Felix Krull
12.05.2012, 23:46
Abstieg in Dortmund
11.05.2012
Arbeitslosigkeit, Armut, Drogen und Gewalt: Die Dortmunder Nordstadt hat alle Probleme, die ein Viertel auch nur haben kann. Mitten in der Stadt, die als „Herzkammer der Sozialdemokratie“ gilt, bekommt die SPD die sozialen Schwierigkeiten nicht in den Griff.
Es riecht nach Urin. Sehr stark sogar. Genaugenommen stinkt es wie in einer öffentlichen Toilette, die seit Wochen nicht geputzt wurde. Seltsamerweise gibt es hier in der Dortmunder Nordstadt, in diesem Teil der Anne-Frank-Gesamtschule, aber keine Toilette. „Am Wochenende wird hier gesoffen und in die Ecke gepinkelt“, erklärt Schulleiter Johannes Köppen das Rätsel. „Die Hausmeister spritzen das regelmäßig weg, aber eben nicht ständig.“
Köppen hat sich an den Gestank gewöhnt, sein Direktorzimmer ist keine 20 Meter entfernt. Außerdem hat er noch ganz andere Probleme. Die Zusammensetzung seiner Schülerschaft zum Beispiel. Von den 820 Kindern besitzen nur 332 einen deutschen Pass. Und auch unter diesen stammt mehr als jedes zweite aus einer Einwandererfamilie. Schulleiter Köppen schätzt den Anteil seiner Schüler mit Migrationshintergrund insgesamt auf „mehr als 80 Prozent“.
Schulverweigerer, Kriminelle und Verwahrloste
Das stelle die Lehranstalt schon bei der Einschulung vor ernste Probleme, berichtet der Direktor. Beispielsweise habe er sich früher darum bemüht, dass in einer Klasse jeder zweite Schüler Muttersprachler ist. „Dieser Wert ist heute von den Anmeldezahlen überhaupt nicht mehr aufrechtzuerhalten“, klagt er. Auch bilde er aufgrund der Zeugnisnoten „Töpfe“ mit guten, mittleren und schwachen Schülern und verteile diese gleichmäßig auf die fünften Klassen. Leider habe er in diesem Jahr nur zwei oder drei von 93 Schülern im guten Topf gehabt. „Und wenn man nur schwache Schüler hat, ist es schwierig, sie zu motivieren.“ Schwierigkeiten mit Drogen oder übermäßiger Gewalt gebe es an seiner Schule nicht, betont Köppen. „Aber es gibt Schulverweigerer, Kriminelle und Verwahrloste. Wir haben die ganze Palette. Und wenn wir dann manchmal die Eltern sehen, wissen wir auch, warum.“ [...]
Jeder Dritte lebt von Hartz IV
Das stimmt: Der Bezirk ist der einzige in Dortmund, in dem mehr Menschen geboren werden als sterben. Nirgendwo ist der Anteil Minderjähriger höher als hier. Was die Statistik angeht, sind das aber auch die einzigen erfreulichen Zahlen. Die anderen Kennziffern sind ernüchternd. Nach Angaben der Kommune haben zwei Drittel der 52.500 Einwohner des Viertels Migrationshintergrund. Mehr als jeder dritte Einwohner lebt von Hartz IV. Die Arbeitslosenquote beträgt rund 25 Prozent. Das ist doppelt so viel wie im Durchschnitt der Stadt und sogar 3 Prozentpunkte mehr als im taumelnden Griechenland. Auch die Kriminalitätsrate ist zweimal höher als im Rest der Stadt.
„Wir haben ein Problem mit dem Milieu, mit der Zusammensetzung der Bevölkerung hier“, sagt Polizeirätin Claudia Kretschmann-Schepanski. Sie leitet derzeit die Polizei-Inspektion 2, die für die Nordstadt zuständig ist. Die Probleme des Viertels vermittelt sie mit Hilfe einer Computer-Präsentation. In den Folien werden vier Kernprobleme genannt: öffentlicher Alkoholkonsum, Prostitution, Vermüllung und Kriminalität, insbesondere harte Drogen. Diese vier werden wiederum in etliche Subprobleme unterteilt und mit Fotos veranschaulicht. Nach rund einer Stunde Vortrag steht fest: Die Schließung eines Straßenstrichs, auf dem bis zu 150 Prostituierte gleichzeitig arbeiteten, hat das Problem weitgehend beseitigt. Die anderen drei bestehen mehr oder weniger unvermindert fort. „Unsere Arbeit hier ist ein Kampf gegen Windmühlen“, sagt Kretschmann-Schepanski. „Solange sich die Nordstadt infrastrukturell nicht gravierend ändert, wird sich auch an unserer Arbeit nicht viel ändern.“
Als Polizeirätin will sie keine politischen Ratschläge geben. Das holen zwei ihrer Kollegen anonym nach, die in der Nordstadt patrouillieren. Der eine schlägt vor, dass die Stadt Häuser kauft und renoviert, um andere Mieter ins Viertel zu holen. Auch müsse der Oberbürgermeister viele Wettbüros und dubiose Gaststätten schließen lassen, die nicht selten als Drogenlager genutzt würden. Der andere Kollege empfiehlt Drastisches: „Im Grunde müsste man den ganzen Block wegbomben und wieder aufbauen.“ [...]
Quelle (http://referer.us/www.faz.net/aktuell/wirtschaft/sozialpolitik-abstieg-in-dortmund-11747906.html)
Deutschland schafft sich ab!
11.05.2012
Arbeitslosigkeit, Armut, Drogen und Gewalt: Die Dortmunder Nordstadt hat alle Probleme, die ein Viertel auch nur haben kann. Mitten in der Stadt, die als „Herzkammer der Sozialdemokratie“ gilt, bekommt die SPD die sozialen Schwierigkeiten nicht in den Griff.
Es riecht nach Urin. Sehr stark sogar. Genaugenommen stinkt es wie in einer öffentlichen Toilette, die seit Wochen nicht geputzt wurde. Seltsamerweise gibt es hier in der Dortmunder Nordstadt, in diesem Teil der Anne-Frank-Gesamtschule, aber keine Toilette. „Am Wochenende wird hier gesoffen und in die Ecke gepinkelt“, erklärt Schulleiter Johannes Köppen das Rätsel. „Die Hausmeister spritzen das regelmäßig weg, aber eben nicht ständig.“
Köppen hat sich an den Gestank gewöhnt, sein Direktorzimmer ist keine 20 Meter entfernt. Außerdem hat er noch ganz andere Probleme. Die Zusammensetzung seiner Schülerschaft zum Beispiel. Von den 820 Kindern besitzen nur 332 einen deutschen Pass. Und auch unter diesen stammt mehr als jedes zweite aus einer Einwandererfamilie. Schulleiter Köppen schätzt den Anteil seiner Schüler mit Migrationshintergrund insgesamt auf „mehr als 80 Prozent“.
Schulverweigerer, Kriminelle und Verwahrloste
Das stelle die Lehranstalt schon bei der Einschulung vor ernste Probleme, berichtet der Direktor. Beispielsweise habe er sich früher darum bemüht, dass in einer Klasse jeder zweite Schüler Muttersprachler ist. „Dieser Wert ist heute von den Anmeldezahlen überhaupt nicht mehr aufrechtzuerhalten“, klagt er. Auch bilde er aufgrund der Zeugnisnoten „Töpfe“ mit guten, mittleren und schwachen Schülern und verteile diese gleichmäßig auf die fünften Klassen. Leider habe er in diesem Jahr nur zwei oder drei von 93 Schülern im guten Topf gehabt. „Und wenn man nur schwache Schüler hat, ist es schwierig, sie zu motivieren.“ Schwierigkeiten mit Drogen oder übermäßiger Gewalt gebe es an seiner Schule nicht, betont Köppen. „Aber es gibt Schulverweigerer, Kriminelle und Verwahrloste. Wir haben die ganze Palette. Und wenn wir dann manchmal die Eltern sehen, wissen wir auch, warum.“ [...]
Jeder Dritte lebt von Hartz IV
Das stimmt: Der Bezirk ist der einzige in Dortmund, in dem mehr Menschen geboren werden als sterben. Nirgendwo ist der Anteil Minderjähriger höher als hier. Was die Statistik angeht, sind das aber auch die einzigen erfreulichen Zahlen. Die anderen Kennziffern sind ernüchternd. Nach Angaben der Kommune haben zwei Drittel der 52.500 Einwohner des Viertels Migrationshintergrund. Mehr als jeder dritte Einwohner lebt von Hartz IV. Die Arbeitslosenquote beträgt rund 25 Prozent. Das ist doppelt so viel wie im Durchschnitt der Stadt und sogar 3 Prozentpunkte mehr als im taumelnden Griechenland. Auch die Kriminalitätsrate ist zweimal höher als im Rest der Stadt.
„Wir haben ein Problem mit dem Milieu, mit der Zusammensetzung der Bevölkerung hier“, sagt Polizeirätin Claudia Kretschmann-Schepanski. Sie leitet derzeit die Polizei-Inspektion 2, die für die Nordstadt zuständig ist. Die Probleme des Viertels vermittelt sie mit Hilfe einer Computer-Präsentation. In den Folien werden vier Kernprobleme genannt: öffentlicher Alkoholkonsum, Prostitution, Vermüllung und Kriminalität, insbesondere harte Drogen. Diese vier werden wiederum in etliche Subprobleme unterteilt und mit Fotos veranschaulicht. Nach rund einer Stunde Vortrag steht fest: Die Schließung eines Straßenstrichs, auf dem bis zu 150 Prostituierte gleichzeitig arbeiteten, hat das Problem weitgehend beseitigt. Die anderen drei bestehen mehr oder weniger unvermindert fort. „Unsere Arbeit hier ist ein Kampf gegen Windmühlen“, sagt Kretschmann-Schepanski. „Solange sich die Nordstadt infrastrukturell nicht gravierend ändert, wird sich auch an unserer Arbeit nicht viel ändern.“
Als Polizeirätin will sie keine politischen Ratschläge geben. Das holen zwei ihrer Kollegen anonym nach, die in der Nordstadt patrouillieren. Der eine schlägt vor, dass die Stadt Häuser kauft und renoviert, um andere Mieter ins Viertel zu holen. Auch müsse der Oberbürgermeister viele Wettbüros und dubiose Gaststätten schließen lassen, die nicht selten als Drogenlager genutzt würden. Der andere Kollege empfiehlt Drastisches: „Im Grunde müsste man den ganzen Block wegbomben und wieder aufbauen.“ [...]
Quelle (http://referer.us/www.faz.net/aktuell/wirtschaft/sozialpolitik-abstieg-in-dortmund-11747906.html)
Deutschland schafft sich ab!