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Vollständige Version anzeigen : Der deutsche Archetyp...



Parker
10.09.2012, 11:22
... gibt's den eigentlich? Wo könnten wir ihn suchen, damit wir endlich mal wissen, was das eigentlich heißt, 'deutsch'?

Ich behaupte, es gibt ihn. Nicht als reale Person, deshalb steht das hier auch nicht im Geschichtsforum, wohin ich es zunächst packen wollte. Der deutscheste aller Deutschen ist nämlich eine literarische Figur. Strenggenommen ist nichtmal von einem Deutschen im eigentlichen Sinne die Rede, aber das verzeihe ich ihm gern. Immerhin gab es 'Deutsche' zu seiner Zeit noch gar nicht und er ist immerhin der Prototyp, dem es nachzueifern gilt.

Wir finden ihn, nicht schwer zu erraten, im Nibelungenlied. Allerdings ist nicht von Siegfried die Rede. Strenggenommen ein Söldner, ein Lügner, ein Weiberheld, der die Ehe verspricht und dann eine andere nimmt, weil das lohnender ist, ein Schwätzer, der nicht weiß, wann es Zeit ist, den Mund zu halten. Als wäre das nicht genug, dann auch noch die Beihilfe zu einer zünftigen Vergewaltigung. Beim besten Willen nicht.

Der Mann von dem ich rede, ist natürlich der Bösewicht in der Geschichte (wie sollte es anders sein, es geht um DEN deutschen Prototyp), oder nennen wir ihn lieber den scheinbaren Bösewicht. Die Rede ist natürlich vom finsteren Hagen von Tronje.

Dem Mann wurde 1000 jahre und länger bitter Unrecht getan. Was macht ihn eigentlich zum Bösewicht? Die Ermordung Siegfrieds. Der Tat mangelt es allerdings an einigem, was eine ordnungsgemäße Böswichtbosheit ausmachen sollte. Niedertracht? Könnte man meinen. Allerdings bleibt ihm gar keine andere Möglichkeit, da der Mann ja nun, was nicht ganz fair ist, weitgehend unverwundbar ist. Spaß hat er jedenfalls nicht daran. Er bereichert sich auch nicht, jedenfalls nicht persönlich. Hagen tut, was er tun muß, für seinen König und für sein Land. Versaut hat die Geschichte nämlich Siegfried selbst, indem er vor seiner Frau damit prahlt, wie er ihrem Bruder dabei half, dessen Frau, seinen eigenen ehemaligen Schwarm, zu vergewaltigen. Da die holde Gattin auch nicht die Klappe halten kann und empathisch genug ist, das Vergewaltigungsopfer auch noch damit zu verspotten, daß es vergewaltigt wurde, geht es nun buchstäblich um die Existenz des Königreichs Burgund. Der hat sich aber Hagen mit Leib und Seele verpflichtet. Er hat gar keine andere Wahl, als Siegfried zu töten und tut das eben auf die einzige Art, auf die das überhaupt möglich ist. Ein Blick auf Hagens persönliche Geschichte macht deutlich, daß ihm ein fairer Kampf weit lieber gewesen wäre. Ein Feigling ist er nämlich nicht. Das Auge hat er verloren im Zweikampf mit einem der größten Helden der deutschgermanischen Sagenwelt seiner Tage, der dabei seinerseits eine hand einbüßte.

Siegfried ist tot, seine Witwe, des Königs Schwester hat sich davongemacht und ist nun die Frau Etzels, des fürchterlichsten Feindes, den man in dieser Welt haben kann. Sie lädt ihre Brüder ein an den Hof des Hunnen. Hagen ist kein Idiot. Im Gegenteil, er ist mit einigem Abstand der hellste Kopf, den wir in diesem Teil der germanischen Mythologie finden werden. Er weiß nur zu gut, worauf das hinauslaufen wird. Bedauerlicherweise ist aber Gunther ein Idiot und auf Gunther kommt es an.
Gunther nimmt die Einladung an. Hagen weiß, daß sie nur ausgesprochen wurde, um die Burgunder in einen Hinterhalt zu locken. Er weiß, wer zu den Hunnen gehen wird, der wird nicht zurückkommen. Aber Hagen weiß noch etwas. Nach Siegfrieds Tod ist sein Schwert die schärfste Klinge, die an Gunthers Seite geschwungen wird. Er ist Gunther verpflichtet. Seine Ehre verlangt es, an Gunthers Seite zu sein, wenn der sich in Gefahr begibt. Wir erinnern uns, er ist kein Idiot. Ihm ist klar, daß er seinen König nicht wird retten können. Der wird sicher sterben. Die Frage ist nur, ob Hagen dann an seiner Seite sein wird.

Hagen ist kein Deutscher wie... lassen wir das, dem in einem solchen Fall das Hemd näher ist als der Rock. Hagen ist ein Mann, dem absolut nichts über seine Ehre geht. Seine Ehre aber bedeutet für ihn nicht das Privileg niedergeborenen Weibern an den Hintern fassen zu dürfen. Die läßt sich im Wesentlichen auf ein einziges Wort reduzieren: Pflicht.
Er zieht es gar nicht erst in Erwägung, sich zu drücken. Er reitet sehenden Auges in den sicheren Tod, weil es für ihn keine Alternative gibt.

Wer nicht begreift, daß Hagen gar nicht anders handeln kann, wer es für eine Dummheit hält, wie er handelt, der hat kein deutsches Herz in der Brust.

Die Geschichte hat noch eine ganz besondere Schlußpointe, wie sie auch deutscher nicht sein könnte. Der Inbegriff des Deutschen stirbt durch die Hand einer Frau, für die er selbst jederzeit sein Leben hergegeben hätte.

Als Lektüre empfehle ich 'Wodans Fluch', einen Roman von 'Rheingold'-Autor Stephan Grundy, der die Nibelungensage aus Sicht des einäugigen Tronjers erzählt, der hier auch, mißtrauisch das aufkommende Christentum beäugend, als einer der letzten Bewahrer des alten Glaubens auftritt.

Andere Vorschläge für den deutschen Archetypen werden gern entgegengenommen.

-jmw-
13.09.2012, 13:01
http://facebooklet.de/wp-content/uploads/2010/11/gef%C3%A4llt-mir-300x197.jpg

Feldmann
17.09.2012, 15:16
Ist der deutsche Archetyp, denn nicht der "Michel"?

http://www.nachdenkagentur.de/wp-content/uploads/2012/08/DeutscherMichel.jpg