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Vollständige Version anzeigen : Der deutsche Glaube ans Sparen



Rutt
30.01.2013, 06:19
BERLIN
(Eigener Bericht) - Ungeachtet zunehmender internationaler Kritik forciert Berlin die deutschen Exporte und sucht der gesamten Eurozone eine entsprechende, für die Weltwirtschaft hochgefährliche Struktur zu oktroyieren. Wie aktuelle Daten des Statistischen Bundesamts sowie Berechnungen von Wirtschaftsforschungsinstituten bestätigen, gründet das Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik immer stärker auf Exporten. Logische Kehrseite ist, dass viele Abnehmer der deutschen Ausfuhren ein steigendes Leistungsbilanzdefizit aufweisen und in eine fatale Verschuldungsspirale geraten. Als letzter Ausweg erscheinen Währungsabwertungen, die laut Ansicht von Finanzexperten in einen "Währungskrieg" münden könnten - gravierende politische Spannungen und ökonomische Verwerfungen wären die Folge. Dessen ungeachtet will Berlin die Eurozone zu einem exportzentrierten Wirtschaftsraum nach deutschem Modell umformen; bereits verabschiedete drakonische Sparprogramme ("Fiskalpakt") und in Planung befindlicher massiver Lohnkahlschlag ("Pakt für Wettbewerbsfähigkeit") sind das Mittel dazu. Vor allem in Südeuropa droht dies die Verelendung weiter zu verschlimmern.

Hartz IV für die Eurozone
Ungeachtet zunehmender internationaler Kritik forciert Berlin die extreme Exportausrichtung der deutschen Volkswirtschaft weiter - und bemüht sich, der gesamten Eurozone eine entsprechende Wirtschaftsstruktur zu oktroyieren. Ende letzter Woche plädierte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Weltwirtschaftsforum in Davos eindringlich für eine Stärkung der "Wettbewerbsfähigkeit" der EU.[1] Neben dem von Berlin Anfang 2012 durchgesetzten Fiskalpakt, der das deutsche Spardiktat auf europäischer Ebene institutionalisiert hat, will die Kanzlerin bis Juni 2013 einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" durchsetzen, bei dem die Eurostaaten mit der EU-Kommission verbindliche Verträge über unternehmensfreundliche Maßnahmen abschließen sollen. Die nationalen Parlamente müssten die auf EU-Ebene ausgearbeiteten Verträge nur noch "legitimieren", sagte Merkel wörtlich.

Politische Instabilität
Die Kanzlerin plädierte hierbei ausdrücklich für eine weitere Absenkung der Lohnstückkosten - also des Anteils der Arbeitskosten am Warenwert -, die sich in der EU nicht "auf einem Mittelmaß einpendeln" dürften. Im Rahmen des angestrebten "Pakts für Wettbewerbsfähigkeit" könnten die Eurostaaten etwa verpflichtet werden, die "Lohnzusatzkosten" zu senken. Flankierend will Merkel einen gesamteuropäischen Arbeitsmarkt formen: "Wir müssen alles tun, um die Mobilität der Arbeitskräfte im Binnenmarkt der EU zu verbessern". Die deutschen Pläne zielen auf eine verbindliche massive Absenkung des Lohnniveaus und auf eine Prekarisierung des Arbeitslebens in der gesamten Eurozone, wie sie im Gefolge der Agenda 2010 in der BRD bereits realisiert wurden. Der harte Austeritätskurs solle trotz der schon jetzt umfassenden Verelendung auch in Südeuropas Krisenstaaten fortgeführt werden, forderte Merkel, die "gegebenenfalls Überbrückungsmaßnahmen" in Aussicht stellte, sollte die deutsche Verelendungsstrategie zu "politischer Instabilität" führen.[2]

Wettbewerbsfähigkeit
Mit der massiven Senkung der Arbeitskosten sucht Berlin die gesamte Eurozone zu einem exportfixierten Wirtschaftsraum nach deutschem Modell umzugestalten. Entsprechend verteidigte die Bundeskanzlerin die extremen deutschen Exportüberschüsse, die zuletzt international verstärkt kritisiert wurden. "Im Augenblick ist unser deutsches Wachstum fast ausschließlich binnengetrieben", behauptete die Kanzlerin: "Wir haben alles getan, um den Binnenkonsum zu erhöhen". Die Überschüsse in den Leistungsbilanzen, die aus den deutschen Handelsüberschüssen resultierten, seien der beste Ausdruck deutscher Wettbewerbsfähigkeit, erklärte Merkel: "Und die dürfen wir auf gar keinen Fall aufs Spiel setzen."[3]

Ein Währungskrieg droht
Beim Gipfel in Davos hatte etwa der Finanzspekulant George Soros die Kritik am deutschen Spardiktat in der EU erneuert: "Die Deutschen glauben an Einsparungen und der Rest der Welt glaubt an geldpolitische Lockerungen". Der deutsche Sparkurs, der auf eine einseitige Steigerung der Eurozonen-Exportüberschüsse abzielt, erhöhe die Gefahr eines "internationalen Währungskrieges", warnte der einflussreiche Spekulant. In einem solchen "Währungskrieg" wären die Notenbanken der wichtigsten Währungsräume bestrebt, eine möglichst starke Abwertung der eigenen Währung in Gang zu setzen, um für die heimische Wirtschaft Exportvorteile zu generieren, die folglich die Handelsüberschüsse gegenüber anderen Währungsräumen ansteigen ließen. Die Problematik eines solchen Vorgehens ergibt sich aus der grundlegenden arithmetischen Tatsache, dass die Handelsüberschüsse des Exporteurs sich bei den Importeuren - logisch zwingend - als Defizite niederschlagen. Ein auf einem Handelsüberschuss fußender Aufschwung beruht somit automatisch auf Verschuldungsprozessen im Ausland.

Mitverantwortlich für die Schuldenkrise
Solche Handelsüberschüsse jedoch bilden gerade die Grundlage des deutschen Wirtschaftsmodells. Die österreichische Tageszeitung "Die Presse" fasste die internationale Kritik, die Berlin deswegen immer massiver entgegenschlägt, unlängst prägnant zusammen: "Viele Experten sehen im deutschen Überschuss eines der großen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft, die für die Finanz- und Schuldenkrise mitverantwortlich sind. Den Ländern mit solchen Exportwerten stehen welche mit Defiziten gegenüber, die ihre Importe über Schulden finanzieren müssen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Industriestaaten-Organisation OECD fordern daher immer wieder von der deutschen Regierung, die Binnennachfrage anzukurbeln, um die Unwucht zu verringern."[4]

Stabilitätsgefährdend
Ende Januar meldete zudem das Ifo-Insititut, dass Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss sich im Jahr 2012 mit 169 Milliarden Euro auf rund 6,4 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes belief und somit von der EU-Kommission als "stabilitätsgefährdend" für den europäischen Währungsraum eingestuft wurde.[5] Dieses Jahr soll der deutsche Leistungsbilanzüberschuss laut Ifo-Institut sogar auf 6,6 Prozent des BIP steigen. Die deutschen Überschüsse führen zu immer stärkeren Defiziten in den Zielländern der deutschen Exportoffensiven, die aber seit Beginn der Eurokrise nicht mehr über die Finanzmärkte finanziert werden können, sondern zur Aufblähung der Bilanzen des Target2-Systems der EZB geführt haben. Ifo-Präsident Hans Werner Sinn bestätigt: "Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss mit dem Ausland ist im Jahr 2012 nicht mehr über private Kapitalexporte, sondern ausschließlich über Target-Kredite der deutschen Bundesbank und andere öffentliche Hilfskredite finanziert worden." Mit dem Target2-System, in dessen Zentrum die EZB als eine Art europäische Verrechnungsstelle steht, sollten der internationale Zahlungsverkehr und die Abrechnungssysteme der Eurozonenländer harmonisiert werden. Inzwischen belaufen sich aber aufgrund der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse die deutschen Forderungen im Target2-System auf rund 656 Milliarden Euro.

Wachstum auf Kosten der anderen
Entgegen der Behauptung der Bundeskanzlerin sind gerade diese Handelsüberschüsse inzwischen für einen Großteil des deutschen Wirtschaftswachstums verantwortlich. Das Statistische Bundesamt ist jüngst dazu übergegangen, den sogenannten Außenbeitrag - das Saldo zwischen Exporten und Importen von Waren und Dienstleistungen - für der Konjunkturentwicklung zu publizieren. Im dritten Quartal 2012, in dem das BIP gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,4 Prozent zulegte, bildete der Außenbeitrag laut dem Bundesamt mit 1,4 Prozentpunkten den "treibenden Faktor des BIP". Mehr noch: Im gesamten vergangenen Jahr wäre die Bundesrepublik laut Auskunft des Statistischen Bundesamtes bereits in die Rezession gesunken, hätte es den extremen Konjunktureffekt des Außenbeitrags nicht gegeben. Bei langfristiger Betrachtung des Zeitraums zwischen 1970 und 2011 ergibt sich für die Bundesrepublik ein positiver Außenbeitrag von rund 13 Prozent - ein im internationalen Maßstab sehr hoher Wert: Japan etwa kommt auf einen Außenbeitrag von 7,3 Prozent, Italien sogar auf nur 2,4 Prozent. Die Vereinigten Staaten weisen im besagten Zeitraum sogar einen negativen Außenbeitrag von drei Prozent auf. Die exzessive Exportausrichtung der Bundesrepublik seit der Einführung des Euro kam vor allem bei der Konjunkturentwicklung zwischen 1999 und 2008 voll zum Vorschein: In dieser Zeit entfielen 47 Prozent des BIP-Wachstums auf den Außenbeitrag - also auf die Handelsüberschüsse. Den bisherigen Höhepunkt dieser Exzesse konnte das Statistische Bundesamt bei der Vorstellung des Wirtschaftswachstums von 1,7 Prozent im ersten Quartal 2012 vermelden, dessen Außenbeitrag sich auf 0,9 Prozent summierte. Dies bedeutet letztlich, dass knapp 60 Prozent des deutschen Wirtschaftswachstums durch Schuldenbildung im Ausland generiert werden. Ohne jede Übertreibung ist somit zu konstatieren, dass Deutschlands Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren größtenteils auf der Anhäufung von Schuldenbergen im Ausland beruhte.

Zuflucht zur Abwertung
Inzwischen bemühen sich immer mehr Staaten, die deutsche Strategie - das "Exportieren" der Krisenwidersprüche - durch Währungsabwertung zu kopieren. Hierdurch wird der von Soros befürchtete "Währungskrieg" gefördert. Zuletzt hat vor allem Japan mit der Ankündigung einer exzessiven Ausweitung der Geldmenge den Zorn Berlins auf sich gezogen: "Mir macht sehr viel Sorge, was die neue Politik der neu gewählten japanischen Regierung ist", äußerte etwa Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.[6] Kanzlerin Merkel erklärte in Davos, "nicht völlig ohne Sorge" bezüglich der japanischen Geldpolitik zu sein. Auch Bundesbank-Chef Jens Weidmann äußerte seine "Sorge" um die Unabhängigkeit der japanischen Notenbank.[7] Diese hatte jüngst angekündigt, ab 2014 zu einer Strategie zeitlich unbefristeter Aufkäufe von Staatsanleihen überzugehen. Staatspapiere im Volumen von umgerechnet 109 Milliarden Euro sollen im Rahmen dieses Programms aufgekauft werden - pro Monat.

Um jeden Preis
Dadurch soll der Yen vor allem gegenüber dem Euro abwerten. Europas Schuldenkrise hatte den Euro an den Rand des Abgrundes geführt, er verlor zeitweise massiv gegenüber anderen Währungsräumen an Wert. Deutschlands Exporte konnten so in den vergangenen Jahren gerade außerhalb der Eurozone massiv zulegen. Der Euro kostete etwa in der ersten Jahreshälfte 2008 rund 165 Yen, um dann krisenbedingt massiv abzuwerten und Anfang 2012 ein Kursverhältnis von weniger als 100 Yen zu erreichen. Hierdurch konnten deutsche Exporteure massive Vorteile gegenüber ihren japanischen Konkurrenten erzielen. Die Folge: Japan verzeichnete in den letzten beiden Jahren erstmals seit 1980 Handelsdefizite, die zudem durch Energieimporte nach der Natur- und Reaktorkatastrophe von Fukushima verschärft wurden. Die japanische Exportnation fuhr 2012 das größte Handelsdefizit ihrer Geschichte ein: Die Importe übertrafen die Ausfuhren um 6,93 Billionen Yen (rund 58 Milliarden Euro), wie das Finanzministerium jüngst mitteilte. Erst in den vergangenen Monaten gelang es, den Yen etwas zu schwächen; mittlerweile pendelt der Kurs zum Euro bei knapp 120 Yen. Die angekündigten Maßnahmen sollen die Abwertung beschleunigen, stoßen deshalb aber auf Protest in Berlin, das auf Exportgewinne versessen ist - um jeden Preis.
Quelle:http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58520

mfg
rutt

Dr Mittendrin
30.01.2013, 07:04
Sparen, naja, man kann nicht mehr ausgeben als einnehmen.

Währungskrieg ist das falsche.

Der wurde quasi schon gegen die Schweiz geführt.

Das Rezept heisst Renationalisierung.