschießungen auf der Krim leitete Rosalia Salkind-Semljatschka. 1920 verwandelten sich die Bauerngebiete Westsibiriens in eine Vendée, nachdem Getreide-Kommissar Indenbaum durch Konfiskationsfeldzüge eine Hungersnot heraufbeschworen hatte. Im Steppenwinter wurden rebellische Bauern gezwungen, ihre eigenen Gräber auszuheben; Tschekisten übergossen die Nackten mit Wasser, Maschinengewehre mähten Flüchtende nieder. In die Geschichte eingegangen ist der Bauernaufstand von Tjumen als "Ischimski Mjatjesch".
Die Massenhinrichtungen von Priestern der Russisch-Orthodoxen Kirche trug Genozidcharakter, bezogen auf die Zahl der Liquidierten, die Radikalität der Henker und die Motive der Täter. Abgeschlachtet wurde die intellektuelle Elite des Ostchristentums in Rußland. Den Anstoß gab Lenin. Am 27. Juli 1918, kurz nach der Ermordung der Zarenfamilie, erließ das SNK (Sowjetregierung) ein Liquidierungsgesetz gegen "Pogromtschiki", und als Pogromist galt obligatorisch jeder Priester. Den Gesetzestext entwarf eigenhändig Lenin - so die Erinnerung von Lunatscharskij -, und Lenin ordnete an, die Geistlichen außerhalb von Gericht und Gesetzlichkeit zu bestrafen ("wne sakon"). Das heißt, so Solschenizyns Kommentar: "Rasstreliwatj", Erschießen.
Lenin am 17.Juli 1918 - Einlaß der Dämonen. Lenin, schon er, und nicht erst Stalin. Daß die Entscheidung für den Mord an jenem 17. Juli mit der Herkunft Lenins zusammenhängen kann, untersucht Solschenizyn auf Seite 15. Der von Lenin befehligte Apparat von Partei, Tscheka, Armee kennzeichnet eine Ideologie der Menschenvernichtung in Aktion im frühen bolschewistischen System (Ernst Nolte spricht von einem "ideologischen Vernichtungspostulat"). "Der Schlüssel der Entscheidung lag in den Händen Lenins", konstatiert Solschenizyn im Kapitel über die Bartholomäusnacht in Jekaterinburg. Für Lenin gab es in dieser Frage weder Kompromisse noch Zweifel: "Vernichten - darin hat er niemals geschwankt." Unitschoschitj - vernichten. Für die Vernichtung waren Swerdlow, Dscherschinski, Trotzki, im Juli achtzehn die Mächtigsten neben Lenin. Keiner von ihnen ein Russe. Nichtrussen Lenins Erfüllungsgehilfen in Jekaterinburg, den Ural-Gouvernements. Henker und Henkersknechte. Goloschekin und Bjeloborodow ("Weißbart"), Parteiterroristen, Killer der roten Uralmafia, deren blutige Karriere auf Seite 90/91 geschildert wird. Dann Jankel Jurowski, der sich rühmte: "Aus meinem Trommelrevolver wurde Nikolaus auf der Stelle abgeknallt." 1936 knallten Stalins Tschekisten den Zarenmörder Bjeloborodow in der Lubjanka ab, war er doch als Jude, als Internationalist, als Kosmopolit ein Feind des Russifizierers Stalin. Was auch Goloschekin den Tod brachte, im Herbst einundvierzig, da hielten deutsche Panzer schon an Moskaus Stadtgrenze.
Rußland, ein Land der Täter? Solschenizyn verneint es, wie er überhaupt vor jeglicher Kollektivverurteilung zurückschreckt, und das Nein bezieht er auf das Große Volk und auf das Kleine Volk. Und die Opfer? In der großen Mehrheit - Russen. Die in Kellern Erschossenen, in Klöstern Verbrannten, in Flußkähnen Ertränkten, in Wäldern Erhängten; Offiziere, Bauern, Aristokraten, Proletarier, der anti-antisemitische bürgerliche Geistesadel Russen (aber nicht nur Russen). Die "Henker der Revolution", ihre Verbrechen mit einem Internationalismus rechtfertigend, verwandelten ihre "schmutzige Revolution" in eine, so Solschenizyn wörtlich, "antislawjanskaja", was "antislawische" heißt. Nein, betont der Literaturnobelpreisträger auf Seite 93, das Tätervolk mit den holocaustischen Orientierungsmarken Tscheka-Lubjanka-GULag konnte kein slawisches Volk gewesen sein.
Im "Kausalen Nexus" Noltes steht auf Seite 233 eine vorweggenommene Bestätigung der Solschenizynschen Thesen. Er sei überzeugt, so der deutsche Historiker, daß der Begriff des "jüdischen Bolschewismus" nicht bloß eine bösartige Erfindung zu politischen Zwecken darstelle, sondern daß er geschichtlich gut begründet sei, um nicht von der Wissenschaft ausgeschlossen zu werden, "wie grauenhaft die nationalsozialistische Konsequenz auch gewesen ist". Hier zieht Nolte die Parallele zum anderen, das heißt konträren ideologischen Vernichtungspostulat: "Nur wenn er nicht mehr von vornherein ausgestoßen und tabuisiert wird, kann 'Auschwitz' der eigentlichen Gefahr entgehen, die ihm heute droht: daß er durch die Isolierung vom 'Gulag' und von der kriegerischen Auseinandersetzung der beiden großen Ideologiestaaten des 20. Jahrhunderts zwar nicht zur Lüge, wohl aber zum wissenschaftswidrigen Mythos wird."
Ist Solschenizyn der erste Historiker, der das finstere Jahr 1918 wissenschaftlich durchleuchtet? Über "die Greueltaten der Bolschewiki und den Anteil, den Juden daran hatten" schrieb vor einem Jahrzehnt die russische Jüdin Sonja Margolina, Tochter eines Bolschewiken der Lenin-/Stalin-Epoche. Die Schrecken von Revolution und Bürgerkrieg seien "fest mit der Gestalt des jüdischen Kommissars verbunden", heißt es in Margolinas Buch "Das Ende der Lügen", erschienen 1992 in einem Berliner Verlag. Das Werk trug den damals schockierenden Untertitel "Die russischen Juden - Täter und Opfer zugleich". Im Kapitel "Juden und die Macht" (gemeint die Sowjetmacht) stehen Sätze, deren Wahrheitsgehalt von Solschenizyn heute bestätigt wird. "Die Bolschewiki und die an ihrer Seite stehenden Juden regierten Rußland in den ersten Jahren nach der Revolution mit Angstschweiß auf der Stirn", schreibt die Margolina. Der Rote Terror sei eine "Flucht nach vorne" gewesen. Den Akteuren sei eines klar gewesen: wenn die rote Schlinge um den Hals des Volkes gelockert würde, würden die jüdischen Bolschewiken "die ersten Kandidaten fürs Schafott" sein.
Wo war Gott in der Lubjanka? In Kolyma? Am Weißmeerkanal? Alexander Solschenizyn, im Sinne der Dostojewskijschen Gottsucher ein homo religiosus, stellt diese Frage nicht. Ihn quält ein "Warum". Warum wurden, um mit der Jüdin Sonja Margolina zu sprechen, die russischen Juden Täter und Opfer zugleich im bolschewistischen Jahrhundert? Der 84jährige, zu Beginn des dritten Jahrtausends das öffentliche Gewissen der russischen Kultur, kennt das erste Gebot des Historischen Revisionismus in einem von politischer Korrektheit unbefleckten Rußland: Souverän ist, wer die Brandmauer rund um "jewrejski wopros" durchstößt.
© 2003 / V.i.S.d.P. Wolfgang Strauss
Wenn es stimmt, daß der Bolschewismus nicht wirklich durch die Planwirtschaft auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet ist, nicht an der Abwesenheit von Demokratie zugrunde gegangen ist, bleibt die Frage übrig, wann und durch wen die Weichenstellung in den Untergang erfolgt ist. Alexander Solschenizyn, laut Spann-Schüler Friedrich Romig der "größte konservative Schriftsteller unserer Zeit", nennt 1918 als Geburtsjahr des krassni terreur, des Roten Terrors. "Die Bourgeoisie kann einige Personen töten, wir aber bringen ganze Klassen um." Ein Terrorist namens Apfelbaum verkündete 1918 das Todesurteil. In jenem Jahr erblickte die nichtkommunistische Intelligenzija das Haupt der Medusa. In die Glutöfen des Klassenvernichtungskrieges wollte Apfelbaum (in die Geschichte eingegangen als "Sinowjew") zehn Millionen Russen schicken, zehn von hundert. Ernst Nolte meint, die Äußerung vom 17. September 1918 klinge in ihrer Ungeheuerlichkeit fast unglaubwürdig; dieser Apfelbaum formulierte das Verbrennungsurteil: "Von den hundert Millionen der Bevölkerung in Sowjetrußland müssen wir neunzig für uns gewinnen. Mit den übrigen haben wir nicht zu reden, wir müssen sie ausrotten." In seinem jüngsten Buch spricht Solschenizyn von den "duschiteli Rossii" ("Würger Rußlands"), den "palatschi grasnoi revoljuzii" ("Henker der schmutzigen Revolution"). Wer exakt ist gemeint? Auf Seite 89 heißt es: "Bolschewiki jewrej". Deutsch: "Bolschewiken-Juden". An anderer Stelle gebraucht Solschenizyn den Terminus "bolschewistische Juden". Übergeordnet dem allen ein Schlüsselbegriff: "Jewrejski wopros". Die "jüdische Frage". Diesen Begriff verbot die kommunistische Zensur nach 1918 keineswegs, auch für "Bolschewiken-Juden" war die "jüdische Frage" kein Tabu, ganz im Gegenteil, bildete doch die "jüdische Frage" ein Zentralthema der zur säkularen Religion gewordenen Parteiideologie. Lenin lieferte ein Beispiel; 1924 erschien im Moskauer Verlag Proletarii Lenins berühmte Lehrschrift "Über die jüdische Frage in Rußland" (von Solschenizyn auf S.79 zitiert).
Nach diesem Solschenizyn (Dwesti ljet wmestje. Tschast II. Deutsch: Zweihundert Jahre zusammen. Teil II. Russisch Dezember 2002 im Moskauer Verlag Russki Putj, 560 Seiten, ISBN 5-85887-151-8)* muß die Geschichte des 20. Jahrhunderts, im besonderen die der Sowjetunion, neu geschrieben werden, vor allem hinsichtlich des Zusammenbruchs der großen ideologischen Fronten in den prä-revisionistischen Epochen. Das Neue in diesem Solschenizyn ist die Demonstration eines vom (west)deutschen Historiker-Establishment totgeschwiegenen Phänomens. Die historisch beispiellose Grausamkeit der Machtergreifung, des Bürgerkrieges und des Kriegskommunismus hatte eine klar zu definierende Wurzel, im Ideologischen und Anthropologischen. Das Codewort lautet bei Solschenizyn, wie bereits erwähnt, "Bolschewiki-Jewrej".
"Bis zum Oktoberumsturz bildete der Bolschewismus nicht die zahlenmäßig stärkste Strömung unter den Juden", liest man auf S.73. Solschenizyn erinnert: Unmittelbar vor dem Umsturz haben die bolschewistischen Juden Trotzki und Kamenjew das militärische Bündnis mit drei jüdischen Linken Sozialrevolutionären geschlossen - Natanson, Steinberg, Kamkow. Solschenizyn will damit sagen, daß Lenins Oktoberputsch, rein militärisch betrachtet, an einem jüdischen Faden hing. Das Zustandekommen des Kampfbündnisses zwischen Trotzki und seinen Landsleuten in der Partei der Linken Sozialrevolutionäre sicherte Lenin den Sieg in der Palastrevolte vom Oktober 1917. Als Kronzeugen zitiert Solschenizyn den israelischen Historiker Aron Abramowitsch. Dieser schreibt in einem 1982 in Tel Aviv erschienenen Werk: "Eine schlachtentscheidende Rolle spielte das jüdische Soldatenkontingent bei Vorbereitung und Durchführung des bewaffneten bolschewistischen Aufstandes in Petrograd und anderen Städten während des Oktober 1917 wie auch in den folgenden Schlachten im Zuge der Niederschlagung von Rebellionen gegen die neue sowjetische Macht." Die berühmten lettischen Schützenregimenter der 12. Armee, Lenins Prätorianer, bekamen einen jüdischen Chefkommissar, Nachimson.
Es gibt Verbrechen, die die Nachkommen der Opfer nicht aushalten können. Verbrechen sind das, die den letzten Schutzraum durchbrechen - Verbrechen wie Psychozid an einem Kulturvolk. Die Mehrheit der Kulturrussen empfand im Oktober das Einbrechen eines zerstörerischen Umgestaltungs-Prinzips. "Oktober", ein Synonym für tödliche Daseinsbedrohung. 1924 notiert der jüdische Historiker Pasmanik: "Das Erscheinen des Bolschewismus war das Resultat von Besonderheiten in der russischen Geschichte, jedoch die Organisierung des Bolschewismus verdankt Sowjetrußland der Arbeit der jüdischen Kommissare." Solschenizyn zitiert den Schlüsselsatz auf Seite 80, wobei "Organisierung" im Buchtext gesperrt ist.
Erstaunlich die Fülle von Augenzeugenberichten aus der frühsowjetischen Zeit. Der Schriftsteiler Naschiwin beobachtet im think-tank des Rates der Volkskommissare (d. h. der Regierung) "Juden, Juden, Juden". Er sei niemals Antisemit gewesen, beteuert Naschiwin, doch im Kreml "schnitt die geballte Masse der Juden buchstäblich die Augen". Der berühmte Erzähler Wladimir Korolenko, der Sozialdemokratie nahestehend und ein Ankläger der Judenpogrome im zaristischen Rußland, schreibt 1919 ins Tagebuch: "Bei den Bolschewiki gibt es sehr viele Juden und Jüdinnen. Ihr Hauptcharakteristikum: das Rechthaberische, die aggressive Taktlosigkeit und Anmaßung, die schmerzhaft in die Augen springen. In der Ukraine trifft der Bolschewismus auf Verachtung. Das Überhandnehmen jüdischer Physiognomien, besonders bei der Tscheka, entfacht im Volk äußerst vitale Instinkte eines Judenhasses."
"Das ist wirklich kein neues Thema: die Juden bei den Bolschewiki, darüber ist schon viel geschrieben worden", beginnt Kapitel 15, in welchem Solschenizyn der Nachweis seiner Kardinalthese gelingt, nämlich die von der machtbildenden Unentbehrlichkeit der bolschewistischen Juden im siegreichen Bolschewismus, im Bürgerkrieg, im frühen Sowjetregime. "Wer die Meinung vertritt, die Revolution sei nicht eine russische, sondern die der Fremden gewesen: verweist auf jiddische Familiennamen oder Pseudonyme, um dadurch von den Russen die Schuld an der Revolution zu nehmen. Andere wiederum - bestrebt, die überproportionale Beteiligung der Juden an der bolschewistischen Machtergreifung abzustreiten - behaupten, es habe sich bei diesen nicht um gläubige Juden (jewrej po duchu) gehandelt, sondern um Abtrünnige, Renegaten, Gottlose (otschtschepenzi)."
Nach rabbinischem Gesetz ist Jude, wer von einer jüdischen Mutter geboren ist. Das orthodoxe Judentum verlangt aber mehr: die Anerkennung des hebräischen Regelbuches Halacha und die Befolgung der Religionsgesetze aus der Mischna, die ja die Grundlage des Talmuds bildet. Davon ausgehend, fragt Solschenizyn: Wie stark waren Einfluß, Macht, Faszination und Gefolgschaft der säkularen Juden in der jüdisch-gläubigen Bevölkerung? Und: "Wie viele der Gottlosen waren bei den Bolschewiki aktiv? Kann sich ein Volk von seinen Abtrünnigen überhaupt lossagen, gibt solch eine Lossagung Sinn?"
Solschenizyns Versuch, diese Frage anhand historischer Fakten zu beantworten, weist mehrere Schwerpunkte auf: Das Verhalten der orthodoxen Juden nach dem Oktober; Zahlenverhältnisse der bolschewistischen Juden vor und nach dem Oktober; Vormarsch der bolschewistischen Juden in die Kader von Roter Armee und Tscheka; Lenins Judenstrategie, schließlich Lenins Herkunft.
"Kaum an die Macht gelangt, appellierten die Bolschewiki an die Juden. Und sie kamen, kamen in Massen. Die einen dienten in der Exekutive, die anderen in Regierungsorganen. Sie kamen, vor allem aus den Schichten säkularisierter junger Juden, die keinswegs als Gottlose oder gar Gottesfeinde einzustufen waren. Dieses Phänomen trug Massencharakter." (S. 79)
Lenin hatte noch nicht den Smolny verlassen, Ende 1917, da arbeitete bereits in Petrograd ein "Jüdisches Kommissariat für Nationalitätenfragen". Im März 1919 beschäftigte sich der VIII. Parteikongreß der Russischen Kommunistischen Partei (Bolschewiki) mit dem Antrag, einen "Jüdischen Kommunistischen Bund Sowjetrußlands" zu etablieren.
Auch bei diesem Phänomen kann sich Solschenizyn auf Urteile jüdischer Historiker stützen. "Tausende von Juden strömten zu den Bolschewiken, in denen sie Beschützer der internationalistischen Revolution sahen", schreibt 1961 der in England lebende Leonard Schapiro. M. Chaifez kommentiert die jüdische Förderung des Bolschewismus so: "Für einen Juden, der weder von Aristokraten noch Popen abstammte, bedeutet der Bolschewismus eine erfolgversprechende Perspektive, einem neuen Clan anzugehören." Der Chaifez-Artikel erschien 1980 in einer israelischen Zeitschrift für die jüdische Intelligenz aus der UdSSR.
Der Zustrom der jüdischen Jugend in die bolschewistische Partei habe erst als Folge von Pogromen auf dem Territorium der Weißen Armeen 1919 eingesetzt, behauptet der Lenin-Biograph David Schub, ein jüdischer Menschewik. Dem widerspricht Solschenizyn: das sei ein Mythos. "Schubs Argument ist deshalb nicht stichhaltig, weil der Masseneintritt von Juden in den Sowjetapparat bereits 1917 einsetzte und das ganze Jahr 1918 andauerte. Doch zweifellos verstärkte die Bürgerkriegssituation von 1919 das Verschmelzen jüdischer Kader mit den Bolschewiki." (S. 80)
Die Steigerung von Judophobie führt Solschenizyn zurück unter anderem auf die Niederschlagung von Bauern- und Bürgeraufständen, die Abmetzelung von Popen und Bischöfen, insbesondere der Dorfgeistlichen, schließlich die Ausrottung des Adels mit dem Höhepunkt "Zarenmord".
In den Entscheidungsjahren der Bürgerkriegsepoche 1918-1920 befand sich die Geheimpolizei (Solschenizyn benutzt die damals gebräuchliche Abkürzung WTschK, daraus abgeleitet "Tscheka") in der Hand bolschewistischer Juden ("Gefängniskommandanten waren gewöhnlich Polen oder Letten").
In Odessa saßen in den Leitungsgremien von Partei, Armee, Tscheka ausschließlich Juden. Juden bildeten die Mehrheit des Präsidiums des Petrograder Stadtsowjets. Den Bügerkriegsterror in Nischni Nowgorod dirigierte Lasar Kaganowitsch, die Massenerschießungen auf der Krim leitete Rosalia Salkind-Semljatschka. 1920 verwandelten sich die Bauerngebiete Westsibiriens in eine Vendée, nachdem Getreide-Kommissar Indenbaum durch Konfiskationsfeldzüge eine Hungersnot heraufbeschworen hatte. Im Steppenwinter wurden rebellische Bauern gezwungen, ihre eigenen Gräber auszuheben; Tschekisten übergossen die Nackten mit Wasser, Maschinengewehre mähten Flüchtende nieder. In die Geschichte eingegangen ist der Bauernaufstand von Tjumen als "Ischimski Mjatjesch".
Die Massenhinrichtungen von Priestern der Russisch-Orthodoxen Kirche trug Genozidcharakter, bezogen auf die Zahl der Liquidierten, die Radikalität der Henker und die Motive der Täter. Abgeschlachtet wurde die intellektuelle Elite des Ostchristentums in Rußland. Den Anstoß gab Lenin. Am 27. Juli 1918, kurz nach der Ermordung der Zarenfamilie, erließ das SNK (Sowjetregierung) ein Liquidierungsgesetz gegen "Pogromtschiki", und als Pogromist galt obligatorisch jeder Priester. Den Gesetzestext entwarf eigenhändig Lenin - so die Erinnerung von Lunatscharskij -, und Lenin ordnete an, die Geistlichen außerhalb von Gericht und Gesetzlichkeit zu bestrafen ("wne sakon"). Das heißt, so Solschenizyns Kommentar: "Rasstreliwatj", Erschießen.
Lenin am 17.Juli 1918 - Einlaß der Dämonen. Lenin, schon er, und nicht erst Stalin. Daß die Entscheidung für den Mord an jenem 17. Juli mit der Herkunft Lenins zusammenhängen kann, untersucht Solschenizyn auf Seite 15. Der von Lenin befehligte Apparat von Partei, Tscheka, Armee kennzeichnet eine Ideologie der Menschenvernichtung in Aktion im frühen bolschewistischen System (Ernst Nolte spricht von einem "ideologischen Vernichtungspostulat"). "Der Schlüssel der Entscheidung lag in den Händen Lenins", konstatiert Solschenizyn im Kapitel über die Bartholomäusnacht in Jekaterinburg. Für Lenin gab es in dieser Frage weder Kompromisse noch Zweifel: "Vernichten - darin hat er niemals geschwankt." Unitschoschitj - vernichten. Für die Vernichtung waren Swerdlow, Dscherschinski, Trotzki, im Juli achtzehn die Mächtigsten neben Lenin. Keiner von ihnen ein Russe. Nichtrussen Lenins Erfüllungsgehilfen in Jekaterinburg, den Ural-Gouvernements. Henker und Henkersknechte. Goloschekin und Bjeloborodow ("Weißbart"), Parteiterroristen, Killer der roten Uralmafia, deren blutige Karriere auf Seite 90/91 geschildert wird. Dann Jankel Jurowski, der sich rühmte: "Aus meinem Trommelrevolver wurde Nikolaus auf der Stelle abgeknallt." 1936 knallten Stalins Tschekisten den Zarenmörder Bjeloborodow in der Lubjanka ab, war er doch als Jude, als Internationalist, als Kosmopolit ein Feind des Russifizierers Stalin. Was auch Goloschekin den Tod brachte, im Herbst einundvierzig, da hielten deutsche Panzer schon an Moskaus Stadtgrenze.
Rußland, ein Land der Täter? Solschenizyn verneint es, wie er überhaupt vor jeglicher Kollektivverurteilung zurückschreckt, und das Nein bezieht er auf das Große Volk und auf das Kleine Volk. Und die Opfer? In der großen Mehrheit - Russen. Die in Kellern Erschossenen, in Klöstern Verbrannten, in Flußkähnen Ertränkten, in Wäldern Erhängten; Offiziere, Bauern, Aristokraten, Proletarier, der anti-antisemitische bürgerliche Geistesadel Russen (aber nicht nur Russen). Die "Henker der Revolution", ihre Verbrechen mit einem Internationalismus rechtfertigend, verwandelten ihre "schmutzige Revolution" in eine, so Solschenizyn wörtlich, "antislawjanskaja", was "antislawische" heißt. Nein, betont der Literaturnobelpreisträger auf Seite 93, das Tätervolk mit den holocaustischen Orientierungsmarken Tscheka-Lubjanka-GULag konnte kein slawisches Volk gewesen sein.
Im "Kausalen Nexus" Noltes steht auf Seite 233 eine vorweggenommene Bestätigung der Solschenizynschen Thesen. Er sei überzeugt, so der deutsche Historiker, daß der Begriff des "jüdischen Bolschewismus" nicht bloß eine bösartige Erfindung zu politischen Zwecken darstelle, sondern daß er geschichtlich gut begründet sei, um nicht von der Wissenschaft ausgeschlossen zu werden, "wie grauenhaft die nationalsozialistische Konsequenz auch gewesen ist". Hier zieht Nolte die Parallele zum anderen, das heißt konträren ideologischen Vernichtungspostulat: "Nur wenn er nicht mehr von vornherein ausgestoßen und tabuisiert wird, kann 'Auschwitz' der eigentlichen Gefahr entgehen, die ihm heute droht: daß er durch die Isolierung vom 'Gulag' und von der kriegerischen Auseinandersetzung der beiden großen Ideologiestaaten des 20. Jahrhunderts zwar nicht zur Lüge, wohl aber zum wissenschaftswidrigen Mythos wird."
Ist Solschenizyn der erste Historiker, der das finstere Jahr 1918 wissenschaftlich durchleuchtet? Über "die Greueltaten der Bolschewiki und den Anteil, den Juden daran hatten" schrieb vor einem Jahrzehnt die russische Jüdin Sonja Margolina, Tochter eines Bolschewiken der Lenin-/Stalin-Epoche. Die Schrecken von Revolution und Bürgerkrieg seien "fest mit der Gestalt des jüdischen Kommissars verbunden", heißt es in Margolinas Buch "Das Ende der Lügen", erschienen 1992 in einem Berliner Verlag. Das Werk trug den damals schockierenden Untertitel "Die russischen Juden - Täter und Opfer zugleich". Im Kapitel "Juden und die Macht" (gemeint die Sowjetmacht) stehen Sätze, deren Wahrheitsgehalt von Solschenizyn heute bestätigt wird. "Die Bolschewiki und die an ihrer Seite stehenden Juden regierten Rußland in den ersten Jahren nach der Revolution mit Angstschweiß auf der Stirn", schreibt die Margolina. Der Rote Terror sei eine "Flucht nach vorne" gewesen. Den Akteuren sei eines klar gewesen: wenn die rote Schlinge um den Hals des Volkes gelockert würde, würden die jüdischen Bolschewiken "die ersten Kandidaten fürs Schafott" sein.
Wo war Gott in der Lubjanka? In Kolyma? Am Weißmeerkanal? Alexander Solschenizyn, im Sinne der Dostojewskijschen Gottsucher ein homo religiosus, stellt diese Frage nicht. Ihn quält ein "Warum". Warum wurden, um mit der Jüdin Sonja Margolina zu sprechen, die russischen Juden Täter und Opfer zugleich im bolschewistischen Jahrhundert? Der 84jährige, zu Beginn des dritten Jahrtausends das öffentliche Gewissen der russischen Kultur, kennt das erste Gebot des Historischen Revisionismus in einem von politischer Korrektheit unbefleckten Rußland: Souverän ist, wer die Brandmauer rund um "jewrejski wopros" durchstößt.
© 2003 / V.i.S.d.P. Wolfgang Strauss