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Vollständige Version anzeigen : Ich habe einen Traum...



von Richthofen
31.08.2011, 23:35
... ein Virus/Pandemie/sonstige Katastrophe die aber die Erde ansonsten unbeschädigt gelassen hat, hat ein Großteil der Menschheit dahingerafft.

Wo einst in der ehemaligen BRD noch 82millionen Menschen lebten, existieren vielleicht noch 20.000 Seelen die der Katastrophe unbeschadet entronnen sind.



Der Sommer neigt sich dem Ende entgegen, die Nächte werden länger und in meinem Häuschen, das vor der Katastrophe ein Einfamilienhaus am Waldrand in einem Ort der Vordereifel war, muss abends das Feuer schon etwas länger brennen.

Die Sonne steht schon recht tief, als ich, in eine schafwollgefütterte Weste und derbe Cordhosen gekleidet, auf meinem robusten Pferd zurückgeritten komme. Mein treuer Neufundländert trabt fröhlich neben mir her.

Meine Frau erwartet mich lächelnd vor der Haustür.
Während ich den Stamm den ich mit dem Pferd aus dem Wald gezogen habe, neben das Haus bringe, räumt sie schon das Beil und den Keil weg, mit denen sie den Nachmittag über Feuerholz gespalten hat.

Ich bringe das Pferd in den Stall, an dessen Wänden die Halterungen für Winterreifen noch von seiner ehemaligen Bestimmung zeugen und die nun von Hacke, Spaten, Schaufel und Rechen okkupiert sind und gebe dem Pferd einen großen Schuss frisches Wasser aus dem Bach der sich neben dem Haus durch die Wiese schlängelt.
Während es zufrieden trinkt, entledige ich es seines Sattels. Danach schließe ich das Tor des stalls und gehe in die Wohnstube, wo meine Frau vor dem offenen Kamin kniet und in der Suppe rührt, die sie aus Kräutern, Kartoffeln und einem großen Stück Reh gemacht hat, welches ich am Morgen erlegt habe.

"Essen dauert noch fünf minuten" sagt sie lächelnd und ich setze mich an den ehemaligen Computertisch, wo nun ein Funkgerät steht, das ich vor ein paar Monaten in einem verlassenen Bundeswehrdepot entdeckt habe.

Der Strom dafür stammt aus den Solarpaneelen auf dem Dach, die von mir mittels einiger zusammengeschalteter Autobatterien um eine gewisse Speicherkapazität ergänzt wurden und die für ein gewisses Mindestmaß an Stromversorgung, etwa für eine kleine Pumpe vom Bach bis zum Haus und ein paar schwache Leselampen ausreichen.

Während ich durch die Kanäle schalte, ertönt im Kopfhörer nur das altbekannte Rauschen, unterbrochen von einigen französischen Brocken von einem Mann aus der Nähe von Nancy, der den ganzen Tag damit zu verbringen scheint, das bei ihm stattfindende Wettergeschehen und ein paar schmutzige Witze zu erzählen - soviel kann ich mit meinem Schulfranzösisch entziffern.

Interessanter sind da schon die Gespräche mit einem Bauern aus Niedersachsen, der mir als ziemlich unwissenden ehemaligen Finanzheini, schon einige wertvolle Tipps gegeben hat. Doch sein Kanal belibt heute stumm.

Durch das Rauschen des Äthers hinweg höre ich meine Frau mit den Tellern klappern und ich schalte das Gerät ab und setze mich zu ihr an den Tisch.
Während wir essen und dabei über dieses und jenes reden, fängt es an zu regnen.

Ich freue mich darüber, es war ein guter Sommer und die Ernte aus Kartoffeln, Rüben, Äpfeln und diversen anderen Feldfrüchten die ich entweder im Schweiße meines Angesichts selbst lkultiviert, oder aber auf den umliegenden ehemaligen Hochleistungsplantagen geerntet habe, liegt sicher und trocken im Keller des Hauses. Jetzt kann es regnen wie es will.

Ich bin sehr zufrieden, der Winter kann kommen. Wenn ich da an den letzten Winter denke, den ersten nach der Katastrophe... aber lassen wir das.

Das Essen ist beendet und ich trage die Teller in die Küche, wo ich sie mit Wasser aus dem Bach in der Spüle wasche, während meine Frau - sie heißt übrigens Alexandra - es sich schon in einem der beiden Sessel am Kamin mit einem Buch bequem gemacht hat.

Ende des letzten Winters waren wir in Koblenz - mit den letzten Spritreserven die ich aus diversen gestrandeten Autos zusammenkratzen konnte.

Es sah dort aus, wie in den ganzen Horrorfilmen: Autos quer durcheinander, Zettel an Haustüren "Wo ist derundder" eine Stadt wie aus einer Geschichte von Hieronymus Bosch.

Ich hoffte in einer der Kasernen der Stadt vielleicht ein Gewehr zu finden, aber dort war alles, aber wirklich alles leergeräumt und geplündert.

Ziellos fuhren wir durch die Stadt bis wir von einer Thalia-Filiale stehenblieben.

"Wenn es schon sonst nichts gibt, sollten wir wenigstens für das geistige Wohl sorgen" sagte ich mir und ging in den Laden.

Der Pickup den ich bei einem Nissan-Vertragshändler "gefunden" hatte, ging tief in die Knie unter der Last der Bücher...

Auf dem Nachhauseweg fand ich in einem Gewerbegebiet in der Nähe die Filiale eines ehemals riesigen Jagdausrüsters von dem ich auch wusste, dass es dort Waffen gab.

Vorsichtig fuhr ich in der anbrechenden Dämmerung um den laden, doch nirgendwo waren Spuren eines gewaltsamen Eindringens festzustellen - sollte der Laden etwa in den Wirren übersehen worden sein?

Ich ließ Alexandra aussteigen und gab ohne mit der Wimper zu zucken Gas.

Das Glas der Eingangstüren und die Metallgitter dahinter mochten vielleicht einer Flex standhalten, aber sicher nicht einem zwei Tonnen schweren Pickup.

Sekunden später standen wir mit unseren Taschenlampen in dem Laden der so aussah, als ober er gerade erst verlassen worden war.

Eine halbe Stunde später ging der Pickup noch tiefer in die Knie, schwer beladen mit zwei guten Bockflinten, einer halbautomatischen Flinte von Benelli, zwei Jagdrepetierern mit Zielfernrohren, zwei Smith & Wesson Revolvern in .44 Magnum, abertausenden Schuss Munition für die Waffen, dazu Ferngläser, Unmengen an robuster und vor allem warmer Jagdbekleidung und Büchern über die Jagd (Ich war vor der Katastrophe zwar Sportschütze, aber von der Jagd hatte ich keinen blassen Schimmer)

So gerüstet begaben wir uns strahlend wie die Kinder am heiligen Abend auf den Weg nach hause.




Während Alexandra im Schein der aus den batterien gespeisten Leselampe tief in ihr Buch fixiert ist, lasse ich meinen Blick über die Waffen wandern, die ich an der Wand neben dem Kamin an ein paar Stahlhaken fixiert habe und wo sie jederzeit griffbereit sind. Ohne sie und den Fund in dem Waffenladen, hätten wir es dieses Jahr sehr, sehr schwer gehabt.

Ich greife mir mein Buch und mache es mir auf dem Sessel neben ihr gemütlich. Eine Decke über den Beinen macht es noch wohliger und ich vertiefe mich in die Geschichte der Schwarte, in der der Author eine blühende, technikfixiierte Zukunftsvision geschaffen hat und muss schmunzeln...

Eine Stunde später, der Regen ist mittlerweile Stärker geworden, reckt sich alexandra und gähnt so ausdauernd, dass der Hund der vor dem Kamin eingeschlafen ist aufschreckt und sie anschaut.

"Bettzeit" kann ich noch verstehen und zu dritt steigen wir über die Treppe nach oben, nicht ohne vorher die Türen des Hauses gründlich verschlossen zu haben. Es gibt zwar kaum noch Menschen, aber ich bin lieber paranoid als das ich unser bißchen Reichtum an einen Vagabunden verlieren will.

Während wir uns im kühlen Schlafzimmer in die dicken Daunendecken kuscheln frage ich mich wie jeden Abend ein ums andere Mal "Bin ich glücklich?"

Und wie jeden Abend antworte ich meiner inneren Stimme aufs neue "Oh ja, ich bin sehr glücklich"






Tja, das wäre dann mein Beitrag zum Thema Gesellschaftstheorie.. :] Ich hoffe Ihr hattet Spaß beim lesen. Ich hatte ihn auf jeden Fall beim Schreiben.

Wenn das unermessliche Leid nicht wäre, dass es benötigen würde um einen solchen archaischen lebensstandart hervorzurufen, ich wäre fast gewillt, mir diese Zukunft herbeizuwünschen.

MorganLeFay
31.08.2011, 23:50
Wo hast Du das Pferd her?

Sorry, aber ich haette vermutet, dass sich sehr schnell die Ueberlebenden um sowas kloppen. Oder Pferde aufessen waehrend der Katastrophe.

Aber sonst habe ich es gern gelesen.

Sloth
01.09.2011, 07:09
Gut geschrieben! Die Szenen habe ich mir lebhaft vorgestellt, ohne dies zu absichtlich zu tun.
Auch dieses Endzeitszenario ist nicht schlecht, wenn auch der Zufall es will, daß Du, deine Frau, der Hund, das Haus und genügend Vieh das Chaos überstanden.

Um es auf den Punkt zu bringen:
Die vielen Menschen und die abhängige Gesellschaft stören dich etwas.

Lilly
01.09.2011, 07:46
Ich könnte noch stundenlang weiterlesen........

Chronos
01.09.2011, 08:02
Ohne die Phantasie und die Kreativität von Richthofens schmälern zu wollen:

Anfang der Achtziger gab es einen wirklich sehenswerten Film mit Charlton Heston "The Omega Man", der ein sehr ähnliches Szenario beschrieb.

Nach einem Krieg mit biologischen Waffen mutierte ein Bakterium zu einem Killer, der den größten Teil der amerikanischen Einwohner dahinraffte. Nur ein paar gegen das Bakterium resistenten Stadtbewohnern gelang es, in eine ländliche Idylle zu entkommen und aus dem eigenen Serum ein Gegenmittel zu extrahieren, das die Seuche stoppte.

Ein sehr packender Film, der die Gedanken von Richthofens schon in Szene gesetzt hatte (vielleicht ist der Film gelegentlich noch als DVD erhältlich).

Fiji Mermaid
01.09.2011, 08:24
Von Richthofen, du bist zivilisationsmüde. In Kanada gibt es aber sicher noch ein paar menschenleere Flecken :wink:

Leila
01.09.2011, 08:32
[…] Die Sonne steht schon recht tief, als ich, in eine schafwollgefütterte Weste und derbe Cordhosen gekleidet, auf meinem robusten Pferd zurückgeritten komme. Mein treuer Neufundländert trabt fröhlich neben mir her. […]

Neufundländer können nicht traben, Rößlein hingegen schon.

http://www.nzz.ch/images/traber_sf_lead_1.10764563.1306824715.jpg

Hans A. Traber, ein Pionier des Wissenschaftsjournalismus beim Schweizer Fernsehen (Aufnahme von 1953). (Bild: SF DRS)

-jmw-
01.09.2011, 09:13
Man muss freilich lernen, klarzukommen mit u.a.

- zigtausenden verwilderten Hunden und freilaufenden Wölfen, Bären, Löwen(!);
- durch nicht mehr ordnungsgemäss betriebene AKWe riesige radioaktive Regionen;
- durch nicht mehr ordnungsgemäss betriebene Fabriken chemieverseuchte Flüsse;
- marodierenden Horden sich sozial zurückentwickelt habender Halbmenschen;
- etc. pp.


Vgl. dazu u.a.

Life After People (http://en.wikipedia.org/wiki/Life_After_People)
Aftermath: Population Zero (http://en.wikipedia.org/wiki/Aftermath:_Population_Zero)

von Richthofen
01.09.2011, 09:45
Man muss freilich lernen, klarzukommen mit u.a.

- zigtausenden verwilderten Hunden und freilaufenden Wölfen, Bären, Löwen(!);
- durch nicht mehr ordnungsgemäss betriebene AKWe riesige radioaktive Regionen;
- durch nicht mehr ordnungsgemäss betriebene Fabriken chemieverseuchte Flüsse;
- marodierenden Horden sich sozial zurückentwickelt habender Halbmenschen;
- etc. pp.


Vgl. dazu u.a.

Life After People (http://en.wikipedia.org/wiki/Life_After_People)
Aftermath: Population Zero (http://en.wikipedia.org/wiki/Aftermath:_Population_Zero)

Für meine Vision gehe ich davon aus, dass bei AKW noch der SCRAM durchgeführt wurde und dass auch ansonsten gefährliche Sachen abgeschaltet wurden.

Es ist nur eine Phantasie, also nimm bitte nicht alles für bare Münze.

Und zu den Marodeuren: Ich bin schwer bewaffnet :D

-jmw-
01.09.2011, 09:55
Für meine Vision gehe ich davon aus, dass bei AKW noch der SCRAM durchgeführt wurde und dass auch ansonsten gefährliche Sachen abgeschaltet wurden.

Es ist nur eine Phantasie, also nimm bitte nicht alles für bare Münze.

Und zu den Marodeuren: Ich bin schwer bewaffnet :D
Mit anderen Worten: Du nimmst die ganze Spannung aus der Sache raus! :D

Herr Schmidt
01.09.2011, 10:24
... ein Virus/Pandemie/sonstige Katastrophe die aber die Erde ansonsten unbeschädigt gelassen hat, hat ein Großteil der Menschheit dahingerafft.

:leier:

Wenn das unermessliche Leid nicht wäre, dass es benötigen würde um einen solchen archaischen lebensstandart hervorzurufen, ich wäre fast gewillt, mir diese Zukunft herbeizuwünschen.

Zuviel "Omega-Mann" gelesen ?

wobbels
01.09.2011, 17:23
Tja, alles abknallen, was dahergelaufen kommt - selbst, wenn quasi niemand mehr da ist.

Sieh da, ein Überlebender. Muß ein Landstreicher sein; keine Fragen, knall ihn ab, bevor er in Rufweite kommt!

Wundert mich nur, daß Du den Bauern und den Franzosen in Deiner Phantasie noch nicht gebrandschatzt hast.
Die haben doch bestimmt noch Dinge, die eigentlich Dir zustehen.

Rikimer
01.09.2011, 17:51
Gut geschrieben! Die Szenen habe ich mir lebhaft vorgestellt, ohne dies zu absichtlich zu tun.
Auch dieses Endzeitszenario ist nicht schlecht, wenn auch der Zufall es will, daß Du, deine Frau, der Hund, das Haus und genügend Vieh das Chaos überstanden.

Um es auf den Punkt zu bringen:
Die vielen Menschen und die abhängige Gesellschaft stören dich etwas.Unsere weltweiten Eliten haben denselben Traum, nur wollen sie die Massen auf ein ihnen genehmes Mass reduzieren. Den Rest in Silos in Megastaedten zusammenpferchen um dann die weite Natur fuer sich selbst zu haben.

MfG

Rikimer

George Rico
01.09.2011, 19:25
Sehr schön und lebendig geschrieben, toll! Trotzdem wär's für mich eher Alptraum denn Traum.



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Leila
02.09.2011, 13:22
[…]Meine Frau erwartet mich lächelnd vor der Haustür.
Während ich den Stamm den ich mit dem Pferd aus dem Wald gezogen habe, neben das Haus bringe, räumt sie schon das Beil und den Keil weg, mit denen sie den Nachmittag über Feuerholz gespalten hat. […]

Ich, Richthofens verwöhnte Nachbarin, bekenne, daß mir mein Mann kaum gestattet, einen Nagel in die Wand zu schlagen, geschweige denn, daß er mir die Schwerarbeit des Holzspaltens zumuten würde. Ich bin eben ursprünglich eine feinsinnige – man könnte beinahe sagen: schwachsinnige persische Prinzessin, der Glaubensfanatiker ihr Erbe unter Androhung von Gewalt abspenstig machten und sie also zum Verzicht bewegten. Mein Mann hingegen ist ein urchiger und bodenständiger Älpler, der, wenn er mich beim Hochheben einer schweren Axt beobachten würde, einen Lachkrampf bekäme. „Leili“, würde er mir zurufen, „so kannst Du mich nicht erschlagen! Du mußt die Axt mit beiden Händen hochheben – gib sie mir her, ich zeige Dir, wie – so!“ Er holt jetzt mit der Axt bis hinter seine rechte Schulter aus und läßt sie hernach mit solcher Gewalt auf das bereitgestellte Holzscheit niedersausen, daß selbst der Holzstock gespalten wird. Während der letzten Chilbi haute er den Lukas bis zum Morgenstern.

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