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Vollständige Version anzeigen : Die Feuerüberfälle auf Tokio 1945: Aus japanischer Sicht



deckard
20.12.2012, 07:04
Die Feuerüberfälle auf Tokio 1945:
Aus japanischer Sicht
eyewitnesstohistory.com
18. Oktober 2012
Übersetzung Remo Santini

Der B-29-Superfortress-Bomber machte seinen ersten Aufritt über Tokio am 1. November 1944 – ein einzelnes, auf 35‘000 Fuss fliegendes Flugzeug; außerhalb der Reichweite der Flugabwehrkanonen und Kampfflugzeuge der Verteidiger. Der Eindringling warf keine Bomben ab. Dies war eine strikte Aufklärungsmission.

Die Superfortress kehrten Ende des Monats mit Gewalt zurück, auf einer Höhe fliegend, die ihnen Sicherheit vor den Angriffen der japanischen Verteidiger garantierte. Obwohl die große Höhe wie ein Schild für die Bomber wirkte, so verringerte sie doch auch die Genauigkeit und die Wirkung ihrer Bombenangriffe. Um diesen Missstand zu korrigieren befahl Generalmajor Curtis Lemay (neu bestellter Kommandeur des amerikanischen Bomberkommandos) eine dramatische Änderung der Taktik. Die Bomberangriffe würden in der Nacht geflogen werden, auf niedriger Höhe, und eine Mischung aus hochexplosiven und Brandbomben abwerfen. Das Ziel war, die eng zusammengebauten hölzernen Häuser und Gebäude, aus denen die japanischen Städte mehrheitlich bestanden, in rasende Infernos und letztendlich in die zerstörerischste aller Waffen zu verwandeln – in einen Feuersturm.

Die Alliierten waren dem Phänomen des Feuersturms das erste Mal begegnet, als die Briten im August 1943 die deutsche Stadt Hamburg bombardierten. Der Nachtangriff entzündete zahllose Feuer, die sich rasch zu einer unkontrollierbaren Flammenmasse vereinigten, so heiß, dass sie ihre eigene Selbsterhaltung und orkanartige Winde bewirkte und buchstäblich allen Sauerstoff aus der Luft aufsaugte, was ihre Opfer ersticken ließ. Lemay hoffte, diese Kraft ausnützen zu können, um die japanischen Städte dem Erdboden gleichzumachen. Tokio würde der erste Test sein.

Ein erfolgreiches Inbrandsetzen setzte ideales Wetter mit trockener Luft und erheblichem Wind voraus. Die Wetterberichte kündigten diese Bedingungen über Tokio für die Nacht vom 9. bis 10. März 1945 an. Eine Stärke von 334 B-29 wurde entfesselt – jedes Flugzeug war von der Munition für seine Maschinengewehre leergeräumt, um noch mehr Brandbomben laden zu können. Die Angreifer an der Spitze erreichten die Stadt, als es gerade Nacht geworden war und wurden von einer Todesprozession gefolgt, die bis zum Morgengrauen dauerte. Die von den ersten Angreifern entzündeten Feuer waren aus 150 Meilen Entfernung zu sehen. Die Resultate waren verheerend: nahezu 17 Quadratmeilen der Stadt waren zu Asche reduziert. Die Schätzungen der Anzahl der Getöteten reichen von 80‘000 bis 200‘000, was eine größere Zahl von Todesopfern ist, als jene als Folge der Atombombenabwürfe über Hiroshima oder Nagasaki sechs Monate später.

„Sie machten sich daran, mit einem Mal den Himmel mit Feuer zu bedecken.“

Robert Guillain war ein französischer Reporter, der 1938 nach Japan geschickt wurde. Er blieb weiterhin dort, nachdem in Europa der Krieg ausgebrochen war, und nach Japans Überfall auf Pearl Harbor blieb er in dem Land gefangen. Er kehrte 1946 nach Europa zurück und veröffentlichte ein Buch, worin er seine Erlebnisse erzählt. In der Nacht des 9. März 1945 weilte er in Tokio, als das feuchte Winterwetter sich überraschend veränderte und mit milden Temperaturen und stürmischen Winden aufwartete. Wir tauchen in seine Geschichte ein, als der Ton der Luftangriffsirenen die Nacht durchdringt und die ersten B-29 auftauchen:

„Sie machten sich daran, mit einem Mal den Himmel mit Feuer zu bedecken. Explosionen von Licht blitzten überall in der Dunkelheit, wie Christbäume, die ihre Dekorationen aus Flammen hoch in die Nacht heben, sie dann zurück auf die Erde fallen lassen, als pfeifende Bouquets von gezackten Flammen. Kaum eine Viertelstunde nach Beginn des Angriffs begann das Feuer, gepeitscht vom Wind, sich durch die dicht gedrängte hölzerne Stadt seinen Weg zu mähen.

Dieses Mal wieder, Glück gehabt – oder wohl eher wegen der methodischen Planung des amerikanischen Kommandos – ist meinem Stadtteil der direkte Angriff erspart geblieben. Ein riesiges Polarlicht erwuchs über den Quartieren näher zum Stadtzentrum hin, das offensichtlich von dem stufenweisen, Angriff über Angriff erfolgenden Abrollen des Bombenteppichs erreicht worden war. Das helle Licht vertrieb die Nacht, und da und dort waren die B-29 am Himmel sichtbar. Zum ersten Mal flogen sie tief oder in mittlerer Höhe auf gestaffelten Ebenen. Ihre langen, glänzenden Flügel, scharf wie Klingen, waren durch die schiefen, von der Stadt aufsteigenden Rauchsäulen zu sehen, gelegentlich das Feuer der unter ihnen liegenden Feuersbrunst reflektierend, schwarze, durch den feurigen Himmel gleitende Silhouetten, um dann weiter weg wieder aufzutauchen, golden glänzend gegenüber dem dunklen Himmelsdach oder glänzend blau wie Meteore in den Suchlichtstrahlen, die das Gewölbe von Horizont zu Horizont besprühten. Da war keine Frage, bei einem solchen Angriff in einem verwinkelten, undurchsichtigen Untergrund, konnte man lebend geröstet werden, bevor man wusste, was geschah. Alle Japaner in den Gärten neben meinem waren vor die Türe getreten oder schauten aus ihren Löchern, Schreie der Bewunderung von sich gebend – dies war typisch japanisch – über dieses grandiose, fast theatralische Schauspiel.

Die Bomben fielen nun weiter weg, jenseits des Hügels, der meinen Horizont begrenzte. Aber der immer noch stürmische Wind begann, brennende Trümmer herbeizufegen, die vom entflammten Himmel herunterfielen. Die Luft war erfüllt von glühenden Funken, dann von brennenden Holzteilchen und Papierfetzen, bis es dann bald Feuer regnete. Man musste ständig von der Terrasse zum Garten und ums Haus herumrennen, um nach Feuer Ausschau zu halten und Brände zu löschen. Weit weg explodierten Streubomben und fielen in Wellenlinien auf die Stadt. Manchmal, wahrscheinlich wenn brennbare Flüssigkeiten entzündet wurden, sahen die Bombenexplosionen wie flammendes Haar aus. Da und dort sandten die roten Feuerstöße der Flugabwehr gestrichelte rote Linien in den Himmel, aber die Verteidigung war unwirksam, und die großen, in loser Formation fliegenden B-29 schienen ungestört ihr Werk zu tun. Gelegentlich wurde der Himmel leer; die Flugzeuge verschwanden. Aber neue Wellen, zum Voraus durch die heisere aber immer noch zuversichtliche Radiostimme angekündigt, kamen bald, um die Nacht zu beanspruchen, und das schreckliche Pfingsten setzte sich fort. In der Nähe stiegen Flammen hoch – es war schwierig zu sagen wie nahe –, in Richtung des Hügels, wo mein Quartier endet. Ich konnte sehen, wie sie sich im Wind ineinander verwickelten, vor dem schwarzen Hintergrund der Dächer; dunkle Trümmerteilchen wirbelten im Sturm über mir.“

„Die Hölle hätte nicht heißer sein können.“

Das Hauptziel der Bomber war das der Stadt benachbarte Industrieviertel, das Fabriken, Docks und die Wohnhäuser der Arbeiter beherbergte, die die Arbeitskraft für Japans Kriegsindustrie lieferten. Das Viertel schmiegte sich an die Tokio-Bucht und war dicht gepackt mit Wohnhäusern aus Holz, die an gewundenen, einfach wahllosen Pfaden folgenden Straßen lagen – alles nötige Beigaben zur Schaffung eines perfekten Feuersturms.

„So um Mitternacht warfen die ersten Superfortress Hunderte Ballen von brandauslösenden Zylindern ab, welche die Leute ‚Molotovs Blumenkörbe‘ nannten, die die Zielzone mit vier oder fünf großen Feuern markierten. Die nachkommenden Flugzeuge, tiefer fliegend, umflogen und durchkreuzten wiederholt das Gebiet und ließen riesige Feuerringe hinter sich. Bald schon kamen die nächsten Wellen heran, um ihre Brandbomben innerhalb der Markierungskreise abzuwerfen. Die Hölle hätte nicht heißer sein können

Die Bewohner blieben heroisch stehen, als die Bomben fielen, getreulich dem Befehl folgend, dass jede Familie ihr Haus verteidigen solle. Aber wie hätten sie die Feuer bekämpfen können, bei dem starken Wind und wenn ein einzelnes Haus von bis zehn oder noch mehr von den Bomben getroffen werden konnte, jede 6,6 Pfund wiegend und die zu Tausenden herunterregneten? Beim Fallen verschleuderten die Zylinder eine Art von aufflammendem Tau, der den Dächern entlang rutschte und alles, worauf er fiel in Brand setzte und sturmwellenartig tanzende Flammen überall verstreute – die erste Version von Napalm, von düsterem Ruf. Die kärglichen Abwehrmaßnahmen jener Tausende von Amateurfeuerwehrleuten – schwache Strahlen von handgepumptem Wasser, nasse Matten und Sand, um sie auf die Bomben zu werfen, wenn es einem gelang, nahe genug an ihre schreckliche Hitze zu kommen, waren völlig ungenügend. Die Dächer brachen unter dem Bombeneinschlag zusammen, und innert Minuten standen die zerbrechlichen Häuser aus Holz und Papier in Flammen, von innen beleuchtet wie Papierlaternen. Der mit der Kraft eines Hurrikans blasende Wind jagte riesige Klumpen von Feuer in die Luft und trug brennende Bretter durch die Luft, die auf die Menschen fielen und alles, was sie berührten, in Flammen setzten. Flammen von einer entfernten Häusergruppe sprangen plötzlich nah neben einen, mit der Geschwindigkeit eines Waldbrandes.

Dann verließen schreiende Familien ihre Häuser; manchmal waren die Frauen bereits gegangen, ihre Babies mit sich tragend und Körbe oder Matratzen nachziehend. Zu spät: Der Feuerkreis hatte ihre Straße unterbrochen. Früher oder später war jedermann vom Feuer eingeschlossen.

Die Polizei war da und auch Abteilungen von hilflosen Feuerwehrleuten, die für eine Weile versuchten, die fliehenden Massen zu kontrollieren, indem sie sie in Richtung von geschwärzten Lücken lenkten, wo frühere Feuer manchmal eine Passage gebrannt hatten. An den raren Orten, wo die Feuerspritzen arbeiteten – in den meisten Leitungen war das Wasser knapp und der Druck gering – durchnässten die Feuerwehrleute die rennenden Massen, damit sie die Flammenbarrieren durchqueren konnten. Anderswo tauchten sich die Leute selbst in die Wassertonnen, die vor jedem Haus standen, bevor sie weitergingen. Eine Schuttschicht und sonstige Hindernisse blockierten ihren Weg; Telegraphenmaste und Oberleitungsdrähte, die ein dichtes Netz in Tokio bildeten, fielen in einem Gewirr auf die Straßen.

In dem dichten Rauch, wo der Wind so heiß war, dass er die Lungen versengte, kämpften die Menschen, um dann plötzlich, da wo sie standen, in Flammen aufzugehen. Die feurige Luft wurde nach unten in Richtung Erdboden geblasen, und so geschah es oft, dass zuerst die Füße der Flüchtenden anfingen zu brennen: die Wickelgamaschen der Männer und die Hosen der Frauen fingen Feuer und entzündeten den Rest ihrer Kleidung.

Eigentliche Kleidung bei Luftangriffen, wie sie von der Regierung für die Zivilbevölkerung empfohlen wurde, bestand aus einer dick wattierten Kapuze vom Kopf bis über die Schultern, von der man annahm, sie würde hauptsächlich die Ohren der Menschen vor dem Druck der Bombenexplosionen schützen, und das war alles. Aber während Monaten wurden über Tokio vor allem Brandbomben abgeworfen. Die Kapuzen entzündeten sich unter dem Funkenregen; Leute, die nicht von den Füßen her anfingen zu brennen, brannten vom Kopf her nach unten. Mütter, die ihre Babies nach japanischer Art auf dem Rücken trugen, entdeckten oft zu spät, dass die das Kind einwickelnden Tücher Feuer gefangen hatten. Flüchtlinge, sich an ihre Gepäcke klammernd, drängten sich auf den wenigen freien Plätzen zusammen – Straßenkreuzungen, Gärten und Parks –, aber die Bündel fingen noch schneller als die Kleidung Feuer, und die dicht gedrängte Menge verbrannte von innen her.

Hunderte von Menschen gaben es auf zu fliehen und kletterten, mit oder ohne ihre wertvollen Bündel, in die Löcher, die als Unterstände dienten; ihre verkohlten Körper wurden nach dem Angriff gefunden. Ganze Familien kamen in den Löchern um, die sie unter ihren Holzhäusern gegraben hatten, denn in jenen überbevölkerten Bienenkörben der Armen war richtiger Schutzraum selten. Die Häuser würden zusammenbrechen und über ihren Köpfen verbrennen, wobei sie in ihren Löchern geschmort würden.

Die Feuerfront bewegte sich so schnell vorwärts, dass die Polizei oft keine Zeit hatte, bedrohte Blocks zu evakuieren, auch wenn ein Weg offen war. Und der Wind, der Trümmerteile von weither herantrug, pflanzte ständig neue Brandherde an unerwarteten Orten. Feuerwehrmänner aus den anderen Teilen der Stadt versuchten, in das Inferno einzudringen oder es in seinen eigenen Grenzen zu halten. Aber sie konnten sich ihm nicht nähern, außer sie wären drum herum gegangen, in die Windrichtung, und dort wären ihre Anstrengungen sinnlos gewesen, denn es war bereits alles verbrannt. Es geschah dieselbe Sache, die schon während dem großen Brand von 1923 die Stadt terrorisiert hatte: …angetrieben durch den Wind und den gigantischen Feuerodem schoben sich riesige glühende Strudel über viele Orte, in ihrem Mahlstrom von Feuer ganze Häuserzeilen herumwirbelnd, flachdrückend, absorbierend.