Elmo allein zu Hause
23.12.2011, 10:19
Französisches Genozid-Gesetz
Ankara warnt Paris vor Handelskrieg
Von Jürgen Gottschlich, Istanbul
Die Stimmung ist schon vergiftet, Handelsbeschränkungen könnten folgen: Die Türkei droht mit Wirtschaftssanktionen, sollte der französische Senat das Verbot zur Leugnung des Völkermordes an den Armeniern bestätigen. Besonders hart würden die Maßnahmen Airbus treffen.
Vor dem französischen Konsulat in der Istanbuler Fußgängerzone ist Bereitschaftspolizei aufgezogen. Auf den ersten Blick weiß man nicht, ob die Vertretung geschützt oder abgeriegelt werden soll. Doch schon nach kurzer Zeit löst sich die Polizeiformation wieder auf. Zwar stehen ein paar Neugierige herum, aber anders als in Paris, wo im Verlauf der Parlamentsdebatte Tausende türkische Migranten vor der französischen Nationalversammlung demonstrierten, bleibt es in Istanbul ruhig.
Doch das politische Establishment des Landes ist, genauso wie ein Großteil der öffentlichen Meinung, schwer empört. Der heute Nachmittag in Paris von der Nationalversammlung verabschiedete Beschluss,, mit dem die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 im damaligen Osmanischen Reich unter Strafe gestellt wird, wird nahezu von allen politischen Parteien und den großen Medien des Landes als reiner Affront empfunden. Die offizielle Türkei lehnt es kategorisch ab, die Vertreibung und Massakrierung der damaligen armenischen Minderheit als Völkermord zu benennen.
Auch Ministerpräsident Tayyip Erdogan hob in seiner ersten Reaktion am späten Nachmittag vor allem die Verletzungen hervor, die Frankreich der Türkei damit zugefügt habe. "Mehr als hundert Jahre guter Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern wurden für ein Wahlkampfmanöver geopfert", sagte er im Beisein des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, der gerade zu einem Staatsbesuch in Ankara eingetroffen ist. Um seines persönlichen Ehrgeizes willen habe Präsident Nicolas Sarkozy die Türkenfeindlichkeit in Europa damit weiter angeheizt und "die Grundlagen der freien Meinungsäußerung in Frankreich abgeschafft".
Erdogan wirkte bei seinem Auftritt ruhig und beherrscht, es schien jedoch, als habe er gehofft, dass das französische Parlament die Abstimmung über das Gesetz absetzen oder mindestens verschieben würde. Besonders bestürzt zeigte er sich darüber, dass noch nicht einmal ein Zehntel der Abgeordneten des Parlaments bei der Debatte und Abstimmung anwesend waren. "Gerade einmal 50 von 570 Abgeordneten der französischen Nationalversammlung sind erschienen, das zeigt den Unernst der Auseinandersetzung", klagte Erdogan.
Der Europaminister mobilisiert für einen Boykott französischer Waren
Erdogan und andere öffentlichen Stimmen in der Türkei gehen davon aus, dass das Gesetz lediglich dazu dienen soll, die 500.000 armenischstämmigen Wähler in Frankreich für Sarkozy zu mobilisieren. Aus ihrer Sicht wurden die Einwände eines angeblichen befreundeten Staates "leichtfertig und aus durchsichtigen wahltaktischen Gründen" von Frankreich hinweggewischt.
So werden wohl weniger die von Erdogan angekündigten Gegenmaßnahmen als die in der Türkei empfundene französische Arroganz das Verhältnis zwischen Ankara und Paris beschädigen. Und nicht nur dieses. Für viele Türken, die von der Haltung der EU sowieso enttäuscht sind, ist das Gesetz ein neuer Beweis für die Ablehnung der Türken in Europa und im Westen insgesamt.
Alles was Erdogan ansonsten ankündigte, hat eher symbolischen Charakter: Die Aufkündigung der Militärbeziehungen bedeuten, dass keine gemeinsamen Manöver mit Frankreich mehr abgehalten werden sollen. Darüber hinaus darf die französische Marine keine türkischen Häfen mehr anlaufen, und französischen Militärfliegern werden die normalerweise pauschal immer für ein Jahr genehmigten Überflugrechte im türkischen Luftraum gestrichen - zukünftig muss jeder Flug einzeln beantragt und genehmigt werden. Der türkische Botschafter ist zu Konsultationen nach Ankara zurückgerufen worden, was jedoch noch nicht den Abbruch der diplomatischen Beziehungen bedeutet.
Dennoch: Alle bilateralen politischen Treffen wurden auf Eis gelegt. Betroffen davon sind vor allem Absprachen über ein gemeinsames Vorgehen gegenüber Syrien. Frankreichs Außenminister Alain Juppé hatte in den letzten Wochen etliche Treffen mit seinem türkischen Kollegen Ahmet Davutoglu, um eine gemeinsame Position gegen das Assad-Regime zu entwickeln.
Für beide Länder steht viel auf dem Spiel
Und Erdogan machte deutlich, dass diese Maßnahmen nur einen ersten Schritt darstellen. Sollte der französische Senat das Gesetz bestätigen und ihm damit Rechtskraft verleihen, ist Ankara offenbar bereit, auch ans Eingemachte zu gehen. Ganz oben auf der Sanktionsliste stehen die umfangreichen Bestellungen von Airbusfliegern durch die staatliche türkische Fluggesellschaft Turkish Airlines. Eine Rücknahme würde die französische Wirtschaft empfindlich treffen. Und Europaminister Egeman Bagis mobilisiert bereits jetzt für einen Boykott französischer Waren.
Sollte die Türkei nach den politischen Beziehungen tatsächlich auch die Handelsbeziehungen einfrieren, stünde für beide Länder viel auf dem Spiel. Die Türkei belegt auf der Liste der wichtigsten Länder für Frankreichs Exporte den elften Platz. Für fast sieben Milliarden Euro verkauften französische Firmen im letzten Jahr Waren in die Türkei, die Importe aus der Türkei lagen bei 5,5 Milliarden. In Zukunft könnte den Franzosen aber erheblich mehr entgehen. Die Türkei hat vor, ihre Energieversorgung zu modernisieren und will dafür rund 100 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Französische AKW dürften dann nicht dabei sein. Ebenso müsste die Neuaufrüstung der türkischen Armee ohne französische Waffen vonstatten gehen.
Noch schwerer aber wiegt der immaterielle Verlust. Kaum jemand in der Türkei versteht das französische Gesetz als ernstgemeinte Aufforderung zur Vergangenheitsbewältigung. "Freund und Feind soll wissen", sagte Erdogan, "dass wir stolz sind auf unsere Geschichte. Wir versuchen im Moment jede Entwicklung unserer Geschichte zu bewältigen". Das Mutterland der Aufklärung und Meinungsfreiheit hat sich in Erdogans und den Augen vieler seiner Landsleute für Debatten über Vergangenheitsbewältigung mit dem heutigen Tag als Mahner und Ansprechpartner wohl langfristig diskreditiert.
URL:
* http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,805472,00.html
Ankara warnt Paris vor Handelskrieg
Von Jürgen Gottschlich, Istanbul
Die Stimmung ist schon vergiftet, Handelsbeschränkungen könnten folgen: Die Türkei droht mit Wirtschaftssanktionen, sollte der französische Senat das Verbot zur Leugnung des Völkermordes an den Armeniern bestätigen. Besonders hart würden die Maßnahmen Airbus treffen.
Vor dem französischen Konsulat in der Istanbuler Fußgängerzone ist Bereitschaftspolizei aufgezogen. Auf den ersten Blick weiß man nicht, ob die Vertretung geschützt oder abgeriegelt werden soll. Doch schon nach kurzer Zeit löst sich die Polizeiformation wieder auf. Zwar stehen ein paar Neugierige herum, aber anders als in Paris, wo im Verlauf der Parlamentsdebatte Tausende türkische Migranten vor der französischen Nationalversammlung demonstrierten, bleibt es in Istanbul ruhig.
Doch das politische Establishment des Landes ist, genauso wie ein Großteil der öffentlichen Meinung, schwer empört. Der heute Nachmittag in Paris von der Nationalversammlung verabschiedete Beschluss,, mit dem die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 im damaligen Osmanischen Reich unter Strafe gestellt wird, wird nahezu von allen politischen Parteien und den großen Medien des Landes als reiner Affront empfunden. Die offizielle Türkei lehnt es kategorisch ab, die Vertreibung und Massakrierung der damaligen armenischen Minderheit als Völkermord zu benennen.
Auch Ministerpräsident Tayyip Erdogan hob in seiner ersten Reaktion am späten Nachmittag vor allem die Verletzungen hervor, die Frankreich der Türkei damit zugefügt habe. "Mehr als hundert Jahre guter Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern wurden für ein Wahlkampfmanöver geopfert", sagte er im Beisein des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, der gerade zu einem Staatsbesuch in Ankara eingetroffen ist. Um seines persönlichen Ehrgeizes willen habe Präsident Nicolas Sarkozy die Türkenfeindlichkeit in Europa damit weiter angeheizt und "die Grundlagen der freien Meinungsäußerung in Frankreich abgeschafft".
Erdogan wirkte bei seinem Auftritt ruhig und beherrscht, es schien jedoch, als habe er gehofft, dass das französische Parlament die Abstimmung über das Gesetz absetzen oder mindestens verschieben würde. Besonders bestürzt zeigte er sich darüber, dass noch nicht einmal ein Zehntel der Abgeordneten des Parlaments bei der Debatte und Abstimmung anwesend waren. "Gerade einmal 50 von 570 Abgeordneten der französischen Nationalversammlung sind erschienen, das zeigt den Unernst der Auseinandersetzung", klagte Erdogan.
Der Europaminister mobilisiert für einen Boykott französischer Waren
Erdogan und andere öffentlichen Stimmen in der Türkei gehen davon aus, dass das Gesetz lediglich dazu dienen soll, die 500.000 armenischstämmigen Wähler in Frankreich für Sarkozy zu mobilisieren. Aus ihrer Sicht wurden die Einwände eines angeblichen befreundeten Staates "leichtfertig und aus durchsichtigen wahltaktischen Gründen" von Frankreich hinweggewischt.
So werden wohl weniger die von Erdogan angekündigten Gegenmaßnahmen als die in der Türkei empfundene französische Arroganz das Verhältnis zwischen Ankara und Paris beschädigen. Und nicht nur dieses. Für viele Türken, die von der Haltung der EU sowieso enttäuscht sind, ist das Gesetz ein neuer Beweis für die Ablehnung der Türken in Europa und im Westen insgesamt.
Alles was Erdogan ansonsten ankündigte, hat eher symbolischen Charakter: Die Aufkündigung der Militärbeziehungen bedeuten, dass keine gemeinsamen Manöver mit Frankreich mehr abgehalten werden sollen. Darüber hinaus darf die französische Marine keine türkischen Häfen mehr anlaufen, und französischen Militärfliegern werden die normalerweise pauschal immer für ein Jahr genehmigten Überflugrechte im türkischen Luftraum gestrichen - zukünftig muss jeder Flug einzeln beantragt und genehmigt werden. Der türkische Botschafter ist zu Konsultationen nach Ankara zurückgerufen worden, was jedoch noch nicht den Abbruch der diplomatischen Beziehungen bedeutet.
Dennoch: Alle bilateralen politischen Treffen wurden auf Eis gelegt. Betroffen davon sind vor allem Absprachen über ein gemeinsames Vorgehen gegenüber Syrien. Frankreichs Außenminister Alain Juppé hatte in den letzten Wochen etliche Treffen mit seinem türkischen Kollegen Ahmet Davutoglu, um eine gemeinsame Position gegen das Assad-Regime zu entwickeln.
Für beide Länder steht viel auf dem Spiel
Und Erdogan machte deutlich, dass diese Maßnahmen nur einen ersten Schritt darstellen. Sollte der französische Senat das Gesetz bestätigen und ihm damit Rechtskraft verleihen, ist Ankara offenbar bereit, auch ans Eingemachte zu gehen. Ganz oben auf der Sanktionsliste stehen die umfangreichen Bestellungen von Airbusfliegern durch die staatliche türkische Fluggesellschaft Turkish Airlines. Eine Rücknahme würde die französische Wirtschaft empfindlich treffen. Und Europaminister Egeman Bagis mobilisiert bereits jetzt für einen Boykott französischer Waren.
Sollte die Türkei nach den politischen Beziehungen tatsächlich auch die Handelsbeziehungen einfrieren, stünde für beide Länder viel auf dem Spiel. Die Türkei belegt auf der Liste der wichtigsten Länder für Frankreichs Exporte den elften Platz. Für fast sieben Milliarden Euro verkauften französische Firmen im letzten Jahr Waren in die Türkei, die Importe aus der Türkei lagen bei 5,5 Milliarden. In Zukunft könnte den Franzosen aber erheblich mehr entgehen. Die Türkei hat vor, ihre Energieversorgung zu modernisieren und will dafür rund 100 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Französische AKW dürften dann nicht dabei sein. Ebenso müsste die Neuaufrüstung der türkischen Armee ohne französische Waffen vonstatten gehen.
Noch schwerer aber wiegt der immaterielle Verlust. Kaum jemand in der Türkei versteht das französische Gesetz als ernstgemeinte Aufforderung zur Vergangenheitsbewältigung. "Freund und Feind soll wissen", sagte Erdogan, "dass wir stolz sind auf unsere Geschichte. Wir versuchen im Moment jede Entwicklung unserer Geschichte zu bewältigen". Das Mutterland der Aufklärung und Meinungsfreiheit hat sich in Erdogans und den Augen vieler seiner Landsleute für Debatten über Vergangenheitsbewältigung mit dem heutigen Tag als Mahner und Ansprechpartner wohl langfristig diskreditiert.
URL:
* http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,805472,00.html