Nachbar
28.05.2012, 21:20
Nachbar6146
Günter hat ein neues Gedicht geschrieben:
Europas Schande
Ein Gedicht von Günter Grass
Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht,
bist fern Du dem Land, das die Wiege Dir lieh.
Was mit der Seele gesucht, gefunden Dir galt,
wird abgetan nun, unter Schrottwert taxiert.
Als Schuldner nackt an den Pranger gestellt, leidet ein Land,
dem Dank zu schulden Dir Redensart war.
Zur Armut verurteiltes Land, dessen Reichtum
gepflegt Museen schmückt: von Dir gehütete Beute.
Die mit der Waffen Gewalt das inselgesegnete Land
heimgesucht, trugen zur Uniform Hölderlin im Tornister.
Kaum noch geduldetes Land, dessen Obristen von Dir
einst als Bündnispartner geduldet wurden.
Rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht
den Gürtel enger und enger schnallt.
Dir trotzend trägt Antigone Schwarz und landesweit
kleidet Trauer das Volk, dessen Gast Du gewesen.
Außer Landes jedoch hat dem Krösus verwandtes Gefolge
alles, was gülden glänzt gehortet in Deinen Tresoren.
Sauf endlich, sauf! schreien der Kommissare Claqueure,
doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück.
Verfluchen im Chor, was eigen Dir ist, werden die Götter,
deren Olymp zu enteignen Dein Wille verlangt.
Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land,
dessen Geist Dich, Europa, erdachte.
Das Gedicht, das an diesem Samstag in der „Süddeutschen Zeitung“ erscheint, trägt den Titel „Europas Schande“. Grass beklagt darin, dass Griechenland „als Schuldner nackt an den Pranger gestellt“ und „unter Schrottwert taxiert“ werde. Es sei ein „rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht den Gürtel enger und enger schnallt“.
Grass spielt auf die deutsche Besatzung Griechenlands an
Der Autor beklagt, dass Griechenland zur Armut verurteilt sei, ein „kaum noch geduldetes Land“. Europa wirft er vor, dem Land den Giftbecher zu trinken zu geben: „Sauf endlich, sauf! schreien der Kommissare Claqueure, doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück“, schreibt Grass unter Anspielung auf den griechischen Philosophen Sokrates, der nach einem Todesurteil den Schierlingsbecher getrunken hatte.
Grass spielt offenbar auch auf die deutsche Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg an: Diejenigen, die das Land mit Waffengewalt heimgesucht hätten, „trugen zur Uniform Hölderlin im Tornister“. Zum Schluss warnt der Dichter Europa vor einem Götterfluch und mahnt: „Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land, dessen Geist Dich, Europa erdachte.“
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/neues-grass-gedicht-zwoelf-strophen-europas-schande-11764252.html
ht tp://www.faz.net/aktuell/feuilleton/neues-grass-gedicht-zwoelf-strophen-europas-schande-11764252.html
Günter hat ein neues Gedicht geschrieben:
Europas Schande
Ein Gedicht von Günter Grass
Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht,
bist fern Du dem Land, das die Wiege Dir lieh.
Was mit der Seele gesucht, gefunden Dir galt,
wird abgetan nun, unter Schrottwert taxiert.
Als Schuldner nackt an den Pranger gestellt, leidet ein Land,
dem Dank zu schulden Dir Redensart war.
Zur Armut verurteiltes Land, dessen Reichtum
gepflegt Museen schmückt: von Dir gehütete Beute.
Die mit der Waffen Gewalt das inselgesegnete Land
heimgesucht, trugen zur Uniform Hölderlin im Tornister.
Kaum noch geduldetes Land, dessen Obristen von Dir
einst als Bündnispartner geduldet wurden.
Rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht
den Gürtel enger und enger schnallt.
Dir trotzend trägt Antigone Schwarz und landesweit
kleidet Trauer das Volk, dessen Gast Du gewesen.
Außer Landes jedoch hat dem Krösus verwandtes Gefolge
alles, was gülden glänzt gehortet in Deinen Tresoren.
Sauf endlich, sauf! schreien der Kommissare Claqueure,
doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück.
Verfluchen im Chor, was eigen Dir ist, werden die Götter,
deren Olymp zu enteignen Dein Wille verlangt.
Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land,
dessen Geist Dich, Europa, erdachte.
Das Gedicht, das an diesem Samstag in der „Süddeutschen Zeitung“ erscheint, trägt den Titel „Europas Schande“. Grass beklagt darin, dass Griechenland „als Schuldner nackt an den Pranger gestellt“ und „unter Schrottwert taxiert“ werde. Es sei ein „rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht den Gürtel enger und enger schnallt“.
Grass spielt auf die deutsche Besatzung Griechenlands an
Der Autor beklagt, dass Griechenland zur Armut verurteilt sei, ein „kaum noch geduldetes Land“. Europa wirft er vor, dem Land den Giftbecher zu trinken zu geben: „Sauf endlich, sauf! schreien der Kommissare Claqueure, doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück“, schreibt Grass unter Anspielung auf den griechischen Philosophen Sokrates, der nach einem Todesurteil den Schierlingsbecher getrunken hatte.
Grass spielt offenbar auch auf die deutsche Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg an: Diejenigen, die das Land mit Waffengewalt heimgesucht hätten, „trugen zur Uniform Hölderlin im Tornister“. Zum Schluss warnt der Dichter Europa vor einem Götterfluch und mahnt: „Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land, dessen Geist Dich, Europa erdachte.“
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/neues-grass-gedicht-zwoelf-strophen-europas-schande-11764252.html
ht tp://www.faz.net/aktuell/feuilleton/neues-grass-gedicht-zwoelf-strophen-europas-schande-11764252.html