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Vollständige Version anzeigen : Buchempfehlung: Theodor Buhl - Winnetou August



bach
21.12.2010, 19:07
Ausschnitt:

Die beiden in der Schlachterkammer waren tot, das konnte man sofort erkennen. Die Körper lagen auf dem Tisch, die eine mit dem Rücken, die andre umgekehrt. Die Beine hingen von der Kante runter, die Hände waren an den Tisch gebunden. Man konnte sie nur einen Augenblick lang sehen, die knallten gleich die Tür von innen zu, kaum daß sie uns entdeckten. Zwischen den gespreizten Beinen hat bei jeder eine Mistgabel gestanden, die Zinken auf dem Boden. Die waren mit den Stielen reingesteckt gewesen. Weil man es nicht richtig hatte sehen können, hat man es sich immer wieder vorgestellt.

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Amazon Kundenrezensionen :



Es gibt Dinge, die sollte ein Kind nicht zu sehen bekommen. Tote, die in Zeitungspapier gewickelt mit der Straßenbahn zum Friedhof transportiert werden. Die Gruppenvergewaltigung eines 14jährigen Mädchens. Am Tisch festgebundene gefolterte Frauen. Tote Babys, die am Straßenrand abgelegt werden. Der Zustand der Toten nach der Zerstörung Dresdens.
Die Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen. Was im Kriegsalltag zu sehen war, ist mehr, als ein Kind verkraften kann. Kein Wunder, dass sich die Gefühle im Laufe der Zeit abstumpften. 'Willy schien das wenig auszumachen, in Dresden hatte er noch nachts geheult.'
Trost gab es nicht, denn um die Bedürfnisse der Kinder konnte sich kaum gekümmert werden. Zu sehr war der Alltag ausgefüllt mit dem Versuch, zu überleben.
Dieser Alltag mit Krieg und Vertreibung, mit all den Schrecken für die Zivilbevölkerung und vor allem für die Kinder, wird im Buch aus der Sicht des achtjährigen Jungen Rudi erzählt, der in Schlesien aufwächst und mit seiner Familie zunächst nach Dresden flieht. Dort kommt er zweieinhalb Stunden vor der Zerstörung der Stadt an und hat zur Zeit der Angriffe glücklicherweise ein nahegelegenes Dorf erreicht. Aber die Folgen der Zerstörungen sind für ihn und seinen Bruder direkt sicht- und erfahrbar.
Wieder flieht die Familie. Für kurze Zeit kann eine Art Normalität einkehren. Der Vater unterrichtet die Jungen, die seit Monaten keinen Schulunterricht mehr hatten, auf seine Art: Die Bibliothek eines verlassenen Hauses wird in Besitz genommen. Mitten im Krieg besteht der Vater auf dem Wert der Bildung: 'Wer nicht nachschlägt, bleibt beschränkt! Wortschatz und Wissen ständig erweitern!'. Eine bessere Grundlage kann man Kindern nicht geben.
Die Jungen lesen aber nicht nur die vom Vater ausgesuchten Bücher, sondern sie wühlen sich auch durch die Karl-May-Gesamtausgabe. Hier finden sie Ablenkung und Trost. Das Lesen wird zum Mittel, ihre geistige Gesundheit zu bewahren und den Kriegsalltag zumindest teilweise in ein großes Abenteuer umzudeuten.
Schließlich wird die Familie endgültig aus ihrer Heimat vertrieben. Das Buch endet mit der Ankunft im Westen. Ich hoffe auf eine Fortsetzung, denn ich wüsste gern, wie es mit den Protagonisten, die mir ans Herz gewachsen sind, weitergeht.
Denn dieses Buch hat mich tief beeindruckt. Die Tiefe der Charaktere, die Sprachgewalt, das Fehlen von Schuldzuweisungen und Groll, die im Buch fühlbare Menschlichkeit des Autors.
Schade, dass im Geschichtsunterricht keine Lektüre vorgesehen ist. Dieses Buch wäre ideal dafür.




Vom Aussehen des Covers her ist dieses Buch wohl nicht gerade als einladend zu bezeichnen. Neugierig jedoch macht es schon.

Schlägt man das Buch dann erst mal auf, nimmt es den Leser sofort in seinen Bann. Der mir bis dahin unbekannte Theodor Buhl beschreibt mit geradezu sprachlicher Schönheit eine erschütternde Familiengeschichte, die von Flucht und Vertreibung vor mehr als 60 Jahren berichtet.

Neben dem Familienvater ist für mich die stärkste und zugleich berührendste Figur dieses Romans der 8 - jährige Sohn Rudi. Er erlebt mehr als Kinder erleben dürfen: Raub, Mord, Vergewaltigung, Bombennächte . . .

Quasi aus psychischer Notwehr heraus rettet sich Rudi in die Indianerwelt eines Karl May. Winnetou wird zum Mythos, der zwischen Fiktion und Realität zu Rudi Zutritt hat. Mit Hilfe dieses Mythos überlebt Rudi die Flucht aus seiner Heimat Schlesien nach Dresden und dann, nach dem dortigen Bombenhagel, immer weiter gen Westen.

Beim Lesen denke ich mir: Dieses Buch ist Geschichtsunterricht für Jugendliche von heute. Sie sollten dieses Buch lesen, damit erlebbar wird, wohin Hass und Größenwahn führen können.

Der Autor betreibt hier keine Schuldzuweisungen, er legt Geschichte offen, macht Bestandsaufnahme und erzählt mit diesem Buch den heutigen Jugendlichen was einmal wahr. Dies ist und bleibt notwendig.

So ganz nebenbei, fast unbemerkt ist aus dem Jungen Rudi ein junger Mann geworden. So wie dieser wuchs Theodor Buhl in Westdeutschland heran. Buhl studierte an der Kunstakademie in Düsseldorf und an der Universität Köln. In diesem vorliegenden Buch steckt sicher viel Biografisches, aber mit Sicherheit ist es ein Buch voller Weisheit.

Rotbart
21.12.2010, 23:23
Rezension (http://www.sezession.de/22306/theodor-buhl-winnetou-august-eine-rezension.html#more-22306) von Götz Kubitschek.