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Vollständige Version anzeigen : Deutsche Liebeslyrik



sisyphos
01.08.2011, 05:08
Christian Morgenstern


Du bist mein Land,
ich deine Flut,
die sehnend dich ummeeret;
Du bist der Strand,
dazu mein Blut
ohn' Ende wiederkehret.

An Dich geschmiegt,
mein Spiegel wiegt
das Licht der tausend Sterne;
und leise rollt
dein Muschelgold
in meine Meergrundferne.

http://www.deutsche-liebeslyrik.de/liebesbotschaften/liebesbotschaften15.jpg

Paul Chabas (1869-1937)
Septembermorgen

sisyphos
01.08.2011, 19:23
Friedrich Rückert
(1788-1866)


Liebst du um Schönheit


Liebst du um Schönheit,
O nicht mich liebe!
Liebe die Sonne,
Sie trägt ein gold'nes Haar.
Liebst du um Jugend,
O nicht mich liebe!
Liebe den Frühling,
Der jung ist jedes Jahr.
Liebst du um Schätze,
O nicht mich liebe!
Liebe die Meerfrau,
Die hat viel Perlen klar.
Liebst du um Liebe,
O ja mich liebe!
Liebe mich immer,
Dich lieb ich immerdar!

http://www.deutsche-liebeslyrik.de/liebesbotschaften/liebesbotschaften9.jpg

Bertel Thorvaldsen (1770-1844)
Amor und Psyche

sisyphos
01.08.2011, 19:26
Es ist Nacht - Christian Morgenstern

Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir,
hält's nicht aus,
hält's nicht aus mehr bei mir.

Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.

Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.


http://www.deutsche-liebeslyrik.de/liebesbotschaften/liebesbotschaften19.jpg

Giovanni Boldini (1842-1931)
Portrait of Lina Cavalieri (Ausschnitt)

Katranka
01.08.2011, 19:49
Ulla Hahn - Mit Haut und Haar

Ich zog dich aus der Senke deiner Jahre
und tauchte dich in meinen Sommer ein
ich leckte dir die Hand und Haut und Haare
und schwor dir ewig mein und dein zu sein.

Du wendetest mich um. Du branntest mir dein Zeichen
mit sanftem Feuer in das dünne Fell.
Da ließ ich von mir ab. Und schnell
begann ich vor mir selbst zurückzuweichen

und meinem Schwur. Anfangs blieb noch Erinnern
ein schöner Überrest der nach mir rief.
Da aber war ich schon in deinem Innern
vor mir verborgen. Du verbargst mich tief

Bis ich ganz in dir aufgegangen war:
da spucktest du mich aus mit Haut und Haar.

Efna
01.08.2011, 19:49
Under der linden

Under der linden
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
dâ mugt ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
vor dem walde in einem tal,
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal.

Ich kam gegangen
zuo der ouwe,
dô was mîn friedel komen ê.
dâ wart ich enpfangen,
hêre frouwe,
daz ich bin sælic iemer mê.
kuster mich? wol tûsentstunt,
tandaradei,
seht wie rôt mir ist der munt.

Dô het er gemachet
alsô rîche
von bluomen eine bettestat.
des wirt noch gelachet
inneclîche,
kumt iemen an daz selbe pfat.
bî den rôsen er wol mac,
tandaradei,
merken wâ mirz houbet lac.

Daz er bî mir læge,
wessez iemen
(nu enwelle got!), sô schamt ich mich.
wes er mit mir pflæge,
niemer niemen
bevinde daz, wan er und ich,
und ein kleinez vogellîn,
tandaradei,
daz mac wol getriuwe sîn.

Walter von der Vogelweide

http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/13Jh/Walther/wal_por1.jpg

Fiji Mermaid
01.08.2011, 20:09
Im leeren Spiegel

In den Gewässern des Lichts,
die Stirnen, gegeneinander,
Sommergehölz fliegt herauf
über die Hüfte dir, Blitze
schrei ich herab, ihr kommt
fernher, Blitze, Asche,
Flocken Asche
fallen von dir, dein Kleid.
An der Schulter war ich,
die Ader an deinem Hals
brach mir im Mund, du sinkst
nicht, ich halt dich
bei den Armen, ich heb
über die Tiefe dich, so
geh vor mir her.
Einmal: ich bring dir wieder
den Trunk, vor dem Himmeln
flieg ich, einmal: ich komm
aber herab, du hörst mich
atmen, dich hören die Felder
über dem Wind, ein weißes
Licht spricht mit dir.

Johannes Bobrowski

Efna
01.08.2011, 20:21
Under der linden

Under der linden
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
dâ mugt ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
vor dem walde in einem tal,
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal.

Ich kam gegangen
zuo der ouwe,
dô was mîn friedel komen ê.
dâ wart ich enpfangen,
hêre frouwe,
daz ich bin sælic iemer mê.
kuster mich? wol tûsentstunt,
tandaradei,
seht wie rôt mir ist der munt.

Dô het er gemachet
alsô rîche
von bluomen eine bettestat.
des wirt noch gelachet
inneclîche,
kumt iemen an daz selbe pfat.
bî den rôsen er wol mac,
tandaradei,
merken wâ mirz houbet lac.

Daz er bî mir læge,
wessez iemen
(nu enwelle got!), sô schamt ich mich.
wes er mit mir pflæge,
niemer niemen
bevinde daz, wan er und ich,
und ein kleinez vogellîn,
tandaradei,
daz mac wol getriuwe sîn.

Walter von der Vogelweide

http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/13Jh/Walther/wal_por1.jpg

hier noch mal Musikalisch


http://www.youtube.com/watch?v=LkXmVaR4NjA

König
01.08.2011, 20:41
Das mußte ich einmal in der Schule lesen.

Ulla Hahn: Nie mehr

Das hab ich nie mehr gewollt
um das Telefon streichen am Fenster stehn
keinen Schritt aus dem Haus gehn Gespenster sehn
Das hab ich nie mehr gewollt

Das hab ich nie mehr gewollt
Briefe die triefen schreiben zerreißen
mich linksseitig quälen bis zu den Nägeln
Das hab ich nie mehr gewollt

Das hab ich nie mehr gewollt
Soll der Teufel dich holen.
Herbringen. Schnell.
Mehr hab ich das nie gewollt.

Rikimer
01.08.2011, 21:20
Der hier schoen:


'Dû bist mîn, ich bin dîn:
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen:
verlorn ist daz slüzzelîn:
dû muost immer drinne sîn.'


:)

König
01.08.2011, 21:39
http://www.youtube.com/watch?v=3zqATvlzDMA

Aus: Gottfried von Straßburg: Tristan. XVI: Der Minnetrank

Nu daz diu maget und der man,
Îsôt unde Tristan,
den tranc getrunken beide, sâ
was ouch der vverlde unmuoze dâ,
Minne, aller herzen lâgaerîn,
und sgleich z'ir beider herzen în.
e sî's ie wurden gevvar,
dô stiez s'ir sigevanen dar
und zôch si beide in ir gevvalt.
si wurden ein und einvalt,
daz ietweder dem andern was
durchlûter alse ein spiegelglas.

Ouwê Tristan unde Îsôt,
diz tranc ist iuwer beider tôt!

Des nahtes, dô diu schoene lac,
ir triure unde ir trahte pflac
nâch ir trûtamîse,
nu kam geslichen lîse
zuo der kemenâten în
ir amîs unde ir arzâtîn,
Tristan und diu Minne.
Minne diu arzâtinne
si vuorte ze handen
ir siechen Tristanden.
ouch vant s'Îsôte ir siechen dâ.
die siechen beide nam si sâ

und gab in ir, im sie
ein ander z'arzâtîe.

Ouwê Tristan unde Îsôt,
diz tranc ist iuwer beider tôt!

~~~

"Als Tristan and Isolde den Minnetrank getrunken,
vereinte die Macht der Liebe die beiden,
jeder wurde für den anderen so durchsichtig
wie Spiegelglas.
Des Nachts kam die Liebe als Ärztin
und führte den liebeskranken Tristan zu Isolde.
Da wurden sie füreinander zur Medizin.
O weh! Tristan und Isolde, dieser Trank ist Euer Tod."

sisyphos
02.08.2011, 01:15
"Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. [...] Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es." (Novalis, Fragmente)

Novalis ... seitdem ich das gelesen habe bin ich enttäuscht von Novalis ... eine Romantik die eine potentzierte Operation von Scheinhaftigkeiten ist führt sich selbst ad absurdum
Das ist mir dann doch zu unromantisch, zu sehr im immanenten Rationalismus verharrend -

Romantik hat nur Sinn, wenn sie in sich selbst den Glauben "an das Ursprüngliche" wach hält ( was hier Novalis zwar nennt, aber in einem unschönen Zusammenhang );
und zugleich freilich dieses ursprünglich Schöne als eigentlich Natur der Welt bejaht ( dadurch keinesfalls als bloßer Schein ) ...

In diesem kleinen Zitat, meine ich, deutet sich sogar bei Novalis schon die bürgerliche Entromantisierung an. Dachte ich geh mal darauf ein,
da das ja der Thread der "Deutschen Liebeslyrik" ist ... und uns geht's hier um Romantik.