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Vollständige Version anzeigen : Konrad Löw: Deutsche Schuld 1933-1945? Die ignorierten Antworten der Zeitzeugen



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29.11.2010, 15:57
Rezension




konrad löw: Deutsche schuld 1933-1945? Die ignorierten antworten der zeitzeugen

vor-, nachwort: Klaus von dohnanyi, alfred grosser


oktober 2010 (datiert 2011) olzog verlag münchen, 446 seiten, gebunden, 39,90 euro


konrad löw, emeritus der politikwissenschaft an den universitäten erlangen-nürnberg und bayreuth, präsentiert zum trauma der schoa vier jahre nach seinem buch „das volk war ein trost“ eine noch umfangreichere dokumentation von zeitzeugnissen mit erörterungen der schuldfrge – eine arbeit, die hunderte von fachhistorikern bis jetzt links liegen gelassen haben. Paßte ihnen die tatsachen zu wenig in das vom nürnberger siegertribunal dekretierte und in deutschland mit einem „masochistischen schuldbewußtsein“ (a. Grosser) gepflegte geschichtsbild – war es deshalb zu karriereschädlich, dies anzufassen?



deutsche waren nämlich größtenteils frei von antijudaismus, obschon juden – nur knapp ein prozent der bevölkerung – zur weimarer zeit, beruflich und finanziell hervorstechend erfolgreich waren. Bis 1933 empfanden sie antijüdisches meist als eine der vielen animositäten, die in deutschland auch gegen preußen, bayern, sachsen, katholiken oder protestanten gepflegt wurden. Kein zeitzeuge führt hitlers erfolg auf seinen antijudaismus zurück, der in der wahlpropaganda kaum vorkam, sondern auf seinen kampf gegen die erniedrigung und verelendung deutschlands durch versailles.



der autor hat 354 aufzeichnungen von 300 jüdischen oder mit juden verheirateten zeitzeugen und rund 270 zeitzeugnisse von nichtjüdischen deutschen, besonders in den deutschlandberichten der exil-spd, von ausländischen diplomaten und journalisten sowie von verantwortlichen des ns-regimes ausgewertet.



die jüdischen zeugnisse aus allen regionen deutschlands sprechen eindringlich dafür, daß die allermeisten deutschen die judenverfolgung vom ersten bis zum letzten tag durch verhalten, wort und tat, sogar bei lebensgefahr, verurteilt haben, wie viele hundert positiver einzelaussagen belegen.

negativ ist nur knapp jede zehnte, die aber meist einzeltaten, wie verhöhnungen durch jugendliche oder einige tätliche angriffe durch pöbel betreffen. Dagegen umfassen die positiven zeugnisse meist zeiträume oder öfter erlebtes: Einen jahrelangen normalen schulalltag jüdischer kinder, anständige, sogar zuvorkommende behandlung von behörden, bekundungen von abscheu der drangsalierung, von mitleid und sympathie, von hilfreichen hinweisen, warnungen, sichern von eigentum durch „aufbewarier“, von viel hilfe mit lebensmitteln sowie durch verstecken und versorgen einzelner oder ganzer familien; ein zeuge spricht von 66 quartieren, ein anderer von 70 helfern. Sehr aussagekräftig ist auch, daß selbst die, welche hilfe verweigerten, nur selten denunzierten, daß bewohner großer miethäuser, von stadtvierteln und gemeinden die verborgenen nicht verrieten. sehr beachtlich ist, daß sogar überzeugte nationalsozialisten, beamte, angehörige von sa, ss und gestapo anständig bis hilfreich waren. „arische“ freundschaften haben sehr oft gehalten, ebenso über neun zehntel der mischehen.

fast alle anderen, nicht betroffenen zeugen, ebenfalls die amtlichen und persönlichen aussagen aus sicht des regimes bis hin zu goebbels und hitler bestätigen: Das volk blieb bis zuletzt größtenteils judenfreundlich.

die zeugnisse und erläuterungen zeigen, wie sehr die sich von 1933 bis 1945 steigernde irrsinnige judenverfolgung ein „kulturbruch“ war. Doch sie und löws zusätze erzeugen auch den eindruck, als habe terror das tägliche leben in deutschland bestimmt. Die von löw nicht angeführte geschichtspsychologische untersuchung von fritz süllwold (2001 herbig) „deutsche normalbürger 1933-1945“ zeigt, daß diese sich überwiegend nicht unter terror empfanden, was auch für soldaten gilt: Sie kämpfte vorwiegend aus kameradschaft und vaterlandsliebe. Ein soldat der waffen-ss erregte auch keinen schauder, wie der autor im fall grass meint. Löw betont das vorherrschende bild des holocaust sogar mit einem foltergeständnis und einer rede fraglicher echtheit.. Wer raul hilbergs expertenmeinung kennt, erst 20% der schoa seien erforscht, wird sich fragen, woher der autor beispielweise weiß, ob ein opfer im kz ermordet wurde oder starb, was ja schon schlimm genug wäre.



Löws intensive und umfassende auseinandersetzung mit dem schuldkomplex ist sehr verdienstvoll, auch wenn nebenbei deutschland verleumdendes zum armeniermord und zum hereroaufstand anklingt. Ausgehend von der „würde des menschen“ beweist er, daß es nach dem sittengesetz wie nach völker- und deutschem recht keine kollektive „deutsche schuld“ gibt, unabhängig davon, wie groß die zahl der schuldigen war, weil schuld nur persönlich sein kann und im einzelfall nachgewiesen sein muß. Das beträfe nach einer fußnote rund 200 000 deutsche und (ausländische) helfer, mithin von damals 80 millionen weniger als ein viertel prozent. Löw sieht allerdings „hunderttausende deutsche“ an ns-verbrechen beteiligt, obschon er zitiert, daß die über drei millionen entnazifizierungsverfahren in den westzonen nur 25 000 schuldige oder hauptschuldige und 250 000 belastete ergaben, wobei, wie er selbst hinzufügt, von letzteren, die es automatisch wegen einer mitgliedschaft waren, viele juden geholfen haben. Da oft schon nichthelfen als schuld verurteilt wird, stellt löw klar: „unterlassene hilfe wird erst dann zur schuld, wenn sie möglich und zumutbar war“, mehr zu verlangen, ist eine moralische anmaßung. Natürlich kann ein volk schuld nicht ererben, auch nicht verschleiert als „immerwährenden verantwortung“, die ständig von interessierter seite, von schuldaposteln und sogar, pflichtwidrig, amtlicherseits verkündet wird.

Löw analysiert maßgebende bücher zur schuld „der deutschen“ mit dem ergebnis, daß weder die kriterien gerechten urteilens, noch viele aussagen der zeitzeugen, am wenigsten die der opfer beachtet, diese sogar verfälscht wurden. bei giordano findet sich im eigenen erleben kein beweis für seine pauschalbeschuldigungen. Der autor geißelt mutig falschbezeugung und scheinheiligkeit der vergangenheitsbewältiger, von den kirchen bis zu prominenten, wie unter anderen richard weizsäcker und walter jens, für die es die würde des menschen und das verbot, falsches zeugnis abzulegen, für die vergangenheit offenbar nicht gibt. hierzu läßt er auch viele gegner und opfer des ns-regimes für wahrheit und gerechtigkeit sprechen, die löws anliegen sind – berechtigt, wie in seiner klage gegen verleumderisches der bundeszentrale für politische bildung das bundesverfassungsgericht jüngst bestätigt hat.



Dieses buch ist in bezug auf die schuld an der schoa ein einmalig erhellender tabubrecher.

utopisch
29.11.2010, 16:14
Rezension

ja und wo war die masse der aufrechten?
die die sich gegen judenverfolgung stellten?
verjagten die deutschen hitler als er die "rassegesetze" verabschieden ließ?

wegsehen erzeugt auch schuld !

fatalist
30.11.2010, 01:41
Guter Beitrag, Registrierter!

Es wird sehr gerne unterschlagen, dass der Reichsrabbiner Leo Baeck, nach dem heute eine Medaille des ZDJ benannt ist,
die Ziele der Nazis und die der Zionisten als "weitestgehend identisch" bezeichnete (1933) und die Zionisten die Rassegesetze begrüssten, da diese den Auswanderungsdruck nach Palästina erhöhten.

Siehe hierzu auch Havaara-Abkommen vom August 1933

All das scheint der User "utopisch" nicht zu wissen.
Wozu auch Wissen, das versaut einem ja nur den Schuldkult ;)

Brutus
30.11.2010, 08:28
Guter Beitrag, Registrierter! Es wird sehr gerne unterschlagen, dass der Reichsrabbiner Leo Baeck, nach dem heute eine Medaille des ZDJ benannt ist, die Ziele der Nazis und die der Zionisten als "weitestgehend identisch" bezeichnete (1933) und die Zionisten die Rassegesetze begrüssten, da diese den Auswanderungsdruck nach Palästina erhöhten.

Leo Baeck war kein Einzelfall. Noch euphorischer über die Nürnberger Rassegesetze und das Tragen des Judensterns äußerten sich Rabbiner Joachim Prinz und Georg Kareski von der Vereinigung deutscher Zionisten, (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus; Klaus Polkehn, Der Zionismus im Komplott mit dem Nationalsozialismus)

Aus dem Aufsatz Klaus Polkehns:

Am 21. Juni 1933 gab es schließlich eine offizielle zionistische
Stellungnahme zur Übernahme der Macht durch den Nationalsozialismus: Die
"Äußerung der Zionistischen Vereinigung für Deutschland zur Stellung der
Juden im neuen deutschen Staat". In diesem umfangreichen Dokument wurde
zunächst hervorgehoben, daß die Anschauungen der Zionisten "nach unserer
Meinung eine den Grundsätzen des neuen deutschen Staates der nationalen
Erhebung (hier wurde von den Verfassern fast wortgetreu die
Nazi-Terminologie übernommen! K.P.) entsprechende Lösung ermöglichen
würde".

Nachdem auf diese Weise die grundsätzliche Einhelligkeit
prinzipieller Positionen von Zionismus und Nationalsozialismus proklamiert
worden war, gab die ZVfD in ihrem Dokumenteinen geschichtlichen Rückblick
auf die Lage der Juden in Deutschland, in dem sie sich wiederum solcher
Vokabeln wie "Bindung von Blut und Rasse" bediente und - genau wie Hitler -
eine "seelische Sonderart" der Juden postulierte.

Dann konstatierten die Zionisten: "Auch für den Juden müssen Abstammung, Religion,
Schicksalsgemeinschaft und Artbewußtsein von entscheidender Bedeutung für
seine Lebensgestaltung sein.

Dies erfordert Überwindung des im liberalen Zeitalter entstandenen
egoistischen Individualismus durch Gemeinsinn und Verantwortungsfreudigkeit."

Nach dieser Beschwörung und Wiederholung faschistischer Thesen folgte ein
offenes Bekenntnis zum faschistischen Staat: "Wir wollen auf dem Boden des
neuen Staates (gemeint ist das nazistische Deutschland; K.P.), der das
Rassenprinzip aufgestellt hat, unsere Gemeinschaft in das Gesamtgefüge so
einordnen, daß auch uns, in der uns zugewiesenen Sphäre, eine fruchtbare
Betätigung für das Vaterland möglich ist."

Schließlich verurteilten die Zionistenden Kampf antifaschistischer Kräfte
gegen das Hitler-Regime, die im Frühjahr1933 zu einem wirtschaftlichen
Boykott Nazi-Deutschlands aufgerufen hatten. "Boykottpropaganda - wie
sie jetzt vielfach gegen Deutschland geführt wird- ist ihrer Natur nach
unzionistisch, da der Zionismus nicht bekämpfen, sondern überzeugen
und aufbauen will."

http://newsgroups.derkeiler.com/Archive/De/de.soc.politik.texte/2006-01/msg00001.html